Dienstag, 22. Juli 2008

Ein Tag im Südlibanon

Um Kurz nach 8 Uhr setzt die „Wadi Rum“ der Royal Jordanian Airlines am Sonntag Morgen auf der Landebahn des Rafiq Hariri Airports auf. Wenig später sitzen wir im Mietwagen und fahren die Küstenstraße in Richtung Süden entlang.


Der Weg ist gesäumt mit Fahnen, Postern und Plakaten, die die Rückkehr der letzten libanesischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen feiern. „1948 – Jahr der Katastrophe – 2008 Jahr des Triumphs“, heißt es da etwa und der Gefangenenaustausch wird als „Göttlicher Sieg“ gefeiert. Dabei wird jedoch nur selten das Gesicht Samir Kuntars oder der anderen freigepressten Häftlinge gezeigt. Stattdessen ist das Konterfei Imad Mughniyes allgegenwärtig. Der hochrangige Kommandeur der Hizbollah wurde im Februar in Damaskus durch eine Autobombe getötet, nach seinem Kampfnamen wurde der Gefangenenaustausch von der Schiitenmiliz als „Operation Radwan“ bezeichnet.

Den ersten Halt machen wir vor dem Büro des libanesischen Geheimdienstes in Saida. Um ins Grenzgebiet zu Israel zu reisen benötigt man auch 8 Jahre nach dem israelischen Abzug eine Erlaubnis des Geheimdienstes, die wir nach einigen Verhandlungen auch erhalten.

Bei strahlendem Sonnenschein und Vormittagstemperaturen von über 30 Grad biegen wir ab ins Landesinneren und fahren Richtung Nabatieh. Wir fahren durch die südlichen Ausläufer des Chouf-Gebirges durch christliche Dörfer in denen Viele in feinster Kleidung auf dem Weg zum Gottesdienst sind. Ein Jahr nach unserem letzten Besuch in Nabatieh zeigt sich dort und in den umliegenden Dörfern, dass der Wiederaufbau zwei Jahre nach dem Julikrieg zügig vorangeht. Zerstörte Brücken sind wieder aufgebaut worden, Trümmer wurden beseitigt, viele Häuser werden rekonstruiert.

Weiter geht die Fahrt in Richtung Süden, vorbei an der alten Kreuzfahrerburg Beaufort Castle, über den Litani nach Deir Mimas. Dieses Dorf – knapp 3 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt – wird ausschließlich von christlichen Familien bewohnt. Im März letzten Jahres waren wir schon einmal hier. Ein Bekannter zeigte uns damals die zerstörte Kirche am Rande des Dorfes, in die eine israelische Rakete eingeschlagen hatte – nun wird das Gotteshaus mit Geld aus Qatar wiederaufgebaut.

Auch sonst zeigen sich unsere Gastgeber sehr zufrieden mit der aktuellen Lage. Das Zusammenleben mit den Schiiten in den umliegenden Dörfern verlaufe problemlos und die spanischen UNIFIL-Soldaten lassen viel Geld in den Dorfläden. Nebenbei lernen die Libanesen von den Blauhelmen Spanisch. Schon Kleinkindern kommt ein „Hola!“ über die Lippen. Bei den Spaniern ist Deir Mimas als „pueblo muy tranquillo“ bekannt.

Für junge Leute bietet der Südlibanon jedoch weder lukrative Jobs noch eine Perspektive. Viele ziehen dafür nach Beirut oder versuchen ihr Glück in Europa oder den Golfstaaten. Unsere Gastgeberin arbeitet im Landwirtschaftsministerium. Ihr kommt dabei das libanesische Proporzsystem zu Gute. Seit ihrer Heirat gehört sie nämlich der christlichen Minderheit der Latiner an, die im gesmaten Libanon kaum 2000 Angehörige zählt, die jedoch adäquat in staatlichen Behörden repräsentiert sein müssen.

Im Nachbardorf Kfar Kila wirbt gar eine „peluqueria per hombres“ unter den Soldaten für Kundschaft. Der Friseursalon befindet sich keine 10 Meter vom israelischen Grenzzaun auf der anderen Straßenseite entfernt. Durch das kleine Tor im Zaun waren im Jahr 2000 offiziell die letzten israelischen Soldaten aus dem Libanon abgezogen.

Wir folgen der Straße die parallel zur Grenze verläuft und die israelische Kleinstadt Metulla, die wie ein Dorn in den Libanon hineinragt, fast umrundet. Am Weg hat die Hizbollah große Schilder aufgestellt auf denen Israels Ministerpräsident Ehud Olmert und sein ehemaliger Verteidigungsminister Amir Peretz verhöhnt werden.

Auch ohne den genauen Grenzverlauf zu kennen ist dieser unschwer zu erahnen. Im Libanon sind viele Felder wegen der anhaltenden Gefahr durch Minen und israelische Splitterbomben verwaist, scheint die Erde verbrannt, wird das Gras schon am Halm zu Heu. Einen scharfen Kontrast dazu bildet das satte Grün auf israelischer Seite. In Nordgaliläa reiht sich dank moderner Bewässerungstechnik ein Feld ans andere. Weit reicht der Blick nach Israel hinein, nach Rosh Pina und über das Hula-Tal hinweg bis zum Golan.

Gerade als wir uns in Mitten der kargen Landschaft endgültig im Niemandsland wähnen erreichen wie den Wazzani. Dieser Fluss entspringt im Hermonmassiv, fließt kurz durch den Libanon und anschließend weiter durch israelisches Staatsgebiet. Keine 50 Meter unterhalb des Grenzzauns picknicken und grillen hunderte Familien in einer Schlucht am Ufer des knapp 10 Meter breiten Flusses in dem Jung und Alt herumtoben. Bei hochsommerlichen Temperaturen bietet das kalte Wazzani-Wasser eine willkommene Abkühlung.

Eine Familie aus Kfar Kila bittet uns sich zu ihnen zu setzen. Uns werden Shish Tawouk serviert, später stoßen wir mit selbst gemachten Arak, dem libanesischen Anis-Schnaps an. Schnell kommen unsere schiitischen Gastgeber auf die libanesische Politik zu sprechen. Ein zentraler Begriff, der dabei immer wieder fällt, lautet „Muamara“ – Verschwörung.

Die sunnitischen arabischen Staaten, Israel, die USA und die libanesische Regierung hätten sich nämlich gegen die Hizbollah verschworen. Dabei seien den Verschwörern alle Mittel recht. Die radikal-sunnitische Fatah al-Islam werde nämlich von Israel, den Saudis und Saad Hariri ausgerüstet und finanziert um die Hizbollah und die libanesischen Schiiten zu attackieren und zu provozieren.

Im Mai diesen Jahres habe die Schiitenmiliz gar keine andere Wahl gehabt, als das mehrheitlich sunnitische West-Beirut anzugreifen. Die libanesische Regierung habe auf Anweisung Israels die Lahmlegung des Kommunikationsnetzes der Hizbollah angeordnet und wollte damit den Widerstand der Hizbollah schwächen. Beim Einmarsch in Westbeirut habe die Hizbollah gar Kommandeure aus Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien festgenommen – dies werde jedoch verschwiegen um die Sunniten nicht weiter zu brüskieren. Auf unsere Frage, ob die Militäraktion gegen die eigenen Landsleute nicht doch ein Fehler war, reagieren unsere Gastgeber ausweichend. Nur die Ehefrau sagt kurzerhand :“Jeder macht mal einen Fehler. Jeder.“

Das Verhältnis zur UNIFIL hier im Süden sei hervorragend, leider verraten die Blauhelme jedoch von Zeit zu Zeit Geheimnisse über Aktivitäten der Hizbollah an die Israelis. Hassan Nasrallah ist in den Augen unserer Gastgeber ein wahrer Held. Selbst in Israel habe der Hizbolah-Chef viele Bewunderer weil Nasrallah ein Politiker sei, dem man trauen könne und der wahr mache, was er ankündige.

Nachdem wir auch noch von den köstlichen frischen Mandeln gekostet haben, fahren wir am Fuße der Golanhöhen entlang Richtung Norden. Rechter Hand passieren wir dabei in einigen hundert Metern Entfernung das Dorf Ghajar. Der Ort gehörte bis 1967 zu Syrien und wurde im 6-Tage-Krieg von Israel erobert. In der Folge wurde das Dorf Richtung Norden auf besetztem libanesischen Gebiet erweitert. Seit dem israelischen Rückzug 2000 durchschneidet die Grenze nun den Ort und teilt ihn in einen israelischen und einen libanesischen Teil.

Nach dem Julikrieg 2006 hat die israelische Armee auch um den nördlichen Teil des Dorfes einen Zaun errichtet, der Ghajar vom Libanon trennt. Die libanesische Regierung sieht darin ebenso wie die UN einen Verstoß der Israelis gegen die UN-Resolution 1701, die den vollständigen Rückzug der Israelis von libanesischem Territorium fordert.

Weit oberhalb des Ortes thront Majdal Shams, der von Drusen bewohnte Hauptort des israelisch besetzten Golan. Dazwischen liegen die Shebaa-Farmen, mehrere inzwischen nicht mehr bewohnte Bauernhöfe am Westhang des Berg Hermon. Dieses etwa 30 Quadratkilometer große Gebiet wurde bis zur israelischen Eroberung 1967 von Syrien verwaltet, dann von Israel erobert. Nach dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon 2000 erklärte die Hizbollah die Farmen zu libanesischem Gebiet, das noch immer von Israel besetzt sei und daher befreit werden müsse. Syrien erklärte, die Bauernhöfe 1951 an den Libanon verschenkt zu haben, ohne dafür jedoch bislang einen schriftlichen Beweis vorgelegt zu haben. Die UN sollen nun den genauen Status der Shebaa-Farmen klären.

Wir fahren unterhalb der Shebaa-Farmen weiter in Richtung Norden. Bei der Fahrt durch die Dörfer zeigt sich die religiöse Diversität der Region. Drusische Dörfer wechseln sich ab mit Ortschaften, die von Sunniten bewohnt werden. Im Dorf Shebaa selbst, am Fuße der Farmen, leben fast ausschließlich Sunniten. In der Ortsmitte befindet sich in einem blau angestrichenen kleinen Haus der Hauptsitz der indischen UNIFIL-Soldaten.

Nun verlassen wir den Süden und fahren über dank iranischer Finanzspritzen glänzend ausgebaute Straßen ins Bekaa-Tal. Auch hier zeigt sich die Dürre, mit der die Landwirte in diesem Jahr zu kämpfen haben. Der Qaraoun-Stausee im Süden der Bekaaebene führt schon jetzt nur wenig Wasser. Erst im Herbst ist wieder mir stärkeren Niederschlägen zu rechnen, die Bauern werden sich wohl auf eine karge Ernte einstellen müssen, wodurch die ohnehin rasant gestiegenen Lebensmittelpreise weiter in die Höhe schnellen dürften. Der Preis für Reis hat sich in den vergangenen Monaten zum Beispiel verdoppelt.

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichen wir das Dorf Khirbet Qanafar in West-Bekaa. Wir erzählen unserem libanesischen Freund von unserer Fahrt durch den Südlibanon und unseren gesammelten Eindrücken. Er setzt große Hoffnungen in einen Erfolg der syrisch-israelischen Friedensverhandlungen. Schließlich sagt er in die Nacht hinein: „Stell dir mal vor wir könnten einfach so nach Israel fahren und wiederkommen. Zwei Wochen Sommerurlaub in Tel Aviv – das wär echt cool.“

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

great post. felt like I was there.
bonne chance pour demain.

Anonym hat gesagt…

Wer sagte: Wäre cool in Tel-Aviv 2 Wochen Urlaub zu machen. War dies ein Schiit?

C.Sydow hat gesagt…

nein, das war ein griechisch-orthodoxer christ