Donnerstag, 4. Februar 2010

Die Menschenrechts-NGO ALEF: Interview mit Julien Courson

Liebe Leser,
ich habe gestern mit Julien Courson, dem Geschäftsführer der libanesischen Menschenrechts-NGO ALEF (Association Libanaise pour l'Education et la Formation), ein Interview geführt. Als Initiative einiger Jugendlicher gegründet, hat ALEF in den letzten fünf Jahren professionelle und überregionale Strukturen aufgebaut. Mittlerweile beschäftigt die NGO etwa 30 Mitarbeiter.

1) Was sind die Ziele von ALEF?

Auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und Konventionen wie der Genfer Flüchtlingskonvention oder der UN-Kinderrechtskonvention versuchen wir die Einhaltung von Menschenrechten im Libanon und auf der regionalen Ebene zu fördern und zu verteidigen. Hierfür stehen uns verschiedene Instrumente zur Verfügung: Beispielsweise beobachten wir staatliche Institutionen, nicht zuletzt das Militär. Bei Menschenrechtsverletzungen wenden wir uns an den Ministerrat und klagen etwaige Fehlverhalten an. Des Weiteren können wir durch Lobbyarbeit und durch Publikationen über die Medien Druck auf staatliche Institutionen ausüben. Für Journalisten und Aktivisten  bieten wir Ausbildungsprogramme  an, um diese für Menschenrechtsfragen zu sensibilisieren. Erst kürzlich haben wir zum Beispiel im jordanischen Irbid ein regionales Training für irakische Menschenrechtsaktivisten durchgeführt. Schließlich spielt die Aufarbeitung des Bürgerkriegs für ALEF eine zentrale Rolle. Durch Versöhnungsprogramme an verschiedenen Universitäten versuchen wir, Vertrauen zwischen Studenten mit unterschiedlichem regionalen und konfessionellen Hintergrund aufzubauen.

2) Wie ist es um die Menschenrechtslage im Libanon bestellt?

Hier liegt Einiges im Argen. Die Einhaltung der Menschenrechte stellt für die Regierung sicherlich nicht die höchste Priorität dar. Genauso wenig gibt es allerdings innerhalb der Bevölkerung ein weit verbreitetes Menschenrechtsbewusstsein.



Beispielsweise wird in libanesischen Gefängnissen nachweislich gefoltert. Die Schilderungen von Insassen, Eltern von Opfern oder Menschen, die in der Nähe von Gefängnissen der Internal Security Forces leben, sind beängstigend. All diese Zeugnisse sammeln wir und übergeben sie anschließend dem verantwortlichen Ministerium.

Des Weiteren gedeiht eine Kultur der Straflosigkeit, die auch  in der blutigen Bürgerkriegsvergangenheit begründet liegt. Schauen Sie sich die Geschehnisse im palästinensischen Flüchtlingscamp Nahr al-Bared 2007 an. Die zahllosen Menschenrechtsverletzungen durch die libanesische Armee wurden nicht geahndet.

Natürlich ist die untragbare Situation der Flüchtlinge - ob Palästinenser, Irakis, etc. - ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld für uns. Wir fordern, dass den Palästinensern volle Rechte gewährt werden. Unabhängig hiervon muss eine Lösung bezüglich der Waffen palästinensischer Gruppen in und außerhalb der Camps gefunden werden. Für nicht-palästinensische Flüchtlinge gilt es temporäre Lösungen zu finden.

Schließlich ist die Lage vieler Hausangestellten, etwa aus Südasien, Äthiopien oder von den Philippinen äußerst prekär. Jede Woche stirbt ein(e) Hausangestellte(r). Die Behandlung der Hausangestellten ist oftmals unmenschlich, eine Kontrolle der Rekrutierungsagenturen findet bislang nicht statt. Mit unseren Partnern wie dem UNDP, der niederländischen Botschaft oder der Friedrich-Ebert-Stiftung haben wir uns den genannten und weiteren Punkten angenommen. Wir verstehen uns als Anwälte der diskriminierten Gruppen.

3) Sie haben die Waffen der palästinensischen Gruppierungen angesprochen. Wie gehen Sie mit den Waffen der Hizbollah um?

Dies ist vor allem eine politische Angelegenheit, zu der wir uns normalerweise nicht positionieren. Als Hizbollah und andere Gruppierungen im Mai 2008 Westbeirut besetzten -  bei den Kämpfen starben 18 Menschen - hat ALEF jedoch ein sehr kritisches Statement veröffentlicht. Gleichzeitig setzen wir uns für die angeblich der Hizbollah nahe stehenden libanesischen Staatsbürger ein, die sich in ägyptischer Haft befinden und der Foltergefahr ausgesetzt sind. In diesem Fall haben wir den Ministerrat aufgefordert, einzuschreiten. Mal sind die Parteien deine Partner, mal deine Gegner. Als ALEF für die Rechte einer Person einstand, die mit Israel kollaboriert haben soll, startete Hizbollah eine Medienkampagne gegen uns.

Während des Kriegs zwischen Israel und der Hizbollah 2006 haben wir die libanesische Regierung dazu aufgerufen, beide Kriegsparteien aufgrund der von ALEF dokumentierten Menschenrechtsverletzungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen. Eine Reaktion der Regierung blieb leider aus.

4) Hat sich die Menschenrechtslage nach dem syrischen Rückzug 2005 im Libanon entscheidend verbessert?

Bezüglich politischer Rechte wie der freien Meinungsäußerung, ja! Ansonsten ist alles beim Alten geblieben, die angesprochenen Missstände bestehen weiterhin. Daran konnte auch der junge Innenminister Ziad Baroud mit seinem zivilgesellschaftlichen Hintergrund, für den Menschenrechte mehr als leere Phrasen sind, wenig ändern.

Syrien könnte in naher Zukunft ein Assoziationsabkommen mit der EU abschließen. In diesem Zusammenhang versucht ALEF, die Aufmerksamkeit der Europäer auf das Schicksal zahlreicher libanesischer Gefangener in syrischen Gefängnissen zu lenken und Zugeständnisse von Seiten der Syrer zu erlangen.
 
5) Konfessionalistische Denkmuster sowie ein konfessionalistisches System prägen den Zedernstaat. Versucht ALEF den Konfessionalismus zu überwinden, da dieser Diskriminierung impliziert?

Wir fordern nicht, das System an sich zu verändern. Jedoch brauchen wir eine akademische Diskussion bezüglich einiger Schwächen unseres Systems, ohne politische Motive hiermit zu vermengen. ALEF setzt sich etwa dafür ein, die Zivilehe neben der religiösen Ehe zu etablieren. Natürlich finden wir es außerdem problematisch, wenn jemand nicht aufgrund der Qualifikation, sondern aufgrund der Konfession einen Arbeitsplatz bekommt. Jedoch muss man festhalten, dass dieses System in unseren Köpfen verankert ist. Konfessionalismus ist eine Tatsache im Libanon, die wir jedoch postiv sehen sollten: als kulturelle Diversität.

6) Versuchen politische Parteien Einfluss auf Ihre Aktivitäten zu nehmen?

Durchaus. Parteien, aber auch Privatpersonen haben uns Spenden angeboten. Wir haben dankend abgelehnt.

7) Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken, hat die Arbeit von ALEF Wirkung erzielt?

Hinsichtlich der Gewährleistung von Menschenrechten hat es sicherlich keine all umfassende, radikale Veränderung gegeben. Auf der Mikro-Ebene haben wir angesichts der politisch instabilen Verhältnisse jedoch einiges erreicht. Ich denke zum Beispiel an unsere Versöhnungsprogramme an verschiedenen libanesischen Universitäten. Von Seiten des Staates muss sehr viel mehr für ausgewogene politische Bildung geleistet werden.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für das aufschlussreiche Interview. Gibt es die Möglichkeit eines Praktikums oder einer Mitarbeit bei ALEF?

Christoph Dinkelaker hat gesagt…

Da gibt es Möglichkeiten. Am besten eine Mail an die Organistation über den folgenden Link schicken. http://www.alefliban.org/volunteering.asp