Donnerstag, 11. Februar 2010

Eine traurige Bilanz

Ein Jahr ist vergangen, seit Benjamin Netanyahu zum Ministerpräsidenten von Israel gewählt worden ist. Er wollte das Land international öffnen und nach innen stärken. Er wollte viel, hat bisher aber wenig erreicht. Vor allem deshalb, weil es den Anschein hat, dass jeder einzelne Minister eigene Spielregeln verfolgt und Netanyahu das nicht verhindern kann. Seine Person, seine Regierung und die Politik als Ganzes, verliert in Israel zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung.


Pleiten, Pech und Pannen

Vergangene Woche erst polterte Avigdor Liebermann in gewohnter Bulldozer-Manier gegen Syrien und drohte Bashar Assad: „Im nächsten Krieg werden Sie und Ihre Familie ihre Machtposition verlieren“, da legte dessen Kollege Uzi Landau, Minister für Nationale Infrastruktur, nur wenige Tage später nach: „Es gibt keinen Unterschied zwischen Yasser Arafat und Abu-Mazen – der eine ist wie Jack The Ripper, der andere wie der Würger von Boston, jeder hat seinen Stil. Der eine mordet, in dem das Blut auf die Wände spritzt, und der andere tötet leise, aber das Ergebnis ist das gleiche Ergebnis“, sagte er zur israelischen Zeitung Israel Hayom. Die beiden befinden sich in guter Gesellschaft, denn der 32. Regierung Israels gehören viele radikale Denker an. Benny Begin, der Sohn von Menahem Begin und gegenwärtig Minister ohne Amtsbereich ist, besuchte im Verlauf des Jahres mit gleichbleibender Regelmäßigkeit Siedler in der Westbank und versicherte ihnen die Unterstützung der Regierung, Innenminister Eli Ishay schwadronierte vor der israelischen Presse, dass er das Budget für die Errichtung illegaler Häuser erhöhen werde – und bei allem schwieg Benjamin Netanyahu.
Er versuchte stattdessen, zusammen mit Verteidigungsminister Ehud Barak, in der Weltöffentlichkeit aufzutreten und den eigenen Regierungs-Rowdys keine Chance zu geben, Israel international in ein schlechtes Licht zu rücken. Der Gazakrieg, der Goldstone-Bericht, der immer noch entführte Gilad Shalit, der Mauerbau an der Grenze zu Ägypten, die eigene Affäre um seine Ehefrau, die ihre Haushälterin wie eine herrschsüchtige Adelige aus dem 17. Jahrhundert behandelt haben soll und die herablassende Behandlung des türkischen Botschafters, torpedierten dieses Vorhaben jedoch erfolgreich. Bibi, der Volksheld, steht bisher auf verlorenem Posten: Er schafft es nicht, mit starker Hand einen Kurs der Mitte zu finden, sondern muss resigniert zur Kenntnis nehmen, dass es ein erstes Jahr voller Pleiten, Pech und Pannen ist.

Die Unzufriedenheit wächst

Aber nicht nur Benjamin Netanyahus Regierung hat mit vielen Problemen zu kämpfen, sondern auch die Politik als Ganzes. In diesem Jahr feiert die israelische Knesset ihr 60-jähriges Bestehen. Die Knesset ist das kleinste Parlament der demokratischen Welt, unter den Parlamenten, die nur ein Repräsentantenhaus haben. In der ersten Knesset amtierten 120 Abgeordnete und die Bevölkerung des Landes zählte 600. 000 Einwohner. Heutzutage bleibt die Anzahl der Abgeordneten gleich, obwohl die Anzahl der Einwohner sich um mehr als das Zehnfache vergrößert hat. Eine Spiegelbildlichkeit der Gesellschaft sieht anders aus. Parallel dazu blähte sich die Größe der Regierungen in Israel im Laufe der Jahre immer mehr auf. Das sorgt für Unmut, bedeutet doch jeder Ministerposten ein Mehr an Steuerkosten – und das trotz klammer Kassen in den Kommunen und dem Staat.

Israel ist zwar im Vergleich zu anderen Staaten bisher gut durch die internationale Wirtschaftskrise gekommen, das bedeutet jedoch nicht, dass die Parlamentspolitik deshalb ein anerkennendes Schulterklopfen von seinen Auftraggebern, den Bürgern, bekommt. Die sind genervt von dem anhaltenden Zwist zwischen den Ministerien innerhalb der Regierung und von dem zahnlosen Wachhund namens Knesset, die in vielen Augen strukturell verändert werden müsste. Es wird eng, für die Politik und ganz speziell für Bibi und seine Mannen. Das größte Kabinett in der Geschichte des Judenstaates muss beweisen, dass es mehr kann. Das erste Jahr war für viele ein enttäuschendes Jahr.

2 Kommentare:

g.c. hat gesagt…

Zu den Siedlern in der West Bank:

Ich habe gestern ein einem ARD-Beitrag gehört, dass Avigdor Liberman selbst in einer israelischen Siedlung im Besetzten Gebiet wohnt.

Erstens: Stimmt das?

Zweitens: Spielt das im politischen Diskurs in Israel eine Rolle?

Dominik Nicolas Peters hat gesagt…

Hallo g.c.,

ja, es stimmt. Avigdor Liebermann wohnt in der völkerrechtlich illegal errichteten Siedlung Nokdim, in der Region Gush Etzion (zwischen Jerusalem/Hebron).

Dass Liebermann in einer Siedlung lebt, spielt im politischen Diskurs nur zum Teil einer Rolle. Die Gush Shalom-Bewegung und die arab. Knessetmitglieder, aber auch einige der Regierungspartei Avodah haben mehrmals gefordert, er solle umziehen, nicht zuletzt deshalb, da die Personenbewachung des AM weitaus mehr kostet, als die eines Ministers, der in J oder TA lebt.
Manche sehen ihn als Demagogen, andere als Rassist und Faschist - v.a. deshalb, weil er sich seit Jahren mit Äußerungen zu Wort meldet, die jeden vernünftigen Menschen mehr als den Kopf schütteln lassen. Aber bisher ist kein nennenswerter Widerstand gegen Liebermann aufgekommen, was v.a. daran liegt, dass er zwei wichtige Bevölkerungsgruppen hinter sich weiß: eine Millionen Russen, die ihn als Interessenvertreter betrachten und andererseits die Siedlerbewegung. Der für einen säkularen, nationalistischen Staat eintretende Liebermann hat sozusagen einen Pakt mit den religiösen Siedlern geschlossen. Mit dieser Rückendeckung, einer erstaunlichen Karriere im Likud hinter sich und einer Vision von Groß-Israel vor sich, scheint momentan kein Politiker in Israel zu existieren, der dessen Wohnsitz/seine Ansichten u.v.ä. kritisiert und vom Rest der Gesellschaft, bei denen Liebermann sehr kritisch gesehen wird, unterstützt wird.