Freitag, 12. März 2010

Analyse zu den Wahlen im Irak

Von Christiane Thier

Die knapp 19 Millionen Iraker, die am vergangenen Sonntag aufgerufen waren, ein neues Parlament zu wählen, trotzten den schweren Anschlägen, die seit dem Mittwoch vor der Wahl das Land erschütterten. Mit einer Wahlbeteiligung von ca. 65% stimmte das irakische Volk über die 325 zu vergebenen Parlamentssitze ab. Die Wähler hatten im Vorfeld die Aufgabe, unter 6000 Kandidaten ihren Favoriten zu bestimmen und diesen dann über offene Listen am Sonntag zu wählen. Das schafft Transparenz und gibt der irakischen Bevölkerung die Möglichkeit, einzelne Kandidaten die für die Vertretung der eigenen Interessen am geeignetsten erscheinen zu wählen, nicht bloß Parteien als „Gesamtpaket“. Die Machtpositionen einzelner Parteiführer sollten geschwächt werden. Durch das System der proportionalen Repräsentation können nun auch religiöse Minderheiten auf einen parlamentarischen Einzug hoffen. Ihnen wurden acht Mandate garantiert. Die zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz des Saddam-Regimes, gleichzeitig die letzte Wahl vor dem Abzug der US-amerikanischen Truppen, waren ein Test für den Irak.

Rückblick

Die Vorbereitungen sowie der Wahlkampf an sich waren von unterschiedlichen Zwischenfällen geprägt, sowohl in Bezug auf Korruptionsvorwürfe, das neue Wahlgesetz, offene oder geschlossene Listen, als auch das Vorgehen der Unabhängigen Hohen Wahlkommission in Bezug auf den Ausschluss hunderter Kandidaten.

Bezogen auf den erst genannten Zwischenfall wurden Vorwürfe laut, Politiker würden der Korruption nicht abgeneigt sein und großzügige Geschenke an Wähler verteilen. Der eigentliche Skandal hierbei war aber nicht die Vergabe von Geschenken, sondern die intransparenten Finanzierungsquellen, mit denen Handys, Waffen, Bargeld und Co. verteilt wurden. Besonders amtierende Politiker fielen unter den Verdacht für den Wahlkampf staatliche finanzielle Ressourcen zu verwenden. So soll Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der mit seiner „Koalition des Rechtstaates“ als Favorit in die Wahl gezogen ist, die irakische Ölindustrie im Vorfeld bedient haben. Inwieweit sich dies am Sonntag als vorteilhaft erwiesen hat, wird sich anhand der Wahlergebnisse, die zum Ende der kommenden Woche erwartet werden, zeigen. Doch unabhängig davon, wie diese ausfallen, eine Trennung der Ölpolitik von anderen Politikbereichen ist ohnehin unumgänglich, um künftige Korruptionsvorwürfe einzudämmen und als souveräne Regierung aufzutreten.

Auch der Ausschluss hauptsächlich säkularer und sunnitischer Kandidaten und angeblicher ehemaliger Baath-Funktionäre durch die Wahlkommission ließ die Anspannung vor den Wahlen ansteigen. Die Gefahr, dass die Sunniten die Wahlen wie in 2005 erneut boykottieren könnten, schien greifbar.

Wahlverlauf

Doch in den sunnitischen Hochburgen Anbar, Salaheddin, Niniwe und Dijala standen sunnitische Wähler am Sonntagmorgen Schlange vor den Wahllokalen. Ein wichtiges Signal für den Irak und die künftige Regierungsbildung. Ersten Schätzungen am Montag zufolge, liegt in diesen Provinzen die „Iraqiya-Liste“ , eine säkulare Verbindung von Vize-Präsident Tariq al-Hashemi und dem ehemaligen Regierungschef Iyad Allawi, dem kurz vor der Wahl viele Stimmen prognostiziert wurden, vorne. Tariq al-Hashemis Veto gegen das ursprüngliche Wahlgesetz im Vorfeld und der damit verbundene Einsatz für die hauptsächlich sunnitischen Exiliraker könnte eine positive Wirkung gehabt haben. Der Versuch mittels Anschlägen in vornehmlich sunnitischen Gebieten die Sunniten vom Urnengang abzuhalten ist gescheitert. Im Gegenteil, mit ca. 70% lag die Wahlbeteiligung in diesen Gebieten am höchsten.

Auf schiitischer Seite könnte es ersten Hochrechnungen zufolge, von einzelnen Regionen abhängig, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In der irakischen Hauptstadt Bagdad und in den Süd-Provinzen Dhi Kar, Amara, Diwanija und Missan soll die „Nationale Irakische Allianz“, eine religiös orientierte Listenverbindung, die den „Islamischen Hohen Rat Irak“, die Sadr-Bewegung und andere vereinen, profitieren. Ob und wenn ja wie sich der zuvor ausgesprochene Haftbefehl an Muqtada al-Sadr letztlich auswirken wird, ist unklar. In der Hafenstadt Basra sowie in der Provinz Nadschaf hingegen soll die „Koalition des Rechtsstaates“ von Ministerpräsident Maliki vorne liegen, der sich im Wahlkampf bemüht hat, als säkularer, nationaler Politiker aufzutreten, welcher sich sehr für die Verbesserung der Sicherheitslage im Irak eingesetzt hat.

Die endgültigen Wahlergebnisse müssen abgewartet werden. Wie diese auch ausfallen werden, für eine eindeutige Mehrheit im Parlament wird es vermutlich für keine Allianz reichen. Wieder einmal könnte den Kurden eine entscheidende Rolle zukommen, sei es mit der Goran-Bewegung, oder aber mit der „Allianz Kurdistan“, einer Allianz aus der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Führung von Staatspräsident Jalal Talabani und der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (KDP) unter Führung von Masood Barzani. Das irakische Proporzsystem bewirkt genau diesen Einfluss. Insbesondere die Diskussion um die erdölreiche Stadt Kirkuk wird erneut aufflammen.

Mögliche Koalitionen

Die künftige Regierung wird sich konfessionsübergreifend formieren müssen. Eine Koalition zwischen der „Koalition des Rechtstaates“, der Iraqiya-Liste“, sowie einer der kurdischen Bewegungen wäre denkbar. Die Allianzen haben sich im Vorfeld als säkular und zu Veränderungen bereit präsentiert, der Trend/Wille der irakischen Bevölkerung hierfür zeichnete sich bereits in den Wahlen 2005 ab. Themen wie die Neubildung des Irak nach dem Abzug der US-Truppen, flächendeckende Wasser-und Stromversorgung, von den Nachbarstaaten unabhängigere Außenpolitik, Wirtschaftswachstum durch strategische Handelspolitik, sowie Verringerung der Arbeitslosenzahlen, könnten angegangen werden. Aber können auch radikale Neuerungen von diesem Bündnis erwartet werden?

Ausblick

Die Einbindung der Sunniten ist ein Muss für den sunnitisch-schiitischen Friedensprozess im Lande. Entscheidend ist auch, dass egal, wie das Ergebnis ausfallen wird, es von allen Parteien akzeptiert werden muss. Nicht nur als Signal an die Bevölkerung, dass man deren Wahl akzeptiert und honoriert, sondern auch um die Regierungsbildung, die ohnehin sehr langwierig werden wird, nicht noch länger andauern zu lassen. Die Gefahr, dass ein politisches Vakuum entstehen wird ist nach wie vor gegeben. Ein Wiederaufflammen der Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten muss in jedem Fall verhindert werden. Doch das Signal muss von den Parteiführern ausgehen. Sie müssen die Ergebnisse anerkennen. Vor dem Sommer ist mit einer Regierungsbildung jedoch nicht zu rechnen.

Reaktionen aus dem Ausland

Die trotz zahlreichen Anschlägen recht hohe Wahlbeteiligung und die grundsätzliche Abhaltung von freien demokratischen Wahlen bedeuten viel für ein Land wie den Irak. Die Wahlen waren und sind ein Test für und ein Schritt in Richtung Demokratie.

US-Präsident Barack Obama deutete die Parlamentswahl als Stabilitätstest, den der Irak bestanden habe. Trotz der Anschläge konnte durch die irakischen Sicherheitskräfte weitgehend für Sicherheit gesorgt werden und die Wahlen durchgeführt werden. Zahlreiche Iraker fungierten als Wahlhelfer oder als Wahlbeobachter, die irakische Wahlkommission hat die Wahlen weitestgehend, unter UN-Beobachtung, allein durchgeführt und vorbereitet. Dieser positive, als Meilenstein zu betrachtende, Verlauf bilde die Grundlage für den geplanten Truppenabzug bis 2011. Auch appellierte Obama an Nachbarstaaten, die Wahlergebnisse zu akzeptieren, sowie die irakische Souveränität und territoriale Integrität zu akzeptieren.

Nur so kann der Irak seinen eigenen Weg nach dieser bedeutenden Wahl finden. Für die Bevölkerung bleibt zu hoffen, dass die Grundversorgung mit Wasser und Strom gesichert wird, die Arbeitslosenquote gesenkt, sowie die Erschließung neuer Märkte vorangetrieben wird. Kurzum eine Belohnung für ihr Engagement, die Bevölkerung hat für diese Wahl ihr Leben riskiert. Ein Sieg für die Demokratie?

Christiane Thier studiert Politik und Wirtschaft an der Universität Münster und hat diesen Aufsatz im Rahmen des Seminars "Islamistische Bewegungen im Nahen Osten" verfasst.


Eine zweite Analyse werden wir in den nächsten Wochen nach Bekanntgabe der Amtlichen Endergebnisse liefern.

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