Mittwoch, 31. März 2010

Die Opposition im Jemen: Reale Machtalternative oder harmloses Zweckbündnis?

von Anna Theißing

Der Jemen steht gegenwärtig vor großen Herausforderungen. Die amtierende Regierung um Präsident Ali Abdullah Saleh und seiner Partei, dem Allgemeinen Volkskongress (AVK) wird von verschiedenen inneren Kräften bedroht. Schlagzeilen machen in diesem Kontext vor allem die shiitische Houthie-Bewegung und die Terrororganisation Al-Qaeda.

Dabei bleibt oft unerwähnt, dass sich unabhängig vom militanten Islamismus, der im Jemen ohnehin keine Massenbewegung darstellt, eine breite politische Opposition gegen das Regime Ali Salehs formiert hat. Diese besteht aus zwei Sammelbewegungen, die sich beide aus vormals verfeindeten islamistischen und sozialistischen Strömungen zusammensetzten. Dabei handelt es sich zum einen um die Joint Meeting Parties (JMP), zum anderen um die außerparlamentarische Unabhängigkeitsbewegung.

Auf den ersten Blick scheint sich eine enge Zusammenarbeit der beiden Gruppierungen anzubieten. Haben sie es doch zumindest vorübergehend geschafft ehemals gegnerische Lager unter einen Hut zu bringen. Da sollte eine Kooperation für zwei Organisationen ähnlicher Zusammensetzung, die sich im Kampf gegen den gleichen Feind, das Regime Ali Salehs, befinden, ein leichtes sein. Aber so einfach stellt sich die Situation nicht dar. Betrachtet man die Gruppierungen genauer, lassen sich entscheidende Unterschiede feststellen, die in der Realität zunehmend ihren Ausdruck finden.


Der Ursprung der beiden Bündnisse liegt in der Teilung des Jemen in einen sozialistischen Süd- und einen konservativen, islamischen Nordjemen begründet. Im Jahr 1990 kam es zur Einigung dieser beiden Staaten. Doch brachen schnell wieder Konflikte auf, die 1994 sogar in einem Bürgerkrieg mündeten. Seither ist die Dominanz des Nordens, aus dem auch Präsident Saleh stammt, unverkennbar.

Die JMP entstand, als die islamistische Reformpartei „Islah“, die vormals mit dem AVK koaliert hatte, in die Opposition überging und sich mit der Jemenitisch Sozialistischen Partei (JSP), die die ehemalige Demokratische Volksrepublik Südjemen bis 1990 regiert hatte, zusammenschloss. Zu dieser Vereinigung kamen noch drei weitere, kleinere und vornehmlich links ausgerichtete Parteien hinzu. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Zusammenarbeit im Jahr 2006 mit der Nominierung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten, sowie der Ausfertigung eines Programms.

Die Bekämpfung von Korruption, Armut und Arbeitslosigkeit, einhergehend mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen, hat sich die JMP auf ihre Fahnen geschrieben. Durch ihre vielseitige Ausrichtung und die Verbindung der ehemaligen nördlichen und südlichen Landesteile verfügt die JMP über eine breite Basis in der Bevölkerung. Als Korruption beklagende und Demokratie einfordernde politische Kraft, stellt die JMP heute die stärkste Oppositionsbewegung des Jemen dar.

Bei genauerer Betrachtung sind die Zustände in der Allianz nicht ganz so harmonisch. Vermutungen sind nicht von der Hand zu weisen, die Islah sei nur eine Verbindung mit der JSP eingegangen, da sie ihren früheren Erzfeind geschwächt sah und sich nicht mehr von seinem Gesellschaftsmodell bedroht fühlen musste. Auch nicht zu leugnen ist, dass ideologischen Differenzen vorhanden sind. Ob die Sozialisten sich wirklich mit einem Staat anfreunden können, in dem, wie von der Islah zu Regierungszeiten durchgesetzt, die Sharia Grundlage jeder Rechtsordnung ist, bleibt fraglich. Doch ein legaler Regierungswechsel erscheint in naher Zukunft ohnehin unwahrscheinlich.

Der Aufschub der für 2009 angesetzten Parlamentswahlen auf 2011 enttäuschte nicht nur Anhänger der Opposition, sondern schürte auch einen weiteren Konflikt, der sich bis heute nur verschärft hat. Derweil gewinnt nämlich auch die Unabhängigkeitsbewegung im Süden des Landes an Nährboden. Ihren Anfang fand sie im Jahr 2007, als verschiedene Gruppierungen, die ihren Ursprung im Bürgerkrieg 1994 haben, das Unrecht der weitreichenden Benachteiligung des Südens nicht mehr hinnehmen wollten. Kritisiert wurde vor allem, dass dem Süden des vereinigten Jemen jegliche personelle und wirtschaftliche Selbstbestimmung versagt wurde. Bis heute kommt es deshalb im Südjemen fast täglich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Unabhängigkeitsbewegung erfreut sich hier einer breiten Unterstützung. Dass die Regierung nicht nur mit falschen Anschuldigungen, sondern auch mit Waffengewalt gegen zunächst friedliche Demonstranten vorging und Journalisten verhaftete, hatte die Gewalteskalation ausgelöst.

Wie die Führung der Bewegung zu Gewaltanwendung steht, ist eher unklar. Zahra Saleh Abdullah, einer der Anführer, sagte hierzu: „Wir fordern eine unabhängige südliche Republik und haben das Recht uns zu verteidigen, falls sie uns weiter töten und verhaften“. Offiziell lehnen die Anführer der Separatisten Gewalt jedoch ab. Betrachtet man allerdings die Geschichte des zurzeit als einflussreichste Person der Bewegung geltenden Tareq al-Faqhi, der unter anderem im Bürgerkrieg Seite an Seite mit Djihaddisten gegen den Sozialismus kämpfte, bleibt die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit ungewiss. Hinzu kommt, dass er nicht der einzige ist, der die Führung für sich beansprucht. Auch das ehemalige Regierungsoberhaupt Südjemens, Ali Salem al-Baidh, gibt Anweisungen aus seinem deutschen Exil.

Al-Baidh ist ein weiteres Bindeglied zwischen JMP und Unabhängigkeitsbewegung. Einst führte er die JSP des Südjemen, die jetzt Teil der JMP ist, agiert heute aber als ein Anführer der Separatisten. Ein weiterer Berührungspunkt ergibt sich aus der Unterdrückung beider Organisationen durch das Regime, sowie gemeinsamen Forderungen nach mehr politischer Partizipation, gerechteren und repräsentativeren Wahlen und einer Dezentralisierung und Entpersonalisierung der Macht im Land.

Doch führen all diese Faktoren nur bedingt zu einer Annäherung der Bündnisse. Besonders seit der Intensivierung des Konflikts zwischen der Staatsmacht und den Separatisten im Süden distanziert sich die JMP zusehends von der Unabhängigkeitsbewegung. Sowohl Ziele als auch Mittel entsprechen nicht mehr den ihrigen.

Zu Beginn war die JMP der Auffassung, dass die Unabhängigkeitsbewegung ihnen zum Vorteil sein könnte: „Wir glaubten, dass die Präsenz der Bewegung im Süden mit ihren Anstrengungen, ihren Aufstellungen und ihren Plänen die nationale Bewegung bereichern würde“, so der Generalsekretär der Islah, Abul Wahab Al-Anesi, rückblickend im Dezember 2009. Gemeinsam wurde das Regime angeprangert und der Unmut in Demonstrationen zum Ausdruck gebracht.

Doch mit der Zeit verringerte sich die Unterstützung der JMP für die Separatisten. Dieses Verhalten hat verschiedene Gründe. Die einflussreichen Kader der JSP stammen mittlerweile hauptsächlich aus dem Norden des Landes und sehen in den Unabhängigkeitsbestrebungen des Südens keinen Vorteil. Außerdem fürchtet sich insbesondere die Islah vor dem zunehmenden Einfluss der Unabhängigkeitsbewegung, weil dort die Sozialisten die Führung innehaben. Den Unmut über die Separationsabsichten seiner südlichen Partner drückt Mohamed Al-Yadumi, Vorsitzender der JMP, so aus: „Wir werden für den Erhalt der Einheit kämpfen und jedes Parteimitglied wird sich dem Versuch der Teilung mit aller Kraft erwehren“.
Von gemeinsamen Zielsetzungen ist man also noch weit entfernt. Auch die Mittel der Unabhängigkeitsbewegung werden nicht länger toleriert. So betonen Vertreter der JMP immer wieder ihre kategorische Ablehnung von Gewalt.

Mit ihrer Einstellung steht die JMP zwischen den Stühlen. Da sie sowohl mit der Regierung, als auch mit der Unabhängigkeitsbewegung in Kontakt steht, ist sie in die Position eines Vermittlers geraten. Doch statt einer Beruhigung des Konfliktes zu erreichen, gerät die JMP zunehmend zwischen die Fronten. Beide Seiten werfen ihr die Kooperation mit der jeweils anderen vor. Dadurch entfernt sich die Separationsbewegung weiter von der JMP, was sich beispielsweise in der Installation einer eigenen, unabhängigen Führung manifestiert.

Diese Situation verdeutlicht einen entscheidenden Unterschied der beiden Bündnissen. Als Partei ist die JMP im Gegensatz zur Unabhängigkeitsbewegung Teil des politischen Systems. Der Grad der Radikalität scheint für die Zusammenarbeit der beiden oppositionellen Bündnisse somit ausschlaggebender zu sein als der ideologische Ursprung. Aber auch die Gewichtung der beiden Lager in den Vereinigungen kann für die mangelnde Kooperation verantwortlich sein: Im Süden beherrschen die Sozialisten die oppositionellen Strukturen, in der JMP dagegen dominiert die islamistische Islah.

Eine geeinte und effektive Oppositionsarbeit gegen die Regierung wird daher in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten sein.

Anna Theißing studiert Public Administration an der Universität Münster und hat diesen Beitrag im Rahmen des Seminars "Islamistische Bewegungen im Nahen Osten" verfasst.

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