Mittwoch, 17. März 2010

Das fünfte Rad am Wagen? - Die Schia in Saudi-Arabien

Liebe LeserInnen,

im Folgenden skizziere ich knapp die Situation der Schiiten in Saudi-Arabien. Mit diesem Thema habe ich zum Aufsatzband "Saudi-Arabien: Ein Königreich im Wandel" beigetragen. Das Buch ist ab heute im Handel erhältlich. Fragen zu meinem Aufsatz beantworte ich gerne.

Saudi-Arabiens Schiiten stellen mit etwa einem Zehntel Anteil an der Gesamtbevölkerung eine Minderheit im Königreich dar. In der ölreichen Ostprovinz, auf deren Ressourcen die wirtschaftlliche Stärke und der relative Reichtum des Rentierstaats basieren, bildet die Schia dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit die absolute Mehrheit. Dies hindert das Herrscherhaus jedoch nicht daran, die Glaubensströmung in vielfacher Hinsicht zu diskriminieren.


Schiiten  werden von politischer Partizipation und politischen Ämtern fast gänzlich ausgeschlossen. Weder regiert ein Schiit eine der 13 Regionen des Königreichs, noch steht ein Schiit einem der 23 Ministerien vor. Mit lediglich drei schiitischen von insgesamt 150 Mitgliedern im Konsultativrat -  ein vom König ernanntes und denselben beratendes Gremium - sind Schiiten wiederum deutlich unterrepräsentiert. Die Liste an Belegen institutioneller Benachteiligung ließe sich fortsetzen - sei es in der Armee, an religiösen Gerichten, im Bildungswesen, in der Arbeitsmarktpolitik, etc.

Die aufgezeigte politische und wirtschaftliche Ausgrenzung beruht auf religiösen Differenzen. Seit der Eroberung der Ostprovinz durch die Truppen Abd al-Aziz b. Sauds 1913 sahen und sehen sich Schiiten seitens wahhabitischer Gelehrter ständigen Vorwürfen ausgesetzt, den Islam zu verfälschen und somit Häretiker zu sein. Insbesondere die Verehrung schiitischer Imame und ihrer Gräber wird in der wahhabitischen Lehre - der vom Staat geförderten Ideologie - als Vielgötterei verurteilt. Ebenso misstrauisch beäugen die Al Saud und wahhabitische Gelehrte die Orientierung saudischer Schiiten an religiösen Autoritäten im Irak oder im Iran, weshalb Schiiten häufig vorgeworfen wird, als "Fünfte Kolonne" des Iran zu agieren.

Der Aufsatz geht unter anderem auf diese Vorwürfe ein und zeichnet die Entstehung und Entwicklung einer schiitischen Oppositionsbewegung nach, die sich im irakischen sowie kuwaitischen Exil konstituierte und die Intifada der Ostprovinz 1979 entfachte. Weiterhin wird die Frage untersucht, inwiefern sich nach der Übereinkunft zwischen der saudischen Regierung und der schiitischen Opposition und der damit verbundenen Rückkehr der politischen Führung 1993 die Situation der schiitischen Bevölkerung veränderte. Schließlich stehen die jüngsten, dynamischen Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Schia im Königreich im Mittelpunkt: Die Periode hoffnungsvoller Reformen zwischen 2002 und 2004 sowie die Zeit nach König Abdallahs Amtsantritt 2005 werden eingehend beleuchtet. Speziell der letzte Zeitraum ist dabei von einigen positiven Tendenzen - exemplarisch sei der rege Dialog zwischen schiitischen und einigen ehemals feindlich gesinnten wahhabitischen Gelehrten erwähnt - ,aber auch von Rückschlägen - vor allem die schiitischen Pilgerunruhen 2009 - geprägt.

2 Kommentare:

g.c. hat gesagt…

Dieses Exposé klingt sehr interessant. Mir ist noch nicht ganz klar geworden, ob sich dein Aufsatz nur mit der Zwölfershia oder auch den anderen schiitischen Minderheiten in KSA befasst. Vielleicht kannst du dazu noch kurz etwas schreiben...

2. Punkt: Gibt es denn irgendwelche greifbaren Institutionen, Netzwerke, Verbindungen,etc., an denen sich ein iranischer Einfluss von staatlicher Seite auf die Schiiten in KSA glaubhaft beweisen/festmachen lässt oder kann man das letztlich alles als saudisch-wahhabitische Propaganda abtun?

Christoph Dinkelaker hat gesagt…

Lieber g.c.,

der Aufsatz beinhaltet auch einen Exkurs zur Ismailiya (Siebener-Schia), die in der südlichen Provinz Najran beheimatet ist und deren prekäre Situation im September 2008 von Human Righs Watch ausführlich thematisiert wurde. Seitdem gab es jedoch einige positive Entwicklungen, insbesondere die Entlassung des berüchtigten Gouverneurs Prinz Mish'als auf Veranlassungn König Abdallahs.

Während die schiitische Opposition ab den späten 1970ern bis Anfang der 90er aus dem Exil im Untergrund agierte, war Iran vor allem in der Anfangszeit ein wichtiger strategischer Partner. Nach den Unruhen in der Ostprovinz 1979 ließ sich die schiitische Führung zunächst im Iran nieder und versuchte von dort, Pamphlete und aufgenommene Predigten in die Ostprovinz zu schmuggeln. Darüber hinaus erreichte die Opposition viele Schiiten in der Ostprovinz, indem sie über iranische Radiosender zum Widerstand gegen das saudische Regime aufrief.

Im Laufe der 1980er nahm die Bedeutung Teherans zugunsten der syrischen Hauptstadt Damaskus als politisches und London als mediales Zentrum der Opposition deutlich ab.

Heute orientiert sich nach meinen Recherchen nur ein kleiner Teil der saudischen Schiiten an iranischen religiösen Autoritäten wie etwa Ali Khamenei. Lediglich der militanten, klandestin agierenden saudischen Hizbollah werden intensive Kontakte zur iranischen Führung nachgesagt.