An diesem Sonntag, dem 07. März sind knapp 19 Millionen Iraker aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Bei den dritten Parlamentswahlen seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 werden insgesamt 325 Abgeordnete gewählt. Aller Voraussicht nach sind diese Parlamentswahlen zugleich die letzten vor dem Abzug der amerikanischen Kampftruppen aus dem Irak. Die Wahlen erfolgen auf der Grundlage eines reformierten Wahlgesetzes, über das es im Vorfeld erhitzte Diskussionen gab, die zu einer Verlegung des ursprünglich für Januar geplanten Urnengangs geführt hatten. Neu ist zum Einen die Zahl der Abgeordneten - 325 statt 275. Neu ist zum zweiten die Tatsache, dass mit Ausnahme der kurdischen Allianz alle großen Parteien mit offenen Listen antreten, das heißt, dass der Wähler anders als etwa mit der Zweitstimme in Deutschland Einfluss darauf nehmen kann, welcher Kandidat unabhängig von seinem Listenplatz ins Parlament gewählt wird. Eine weitere Neuerung ist, dass religiösen Minderheiten insgesamt acht Mandate garantiert werden – fünf davon gehen an irakische Christen und je eines an Mandäer, Schabak und Jesiden. Kriegsflüchtlinge und Exiliraker können in 16 Staaten ihre Stimme abgeben.
Der Wahlkampf
Die größte Kontroverse während des Wahlkampfes entzündete sich jedoch am Ausschluss hunderter Kandidaten, der im Januar von der Wahlkommission verkündet wurde. Die Politiker wurden wegen tatsächlicher oder angeblicher Mitgliedschaft in der Baath-Partei, dem Geheimdienst oder der irakischen Armee unter Saddam Hussein ausgeschlossen – unter ihnen hochrangige Figuren der Post-Saddam-Ära, wie Verteidigungsminister Qadir Ubeidi und Salih al-Mutlaq, Anführer einer der stärksten sunnitischen Fraktionen im Parlament. Kritiker sahen in dem Ausschluss den konzertierten Versuch islamistischer sunnitischer wie schiitischer Parteien, ihre säkular-orientieren Konkurrenten zu schwächen, schließlich wurde kein einziger Kandidat der religiösen Parteien ausgeschlossen. US-Vizepräsident Joe Biden und sein Botschafter im Irak, Christopher Hill, die sonst keine Gelegenheit auslassen, vor ausländischer Einmischung im Wahlprozess zu warnen, versuchten zu vermitteln. Nach langen hin und her bleiben aber schlussendlich mehr als 450 Bewerber von den Wahlen ausgeschlossen. Mehrere Listen zogen daraufhin ihre Kandidatur zurück. In dieses Bild passt auch die plötzliche Wiederausstellung eines Haftbefehls gegen den schiitischen Prediger Muqtada al-Sadr. Er wird beschuldigt, die Ermordung seines Rivalen Majid al-Khoei im April 2003 in Auftrag gegeben zu haben. 2004 war der Haftbefehl fallengelassen worden, nun aber just wenige Tage vor den Wahlen wieder in Kraft gesetzt.
Die Themen
Diese Nebenkriegsschauplätze im Vorfeld der Parlamentswahl verstellen ein wenig den Blick auf die eigentlich wichtigen Themen und Probleme, die die irakischen Wähler angegangen sehen wollen. Hier stehen neben der zwar deutlich verbesserten, aber immer noch in weiten Landesteilen instabilen Sicherheitslage, die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Jobs ganz oben auf der Agenda. Die Angaben zur Arbeitslosenquote schwanken zwischen 20 und 48%, hinzu kommt eine große Zahl Unterbeschäftigter. Zwar erholt sich die irakische Wirtschaft langsam und ausländische Investoren kehren in das Land zurück, gleichwohl bleibt der Irak extrem abhängig von seinen Erdölexporten und eine Stärkung der anderen Wirtschaftszweige kommt nur sehr schleppend voran. Selbst die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Strom ist noch immer nicht gesichert – auch hier liegt eine der vorrangigsten Aufgaben der zukünftigen Regierung. Daneben geht es auch um das Verhältnis zu den USA und ihrer Armee im Land. Über den Status der US-Truppen stimmen die Iraker parallel zur Parlamentswahl am Sonntag in einem Referendum ab. Gemäß dem zur Abstimmung stehenden SOFA-Abkommen sollen sich die Kampftruppen bis Ende 2011 aus dem Irak zurückziehen. Alle großen Parteien haben ihre Anhänger zur Annahme dieses Abkommens aufgerufen.
Die Bündnisse
Anders als bei der Parlamentswahl 2005 werden diesmal zwei schiitisch-dominierte Bündnisse gegeneinander antreten. Dies ist zum Einen die „Koalition des Rechtsstaats“, angeführt von Ministerpräsident Nuri al-Maliki und seiner Dawa-Partei. Ihr gegenüber steht die „Nationale Irakische Allianz“, eine Listenverbindung unter Führung des Obersten Islamischen Rates im Irak und der Sadr-Bewegung. Beide Bündnisse konkurrieren mit allen Mitteln um die Stimmen ihrer schiitischen Anhänger und profilieren sich vor allem mit ihrer harten Hand gegenüber ehemaligen Baathisten. Maliki versucht sich zudem als Law & Order-Mann zu profilieren, der die Sicherheitslage im Land deutlich verbessert habe und zudem den USA einen raschen Truppenabzug abgerungen habe. Die jüngsten Anschläge vor den Wahlen haben an diesem Bild des Regierungschefs Kratzer hinterlassen.
Im kurdischen Lager strebten die etablierten Parteien – die Patriotische Union Kurdistans (PUK) von Staatspräsident Jalal Talabani und die Kurdische Demokratische Partei (KDP) des Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan, Massud Barzani – die Bildung einer Einheitsliste an. An dieser sollten sich auch Vertreter der Gorran-Bewegung beteiligen, die bei den Regionalwahlen 2009 knapp ein Viertel der Stimmen erhielt. Diese lehnte jedoch dankend ab und kandidiert mit einer eigenen Liste.
Unter Iraks Sunniten darf die „Iraqiya-Liste“ von Vize-Präsident Tariq al-Hashemi auf die meisten Stimmen hoffen. Zu seiner Koalition sollte ursprünglich auch die „Front des Nationalen Dialogs“ von Salih al-Mutlaq gehören – bevor diesem die Kandidatur verboten wurde. Auch der schiitische Politiker und ehemalige Regierungschef Iyad Allawi schloss sich diesem Bündnis an. Gegen diese Listenverbindung tritt ein Zusammenschluss von sunnitischen Gruppen an, die aus dem sogenannten „Erweckungsräten“ hervorgingen und maßgeblich am Zurückdrängen der al-Qaida im Irak beteiligt waren.
Die Regierungsbildung
Wie auch immer die Wahl ausgeht – dem Irak dürfte eine lange und schwierige Regierungsbildung bevorstehen. Auch wenn Malikis Bündnis als Favorit in die Wahl geht, wird der Premier aus eigener Kraft nicht an der Macht bleiben. Eine Einigung mit den schiitischen Rivalen scheint unumgänglich. Noch wichtiger für eine stabile Regierung und eine tragfähige Zukunft des Landes wäre jedoch eine Einbindung der sunnitischen Minderheit, die von der Regierung mit dem jüngsten Ausschluss angeblicher Baath-Kader einmal mehr vor den Kopf gestoßen würde. Eine wichtige Rolle könnte in den nächsten Monaten auch der Kurs der kurdischen Allianz spielen. Dann aber auch der Status der umstrittenen Stadt Kirkuk mit ihren wichtigen Ölvorkommen wieder auf die politische Tagesordnung rücken. In jedem Fall ist eine erfolgreiche Regierungsbildung vor dem Sommer höchst unwahrscheinlich. Die Iraker werden einmal mehr viel Geduld aufbringen müssen.
Donnerstag, 4. März 2010
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