Dieser Beitrag über den Komponisten und Schriftsteller Naphtali Herz Imber ist der erste Artikel im Rahmen einer Reihe mit dem Titel:
Israel – Die Entstehung einer Mosaikgesellschaft
Diese Reihe soll einen möglichst breiten Überblick über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihre Herkunftsländer sowie über die in Israel lebenden religiösen Minderheiten und ihre unterschiedlichen konfessionellen Strömungen bieten. Jeden Monat wird eine Gruppe vorgestellt. Durch die Darstellung der ethnisch-kulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung Israels wird dieser Vielvölkerstaat als Ganzes greifbarer und somit auch seine Rolle im komplexen Nahost-Konflikt.
Mit Naphtali Herz Imber, einem jüdischen Zionisten und dem Verfasser der Hymne des Staates Israel, wurde bewusst eine Person gewählt, die beispielhaft für das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat steht. Von ihm ausgehend sollen in den unterschiedlichen Beiträgen, nach und nach die Veränderungen innerhalb der Gesellschaft des Staates Israel deutlich gemacht werden: die Transformation einer Gesellschaft die von Anfang an – 1948 – durch verschiedene Einwanderungswellen geprägt war und heute – 2010 – als heterogen zu bezeichnen ist.
Der unbekannte Komponist
Bevor der jüdische Staat Israel – mit weitreichenden Folgen für die Region – gegründet wurde gab es zionistische Visionäre, meist Europäer, die nach 1948 weltbekannt wurden und zu deren Ehren Straßen, Plätze und sogar Städte in Israel benannt wurden, allen voran Theodor Herzl. Einer, der selbst in Vergessenheit geriet, aber eigentlich ein primus inter pares war, ist Naphtali Herz Imber.
Erst die Hoffnung, dann das große Los
Er wurde 1856 als Sohn frommer Juden in Galizien geboren. Nach einer behüteten Kindheit, in der er schon früh die traditionellen, jüdischen Lehren kennenlernte, machte er sich auf den Weg, die Welt zu erkunden. Nichts hielt ihn mehr im Kaiserreich Österreich-Ungarn. Nach dem Tod des Vaters und antisemitischer Übergriffe in seinem Dorf bereiste er den gesamten Balkan sowie Europa – und schrieb dort das Gedicht Tikvatenu (zu dt.: Unsere Hoffnung) –, danach zog es ihn nach Konstantinopel. Dort lernte er Lawrence Oliphant, einen zionistischen Christen kennen. Für Imber war dieser Mann das große Los: Lawrence Oliphant war ein Weltenbummler und Tausendsassa. Geboren war er in Südafrika und aufgewachsen in Sri Lanka. Später schrieb er Reiseberichte über Nepal, den Krimkrieg und war neben seiner Berichterstattung für die Times ein Spion der britischen Krone. Dieser Mann war aber vor allen Dingen eines: Zionist. Er wollte zusammen mit seiner Frau nach Palästina reisen, dort leben und eine jüdische Siedlung gründen. Der Boheme Oliphant gab Naphtali Herz Imber die Chance seines Lebens: Er sollte in als sein persönlicher Sekretär nach Palästina, Haifa – genauer auf den Carmelberg – begleiten. Im Jahr 1882 siedelte das Trio in den Nahen Osten über.
Im Klub der hebräischen Dichter
Die Tätigkeit als persönlicher Sekretär Oliphants füllte den lebensfrohen Imber aber nicht aus. Er reiste durch das Land und besuchte die ersten jüdischen Siedlungen die bis dato in Palästina gegründet worden waren: Rishon LeZion, Zikhron Yaa’kov und Petah Tikvah. Besonders Rishon LeZion (zu dt.: Erster Zions) hatte es im angetan. Dort entstand die erste Schule, in der nur Hebräisch gesprochen wurde. Das Haus mit den roten Dachziegeln war ein Ort, indem erstmals Hebräisch als Muttersprache gelehrt wurde. Zuvor war das Hebräische ab dem 2. Jhd. n. Chr. nur als Sakralsprache zum Talmudstudium benutzt worden. Neben der Schule hatte dieses Dorf aber noch eine Besonderheit: die erste Weinkelterei der jüdischen Siedler. Naphtali Herz Imber war kein Asket: Er galt als notorischer Herzensbrecher, Trinker und Lebemann, der alle im Dorf mit seinen Liedern und Texten unterhielt – besonders mit einem Gedicht: Tikvatenu. Als er den Text vortrug, war ein Bauer so begeistert von dem Text, dass er eine passende Melodie dazu schrieb – damit war der Grundstein für die Hymne des Staates Israel gelegt.
Wenn Naphtali Herz Imber nicht in Rishon LeZion oder einer der anderen Siedlungen war, und keine Arbeit für Lawrence Oliphant erledigen musste dann fuhr er nach Jerusalem: zum Klub der hebräischen Dichter. Kurz vor Beginn des neuen Jahrhunderts, trafen sich dort ein halbes Dutzend interessierter, gebildeter und talentierter Philologen. Sie waren es, die das moderne Iwrit neu erfanden – allen voran Elieser Ben-Jehuda, der Vater des Hebräischen. Für Naphtali Herz Imber bedeutete diese Sprache alles, schließlich war schon sein Tikvatenu auf Hebräisch verfasst worden und er einer der ersten Hebräischsprecher weltweit.
Verarmt, verstorben und fast vergessen
Sein Talent zu schreiben und mit seinen Texten die Menschen zu begeistern war gleichzeitig auch sein Fluch: Auf jedem Fest, zu jedem Anlass trank er und blendete seine Sinne. Nach sechs Jahren Aufenthalt in Palästina zog Naphtali Herz Imber weiter, in die USA. Dort bereiste er jeden einzelnen Bundesstaat, viele jüdischen Exilgemeinden und trug seine Gedichte vor – die Frauen liebten ihn dafür. Und er liebte sie, aber auch in Übersee war die Liebe zum Alkohol stärker als zu den Frauen – versoffen und verarmt starb Naphtali Herz Imber 1909 in New York. Sein Gedicht Tikvatenu starb jedoch nicht. Im Gegenteil: 1948, als David Ben Gurion den Staat Israel ausrief, wurde sein Text – leicht verändert – zur Hymne des Staates Israel erklärt. Sein Leben, als einer der ersten Juden, die sich als neue Hebräer sahen und seine Sehnsucht nach Jerusalem, fanden in diesem Lied ihren Ausdruck. 1953 wurde er, nach Beschlussfassung der Knesset, dorthin zurückgebracht und begraben, wo er am liebsten war: Jerusalem.
Solang noch im Herzen
eine jüdische Seele wohnt
und nach Osten hin, vorwärts,
das Auge nach Zion blickt,
eine jüdische Seele wohnt
und nach Osten hin, vorwärts,
das Auge nach Zion blickt,
solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk, in unserem Land,
im Lande Zion und in Jerusalem!
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk, in unserem Land,
im Lande Zion und in Jerusalem!
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