Montag, 31. Dezember 2007

Libanon: Stockender Wiederaufbau in Nahr al-Bared

Das Leben der rund 200 Familien in den Metallbaracken ist hart: Gedränge, konstanter Lärm, unhygienische Verhältnisse und eine unerträgliche Hitze im Sommer schlagen auf die Gemüter der Flüchtlinge. Noch mehr allerdings machen ihnen die unsicheren Zukunftsaussichten zu schaffen. Ihre Sorgen kreisen um die Fragen, ob und wann Nahr al-Bared wieder aufgebaut wird, wie Abu Mahmoud sagt: „Die Leute haben große Bedenken hinsichtlich des Wiederaufbaus Nahr al-Bareds. Die ständigen leeren Versprechen verstärken unsere Ungewissheit. Am 20. Mai jährte sich unsere Vertreibung bereits zum zweiten Mal. Erst wenn ich sehe, dass Baumaterial nach Nahr al-Bared hineingebracht wird, glaube ich an den Wiederaufbau.“

Viele Flüchtlinge konstruieren eine direkte Verbindung zwischen den Verzögerungen des Baubeginns und den temporären Unterkünften. Im Mai zog eine Demonstration auf einen Hügel am südlichen Ende des Camps, wo gerade die fünfte Barackensiedlung mit 152 Einheiten gebaut wird. Die DemonstrantInnen forderten den sofortigen Baustopp. Im Anschluss an den Protest erklärte Abu Mahmouds Sohn Mohammad: „Wenn die Leute sehen, dass noch mehr Baracken gebaut werden, steigt die Angst, dass das Camp nicht wieder aufgebaut wird. Sie erhalten den Eindruck, dass es keine Rückkehr ins Flüchtlingslager geben wird und dass sie für immer vertrieben sein werden.“

Nach der Vertreibung Hunderttausender aus Palästina im Jahr 1948 baute die UNRWA in den Flüchtlingslagern kleine Wohneinheiten aus Beton. Die Flüchtlinge entgegneten infrastrukturellen Verbesserungen im Laufe der Jahre teilweise mit Ablehnung, weil diese in ihren Augen ihr Exil zementierten. Und tatsächlich war ihr Exil nicht bloß temporärer Natur, sondern dauert nun mehr als 60 Jahre an. Vor diesem Hintergrund ist die Skepsis der Flüchtlinge gegenüber den Barackensiedlungen und deren Sanierung in Nahr al-Bared verständlich.

Konsequenterweise beklagt sich Abu Wassim, ein Sprecher der EinwohnerInnen der Stahlbaracken: „Aus Europa schickt man der UNRWA Geld, um die Baracken zu verbessern. Was wollen sie daran denn verbessern? Sie sollen sie nicht verbessern, sondern ihren Bewohnern helfen, sie zu verlassen und dann die Baracken zerstören!“

Offene Fragen als Nährboden für Skepsis

Ende Juni, 21 Monate nach Kriegsende, hat der Wiederaufbau nun offiziell begonnen. Die massive Verspätung hat mehrere Gründe. Zum Einen verlangte die libanesische Armee diverse Änderungen am Master-Plan: Die Strassen sollen künftig breit genug sein, damit sie von Panzern befahren werden können. Zum Anderen musste der libanesische Staat die ursprünglichen (libanesischen) Landbesitzer enteignen und entschädigen. Zudem verzögerte die hohe Kontaminierung mit Blindgängern die effiziente Räumung des Schutts und schließlich fand man unter dem ehemaligen Flüchtlingslager auch noch antike Ruinen. Das libanesische Generaldirektorat für Antiquitäten will nun bei jedem Sektor des Camps eine archäologische Analyse anstellen, bevor gebaut werden kann. Um die Ruinen nicht zu beschädigen, muss das Gebiet um einen Meter aufgeschüttet werden. Die Fundamente der Häuser können nun nicht mehr wie geplant zwei Meter unter dem natürlichen Boden angelegt werden und sämtliche Baupläne müssen entsprechend überarbeitet werden.

Die Zweifel der Flüchtlinge am Wiederaufbau beschränken sich aber nicht auf die zahlreichen Verzögerungen. Ihre Skepsis hat weitere Quellen. Eine davon beruht auf der Frage, weshalb eigentlich das Flüchtlingslager im Krieg komplett zerstört wurde. Wissam, ein junger Sozialarbeiter bemerkt: „Falls sie das Camp tatsächlich wieder aufbauen wollen, weshalb haben sie es denn zerstört? Die Art und Weise, wie die Schlacht sich ereignete ist unverständlich. Dies war nicht bloß ein Krieg gegen 250 Terroristen. Es steckt mehr dahinter. Fatah al-Islam hätte man auch beseitigen können, ohne das gesamte Camp zu zerstören.“

Diese Argumentation wird verstärkt durch die systematische Plünderung des Camps und das Anzünden der noch halbwegs stehenden Häuser während und nach dem Krieg, als Nahr al-Bared für einen Monat unter alleiniger Kontrolle der libanesischen Armee war. Anfang dieses Jahres wurden sogar Pläne des libanesischen Verteidigungsministeriums publik, in Nahr al-Bared eine Marine-Basis zu bauen. Die Pläne wurden nach massivem Protest der Bevölkerung angeblich zurückgezogen.

Fortwährende Belagerung

Abu Ali, der Vorsitzende des Händlerkomitees Nahr al-Bareds wird von Jahr zu Jahr – mit zunehmender Ernüchterung – deutlicher. Mittlerweile nimmt er kein Blatt mehr vor den Mund: „War der Grund des Krieges etwa die Zerstörung der Wirtschaft des Camps?“ Tatsächlich war Nahr al-Bared einst ein für Libanon untypisches Flüchtlingslager. An der Schnellstrasse zwischen Tripoli und der syrischen Grenze gelegen wurde es zu einem bedeutenden Handelszentrum im Nordlibanon. Libanesische Kunden konnten das Camp frei betreten. Dort hatten sie die Möglichkeit, zu sehr billigen Preisen einzukaufen und ihre Güter in Raten abzubezahlen. In einer Umfrage gaben rund 70 Prozent der Geschäftsinhaber an, sie seien von den libanesischen Kunden aus der Region abhängig.

Seit dem Krieg hat sich dieses Bild aber deutlich verändert. Die wirtschaftliche Infrastruktur wurde total zerstört und jene rund 15.000 Flüchtlinge, welche bislang an den Rand des Flüchtlingslagers zurückkehren konnten, bemühen sich vergebens um einen wirtschaftlichen Neustart. Abu Khalil besaß einst das größte Schreibwarengeschäft im Camp. Jetzt schlägt er sich mit einer viel kleinern Version davon über die Runden. Er weist darauf hin, dass all die Anstrengungen jener Organisationen, welche Unternehmer mit Startkapital versorgen, zum Scheitern verurteilt sind: „Selbst wenn sie mir 7500 Dollar gäben, würde mir das nichts nützen, weil ich unter Belagerung bin. Früher kamen unsere Kunden aus der ganzen Region, jetzt ist alles zu. Wem soll ich denn jetzt verkaufen?“

Während die libanesische Armee den Zutritt zum ehemaligen Kern des Flüchtlingslagers völlig verweigert, können auch die umliegenden Gebiete nicht frei betreten werden. Mehrere Checkpoints schneiden die bereits zurückgekehrten Flüchtlinge von ihrer Umwelt ab. Herein kommt nur, wer eine entsprechende Bewilligung hat. Für LibanesInnen, PalästinenserInnen aus anderen Camps und JournalistInnen ist es sehr schwierig, aufwändig und aufreibend, die entsprechende Erlaubnis einzuholen. Reine Schikane, meint Sheikh Ismail, der Imam der al-Quds Moschee in Nahr al-Bared: „Jeder von uns hat einen Ausweis, der überall akzeptiert wird. Wieso brauchen wir hier eine zusätzliche Genehmigung? Auf beiden Papieren steht dasselbe, dieselben Angaben! Man erhält den Eindruck, dass daran etwas faul ist. Wenn du sie darauf ansprichst, sagen sie, es sei wegen der Sicherheit.“

Der Kleinwarenhändler Adnan, der Metzger Mohammad, der Schuhmacher Salim, der Eisfabrikant Shadi, sie alle beklagen fehlende Kundschaft, weil die EinwohnerInnen der umliegenden Dörfer das Flüchtlingslager nicht betreten können. Über die Plünderung und Zerstörung ihrer einstigen Unternehmen sind sie längst hinweg, sie schauen nach vorne. Aber nicht nur für sie bedeutet die Abschottung des Camps eine massive Behinderung. Rund 60 Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung Nahr al-Bareds arbeitete einst innerhalb des Camps. Der Grossteil dieser Arbeitsplätze fehlt jetzt. Und außerhalb des Flüchtlingslagers zu arbeiten ist für PalästinenserInnen schwierig, da ihre Arbeitstätigkeit im Libanon scharfen Restriktionen unterliegt.

Nahr al-Bared als Prüfstein

Nidal Abdelal, ein führender Aktivist der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) bestreitet nicht, dass die Eliminierung der Wirtschaft Nahr al-Bareds eines der Kriegsziele gewesen sein mag, aber er priorisiert politische Motive: „Die Fragen ob und wie Nahr al-Bared wieder aufgebaut wird, sind verknüpft mit den Themen Rückkehrrecht und tawtiin, also der dauerhaften Ansiedlung der PalästinenserInnen im Libanon. Entscheidend ist, welche politischen Implikationen der Wiederaufbau haben wird.

Der ehemalige libanesische Premierminister Fouad Siniora bekräftigte wiederholt, dass Nahr al-Bared zu einem Modell-Camp werden würde. Zu einem künftigen Vorbild für die weiteren elf offiziellen Camps im Libanon. Damit ist unter anderem gemeint, dass im Falle eines Wiederaufbaus das Flüchtlingslager unter libanesische Souveränität fallen wird – eine historische Zäsur. Die libanesische Polizei (ISF) wird im Camp präsent sein. Unklar ist die Rolle, welche den palästinensischen Parteien und dem aus ihren Vertretern zusammengesetzten Volkskomitee zukommen wird.

Nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri unternahm die libanesische Regierung einige kleine, aber im hiesigen Kontext durchaus bedeutungsvolle Schritte zur Verbesserung der libanesisch-palästinensischen Beziehungen. Unter anderem stimmte das Kabinett 2005 der Gründung des Libanesisch-Palästinensischen Dialogkomitees (LPDC) zu, welches zunehmend zu einer Schnittstelle zwischen den palästinensischen Flüchtlingen und der libanesischen Regierung wurde. Tatsächlich lockerte die Regierung sachte die Restriktionen zur Einfuhr von Baumaterialien in die Flüchtlingslager, unternahm Schritte hinsichtlich der Verbesserung der Lebensbedingungen in den Camps, vereinfachte die Ausgabe von Arbeitsbewilligungen für Palästinenser und stellte bereits mehr als 700 Identitätskarten für unregistrierte palästinensische Flüchtlinge aus.

All diese positiven Schritte deuten darauf hin, dass sich in der politischen Elite Libanons zusehends die Einsicht verbreitet, dass die Verwirklichung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge gegenwärtig ferner liegt denn je – ihre mittelfristige Zukunft findet im Libanon statt. Der Wiederaufbau Nahr al-Bareds und der Umgang der Regierung und der Armee mit den Flüchtlingen werden so zum ernsthaften Test für diesen Politikwechsel. Der tief sitzende Frust und die enorm große Skepsis unter den Flüchtlingen kann die libanesische Regierung allerdings nur besiegen, wenn sich ihre Bemühungen für die Flüchtlinge sichtbar materialisieren.

Davon ist sie vorläufig noch weit entfernt. Auf den staubigen Strassen Nahr al-Bareds wird ihr dies erst gelingen, wenn sie ihre Versprechen hinsichtlich des Wiederaufbaus endlich und möglichst schnell in Taten umsetzt, die Belagerung aufgibt und die wirtschaftliche Entwicklung im Camp zulässt. Denn noch herrscht in Nahr al-Bared die Meinung der Schreinereibesitzerin Rima eindeutig vor. Sie ist sich bewusst, das Nahr al-Bared bereits das vierte palästinensische Flüchtlingslager auf libanesischem Boden ist, welches zerstört wurde: „Sie haben Tell az-Zaatar und die anderen Camps auch nicht wieder aufgebaut. Ich habe keine Hoffnung, dass sie Nahr al-Bared wieder aufbauen werden.“

Der Autor Ray Smith ist Aktivist beim anarchistischen Medienkollektiv „a-films“. Das Kollektiv begleitet die Entwicklungen in Nahr al-Bared seit zwei Jahren und hat dazu auf seiner Website mehrere Dokumentarfilme und Reportagen publiziert. Der neuste Kurzfilm von a-films behandelt das Thema der Belagerung Nahr al-Bareds durch die libanesische Armee. Der Film kann hier angeschaut und heruntergeladen werden.

Zur Menschenrechtslage in den Besetzten Gebieten

Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem hat heute ihren Jahresabschlussbericht zur Lage in den Besetzten Gebieten veröffentlicht. Demnach ist die Zahl der von israelischen Soldaten getöteten Palästinenser in diesem Jahr auf 371 gesunken. Von ihnen waren jedoch 131 nicht an feindlichen Handlungen beteiligt und somit unschuldige Opfer. 53 Tote waren minderjährig. Im vergangenen Jahr waren es noch 660 Palästinenser die von israelischen Sicherheitskräften in den besetzten Gebieten getötet wurden.

Seit Januar 2007 sind sieben israelische Zivilisten von militanten Palästinensern getötet worden, darunter auch zwei Einwohner der Stadt Sderot die dem Beschuss mit Qassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen zum Opfer fielen. Die Zahl der zivilen israelischen Toten ist die niedrigste seit Ausbruch der zweiten Intifada vor sieben Jahren.

Durch inner-palästinensische Kämpfe wurden in diesem Jahr 344 Menschen getötet. Nach Recherchen von B'Tselem waren mindestens 73 von ihnen nicht direkt an den Kampfhandlungen zwischen den rivalisierenden Hamas und Fatah-Bewegungen beteiligt.

Weitere Erkenntnisse des B'Tselem-Berichts:

  • Die Zahl der Palästinenser die sich ohne Anklage in Haft befinden stieg 2007 um 13% auf durchschnittlich 830
  • Die Einwohnerzahl der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten stieg in diesem Jahr um 4,5%. Im gleichen Zeitraum betrug das Bevölkerungswachstum in Israel 1,5%
  • Die Zahl der zerstörten Häuser in Israel stieg um 38% auf 69 Häuser
  • Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser im Westjordanland wurde trotz anderslautender Zusagen kaum verbessert. Durchschnittlich 66 Checkpoints und 459 Roadblocks schränken die Bewegungsfreiheit in der West Bank weiter ein.
  • Die Palästinenser werden bei der Wasserverteilung im Westjordanland weiterhin diskriminiert, was im Sommer zu ernsthaften Schwierigkeiten führt.
In ihrem Bericht erkennt B'Tselem die Sicherheitsbedenken der israelischen Behörden an. Gleichwohl nutze Israel diese allzu oft um damit rechtswidrige politische Interessen zu verfolgen. Dazu zählt der Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und deren faktischer Anschluss an Israel.

Des weiteren kritisiert die Menschenrechtsorganisation die fehlende Rechenschaftspflicht der israelischen Sicherheitskräfte. Rechtsverstöße würden nicht in ausreichender Weise untersucht, palästinensischen Opfer würden ihnen zustehenden Entschädigungen verweigert, so der Bericht.

Samstag, 22. Dezember 2007

Die Krise im Libanon - Eine unendliche Geschichte?

Das Jahr 2007 geht zu Ende, ohne dass eine Lösung der Krise im Libanon in Sicht ist. Eine für heute geplante Parlamentssitzung ist auf den kommenden Sonnabend verschoben worden, dass dann tatsächlich ein neuer Staatspräsident gewählt wird ist jedoch höchst unwahrscheinlich.

Zwar haben sich das Regierungslager "14.März", das von den USA und Frankreich protegiert wird, und die Oppositionsgruppen des "8.März", unter denen die schiitischen Bewegungen Amal und Hizbollah enge Beziehungen zu Syrien und Iran pflegen, im Prinzip auf die Wahl des Armeechefs Michel Sleiman verständigt. Streitpunkte sind jedoch die Modalitäten der Verfassungsänderung, die für die Wahl Sleimans von Nöten wäre und die Zusammensetzung der künftigen Regierung, die vom neuen Staatspräsidenten eingesetzt wird.

Das Regierungslager besteht darauf, dass über die Besetzung des neuen Kabinetts erst nach der Präsidentschaftswahl entschieden wird. Die Opposition, allen voran Michel Aoun der das Amt des Präsidenten als populärster christlicher Politiker im Libanon selbst für sich beansprucht, fordert vor einer Wahl Sleimans jedoch Zugeständnisse. Gemäß der Sitzverteilung im Parlament sollten 45% der Ministerposten von der Opposition besetzt werden, die damit sämtliche Regierungsentscheidungen blockieren könnte, da diese einer Zwei-Drittelmehrheit im Kabinett erfordern. Diese Forderung basiert auf dem Nationalen Pakt aus dem Jahre 1943, der verlangt, dass alle großen Konfessionen des Landes - Sunniten, Schiiten und Maroniten - angemessen in der Regierung repräsentiert sein müssen.

Außerdem will die Opposition verhindern, dass der Ministerpräsident weiterhin von der Mustaqbal-Bewegung, der stärksten sunnitischen Partei des Landes gestellt wird. Wie das Amt des Staatspräsidenten mit Sleiman müsse auch der Regierungschef neutral sein und keinem der verfeindeten politischen Lager des Libanon angehören. Wenn er als Führer der stärksten christlichen Fraktion im Parlament auf das Amt des Staatspräsidenten verzichte, müsse Saad Hariri als Führer der größten sunnitischen Fraktion im Gegenzug auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten, forderte Aoun wiederholt.

Ein Weg aus dieser Krise ist momentan kaum zu entdecken. Es verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass es bezüglich der libanesischen Präsidentenwahl kein Abkommen zwischen den USA und Syrien am Rande der Annapolis-Konferenz gegeben hat. Die von Syrien unterstützten Bewegungen Hizbollah und Amal stehen unverändert an der Seite Aouns, dessen Forderungen die Wahl bislang blockieren.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Option wieder auf dem Tisch, nach der das Regierungslager mit ihrer einfachen Parlamentsmehrheit einen neuen Präsidenten wählt. Dies ist gemäß der Verfassung zwar möglich, wäre in der Geschichte der libanesischen Konsensdemokratie jedoch ein beispielloser Vorgang. Unterstützung erhielten das Regierungslager am Donnerstag von US-Präsident George Bush, als dieser erklärte ein auf diesem Weg gewählter Präsident solle von der Staatengemeinschaft anerkannt werden. Ob Bush dabei die Konsequenzen eines solchen Vorgangs für den Libanon in Betracht gezogen hat, erscheint zweifelhaft.

Die letzten Wochen haben einmal mehr deutlich gezeigt, dass der Libanon zum wichtigsten Schauplatz eines syrisch-amerikanischen Kräftemessens geworden ist. Der US-Präsident mischt sich öffentlich in die Innenpolitik des Zedernstaats ein und ruft im Gegenzug Syrien auf selbiges zu unterlassen. Gleichzeitig fordert Syriens Außenminister Walid Muallim die Umsetzung der von der libanesischen Opposition gestellten Forderungen.

Appelle von Oppositionspolitikern, namentlich von Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, die Wahl des Präsidenten dem libanesischen Volk zu überlassen, wurden von der Regierungsseite bislang stehts zurückgewiesen. Der Verweis auf die libanesische Verfassung, der eine direkte Wahl des Staatsoberhauptes nicht vorsieht ist letztlich nicht schlüssig, da das Regierungslager andererseits zu einer Verfassungsänderung bereit ist, die eine Wahl Sleimans durch das Parlament ermöglicht.

Letztlich legt das Verhalten des Regierungsbündnisses hinsichtlich einer direkten Wahl des Präsidenten den Schluss nahe, dass sich das Lager im Klaren darüber ist, dass es die Mehrheit der Bürger gegen sich hat.

Freitag, 21. Dezember 2007

Studie zu ausländischen al-Qaida-Kämpfern im Irak

Die meisten ausländischen al-Qaida-Kämpfer im Irak kommen aus Saudi-Arabien und Libyen. Dies geht aus einer Studie hervor, die das "Combating Terrorism Center" der US-Militärakademie in West Point am Mittwoch veröffentlichte.

Für den Bericht wurden die Daten von 606 Dokumenten ausgewertet, die offenbar so etwas wie Mitgliedsausweise für das Terrornetzwerk al-Qaida im Irak darstellten. Auf ihnen sind unter anderem Namen, Herkunft, Geburtsdatum, sowie die Namen derjenigen vermerkt die den jeweiligen Kämpfer für al-Qaida rekrutierten. Daneben finden sich Informationen über den Zeitpunkt der Einreise in den Irak und die Route, die die Kämpfer nahmen.

Diese Mitgliederkarteien wurden offenbar von zwei mit al-Qaida verbündeten Gruppen geführt, dem "Shura-Rat der Mujahidin" und dem "Islamischen Staat Irak", in welchem der Shura-Rat später aufging. Nach eigenen Angaben stießen die Koalitionstruppen im Oktober 2007 während einer Razzia in dem Ort Sinjar nahe der syrisch-irakischen Grenze auf die Aufzeichnungen. Der Fundort legt den Schluss nahe, dass die hier registrierten Kämpfer durch Syrien in den Irak gelangten.

Auf 595 der 606 Mitgliedsausweise ist die Nationalität des Kämpfers verzeichnet. 244 von ihnen, das sind 41%, stammen aus Saudi-Arabien. Dahinter folgt Libyen von wo aus 112 (18%) der von al-Qaida registrierten ausländischen Kämpfer kamen. Aus Syrien, Jemen und Algerien stammen jeweils 8, bzw. 7% der eingeschriebenen Mitglieder, Marokko und Jordanien stellten 6, respektive 2% der Kämpfer für einen "islamischen Staat im Irak".

Besonders auffällig ist der hohe Anteil junger libyscher Männer unter den al-Qaida-Kämpfern im Irak. Bisherige Schätzungen waren davon ausgegangen, dass weniger als 5% der selbsternannten Mujahidin im Irak aus Gadhafis Staat kommen. Noch im Juli 2007 wurde der Anteil der Nordafrikaner unter den al-Qaida-Leuten im Zweistromland auf nur 10% geschätzt. Die Listen aus Sinjar weisen 20% der Kämpfer als Libyer aus. Rechnet man Algerier und Marokkaner hinzu, liegt der Schluss nahe, dass etwa jeder Dritte ausländische al-Qaida-Mann im Irak aus Nordafrika stammt.

Noch frappierender ist das Ergebnis wenn man die Zahl der in Sinjar registrierten Kämpfer mit der Einwohnerzahl ihrer Herkunftsländer in Relation setzt. So kommen in Libyen etwa 18 al-Qaida-Leute auf 1 Million Einwohner, in Saudi-Arabien nur 9.

Die gefundenen Karteikarten zeigen zudem, dass ein großer Teil der libyschen Kämpfer zwischen Mai und Juli 2007 in den Irak einreisten. Vermutlich hängt dies mit der Entwicklung der "Islamischen Kampfgruppe in Libyen" zusammen, die in den letzten Monaten offenbar immer stärker mit al-Qaida kooperierte und Anfang November offiziell ihren Anschluss an das Terrornetzwerk bekanntgab.

In vielen Fällen wurde auf den Registerkarten auch der Herkunftsort der al-Qaida-Kämpfer vermerkt, so dass sich die jeweiligen Zentren der militanten Islamismus in den einzelnen Staaten recht gut lokalisieren lassen. Im Falle Saudi-Arabiens kam fast die Hälfte der registrierten Männer aus Riyadh bzw. der Stadt des Propheten Muhammad, Mekka.

Von den libyschen al-Qaida-Mitgliedern stammten über 60% aus der Stadt Darnah im Nordosten des Landes. Die nur 80000 Einwohner zählende Stadt in der Cyrenaica gilt seit langem als Zentrum der islamistischen Opposition gegen Libyens Herrscher Muammar al-Gadhafi. Aus Darnah stammten genauso viele Kämpfer wie aus dem mehr als 4 Millionen Einwohner zählenden Riyadh.

Im Schnitt waren die registrierten Kämpfer zwischen 22 und 25 Jahre alt. Der Älteste war bei seiner Einreise 54, der Jüngste hatte gerade seinen 15.Geburtstag gefeiert. Ein Großteil der al-Qaida-Männer waren Studenten.

Mit penibler Sorgfalt wurde auch die "Arbeit" vieler ausländischen al-Qaida-Mitglieder vermerkt. Diese teilte sich im wesentlichen in zwei Bereiche auf - "Selbstmordattentäter" und "Kämpfer". Demnach waren 56% der Männer als Selbstmordattentäter vorgesehen, 42% als Kämpfer.

Unter dem Strich zeigt die Studie, immer vorausgesetzt die in Sinjar gefundenen Dokumente sind authentisch, mehrere interessante Trends. Offenbar sind militante nordafrikanische Islamistengruppen für al-Qaida immer wichtiger. Dort werden junge Männer zumeist in Gruppen für den Kampf im Irak geworben. Gerade Universitäten scheinen dabei ein wichtiger Ort zur Rekrutierung neuer al-Qaida-Männer geworden zu sein.

Die Autoren der Studie fordern die US-Regierung auf, verstärkt die Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten, namentlich Syrien und Libyen, zu suchen, die sich in ähnlicher Weise von der salafistisch-jihadistischen Ideologie der al-Qaida bedroht fühlen. Durch diese Kooperation könne der Zustrom ausländischer Kämpfer in den Irak bereits an seinem Ausgangspunkt gestoppt werden.

Donnerstag, 20. Dezember 2007

Syrien geht gegen Oppositionelle vor

Syriens Behörden sind in den letzten Wochen verschärft gegen Regimekritiker vorgegangen. Seit Anfang Dezember sind mindestens sieben Dissidenten festgenommen worden. Sie alle gehören zu den Unterzeichnern der sogenannten "Damascus Declaration", einer gemeinsamen Erklärung kommunistischer, nationalistischer, liberaler und kurdischer Gruppen, die im Oktober 2005 veröffentlicht wurde.

In der Damaszener Erklärung fordern die Oppositionellen ein Ende des Baath-Regimes und die Einführung einer modernen demokratischen Verfassung, die eine pluralistische Gesellschaft möglich macht und die Herrschaft des Rechts und die Einhaltung der Menschenrechte sichert. Die Kudenfrage müsse mit demokratischen Mitteln gelöst werden. Erreicht werden können diese Ziele "nicht durch kosmetische Reformen sondern durch einen radikalen Wandel".

Am 1. Dezember hatten sich mehr als 160 Unterstützer des Damascus Declaration in der syrischen Hauptstadt versammelt und so den Ärger der Regierung auf sich gezogen, die die Bildung unabhängiger Parteien verbietet. Bei dem Treffen wurden der Gynäkologe Fidaa al-Hourani und der Journalist Akram al-Bunni zum Präsidenten bzw. Generalsekretär des "Nationalen Rates der Damaszener Erklärung" gewählt. Wenige Tage später wurden beide verhaftet.

Im Verlauf dieser Woche wurden die beiden Ärzte Walid Bunni und Mohammad Yasser al-Iti sowie der Journalist Ali Abdallah verhaftet, die ebenfalls bei dem Treffen am 1.Dezember vor Ort waren. Unklar ist bislang welche Tatbestände den Dissidenten konkret vorgeworfen werden.

Mit Michel Kilo und Anwar al-Bunni, dem Bruder des jüngst verhafteten Akram al-Bunni, sind zwei prominente Köpfe der säkularen syrischen Opposition bereits seit über einem Jahr in Haft. Sie hatten im Mai 2006 das "Beirut-Damascus, Damascus-Beirut Manifest" unterzeichnet, in dem der Respekt vor der Unabhängigkeit und Souveränität Syriens und Libanons, sowie der Austausch von Botschaftern zwischen beiden Staaten gefordert wird. Außerdem unterstützten die Unterzeichner die Einrichtung des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Attentats auf Rafiq Hariri, hinter dem syrische Geheimdienstler vermutet werden.

Anwar al-Bunni wurde im April 2007 zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er falsche Gerüchte verbreitet habe, die die syrische Nation schwächten. Michel Kilo wurde einen Monat später zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt.

Seit einigen Wochen ist auch das Internet-Netzwerk Facebook aus Syrien nicht mehr abrufbar. Hier hatten junge Oppositionelle in Gruppen ihrem Ärger Luft gemacht und kritische Beiträge verbreitet.

Offenbar fühlt sich Assads Regime nach der Annapolis-Konferenz gestärkt genug um mit größerer Entschlossenheit gegen die Opposition vorzugehen, ohne dafür von den USA oder der EU gemaßregelt zu werden. Gleichzeitig scheint die Hoffnung, die zögerliche Öffnung Syriens gen Westen ginge mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage im Land einher, zu trügen.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Libyen: Gadhafis Reise durch Europa

Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gadhafi hat seine 10-tägige Europareise beendet, die für den Diktator zu einem vollen Erfolg geworden ist. Zunächst war der 65-Jährige zum EU-Afrika-Gipfel nach Lissabon gereist. Angesichts der Teilnahme von Zimbabwes Diktator Robert Mugabe und Sudans Despoten Umar al-Bashir hatte Gadhafi hier kaum für Aufsehen gesorgt. Seine Forderung nach Kompensationen für Verbrechen der ehemaligen Kolonialherren in Afrika verhallten weitgehend unbeachtet.

Anschließend schlug Gadhafi sein Wüstenzelt im Garten des Hotel Marigny in Paris auf, dem offiziellen Gästehaus der französischen Regierung unweit des Elysee-Palasts. In Frankreichs Hauptstadt unterzeichnete der seit 1969 herrschende Diktator Wirtschaftsverträge im Wert von etwa 10 Milliarden Euro. Dafür wird Libyen in den nächsten Jahren 21-Airbus-Flugzeuge, mindestens einen Nuklearreaktor, mehr als ein Dutzend Rafale-Kampfjets, 35 Hubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge, Luftabwehr-Radars und weitere militärische Ausrüstung aus französischer Produktion erhalten.

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Der Besuch Gadhafis bei Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy fiel just mit dem Tag Welttag der Menschenrechte zusammen. Diese werden von Gadhafis Regime in Libyen noch immer mit Füßen getreten. Freie politische Betätigung ist nicht erlaubt, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit praktisch nicht existent. Die Willkür der Justiz in Libyen wurde der internationalen Öffentlichkeit zuletzt durch den Fall der fünf bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes vor Augen geführt, die zum Tode verurteilt wurden weil sie Kinder absichtlich mit dem HI-Virus infiziert haben sollen. Nicht zuletzt dank französischer Intervention und umfangreicher wirtschaftlicher Versprechungen Sarkozys wurden die Verurteilten schließlich im Sommer dieses Jahres auf freien Fuß gesetzt.

Fast schon in Vergessenheit geraten ist angesichts dessen die Jahrzehnte lange Unterstützung und Finanzierung von Terroranschlägen durch Gadhafi. So gilt etwa mittlerweile als gesichert, dass der libysche Geheimdienst für den Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" 1986 verantwortlich war, bei dem zwei US-Soldaten und ein Türkin getötet wurden. 2004 verpflichtete sich Libyen zur Zahlung von 35 Millionen US-Dollar an die Opfer und ihre Hinterbliebenen.

Am 21. Dezember 1988 deponierten libysche Geheimdienstler knapp 500 Gramm Plastiksprengstoff in einem Koffer der sich im Bauch des PanAm-Flugs 103 befand. Über der Ortschaft Lockerbie in Schottland explodierte die Bombe, 270 Menschen wurden getötet. Zwei libysche Geheimdienstoffiziere wurden 2001 in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt, ein Jahr später übernahm Gadhafi die volle Verantwortung für den Anschlag und verpflichtete sich zur Zahlung von 2,5 Milliarden US-Dollar Entschädigung. Offenbar war der Anschlag von Lockerbie die Vergeltung für US-Luftangriffe auf Tripoli und Benghazi, mit denen Washington 1986 auf den "La Belle"-Anschlag reagierte.

Nicolas Sarkozy sieht in dieser Bilanz keine Hindernisse für enge Wirtschaftsbeziehungen zu Libyen. "Wir müssen Staaten ermutigen, die dem Terrorismus abschwören und die Entwicklung von Nuklearwaffen aufgeben." In der Tat hatte Gadhafi Anfang 2004 die Aufgabe seiner Massenvernichtungs-Waffen-Programme bekanntgegeben, nachdem ähnliche Angebote in den Jahren zuvor von den USA unbeantwortet blieben.

Größere Proteste gegen Gadhafis Staatsbesuch blieben in Paris aus, nur wenige Demonstranten versammelten sich und aus den Reihen der französischen Regierung blieb es der Staatssekretärin für Menschenrechte, Rama Yade, vorbehalten den Gast zu kritisieren: "Frankreich ist nicht der Fußabtreter an dem ein Staatsmann seine blutigen Füße reinwaschen kann", sagte sie "Le Parisien".

Von Frankreich aus reiste der Revolutionsführer dann nach Spanien weiter. Auch hier wurden die wichtigsten Industriellen des Landes, unter anderem die Chefs der Erdöl-Unternehmen Repsol und Cepsa im Zelt empfangen. Insgesamt soll Gadhafi den Spaniern Aufträge im Wet von 17 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt haben. Die spanische Unternehmensgruppe Sacyr Vallehermoso gab die Bildung eines gemeinsamen Unternehmens mit der libyschen Regierung bekannt, das sich um Infrastrukturprojekt in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar in Libyen bewirbt. Zum Abschluss seiner Reise dinierte Gadhafi mit Spaniens König Juan Carlos.

Dienstag, 18. Dezember 2007

Umfrage in Saudi-Arabien

Die USA sind der wichtigste Verbündete des saudischen Königshauses - dennoch ist Usama bin Laden in Saudi-Arabien beliebter als George Bush. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die von der unabhängigen Organisation "Terror Free Tomorrow" durchgeführt wurde. Ziel von TFT ist es, heruaszufinden, warum Menschen bestimmte extremistische Gruppen unterstützen. Zu diesem Zweck wurden 1004 saudische Staatsbürger telefonisch befragt - im konservativen Saudi-Arabien praktisch die einzige Möglichkeit eine derartige Befragung durchzuführen.

Zunächst wurden die Umfrageteilnehmer zu ihrer Einstellung gegenüber bestimmten Ländern befragt. Hier schnitten China und die Türkei am besten ab, von denen jeweils 71% der Befragten eine positive Meinung hatten. Es folgten Großbritannien und Frankreich mit jeweils 58%. Hinter Pakistan und Iran (52 bzw. 47%) schnitten die USA hier mit knapp 40% Zustimmung am Schwächsten ab.

Gleichzeitig wünschten sich jedoch 69% der Saudis bessere Beziehungen zu Washington. Ein erster Schritt hierfür wäre nach Ansicht von 85% der Befragten ein vollständiger Abzug der US-Truppen aus dem Irak. Die von der US-Regierung angestrebte Demokratisierung des Nahen Ostens lehnt eine Mehrheit der Saudis ab.

Die Einstellung der Befragten gegenüber Juden und Christen liefert ein erschreckendes Bild. So erklärten fast 89% von ihnen, sie hätten eine negative oder sehr negative Meinung über Juden, hinsichtlich ihrer Einstellung gegenüber Christen liegt dieser Wert bei 54%.

57% der Saudis lehnen die Entwicklung von Nuklearwaffen durch den Iran ab. 38% würden einen Militärschlag der US-Armee oder anderer Staaten befürworten um den Iran gegebenenfalls vom Besitz der Atombombe abzuhalten.

51% der Befragten gaben an, jeden Friedensvertrag abzulehnen der den Staat Israel anerkennt und erklärten, sie zögen es vor bis zur Auslöschung des Staates Israel im Nahen Osten zu kämpfen. Knapp jeder Zweite ist daher der Ansicht, die USA sollten ihre Bemühungen zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts reduzieren.

46% der Umfrageteilnehmer erklärten, sie seien gegen die Beteiligung saudischer Staatsbürger am Widerstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen im Irak. 43% gaben an, sie seien gegen jede Unterstützung sunnitischer Kämpfer im Irak durch Saudi-Arabien. 7 von 10 Saudis befürworteten hingegen eine Unterstützung der USA bei der Lösung des Irak-Kriegs. Gleichzeitig würden 45% eine Drosselung der Öl-Exporte in die USA angesichts der aktuellen Nahostpolitik Washingtons gutheißen.

67% der Befragten befürworten die Entwicklung von Atomenergie in Saudi-Arabien, 52% sind zudem für die Entwicklung eigener Nuklearwaffen.

Gefragt nach den wichtigsten Prioritäten für ihr Land gaben 93% der Saudis den Kampf gegen Inflation und Arbeitslosigkeit an, gefolgt von der Bekämpfung des Terrorismus (88%). Jeweils 8 von 10 Saudis sehen zudem in der Finanzierung von Moscheen und Koranschulen im Ausland, sowie in der Einführung freier Presse und freier Wahlen dringliche Aufgaben ihrer Regierung. 61% nannten zudem die Bekämpfung al-Qaidas und anderer jihadistischer Gruppen. Nur 43% sprachen sich für die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien aus.

Nicht einmal jeder Zehnte Saudi hat laut der TFT-Umfrage eine positive Meinung von al-Qaida. Größerer Beliebtheit erfreuen sich die Hamas und die sunnitischen Kämpfer im Irak mit jeweils 36% Zustimmung. Von der schittischen Hizbollah hat jeder Dritte Saudi ein positives Bild.

74% der Befragten erklärten, Selbstmordattentate seien niemals gerechtfertigt.

Auf die Frage nach dem idealen Herrschaftssystem für ihr Land nannten drei von vier Saudis das bestehende System mit einem Monarchen auf Lebenszeit. Knapp die Hälfte der Befragten äußerte jedoch auch ihre Zustimmung zu einer konstitutionellen Monarchie.

Abschließend wurden die Teilnehmer der Umfrage zu ihrer Meinung über bestimmte Politiker und Staatsmänner befragt. Die überwältigende Mehrheit von jeweils 96% erklärte ein positives oder sehr positives Bild von König Abdullah bin Abdul-Aziz beziehungsweise der saudischen Königsfamilie im Allgemeinen zu haben. Knapp 39% der Saudis haben demnach eine positive Meinung von Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah, 31% von Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad. Usama bin Laden genießt eine Zustimmung von 15%, George Bush von 12%.

Bin Ladens Fatwa, in der er zum weltweiten Kampf gegen die USA und die Amerikaner aufrief, wird von zwei Dritteln der Befragten abgelehnt.

Angesprochen auf den Fall des schiitischen Mädchens, das nach einer Vergewaltigung zu 200 Peitschenhieben und 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, erklärten sich nur 12% der Umfrageteilnehmer mit diesem Gerichtsurteil einverstanden. Gestern begnadigte König Abdullah das Mädchen aus Qatif.

Montag, 17. Dezember 2007

Saudi-Arabien: König Abdullah begnadigt Vergewaltigungsopfer

Saudi-Arabiens König Abdullah hat ein 19-jähriges Mädchen begnadigt, das zu 6 Monaten Gefängnis und 200 Peitschenhieben verurteilt wurde, nachdem es von mehreren Männern vergewaltigt worden war. Der Fall hatte weltweit für Aufsehen und Empörung über die Lage der Menschenrechte im selbst ernannten "Königreich der Menschlichkeit" gesorgt.

Das zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alte Mädchen aus der saudischen Provinz Qatif hatte sich Ende 2006 in einem Auto mit ihrem ehemaligen Freund getroffen - nach saudischer Rechtssprechung eine Straftat, da sie allein mit einem Mann zusammen war, mit dem sie weder verwandt noch verheiratet war. Nach eigenen Angaben wollte die junge Frau, die sich in der Zwischenzeit mit eihem neuen Mann verlobt hatte, ein Foto von ihrem Ex-Freund zurückbekommen. Der habe sie jedoch entführt, anschließend wurde sie von sieben Männern vergwaltigt.

In einem ersten Prozess wurde das "Qatif Girl", das zur unterdrückten schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien gehört, zu 90 Peitschenhieben verurteilt, da sie sich ohne Begleitung eines männlichen Verwandten mit Männern getroffen habe. Am 13.November dieses Jahres wurde die Strafe in einem Berufungsverfahren auf 200 Schläge und sechs Monate Haft verschärft - auch deshalb weil sich das Mädchen an die Öffentlichkeit gewandt und so für internationale Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Außerdem hätte sich die Vergewaltigung nicht ereignet, wenn sich die junge Frau nicht mit dem fremden Mann getroffen hätte, so die Richter.

Auch die Strafe für die Vergewaltiger wurde in diesem zweiten Prozess auf zwei bis neun Jahre erhöht. Üblicherweise steht für dieses Verbrechen in Saudi-Arabien die Todesstrafe, hiervon sei jedoch aus Mangel an Zeugen oder Geständnissen der Täter abzusehen, so das Justizministerium.

Die junge Frau ist mittlerweile mit einem anderen Mann verheiratet. Dieser sorgte für Aufsehen, als er seine Frau in einer Diskussionssendung im Fernsehen, zu der er telefonisch zugeschaltet war, öffentlich verteidigte.

Sonntag, 16. Dezember 2007

Heiliger Kampf und Heiliger Krieg im Islam und Christentum - 2.Teil

Zum ersten Teil der Seminararbeit


4.1. Der heilige Kampf im Christentum

Einen Krieg für den Frieden. Paradox und doch von einer ungeheueren Wirkung, wenn in dem erwünschten Ziel des Krieges der unabdingbare Frieden, um individuelle und gesellschaftliche Existenz zu ermöglichen, gesehen wird.[1] Die Intention eines Krieges wird damit auf ein Fundament des Friedfertigen, des Frommen gestellt. Es muss nicht notwendigerweise eine ideologische Affirmation vorliegen, um einen Krieg für gerecht zu erklären. Die Motivation einer gewaltsamen Handlung kann so tief in einer religiösen Konstitution verankert sein, dass sich die Heiligung des Krieges dadurch selbst ergibt. Ein gewaltiges kriegerisches Unternehmen wie die Kreuzzüge als Heiligen Krieg im Namen des Christentums zu rechtfertigen bedurfte jedoch mehr als einer Affirmation des bewaffneten Kampfes.

Die Wurzeln des Heiligen Krieges liegen auch, im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, das Christentum sei eine ausschließlich friedfertige Religion, in der heiligen Schrift. In einem driekten Vergleich der Verwendung des Wortes Krieg in den heiligen Schriften des Korans, des Alten und Neuen Testaments, konnte B. Randall deutlich machen, dass die Bezüge auf den Krieg im Alten Testament, die im Koran zahlenmäßig bei weitem übertreffen.[2] Der kriegerische Geist des Alten Testaments scheint zwar wenig in Einklang mit der Lehre Jesu zu sein, doch war es Jesu, der dieses Alte Testament als Gottes Wort bestätigte:

„Denkt nicht, ich bin gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“[3]

Die kriegerische Sprache des Alten Testaments wird im Neuen Testament übernommen, jedoch transfiguriert, um den inneren Kampf des Menschen zu versinnbildlichen. Die pazifistischen Predigten Jesu, ließen eine direkte Beteiligung der Kirche an kriegerischen Unternehmungen nicht zu. Erst die staatliche Einbindung des Christentums in das Römische Reich, ließ die Institution der Kirche opportunistische Züge annehmen, um ihren eigenen Fortbestand, der an den des Römischen Reiches geknüpft war, zu sichern.

Mit der Verschmelzung des Christentums und des Römischen Reiches, Romanitas und Christianitas, und der Erhebung zur Staatsreligion unter Kaiser Konstantin, wuchs das Verantwortungsbewußtsein der Kirche gegenüber der Erhaltung des Römischen Reiches. Eine Berührung mit bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb des Reiches und auf staatlicher Ebene war unumgänglich. Die Integration des Krieges in die christliche Ethik drängte sich immer mehr auf.

Als erste Theologen beschäftigten sich Eusebius von Cäsarea und Ambrosius von Mailand mit einer Theologie des Krieges. Ambrosius entwickelte die erste Lehre vom gerechten Krieg, in dem er Ciceros Lehre vom gerechten Krieg aufgriff und diese zur rechtfertigenden Grundlage des bewaffneten Kampfes gegen eindringende Barabaren und zum Schutze der Zivilbevölkerung innerhalb des Reiches machte. Fußend auf diesen beiden vorangegangenen Überlegungen entwickelte der Bischof von Hippo, Augustinus, eine umfassende, präzise christliche Kriegerethik vom bellum iustum, die zum größten Teil in seinem Werk Contra Faustum Manicheum ausgeführt ist.[4]

Das Christentum verwerfe nicht alle Kriege, doch den Ursprung des Krieges sah er weiterhin im Bösen; um die Übeltaten, die ein Krieg mit sich brachte einzudämmen entwickelte er die theoretische Grundlage für einen gerechten Krieg. Das Wesentliche war eine Konstitution zu schaffen, die es verbot einen Krieg aus unchristlichen Motiven zu rechtfertigen oder mit unchristlichen Methoden zu führen. Mit der Herausarbeitung einer Lehre die einen Krieg als gerecht definierte, wenn damit Unrecht bestraft wird, Land, Gesetze und Sitten verteidigt werden, geraubtes Gut wiedererlangt wird und seine Intention zur Sicherung des Friedens dient, entwickelte Augustinus die erste neue Definition eines gerechten Krieges seit Cicero.[5]

Selbst eine simplifizierte Darstellung der Kernpunkte des augustinischen gerechten Krieges lässt erkennen, das sie sich dazu eigneten die Wert- und Ehrvorstellungen des sich langsam herausbildenden Ritterstandes anzusprechen. Der verstärkte Einfluss der Gottesfriedensbewegung auf das Kriegerwesen in der Zeit des Reformpapsttum, schaffte eine eigene Subkultur des christlichen Kämpfers, der milites christi.

Schon seit dem 10. Jahrhundert suchte die Kirche verstärkt die milites an sich zu binden. In liturgischen Gebeten seit dem 10. Jahrhundert zeichnete sich, durch den direkten Anschluss eines Gebetes für die milites an das Königsgebet, eine Vergeistlichung ab.[6] Die militärische Welt sollte zu einem Feld der Evangelisation werden. Statt Soldaten mit all ihrer Gewalt und Brutalität außerhalb des Schoßes Christi zu lassen, versuchte die Kirche jene Welt so weit wie möglich zu christianisieren und zu moralisieren.

Die Gottesfriedensbewegung verstärkte die Definition des Adels durch Tugend und Verhalten.[7] Die eigenen Wert- und Ehrvorstellungen von Treue, Familie und Besitz wurden mit der Bindung an die Kirche durch den Kreuzzugsaufruf von Papst Urban II. direkt angesprochen. Der Gottesfrieden war jedoch mehr als ein reines Instrument zur Prävention von brutalen Fehden und gewalttätigen Ausschreitungen. Eidlich bekräftigte Befolgungen von Konzilsbeschlüssen stellte die Möglichkeit für die Kirche dar, die kriegerischen Energien zu bündeln und unter ihre eigene Leitung zu stellen. [8]

Den Höhepunkt erfuhr diese Politik mit dem Aufruf das Kreuz zu nehmen und für einen bewaffneten Kampf, der gegen das fünfte Gebot verstieß, päpstliche Ablässe der Sünden zu erhalten. Die Idee der Ablässe war nicht neu. Schon Papst Leo IV stellte 853 angesichts der Bedrohung Roms durch die Muslime, den Kämpfern das Himmelreich in Aussicht.

Auch Gregor VII spielte mit dem Gedanken, sogar selbst das Kreuz zu nehmen und einen Feldzug nach Jerusalem zu unternehmen. Um sich die Unterstützung der Ritter in der Zeit des Investiturstreits zu sichern, erließ er Ablassversprechen für alle, die gegen den Kaiser und für die Sache des heiligen Petrus kämpften (militia Sancti Petri). [9] Von der päpstlichen Idee das Kreuz selbst zu nehmen und dem Aufbau eines Heeres unter Leitung der Kirche, war es nur noch ein kleiner Schritt auf dem Weg zu den Kreuzzügen.

5. Ğihad und Heiliger Krieg

Obwohl theologische Inhalte des heiligen christlichen Kampfes und des islamischen Ğihad viele Gemeinsamkeiten aufweisen, kann über eine gegenseitige Abhängigkeit nur spekuliert werden. Der erst 1122, knapp dreißig Jahre nach dem Kreuzzugsaufruf von Clermont, zum Abt von Cluny gewählte Petrus Venerabilis regte die erste Koranübersetzung in das Lateinische an. Ob der Kurie schon vor der lateinischen Koranfassung die islamkritischen griechischen Schriften von Niketas Byzantios aus dem 10. Jahrhundert bekannt waren, lässt sich nur auf Vermutungen beschränken.[10]

Eine Darstellung von Parallelen und Unterschieden in der Theologie des Heiligen Krieges und des Heiligen Kampfes hat Albrecht Noth vorgenommen[11]; zu dessen Auflistung sich jedoch noch Einiges hinzufügen lässt.

Als moralische Vorraussetzung für den jenseitigen Lohn des Kämpfers, ist in der Theorie beider Religionen die innere Absicht des Kämpfers zentral. Wo die muslimischen Theologen die Erlangung des göttlichen Lohnes auf die niya beschränkten, stellte auch Papst Urban II. in seinem Kreuzzugsaufruf die devotio des Kämpfers in den Vordergrund. Klar getrennt von dem heiligen Kampf, wird der Auszug mit der Absicht Ruhm und Reichtum im Kampf zu erlangen. Mit der frommen Absicht sich für die Sache Gottes zu opfern, wurde von beiden Religionen der Kampf unter dem Einsatz des eigenen Gutes und Lebens verlangt.[12]

Neben weitreichenden Gemeinsamkeiten in den theologischen Grundlagen des Kampfes sind jedoch bestimmte unterschiedliche gesellschaftliche Vorraussetzungen für die Aufnahme eines heiligen Kampfes zu betrachten. Der Ğihad ist, wie oben erläutert, eine Kollektivpflicht, der jedoch nach der Definition als „Pflicht nach dem Modus der Genüge“ von einzelnen Personen und Gruppen stellvertretend geführt wurde. Sein Wesen bezieht jedoch die gesamte muslimische Gemeinde mit ein. Mohammed selbst war Karawanenführer und Kaufmann, der Großteil seiner frühen Kämpfer rekrutierte sich aus diesen Berufen, bevor die nomadisch-anarchische Struktur von dem System des Islam ersetzt wurde und er sich dieser Beduinenkämpfer bediente.

Die christlich-abendländische Gesellschaft basierte auf der strikten Trennung der ordines, die Geistlichkeit wurde von dem Soldatenstand eindeutig getrennt. Erst mit der Vermischung der ordines durch die neuenstehenden Ritterorden in der Levante wurde der heilige Krieg über die gottgewollte gesellschaftliche Grenze von oratores und bellatores hinweg geführt.

Aus der Weiterentwicklung und Ausweitung der Theorie des bellum iustum auf einen direkten Missionskrieg durch Papst Gregor I., ergab sich die Möglichkeit einer zweifachen Definition des heiligen Krieges: Der Ketzerkrieg zur Reinhaltung der Kirche im Innern und der Missionskrieg zur Verbreitung des Glaubens nach außen.[13]

Auch der Ğihad verlangt den bewaffneten Kampf gegen Abtrünnige in der eigenen Gemeinschaft. Nach der Hiğra von Mekka nach Medina entwarf der Prophet eine Einteilung der medinensischen Gemeinde in Heuchler (Munafiqun) und denen die ihm bei der Auswanderung aus Medina gefolgt waren (Muhağirun). Eine Offenbarung zum Umgang mit den später abtrünnigen schiitischen Sekten blieb ihm vorenthalten, da sich die Teilung der muslimischen Gemeinde in Schiiten und Sunniten erst mit dem Streit um die Prophetennachfolge entwickelte. Mit dem Erstarken des Ğihadgedankens Ende des 13. Jahrhunderts, der letztendlich die Vertreibung der Kreuzfahrer aus der Levante bewirkte, ging ein verstärktes Vorgehen gegen Abtrünnige in der eigenen Gemeinschaft einher.

Während Nur ad-Din und Salāh ad-Dīn ihre Anstrengungen hauptsächlich auf den bewaffneten Ğihad zur Wiedereroberung Jerusalems konzentrierten, der auch einen Aufruf zur Ğihad-Teilnahme an die verfeindeten schiitischen Fatimiden in Ägypten beinhaltetete, unternahmen die Mamluken unter Sultan Baibars einen weiterreichenden Ğihad. Der Kampf gegen die Kreuzfahrer in der Levante wurde nur als Teil des größeren Projektes des Ğihad gesehen, sie nahmen weiter den Kampf gegen Mongolen, Armenier und die schiitisch-muslimischen Strömungen innerhalb der muslimischen Gemeinde auf.[14]

Eine bewusste Vermeidung des Begriffes „Heiliger Krieg“ für den religiös motivierten Kampf im Islam, hat seine Ursprünge in der Definition des bellum iustum von Augustin. Die Definition des gerechten Krieges von Augustin bezieht sich direkt auf ein zeitlich und räumlich abgegrenztes Unternehmen zur Wiedereroberung geraubten Besitzes oder zur Verteidigung des Friedens. Das erwünschte Ziel des heiligen Kampfes im Islam ist zwar auch der Frieden unter der Herrschaft des Islam, jedoch ist der Ğihad kein zeitlich und räumlich begrenzter Krieg. Er ist ein andauerndes Phänomen, sowohl spirituell wie auch militärisch. Die Pflicht zum Ğihad besteht für einen Muslim auf Lebenszeit. Lediglich der Frieden im dar al-harb ist räumlich und zeitlich begrenzt. Muslimen ist es nur erlaubt einen Friedensvertrag (hudna) über zehn Jahre abzuschließen, nach Ablauf dieser Zeit muss der Kampf wieder aufgenommen werden, oder ein neuer Vertrag geschlossen werden.

5.1.Ludwig IX und Salah ad-Din

Bei einer Betrachtung hervorgehobener Tugenden zweier bedeutender Persönlichkeiten der Kreuzzüge fällt auf, das muslimische, wie christliche Schreiber gleiche Eigenschaften als fromm und edel ansehen. Die Vertrauten und persönlichen Schreiber von Ludwig IX und Salāh ad-Dīn, Johann de Joinville und Bahā’ ad-Dīn, zeichnen unabhängig voneinander ein übereinstimmendes Bild der asketischen, frommen Lebensweise der beiden Fürsten. Beide Quellen stellen die schlichte, großzügige Lebensweise und das Zurückstellen des eigenen Wohles vor das des Volkes und ihrer Kämpfer in den Mittelpunkt:

„Und alle rieten ihm, in ein anderes Schiff umzusteigen; denn sie wußten nicht, wie das Schiff dem Anprall der Wogen standhalten könnte, [...] Darauf antwortete der König: „Ihr Herren, ich sehe, wenn ich aussteige aus diesem Schiff, dann will keiner mehr auf ihm bleiben, [...]; jeder von ihnen hat sein Leben ebenso lieb wie ich meines, [...] Darum werde ich, wenn es Gott gefällt, niemals so viele Menschen, wie hier sind, in Todesgefahr bringen, sondern hier bleiben, um meine Leute zu retten.“[15]

Eine ähnliche Begebenheit schildert auch Bahā’ ad-Dīn. Als Salāh ad-Dīn von einer waghalsigen Überfahrt zusammen mit seinen Truppen abgeraten wird, besteht dieser auf der Solidarität mit seinen Truppen und zieht eher einen noblen Tod vor, als seine Truppen zu verlassen.[16]

Schilderungen der tiefen Ergriffenheit bei einer Messe oder der Rezitation des heiligen Buches sind keine Seltenheit. Beide Führer verlangen auch nachts, während das Hofvolk schon schläft, rastlos nach der Rezitation aus dem heiligen Buch:

„He loved to hear the noble Qur’an recited; [...] At night, when he was in his room, he would ask anyone who was awake to recite two, three or four suras of the Qur’an while he listened […] He was humble and sensitive of heart, quick to weep, and used often to be moved to tears by hearing the Qur’an recited.”[17]

Von der selben Rastlosigkeit weiß auch Joinville bei Ludwig zu berichten. Jeden Morgen soll Ludwig mehreren Messen beigewohnt haben und nach einer kurzen Rast weitere Gebete in seinem Privatgemach gesprochen haben.[18] Übereinstimmungen in der Lebensführung und den frommen Eigenschaften lassen sich nach Belieben fortführen. Stets fühlen sich Ludwig und Salah ad-Din von der Göttlichkeit geleitet und entfernen sich in dem steten Denken an das zu erreichende Paradies von einem unrechten System irdischer Machtpolitik. Das von göttlicher Rechtschaffenheit geprägte Denken Ludwigs geht soweit, dass er die Entscheide der Kirche in Frage stellt und sich nur direkt Gott verantwortlich fühlt.[19]

Im Gegensatz zu der konventionellen Lebensweise eines adligen Fürsten in Reichtum und Ausschweifungen, üben sich Salah ad-Din und Ludwig in der Kunst der Zurückhaltung. Von Joinville wird an verschiedenen Stellen die Anspruchslosigkeit des Königs betont,[20] wie auch von Bahā’ ad-Dīn, der die schlichte Lebensweise an mehreren Stellen in den Mittelpunkt stellt:

„Of all that he had been master of, he left in his treasury when he died forty-seven Nasirite drachmas and a single piece of Tyrian gold. Nor did he leave houses, estates, gardens, villages, fields or any other material possession.[21]

Die Übereinstimmungen der Lebensweise dieser beiden Fürsten zeigen auch die weitreichenden Überschneidungen der Religionen. Tugenden, wie Zurückhaltung, Schlichtheit und Großzügigkeit gegenüber den Armen sind in beiden Lehren von zentraler Bedeutung. In den Theorien des Heiligen Krieges und des Ğihad sind diese Lehren verankert und fordern trotz gewalttätiger kriegerischer Auseinandersetzungen eine Vermeidung von übertriebener, sinnloser Brutalität.[22] Eine weite Kluft zwischen Lehre und Praxis hat uns jedoch die Geschichte gelehrt.

6. Schlussbetrachtung

Die weitreichenden Überschneidungen in Theorie und Praxis lassen wie oben erwähnt die Spekulation zu, dass das frühere Phänomen des Ğihad einen maßgeblichen Einfluß auf den sich entwickelnden Heiligen Krieg im Christentum hatte. Langjährige Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel ließ die Christen eng in Kontakt mit der muslimischen Theologie und Kampfpraxis kommen.

In der Levante stießen die christlichen Kämpfer auf ein Gebiet, das ihrer Vorstellung nicht entsprach. Die erwartete Barbarei entpuppte sich als eine hochentwickelte Gesellschaft der Kultur und Wissenschaften. Ein Zusammenleben auf engstem Raum mußte organisiert werden. Begegnungen in Bädern, auf dem Markt oder bei gesellschaftlichen Empfängen ließen Kontakte zwischen den Religionen und Kulturen nicht nur in kriegerischen Auseinandersetzungen zu. Muslimische Intellektuelle arbeiteten an Höfen christlicher Fürsten, einige christliche Führer setzten sich mit arabischer Literatur auseinander.

Auf jeden Krieg folgt eine Zeit des Friedens. Die Idee des Heiligen Krieges förderte durch den Zusammenprall und das darauffolgende Leben auf engstem Raum, auch die Beschäftigung mit der jeweils anderen Religion. Ob als Zeugnis dafür die Weltkarte des al-Idrisi oder die lateinische Koranübersetzung gesehen wird, ohne zwangsläufig Vorurteile abzubauen oder sich offenen theologischen Diskussionen zu stellen, brachten die Kreuzzüge neben den militärischen, doch eine geistige Auseinandersetzung mit den Inhalten der Religion des Feindes.

Der Kreuzzugsaufruf Papst Urban II kam zu einer Zeit, in der der Islam dem Christentum noch weitgehend unbekannt war. Theologische Auseinandersetzungen mit dem Islam wurden eher in dem östlichen christlichen Reich Byzanz gepflegt. Die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Krieg, in den eigenen christlichen Gebieten oder den Gebieten der Ungläubigen bedeutete einen Versuch der Hinwendung zum Irdischen. Die theologische Rechtfertigung eines Krieges als heilig bedeutete zwar die Annäherung der Religion an ein Spiel der irdischen Machtpolitik - zugleich aber auch eine Entfernung von der irdischen Ebene, indem die Heiligung der Seele über die Verletzlichkeit und den Tod des physischen Körpers gestellt wurde.



[1] Vgl. Dietrich Kurze: Krieg und Frieden im mittelalterlichen Denken, in: Peter Duchhardt (Hrsg.): Zwischenstaatliche Friedenswahrung im Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 15f.

[2] Vgl. Randall: War and Peace, S. 457-459.

[3] Matthäus 5, 17

[4] Vgl. Alexander Pierre Bronisch: Reconquista und Heiliger Krieg. Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert, Münster 1998, S.18f.

[5] Vgl. Frederick H. Russel: The just war in the Middle Ages, Cambridge 1975, S.18.

[6] Vgl. Josef Fleckenstein: Rittertum und die ritterliche Welt, Berlin 2002, S.106.

[7] Vgl. Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2004, S.87.

[8] Vgl. Maurice Keen: Das Rittertum, München und Zurich 1987, S.76f.

[9] Vgl. Ebd., S.75-79.

[10] Vgl. E. Suttner: Niketas Byzantios, in: Lexikon des Mittelalters, München 1993, S.1161

Vgl. N. Bulst: Petrus Venerabilis in: Lexikon des Mittelalters, München 1993, S. 1985-1987.

[11] Vgl. Noth: Heiliger Krieg, S. 139-148.

[12] Sure 9, 89, in: Henning: Der Koran, S. 196; Sure 61, 10f., in: Henning: Der Koran, S.499; Vgl. Noth: Heiliger Krieg, S. 139f.

[13] Vgl. Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzuggedankens, S.8.

[14] Vgl. Havemann: Heiliger Kampf, S. 176.

[15] Joinville, Johann de: Die vornehmsten Tugenden des heiligen Ludwig, in: Kock, Erich (Hrsg.): Das Leben des heiligen Ludwig. Die Vita des Joinville. Übersetzt von Eugen Mayser, Düsseldorf 1969, S.67.

[16] Baha ad-Din: His zeal in the Holy War, in: Gabrieli, Francesco: Arab Historians of the Crusades. Selected and transl. from the Arabic sources, London 1984, S.101f.

[17] Baha ad-Din: Saladin’s Character, in: Gabrieli, Francesco: Arab Historians, S.87-90.

[18] Joinville: Wie der heilige Ludwig seinen Tag einteilte. Ein Franziskaner predigt ihm von der Gerechtigkeit, in: Kock: Das Leben des heiligen Ludwig, S. 78f.

[19] Joinville: Der heilige Ludwig weist eine unberechtigte Forderung der Bischöfe zurück, in: Kock: Das Leben des heiligen Ludwig, S.80f.

[20] Joinville:

[21] Baha ad-Din: Saladin’s Character, in: Gabrieli: Arab Historians, S. 88.

[22] Henning: Der Koran, Seite 63, Sure 2, 186f.

Samstag, 15. Dezember 2007

Heiliger Kampf und Heiliger Krieg im Islam und Christentum

Hier der erste Teil einer Seminararbeit von Philipp Spalek:

„Jetzt seht: Ich bin es, nur ich, und kein Gott tritt mir entgegen. Ich
bin es, der tötet und lebendig macht. Ich habe verwundet, nur ich werde heilen. Niemand kann retten, wonach meine Hand gegriffen hat. Ich hebe meine Hand zum Himmel empor und sage: So wahr ich ewig lebe: Habe ich erst die Klinge meines Schwertes geschliffen, um das Recht in meine Hand zu nehmen, dann zwinge ich meinen Gegnern die Strafe auf und denen, die mich hassen, die Vergeltung. Meine Pfeile mache ich trunken von Blut, während mein Schwert sich ins Fleisch frisst – trunken vom Blut Erschlagener und Gefangener, ins Fleisch des höchsten feindlichen Fürsten. Erhebt das Siegesgeschrei, ihr Himmel zusammen mit ihm, werft euch vor ihm nieder, ihr Götter! Denn er erzwingt die Strafe für das Blut seiner Söhne und entsühnt das Land seines Volkes.“ [1]


Der Krieg ist auf Grund der brutalen, erschütternden Auswirkungen, die er hervorruft, und den furchtbaren menschlichen Konsequenzen ein sehr schwieriges Thema. Das Ausmaß eines Krieges kann nicht nur an den Opferzahlen und Verwundeten gemessen werden; die tiefen Gräben und Vorurteile, die ein Krieg in der Geschichte zweier Völker, Staaten oder Religionen hinterlässt, stehen oft im Widerspruch zur geschichtlichen, kulturellen und religiösen Realität. Fast alle Kulturen und Religionen haben Krieg zum eigenen Erhalt gerechtfertigt und geheiligt. Große spirituelle und intellektuelle Gestalten aller Zeiten haben dem Krieg eine mystische und theologische Bedeutung gegeben.

Kriege sind ein zeitlich und räumlich begrenztes Phänomen. Ob als Heiliger Krieg zur Befreiung religiös bedeutender Territorien, oder als andauernder Kampf zur Verbreitung des Glaubens, haben die tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzungen doch in einer historisch festlegbaren Zeitspanne stattgefunden. Auf die Zeit des Krieges folgt die Zeit des Friedens. Die Bedeutung eines „Krieges für den Frieden“ mag paradox klingen, ist aber mit der Rationalität Einzelner zum Schutz des eigenen friedfertigen Systems betrachtet, nachvollziehbar.

Gegenstand dieser Arbeit sind Heilige Kriege. Doch was sind Heilige Kriege? Die vorliegende Arbeit hat weder die Aufgabe die Entwicklung des Heiligen Krieges und des Ğihad in allen Einzelheiten darzustellen, noch die Inhalte und Gemeinsamkeiten der Kämpfe vollständig herauszuarbeiten. Eine kurze Darstellung der Bedeutung des Krieges bzw. Kampfes in beiden Religionen ist jedoch für das spätere Verständnis des Vergleiches nötig. Die Darstellung der Gemeinsamkeiten am Ende der Arbeit beschränkt sich auf die wichtigsten Parallelen, da für eine umfassende Herausarbeitung eine wesentlich höhere Seitenzahl vonnöten wäre.

Die Problematik bei der Aufarbeitung des heiligen Kampfes im Islam entsteht bei der Auswertung der Literatur über den mittelalterlichen Ğihad. Wie auch schon Carl Erdmann bemerkte,[2] beschäftigt sich die Literatur zumeist entweder mit den Anfängen des Ğihad im Frühislam oder des gegenwärtigen Phänomens. Die Veröffentlichungen von Axel Havemann und Bassam Tibi versuchen diese Lücke zu schließen; setzten bei ihren Betrachtungen jedoch auch in der frühen Entwicklungsphase des Ğihad an.

Auffällig an der Arbeit Tibis ist die stetige Verweisung auf seine religiösen Hintergrund als Muslim. Mit einer differenzierten Darstellung und der Erläuterung eigener Interpretationsgrundlagen sensibilisiert er den Leser für ein weiterhin aktuelles Thema und lässt eine rege Beschäftigung mit postkolonialen Theorien erkennen. Seine Herkunft aus einer Gesellschaft, in der im 21. Jh. die historischen blutigen Auseinandersetzungen der Kreuzzüge noch immer zu einem aktuellen Thema gehören, fließt in seine Arbeit ein und lässt den Leser die Existenz der noch heute tiefen Gräben zwischen den Zivilisationen erahnen.

2. Christliches Europa und die islamische Expansion

Durch die voranschreitende islamische Expansion sah sich das europäische Abendland der Bedrohung eines aus der arabischen Halbinsel neuerwachsenen Feindes gegenüber. Die ersten Eroberungswellen erreichten die südlichen Mittelmeerstaaten bereits im 8. Jahrhundert. Nachdem zunächst eine längerfristige Eroberung Siziliens scheiterte, konnte sich das ummayadische Kalifat auf der Iberischen Halbinsel etablieren. Die Idee eines heiligen Krieges im Namen des einzigen Gottes, wie das christliche Abendland die Eroberung verstand, hatte sich bis vor die Tore der innereuropäischen Grenzen geschoben. Der Islam war nicht mehr das alleinige Problem der Byzantiner. Die machtpolitischen Verschiebungen rund um das Mittelmeer lösten das römische Erbe der christlichen Einheit auf.

Doch woher kam diese ungezügelte Kraft, den Willen Gottes in einer explosionsartigen Eroberungswelle über den Vorderen Orient, den Maghreb bis hinauf an die Grenzen Frankreichs zu verbreiten? Woher stammte das kriegerische Potenzial dieser Kämpfer nomadischen Ursprungs? Wie konnte darauf eine Antwort erfolgen?

Die Möglichkeit aus der Bibel eine Lehre zum Umgang mit dem Islam zu ziehen, blieb dem Christentum durch die bereits knapp 600 Jahre frühere Entstehung verwehrt; eine umfassende Lehre zur Verteidigung und Ausbreitung der Religion mit militärischen Mittel fehlte.

Das Aufkommen einer Bedrohung von Westen und Osten formte die christliche Gesellschaft neu und brachte den Zwang der Auseinandersetzung mit einer neuen religiösen und politischen Bedrohung mit sich. Die langsame Entwicklung eines heiligen Krieges von den Anfängen der Reconquista bis zu den Kreuzzügen kann nicht losgelöst von der globalen politischen und religiösen Entwicklung gesehen werden. Bassam Tibi greift die These von Henri Pirenne auf[3], der die Ursache einer Neuformung Europas durch den Aufstieg des Islam begründet:

„Mit den Karolingern gewann Europa eine neue, entscheidende Ausrichtung. Ihre Bedeutung läßt sich nur durch die vom Islam hervorgerufenen Veränderungen des Gleichgewichts erklären [...] (Der Aufstieg) der Karolinger [...] läßt sich großenteils nur aus dem Abschluß des Mittelmeeres durch die Sarazenen erklären.“[4]

Die Anführung der weitreichenden Entwicklungen rund um das Mittelmeer und die dadurch bedingte Neuformung Europas lässt eine Betrachtung der heiligen Kämpfe im Islam und Christentum nur in enger Verflechtung zu.

Eine differenzierte Betrachtung des gerne gebrauchten Schlagwortes „Ğihad“, dessen Einfluss auf den heiligen Kampf des Christentums und seine Bedeutung für die muslimische und globale Gemeinschaft, ist zur Vorbeugung einer stereotypen Anschauung unerlässlich.

3. Der heilige Kampf im Islam

Die muslimischen Eroberungen werden arabisch als futuh oder futuhat bezeichnet.[5] Hergeleitet von der Wurzel des Verbes fataha („öffnen/erobern“) bedeutet dies nicht nur Eroberung im militärischen Sinne, weiter wird futuh auch mit der Bedeutung „Öffnung“ oder „Beginn“ verwendet. Die polyseme Verwendung des Wortes futuh impliziert ein ganz eigenes Selbstverständnis der islamischen Expansion. Um sich diesem Selbstverständnis nähern zu können, muss man zunächst die islamische Einteilung der Welt in zwei Zonen, das Gebiet des Islam (dar al-Islam) und das Gebiet des Krieges (dar al-harb), betrachten.

Als dar al-Islam wird jenes Gebiet bezeichnet, das bereits unter islamische Herrschaft gefallen ist, dar al-harb dagegen ist das gesamte Gebiet außerhalb des dar al-Islam, das es noch gilt der islamischen Herrschaft zu unterwerfen. Das höchste Ziel ist die Erreichung des Friedens, der nur unter der Herrschaft des Islam universal sein kann. Die Bezeichnung der Eroberungen als „Öffnung“ bzw. „Öffnung der Welt“ beschreibt somit die Öffnung der ungläubigen Welt für den Islam. Diese eindeutige Zweiteilung der Welt ließ dem Islam den Spielraum für eine zweifache Definition des Krieges.

Der Ğihad, von dem arabischen Verb ğahada („streben“) abgeleitet, bezeichnet die Pflicht eines jeden Muslims für den Erhalt der islamischen Gemeinschaft (Umma) und dessen Ausbreitung zu streben. Unter dem „Streben“ oder der „Anstrengung“ ist nicht zwangsläufig der bewaffnete Kampf gegen die Ungläubigen gemeint, eher steht das allumfassende Ringen um Wahrheit und Gerechtigkeit im Vordergrund. Bei einer differenzierten Betrachtung des Ğihad lassen sich insgesamt vier verschiedene Ebenen der „Anstrengung“ eines Muslims herausarbeiten. Zunächst die spirituelle Ebene, die den persönlichen Kampf gegen das Böse und die Sünde einschließt; die „mündliche Anstrengung“, zur Verurteilung von Ungerechtigkeiten und dem Einsatz für die Verbreitung der „Botschaft des Friedens“ kann mit dem Missionierungsgedanken im Christentum verglichen werden. Die beiden letzten Ebenen des Ğihad auferlegen einem Muslim die Pflicht aktiv gegen bestehendes Unrecht die Hand zu erheben und als Mittel dieses Ziel zu erreichen auch das Schwert zu erheben.[6]

Der Koran kennt sechs wichtige Wörter für die Bezeichnung von bewaffneten menschlichen Konflikten.[7] Mich werden besonders die beiden zentralen Begriffe harb und qital beschäftigen, wobei ich mich auf die für mich bisher am differenziertesten herausgearbeitete Definition von Bassam Tibi stütze.[8]

Die Verwendung der Worte qital und harb in der Lehre des Islam lassen eine eindeutige Einteilung des bewaffneten Kampfes in qital, als gerechten Kampf der Gläubigen und harb, als ungerechten, aggressiven Kampf der Ungläubigen zu. Qital, im Arabischen allgemein in der Bedeutung „Kampf“ oder „Bekämpfung“ verwendet, steht eindeutig im Kontrast zu dem eigentlichen Wort für politischen Krieg, harb. Der Koran kennt eine strikte Trennung zwischen der Bekämpfung, die alleine den Muslimen gegen die Ungläubigen vorbehalten ist, und der Aggression „Idwan“, die Teil des harb ist, der von den Ungläubigen geführt wird.[9] Eine Zweiteilung in dar al-Islam und dar al-harb impliziert somit schon die Unrechtmäßigkeit eines Kampfes der Ungläubigen, während die Notwendigkeit einer Diskussion über einen ggf. gerechten oder ungerechten Krieg der Gläubigen durch die Verwendung der beiden Begriffe qital und harb schon vorweggenommen wurde. Eine philosophische Grundlage um einen Krieg als gerecht einzustufen und diesen im Namen der Religion führen zu können, wie es im Christentum das Problem war, war im Islam nicht nötig.

Innerhalb der muslimischen Gemeinde stellte sich ein anderes Problem. In welchem Falle kann sich ein Kämpfer des jenseitigen Lohnes sicher sein? Konnten sich Seeräuber und Plünderer, die Kämpfe gegen Heiden führten, dem in Aussicht gestellten Lohn der Vergebung aller Sünden, der Edelsteinkrone und der 72 Jungfrauen im Paradies gewiss sein?[10]

Die Beteilgung an einem kriegerischen Unternehmen zur Zeit Mohammeds mochte im frühen Entwicklungsstadium des Islam noch ein Opfer dargestellt haben, während der Auszug zum Kampf in späteren islamischen Eroberungswellen in die reichen Provinzen Syriens, Mesopotamiens und Ägyptens die Aussicht auf Beute erheblich steigen ließ. In einer Zeit der Bedrohung des neuen Glaubens konnte Mohammed auf die Kampfkraft weniger, aber religiös überaus begeisterter Kämpfer zurückgreifen. Ein genau definierter Zusammenhang zwischen der niya (fromme Absicht) und dem göttlichen Lohn war in diesem frühem Stadium des Islam noch nicht zwingend notwendig, erst in den späteren Jahrhunderten setzten sich muslimische Gelehrte mit dem Zusammenhang der niya und des Paradieses auseinander.[11] Ohne die Vorraussetzung der niya selbst zu benennen verkündet Mohammed in mehreren Versen des Korans unter Einsatz eigenen Gutes und Lebens für die Sache Gottes zu kämpfen:

„Jedoch der Gesandte und die Gläubigen bei ihm eifern mit Gut und Blut, und sie – das Gute wird ihnen (zum Lohn), [...]“[12]

„Glaubet an Allah und an seinen Gesandten und eifert in Allahs Weg mit Gut und Blut. Solches ist gut für euch, so ihr es wisset. Er wird euch eure Sünden verzeihen und euch in Gärten führen, durcheilt von Bächen, und in gute Wohnungen in Edens Gärten. Das ist die große Glückseligkeit.“[13]

Das Opfer, dass ein Kämpfer für seinen Gott brachte sollte auch im Diesseits nicht unbelohnt bleiben. Eine Verteilung der Beute wurde von Mohammed genau festgelegt. Ein Kämpfer, ob er an den großen Kriegsunternehmungen der kaliphischen Heere teilnahm oder seinen persönlichen Ğihad führte, war verpflichtet 4/5 seiner Beute an den Kaliphen abzuführen. 1/5 der Beute konnte er als Kriegsbeute für sich selbst und seine Familie behalten.[14] Der abgeführte Teil der Beute sollte für das Gemeinwohl der muslimischen Gemeinschaft eingesetzt werden. So konnte durch die islamischen Eroberungen eine starke Förderung der Kultur und Wissenschaft erfolgen, die zu einer Stärkung des sunnitischen Islam und dessen kulturelle Überlegenheit über die abendländische Kultur des Mittelalters führte.

In Friedenszeiten, in der kein bewaffneter Ğihad geführt wurde, konnte unter vielen islamischen Herrschern ein reger Ausbau der religiösen Kultur und der Wissenschaften beobachtet werden. So auch unter den Ayyubiden vor und zur Zeit des dritten Kreuzzugs.[15] Die Förderung der Religiösität in Kunst, Kultur und Wissenschaft ist ein wesentlicher Teil des spirituellen Ğihad, vom Sufismus auch als der große Ğihad bezeichnet.

„Kein Klosterleben im Islam“, heißt es in einer Überlieferung (Hadith) des Propheten. Die asketische, zurückgezogene Lebensweise christlicher Mönche hat jedoch auch großen Einfluß auf den Islam gehabt. Die islamische Entsprechung war der geistige Ğihad, der sich nunmehr mit der Entwicklung des Sufismus in mehrere Pfade aufteilen sollte.[16]

Eine rege Entwicklung des Sufismus und der religiösen Kultur und Gelehrsamkeit in Friedenszeiten lässt deutlich eine komplexere Struktur des Ğihad erkennen, als eine Reduzierung auf den bewaffneten heiligen Kampf. Aufrufe Mohammeds zu einem geschlossenen Kampf aller Muslime entstand in der Zeit in Medina aus einer Minderheitsposition heraus; die Idee der Vereinigung der muslimischen Heere zu einem geschlossenen Kampf bestand jedoch auch im Mittelalter weiterhin. Ob Nur ad-Din oder Salah ad-Din, beide militärische Führer versuchten zuerst eine Vereinigung des zersplitterten muslimischen Territoriums herbeizuführen, bevor sie den Kampf gegen die Kreuzfahrer in der Levante aufzunehmen wagten.

3.2. Ğihad als sechste Säule des Islam?

Die Teilnahme am bewaffneten Ğihad hat in der frühen islamischen Geschichte, im wesentlichen zur Zeit des Auftretens des Propheten beinahe einen Pflichtcharakter angenommen. Verschiedene Stellen des Korans unterstreichen die Pflicht eines Muslims die Waffen zu erheben, für die Sache Gottes zu streiten und dem Propheten im Kampf beizustehen:

„So ihr nicht ausziehet (zum Kampf), wird er euch strafen mit schmerzlicher Strafe und ein andres Volk an eure Stelle setzen; und ihr schadet ihm in nichts, denn Allah hat Macht über alle Dinge“[17]

Die jeweiligen offenbarten Verse, die sich an die Gemeinde der Gläubigen als Aufruf zum Kampf richten, können jedoch nicht als grundsätzliche, theoretische Aussagen gewertet werden; eher stehen sie als Zeugnis der Zeitgeschichte in engem Zusammenhang mit den vorangegangenen oder noch absehbaren, folgenden Ereignissen. Einige Verse der Suren 3 und 47 wurden demnach anscheinend vor einer drohenden Niederlage am Berge Uhud und vor der Schlacht bei Badr offenbart.[18] Eine Offenbarung der Verse zeitgleich mit den Schlachten bei Badr und am Berge Uhud lassen vermuten, dass Mohammed im Augenblick der Verkündung die Absicht hatte alle Gläubigen geschlossen zum Kampf aufzufordern.

Auch wenn der Aufruf als universale Vorschrift gelten sollte, lässt die Kenntnis der an den Schlachten des frühen Islam beteiligten Anzahl der Krieger und die zunächst nur kleine Fläche des Kampfgebiets zur Zeit Mohammeds, die Schlussfolgerung zu, dass in späteren Jahrhunderten ein Aufruf zum geschlossenen Kampf der Muslime utopisch gewesen wäre. Ein Aufruf an die gesamte muslimische Gemeinde zum geschlossenen Kampf gegen die Kreuzfahrer in der Levante oder den vordringenden Christen auf der Iberischen Halbinsel wäre in einem Reich, dass sich von der Westküste Afrikas bis auf den indischen Subkontinent erstreckt, nahezu klanglos verhallt.

Eine militärische Solidarität innerhalb der weiträumig angesiedelten muslimischen Gemeinschaft kann jedoch an einem Ereignis aus dem 10. Jh. verdeutlicht werden. In der zweiten Hälfte des 10. Jh. strömten Glaubenskämpfer aller Regionen in der Stadt Tarsus zusammen um gegen den griechischen Erbfeind Byzanz zu ziehen. Aus den Landen jenseits des Oxus erreichten im Jahre 355 H. etwa 20.000 Glaubenskämpfer mit Kriegselefanten die Nordgrenzen des Buyidenreiches um ihre Unterstützung zu bringen. Sie forderten die Grundsteuer des gesamten Landes um den Unterhalt ihres Heeres zu bestreiten und beharrten auf die Zahlung, da diese für eine solche Notlage gesammelt wurde.[19]

Erst nach dem Tode des Propheten wurde die Frage um die Pflicht des Ğihad von muslimischen Theologen gelöst. Sie definierten ihn zwar weiterhin als Pflicht, betrachteten ihn jedoch als eine „Pflicht nach dem Modus der Genüge“, wonach jeder kampffähige Muslim die Pflicht hat, im Falle eines ungenügenden Aufgebotes an Soldaten zu den Waffen zu greifen. [20] In der Praxis wurde der bewaffnete Kampf zu einer Kollektivpflicht, wobei Gruppen oder einzelne Muslime stellvertretend für die gesamte Umma kämpften.[21]

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[1] Deuteronomium 32, 39-4

[2] Vgl. Carl Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzuggedankens, Darmstadt 1965, S. 27.

[3] Vgl. Bassam Tibi: Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, München 1999, S.106f.

[4] Henri Pirenne: Mohammed und Karl der Große, in: Pirenne, Henri: Mohammed und Karl der Große. Die Geburt des Abendlandes, Stuttgart und Zürich 1993, S. 95.

[5] Vgl. Gudrun Krämer: Geschichte des Islam, München 2005, S.30.

[6] Vgl. Albert B. Randall: Theologies of War and Peace among Jews, Christians and Muslims, New York 1998, S. 319-320.

[7] Fitna: interner Konflikt oder Bürgerkrieg; tha’a: Rache; qital: Kampf oder Bekämpfung; harb: Krieg (den jedoch nur die Ungläubigen führen); ġazw: Überfall oder Raubzug; ğihad: Kampf auf spiritueller und weltlicher Ebene. Vgl. hierzu: Randall: Theologies of War and Peace, S.317; Tibi: Kreuzzug, S.57.

[8] Vgl. Tibi: Kreuzzug, S. 76f.

[9] Vgl. Tibi: Kreuzzug, S. 73-85.

[10]Vgl. Albrecht Noth: Heiliger Krieg und heiliger Kampf in Islam und Christentum, Bonn 1966, S. 28f.

[11] Vgl. Noth: Heiliger Krieg, S.29-33.

[12] Sure 9, 89, in:, S. 196.

[13] Sure 61, 10-11, Ebd., S. 499.

[15] Vgl. Axel Havemann: Heiliger Kampf und Heiliger Krieg. Die Kreuzzüge aus muslimischer Perspektive, in: Peter Bruns/ Georg Gresser (Hrsg.): Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054-1204, Paderborn 2005, S.171.

[16] Vgl. Albert Hourani: Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt a. M. 1992, S. 103-111.

[17] Sure 9, 39, Ebd. S.191.

[18] Sure 3, 160f., Sure 47, 5, Ebd. S. 96f., 451. Vgl. auch Noth: Heiliger Krieg, S. 34.

[19] Vgl. Adam Mez: Die Renaissance des Islam, Heidelberg 1922, S. 303f.

[20] Vgl. Noth: Heiliger Krieg, S. 35.

[21] Vgl. Havemann: Heiliger Kampf, S.158.