Hier ein Bericht der befreundeten Journalistin Mona Sarkis für unseren Blog:
Dialog mit dem Anderen – so lautete das Motto der Palästina / Israel–Filmwoche, die vergangene Woche in München lief. Gezeigt wurden ältere und neuere Dokumentar- und Spielfilme aus Israel und Palästina. Darunter: der aktuelle Film des palästinensischen Regisseurs Rashid Masharawi, „Laila’s Birthday“, der den alltäglichen Wahn in der Westbank anhand eines Taxifahrers erzählt. Oder „Nuran“ aus dem Jahr 2008, das die Geschichte eines Mädchens verfolgt, das im Alter von acht Jahren von Palästina nach Israel entführt wurde. Sowie „9 Star Hotel“ von 2006, in dem der Israeli Ido Haar das erschütternd trostlose Schicksal von palästinensischen Bauarbeitern dokumentierte, die in der illegalen israelischen Siedlung Modi’in Illit in der Westbank versuchen, ihr Leben für ein paar Schekel zu fristen – und das insgeheim. Denn obgleich die Siedlung selbst illegal ist, werden sie von israelischen Siedlern und Polizisten verfolgt und in einer Pervertierung der Fakten zu Illegalen erklärt.
Veranstaltet wurde die Filmwoche u. a. von der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe in München – der vor ca. 20 Jahren ersten und, laut ihrem Mitinitiator Fuad Hamdan, bis dato deutschlandweit einzigen ihrer Art. Für den gebürtigen Palästinenser, der gemeinsam mit der Jüdin Judith Bernstein die Gruppe leitet, ist Dialog der einzige Weg zur Annäherung. Zwar halte er Israel für einen Apartheidsstaat und spreche sich für einen Boykott seiner Produkte auf wirtschaftlicher Ebene aus – doch wolle er kulturellen Annäherungen und Werken regierungskritischer und friedliebender Israelis, „die es ja auch gibt“, nicht Tür und Tor versperren.
Eine Ansicht, der Irit Neidhardt von mec-film, einer Vertriebsfirma für Filme aus dem Nahen Osten, grundsätzlich nichts entgegenzusetzen hat. Allerdings stellt die gebürtige Israelin mit Sitz in Berlin die Frage: „Was bringen die im Westen geführten Dialoge den Menschen vor Ort eigentlich?“
Die Antwort fällt Hamdan leicht: Nichts. Dazu genügt der Blick auf die „Weltpolitik“.
Allerdings stellt sich die generelle Frage, ob ein Dialogisieren „hier“ mit einem Dialogisieren „dort“ überhaupt zu vergleichen ist. Schließlich fällt die Annäherung im behaglichen Ambiente von Frieden und Sicherheit doch weit leichter als unter Raketen- und Bombenhagel…
Umso interessanter ist es daher, denen zuzuhören, die vor Ort über Dialoge und Brückenbauen auf kultureller Ebene debattieren. Beispielsweise jener Diskussion, die vergangenen November in der libanesischen Tageszeitung „Al-Akhbar“ entbrannt ist. Auslöser war die Veröffentlichung von dem Band „Madinah, City Stories from the Middle East“ im englischen Verlagshaus Comma Press, in den die Herausgeberin, die Libanesin Joumana Haddad, auch eine Anthologie des israelischen Schriftstellers Yitzhak Laor über Tel Aviv aufgenommen hatte.
Was hat Tel Aviv im Kontext von Geschichten über arabische Städte wie Bagdad, Beirut, Amman, Riad und Alexandria verloren, fragte der palästinensische Dichter Najwan Darwish in „Al-Akhbar“ und betitelte seinen wütenden Artikel mit „Die israelische Infiltration des arabischen Unterbewusstseins“ . Der Umstand, dass sich Laor gegen die Besatzungspolitik seines Landes ausspricht, dient in Darwishs Augen als bloßer Vorwand, um zu suggerieren, dass eine Normalisierung möglich sein - dass es nicht nur „normal“, sondern „natürlich“ sei (im Arabischen ähneln sich die Worte stark), wenn eine Stadt auftauche, die 1948 auf den Trümmern arabischer Städte errichtet wurde. Damit würde unterschwellig jener Neue Nahen Osten suggeriert, auf den Condoleeza Rice hingearbeitet habe. Ein Neuer Naher Osten, in dem sich die gewaltvolle israelische Besatzungs- und Expansionsmacht wie selbstverständlich auf die arabische Identität stülpe, dort ihren ganz natürlichen Platz habe.
Auch Laors Antwort wurde in „Al-Akhbar“ publiziert. Der israelische Dichter fragte, ob die Nichterwähnung Tel Avivs eine Lösung sei und die Stadt von der Landkarte verschwinden lasse. Es sei eine der tragischen Folgen der Besatzung, dass ein Dichter (wie Darwish), vom Schmerz derart blind geschlagen sei, dass er zu hoffen beginne, sein „Bruder“ müsse dasselbe Unglück erleiden, sprich, seine Heimat verlieren. Zudem fragte er, ob es etwa – je nach Bedarf - zwei arabische Diskurse gäbe? Einen, der von einer Ein-Staaten-Lösung spreche, aber diejenigen unerwähnt lasse, die für diesen gemeinsamen Staat von Palästinensern und Israelis kämpfen? (Wie er selbst). Ein laizistischer und demokratischer Staat, in dem Juden und Araber koexistieren, ohne einander zu dominieren. Und einen zweiten Diskurs, in dem jemand wie Darwish vorgeben könne, nichts über eine jüdische Existenz im Nahen Osten zu wissen.
Hierauf schaltete sich auch der Feuilletonchef von „Al-Akhbar“, Pierre Abi Saab, in die Debatte ein. Er wies daraufhin, dass Laor von einer arabischen und von einer jüdischen Identität spreche und somit Nationales und Religiöses auf eine Ebene stelle. Indem er von seiner (jüdischen) Identität Abstand nähme und von seinem Kontrahenten dasselbe verlange, lasse er die spezifische Situation eines unter Besatzung lebenden, kolonialisierten Volkes außer Acht. Wenn Darwish sich der Gegenwärtigkeit von Tel Aviv in der Region verweigere, so habe dies nichts mit einer rassistischen Ausgrenzung der Juden zu tun, sondern mit der Ablehnung einer Politik, die darauf abziele, die jüdische Präsenz zu etwas Natürlichem für die Araber zu machen.
In Laors Augen, fährt Abi-Saab fort, benehme sich Darwish wie ein auf sich selbst fokussierter Extremist, während er, Laor, seine Grenzen überschreite und kosmopolitisch auftrete. Gerade mit diesem Selbstverständnis aber müsse er die Situation Darwishs verstehen, anstatt ihm Lektionen zu erteilen. So solle er sein Werk fortsetzen und weiterhin gegen Besatzung und Ungerechtigkeit ankämpfen und den Tag abwarten, an dem es allen möglich sein werde, über „ihre“ Städte zu schreiben – als normale, freie und gleichgestellte Bürger.
Die Debatte zeigt die großen Empfindlichkeiten auf beiden Seiten und – die prinzipielle Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit eines Dialogs. Es stimmt, dass ein Mann wie Laor Beachtung auch von Arabern verdient. Und es stimmt auch, dass der arabische Schmerz, wie er schreibt, blind macht. Doch mit welchen Worten will man diesen Schmerz angesichts der israelischen Gewaltpolitik lindern?
Was nicht heißen soll, das wir hierzulande nicht weiterhin konstruktive Dialoge miteinander suchen sollten. Frei nach dem Motto: Andere Länder – andere Debatten…
5 Kommentare:
Zitat: "Zwar halte er Israel für einen Apartheidsstaat und spreche sich für einen Boykott seiner Produkte auf wirtschaftlicher Ebene aus – doch wolle er kulturellen Annäherungen und Werken regierungskritischer und friedliebender Israelis, „die es ja auch gibt“, nicht Tür und Tor versperren."
Wie ich finde eine Haltung die allen Interessierten Kritikern aller Seiten nahezulegen ist
"Was bringen die im Westen geführten Dialoge den Menschen vor Ort eigentlich? Die Antwort fällt Hamdan leicht: Nichts."
Vielleicht ist es, obwohl gelegentlich gut gemeint, trotzdem eher schädlich!?!?!?
Ein realistischer grober Rahmen für eine Friedenslösung steht seit Jahren fest.
Zudem interessieren sich die meisten Menschen nicht für den modernen Nahen Osten und versteht davon wahrscheinlich nicht mehr als von den Südseeinseln.
Die vordauernde Beschäftigung führt nur dazu, dass die radikaleren Positionen sich immer wieder in Erinnerung rufen könnten und so den Konflikt anheizen. Die israelischen nationalreligiösen Kreise bekommen zumindest zeitweilig Unterstützung von Evangelikalen sowie neuerdings von antiislamischen Kulturkämpfern. Palästinensische Militante seit jeher von der internationalen Linken und aktuell durch den Islamismus.
Manchmal glaube ich die Menschen vor Ort würden längst in Frieden leben, wenn der Konflikt eine Zeitlang komplett aus den Schlagzeilen verschwinden würde und nicht stattdessen immer wieder von eigentlich Unbeteiligten der übleren Sorte (Staaten und Personen) angeheizt würde.
Ist ja nett:
Israelis werden allenfalls geduldet, falls sie die Verleumdungen gegen den Staat Israel teilen.
Und uns wird das als Entgegenkommen angepriesen?!
Das war mein Text, ich habe zu schnell geklickt. Sorry
Wieso Verleumdungen, Ruth?
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