In einer Fernsehansprache kündigte Mahmoud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), am 5. November 2009 an, bei der Präsidentschaftswahl im Januar nächsten Jahres nicht mehr zu kandidieren. Dem voraus ging ein Entgegenkommen Amerikas zugunsten Israels.
Vor allem Hillary Clintons Erklärung während ihrer ersten langen Nahost-Reise, Verhandlungen sollten „ohne Vorbedingungen“ aufgenommen werden, empörte Abbas. Damit rückt Amerika von seiner alten Position ab, denn Barack Obama forderte Israel nach seinem Amtsantritt auf, den Siedlungsbau komplett einzustellen, um den Weg für umfassende Friedensverhandlungen freizumachen. Obwohl die Bautätigkeiten in den Siedlungen die der vergangenen Monate sogar übersteigen – derzeit befinden sich über 3000 Wohneinheiten im Bau – bat Clinton Abbas nun, Friedensgespräche auch ohne diese Vorbedingung aufzunehmen. Diese Aufforderung zeugt einerseits von mangelnder amerikanischer Durchsetzungskraft in Israel und andererseits von geringer Kenntnis über die politische Situation in der PA. Abbas, der ohnehin mit dem Vorwurf seiner Gegner leben muss eine Marionette der USA und Israels zu sein, würde sich mit solch einem Zugeständnis endgültig ins Abseits manövrieren und somit der Hamas den Weg zur Macht über ganz Palästina ebnen. Das kann weder im amerikanischen noch im israelischen Interesse sein.
2005 wurde Abbas mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten gewählt und trat damit das schwere Erbe Yasser Arafats an. Sein Ziel, Arafats Lebenswerk eines souveränen Staates Palästina zu vollenden, erreichte er nicht. Vielmehr war seine Amtszeit von der inneren palästinensischen Spaltung geprägt, die 2007 in militärischen Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas im Gazastreifen ihren Höhepunkt erreichte. Alle Versuche, die politische Einheit wieder herzustellen scheiterten. Als Abbas kürzlich den Wahltermin im Alleingang bekannt gab, kündigte die Hamas einen Wahlboykott an. Da seine auf vier Jahre angesetzte Amtszeit bereits im Januar ablief, streitet die Hamas seiner Präsidentschaft bereits seit längerem jegliche Legitimität ab.
Der Rückhalt des 74-jährigen Abbas bröckelte zuletzt weiter, als er der ausdrücklichen Bitte Washingtons nachkam und den Goldstone-Bericht, der Kriegsverbrechen der israelischen Armee im letzten Gazakrieg auflistet, verzögert an die UN-Vollversammlung weiterleitete.
Nun fühlt sich Abbas durch die neuen amerikanischen Zugeständnisse an Israel zu Recht gedemütigt, denn für einen überzeugenden Wahlkampf hätte er zumindest faire und Erfolg versprechende Friedensverhandlungen im Gepäck haben müssen. Und ein gutes Wahlergebnis wäre dann zugleich ein starkes Verhandlungsmandat für Abbas in den Friedensgesprächen gewesen.
Mit der Ankündigung seines Rücktritts spielt Abbas nun seine letzte Trumpfkarte aus, denn seine möglichen Nachfolger könnten sich aus israelischer Sicht als wesentlich schwierigere Verhandlungspartner erweisen und ein Frieden in Nahost in weite Ferne rücken lassen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass sich Abbas noch umstimmen lässt, falls Obama, der seinen Friedensnobelpreis nicht zuletzt wegen einer neuen Nahostpolitik verliehen bekam, doch noch Druck auf Israel ausübt und Abbas in seinen Forderungen entgegenkommt. Dennoch stellt sich nun immer dringender die Frage seiner Nachfolge.
Als Arafat starb, gab es kaum Zweifel daran, wer ihn beerben würde. Abbas ist ein Gründungsmitglied von Fatah und PLO, war ein ständiger Weggefährte Arafats und gilt als Architekt der Osloer Verträge. Diese beispiellose Vita machte ihn bei der Präsidentschaftswahl 2005 zum selbstverständlichen Kandidaten. Allerdings hat Abbas während seiner Amtszeit keinen Kronprinzen aufgebaut, so dass das Rennen um seine Nachfolge völlig offen ist. Zum engeren Favoritenkreis gehört unter anderem Fatah-Veteran Marwan Barghouti, der schon beim letzten Fatah-Kongress im August als Nachfolger Abbas' als Chef der PLO im Gespräch war. Er wäre sicher die spektakulärste Wahl, schließlich ist er vom militärischer Führer während der Al-Aqsa-Intifada (die im September 2000 ausbrach, als Ariel Sharon während seines Wahlkampfes den Tempelberg in Jerusalam betrat) zum heute populärsten palästinensischen Politiker aufgestiegen. Nach seiner Verhaftung 2002 wurde Barghouti zu fünfmal Lebenslänglich verurteilt und muss seitdem seine Führung aus einem israelischen Gefängnis heraus organisieren. Seine Wahl brächte vor allem der PLO den Vorteil, dass sie wieder einen charismatischen und populären Präsidenten stellen könnte. Und die Fatah könnte sich wieder den Anschein einer Widerstandsbewegung geben – ein entscheidendes Argument gegenüber der Hamas, die ihrerseits seit den Osloer Verträgen das Monopol auf den Widerstand gegen Israel für sich beansprucht.
Auch Mustafa Barghouti, ein ferner Cousin Marwans, wäre ein interessanter Nachfolger. Er ist wie Abbas davon überzeugt, dass der Nahostkonflikt nur friedlich und durch Verhandlungen zu lösen ist, besitzt zudem Charisma und weiß zu überzeugen. Am 28. Oktober 2009 trat er in der Sendung des beliebten US-Komikers Jon Stewart „The Daily Show“ zusammen mit der israelischen Friedensaktivistin Anna Baltzer auf, um seinen versöhnlichen Friedenskurs vorzustellen. Mustafa Barghouti bewarb sich als Spitzenkandidat der Liste "Unabhängiges Palästina" bereits 2005 um das Präsidentenamt und landete mit etwa 20% der Stimmenauf dem zweiten Platz hinter Mahmoud Abbas.
Salam Fayad, der gegenwärtige Ministerpräsident der palästinensischen Notregierung, gilt zwar als Reformer. Ihm aber fehlt es nicht nur an Ausstrahlung, sondern auch am nötigen Rückhalt in der PLO. Er verdankt seine gegenwärtige Position eigentlich nur der Gunst Mahmoud Abbas' und besitzt daher bestenfalls Außenseiterchancen.
Zu nennen wäre schließlich noch der ehemalige Fatah-Sicherheitschef in Gaza, Mohammad Dahlan. Er gilt als ehrgeizig und machtbewusst, doch haftet ihm der Makel an, Gaza an die Hamas verloren zu haben. Versöhnungsgespräche mit Hamas unter seiner Führung erscheinen schwer vorstellbar.
Es ist aber auch gut möglich, dass im Januar gar keine Wahlen stattfinden werden und Abbas auf diese Weise weiter im Amt bleibt. Denn nachdem die Verhandlungen zwischen Fatah und Hamas um eine Einheitsregierung trotz intensiver diplomatischer Bemühungen Ägyptens und Deutschlands gescheitert waren, hat die Hamas angekündigt, die Wahlen zu boykottieren. Konkret hieße das, dass der von der Hamas regierte Gazastreifen an den Wahlen nicht teilnehmen würde, was eine weitere Zementierung der palästinensischen Teilung zur Folge hätte. Die PLO wird sich auf eine Wahl, die nur im Westjordanland stattfinden kann, kaum einlassen.
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7 Kommentare:
Danke für diesen gelungenen Artikel.
Eine Frage hätte ich:
Welche Taten der israelischen Regierung bringen einen zu der Ansicht,daß diese erfolgreiche Friedensgespräche will? Ist nicht eher das Gegenteil der Fall?
Gruß,
Iqbal.
Ich denke auch, dass Netanjahus Regierung kein großes Interesse an ernsthaften Friedensverhandlungen hat. Mit einem handzahmen Palästinenserpräsidenten ließ es sich bislang gut leben. Zudem hat Netanjahu mehrmals viele strittige Punkte als unverhandelbar erklärt. Dazu gehört der Status Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels und die Ablehnung einer Rückkehr der Flüchtlinge. Aber ein Rücktritt Abbas' birgt aus israelischer Sicht das Risiko, dass die Palästinenser sich eine radikalere Führung wählen, die sich eventuell vom Gewaltverzicht verabschiedet. Abbas könnte also mit seiner Rücktrittsdrohung noch einmal Bewegung in die israelische und amerikanische Position bringen.
Danke für den spannenden Artikel!
Zu den Kandidaten:
Marwan Barghouthi wäre wohl ein vielversprechender Kandidat, da er sich in der gesamten palästinensischen Bevölkerung - auch unter Hamas-Sympathisanten - großer Populariät erfreut. Erstmal muss er allerdings freigelassen werden...
Der sich für eine friedliche Lösung einsetzende Moustafa Bargouthi ist zwar "Everybody's Darling" im Westen und eine charismatische Persönlichkeit, es fehlt ihm allein an Rückhalt in den eigenen Reihen. Zwar konnte er bei den Präsidentschaftswahlen mit 20% ein sehr gutes Ergebnis erringen, seine al-Mubadara-Bewegung stürzte bei den darauf folgenden Parlamentswahlen jedoch böse ab. Schade angesichts der Tatsache, dass sich einige fähige Aktivisten in der Bewegung zusammengefunden haben.
Bezüglich Fayyad kann ich nur zustimmen!
Dahlan als Präsidenten der PA halte ich für wenig realistisch und vor allem für irrsinnig, da er von Teilen der Bevölkerung regelrecht gehasst wird. Kein Wunder angesichts des autoritären Systems, dass er in Gaza etabliert hatte und dass sich nicht zuletzt gegen die HAMAS gerichtet hatte. Gleichwohl hat der Fatah-Parteitag im Sommer bewiesen, dass Dahlan innerhalb der Fatah über großen Einfluss verfügt. Für die angestrebte Nationale Einheit gäbe es aber kaum einen schlechteren Kandidaten.
Vielen Dank für die interessanten Ergänzungen, denen ich voll zustimme. Nur finde ich, dass Marwan Barghouthi auch dann zum Präsidenten gewählt werden könnte, wenn er nicht zuvor frei käme. Denn wollen die USA weiterhin Frieden in Nahost erreichen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Israel zur Freilassung des palästinensischen Präsidenten zu bewegen. Wie du sagst, er hätte durch sein hohes Ansehen in beiden politischen Lagern das Potential, schmerzhafte Entscheidungen, die Friedensverhandlungen mit sich bringen würden, auch durchzusetzen.
Guter und berechtigter Punkt!
Hallo Herr Felsch,
die Politik der Israelis scheint aufzugehen. Die Palästinenser sind untereinander zerstritten. Präsident Abbas kann also lediglich für die Palästinenser sprechen, die nicht im Gaza-Streifen leben. Damit ist eine zeitnahe Lösung für einen Palästinenster Staat in weite Ferne gerückt. Diese Zeit kann Israel nutzen, um durch weiteren Siedlungsbau das Palästinensergebiet weiter zu zersiedeln und Unmut unter den Palästinensern zu schüren und einem völlig frustirierten Präsidenten Abbas seine Machtlosigkeit zu demonstrieren. Sehen Sie das anders? Würde gerne darüber mit Ihnen diskutieren.
Schöne Grüße
Norbert Wenger
Lieber Herr Wenger,
Sie beschreiben die Lage und das Dilemma der Palästinenser ganz trefflich. Natürlich schwächt eine gespaltene Führung die palästinensische Seite im Nahostkonflikt. Was ist aus israelischer Sicht ein Friedensvertrag wert, wenn er nur die Unterschrift Abbas' trägt? Und es ist auch richtig, dass Israel durch den ungebremsten Siedlungsbau weiterhin Tatsachen schafft, die dann später einmal auf dem Verhandlungstisch landen könnten. Somit stärkt Israel seine Verhandlungsposition unaufhörlich.
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