Von Kathrin Hagemann, die mit ihrer Türkei-Expertise in Zukunft die alsharq-Familie bereichern wird.
Pflege strategischer muslimischer Allianzen, offener Widerspruch zu EU-Positionen nebst Seitenhieben gegen Israel: in der Affäre um den Türkei-Besuch des sudanischen Staatspräsidenten Omar al-Bashir spiegeln sich die Gratwanderungen türkischer Außenpolitik. Von der türkischen Presse erntet Recep Tayyip Erdoğan den Titel „Elefant im Porzellanladen“. Was ein Völkermord eigentlich ist, darum scheint es nicht zu gehen.
Pflege strategischer muslimischer Allianzen, offener Widerspruch zu EU-Positionen nebst Seitenhieben gegen Israel: in der Affäre um den Türkei-Besuch des sudanischen Staatspräsidenten Omar al-Bashir spiegeln sich die Gratwanderungen türkischer Außenpolitik. Von der türkischen Presse erntet Recep Tayyip Erdoğan den Titel „Elefant im Porzellanladen“. Was ein Völkermord eigentlich ist, darum scheint es nicht zu gehen.
Acht Monate ist es her, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) einen Haftbefehl gegen Omar al Bashir ausstellte – wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 9.11. nun sollte der Staatschef Sudans zur Tagung des Ständigen Komitees für Wirtschafts- und Handelszusammenarbeit (COMCEC) der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) in Istanbul reisen. Man werde al-Bashir in der Türkei nicht festnehmen, bestätigte Staatspräsident Abdullah Gül im Voraus. Er und Premierminister R. Tayyip Erdoğan verteidigten diese Haltung gegen scharfe Kritik aus In- und Ausland – bis al Bashir seinen Besuch einen Tag vor Beginn des Gipfels selbst absagte.
Es sind Aktivitäten wie das COMCEC-Treffen, die derzeit in Westeuropa die Meinung - beziehungsweise Befürchtung - bestärken, die Türkei wende sich nun verstärkt nichteuropäischen Partnerländern zu. Mit 52 Mitgliedsstaaten reicht der OIC-Verbund von Albanien bis Mozambik, von Surinam bis Indonesien, während zu den Beobachterstaaten unter anderem Bosnien-Herzegowina und Russland zählen. Die prominentesten Gäste der COMCEC-Tagung waren denn auch die Staatschefs Syriens und des Iran, Bashar al Assad und Mahmud Ahmadinedjad.
Abdullah Gül relativierte die Diagnose einer türkischen Abkehr von Europa: „komplementär“, nicht einander entgegengesetzt, seien die Beziehungen zur Europäischen Union und die Zusammenarbeit innerhalb des COMCEC. Die Aufforderung von Seiten der EU und der USA, den Besuch al-Bashirs zu überdenken, bezeichnete er jedoch als „Einmischung“ - es handele sich zudem nicht um ein bilaterales Treffen, man sei nur Gastgeberland der Konferenz. Als Nichtunterzeichnerin des Rom-Statuts zur Anerkennung des ICC, sei die Türkei nicht zur Festnahme und Auslieferung al Bashirs verpflichtet.
Weiter ging Premierminister Erdoğan, der in einer Fernsehsendung erklärte, als Muslim könne Omar al Bashir keinen Völkermord begangen haben: „Gaza und Darfur darf man nicht miteinander verwechseln. In Gaza wurden 1.500 Menschen umgebracht. Wenn so etwas in Darfur passierte, würden wir darauf reagieren“. Angesichts der UN-Schätzung von über 300.000 Toten im weiterhin andauernden Darfur-Konflikt, ist dieses Statement kaum als Argument, sondern als Unterstreichung der türkischen Position zu Israel zu lesen, wie auch Erdoğans weitere Bemerkung beweist: „Mit Netanyahu kann ich darüber ja nicht reden. Aber mit al-Bashir kann ich das in Ruhe besprechen, ich kann ihm ins Gesicht sagen: 'Was ihr da getan habt, ist falsch'“.
Die letztendliche Absage von al-Bashirs Besuch – es wurde spekuliert, sie sei vom türkischen Außenministerium veranlasst worden – änderte wenig an der Empörung der Zivilgesellschaft und der Kritik aus breiten Teilen der Presse. Der Verein für Menschenrechte (İnsan Hakları Derneği) und die Coalition for ICC forderten die Auslieferung des sudanischen Staatsoberhauptes, die auch nach dem türkischen Strafgesetzbuch veranlassbar sei. Während pragmatische Stimmen die Glaubwürdigkeit der Türkei als Mitglied des UN-Sicherheitsrates gefährdet sehen, ist in der liberalen Zeitung Radikal von „Scham“ die Rede. Erdoğan wird als diplomatischer „Elefant im Porzellanladen“ bezeichnet; der Kolumnist Deniz Zeyrek fordert: „Von einem Ministerpräsidenten, der den Tod von 200 Uiguren in Xinjiang, die Ermordung 1400 unschuldiger Palästinenser_innen „Genozid“ nennen kann, müssen wir gegenüber al Bashir, auf dessen Befehl mindestens 200 000 Menschen umgebracht wurden, das selbe Verhalten erwarten können.“ Gülay Göktürk, eine Kolumnistin der englischsprachigen Today's Zaman, vertritt eine andere Sicht: „Wir wissen, dass die westliche Öffentlichkeit dies nur als einen weiteren Beweis dafür ansehen wird, dass die Türkei sich dem Westen ab- und dem Islam zuwendet. Sollte unsere Außenpolitik durch ein System aus Ungereimtheiten und Prinzipienlosigkeit bestimmt werden […], das allgemein 'Realpolitik' genannt wird – oder werden wir dem Weg folgen, von dem wir wissen, dass es der Richtige ist, uns an die Seite der Unterdrückten und gegen die Tyrannen stellen? Wir haben immer gewonnen, wenn wir letzteres getan haben.“
Das ist eine türkische Perspektive auf den türkischen Sonderweg, dessen Kurs derzeit mit regionalen Partnerschaften ohne westeuropäische Beteiligung liebäugelt. Die Angst, die EU habe die Türkei „verloren“, ist mit Sicherheit überzogen – wenn auch aufschlussreich in Bezug auf europäische Interessen. Größere Besorgnis erregen sollte es aber, dass der Kriegsverbrecher Omar al Bashir seit Ausstellung seines Haftbefehles schon einige Auslandsreisen unternehmen konnte – und um der muslimischen und arabischen Solidarität willen von vielen Staaten die Garantie erhielt, nicht festgenommen zu werden. Gegen-Seilschaften, um europäisch-westlicher Dominanz stand halten zu können, um den Preis der Duldung eines Genozids? Offenbar. Dass das politische Gewicht des Begriffes „Völkermord“ eher als die Tat selbst von Belang ist, wird auch daran sichtbar, dass niemand auf die Assoziation anspielte, die der Begriff im türkischen Kontext unweigerlich auslöst.
Es sind Aktivitäten wie das COMCEC-Treffen, die derzeit in Westeuropa die Meinung - beziehungsweise Befürchtung - bestärken, die Türkei wende sich nun verstärkt nichteuropäischen Partnerländern zu. Mit 52 Mitgliedsstaaten reicht der OIC-Verbund von Albanien bis Mozambik, von Surinam bis Indonesien, während zu den Beobachterstaaten unter anderem Bosnien-Herzegowina und Russland zählen. Die prominentesten Gäste der COMCEC-Tagung waren denn auch die Staatschefs Syriens und des Iran, Bashar al Assad und Mahmud Ahmadinedjad.
Abdullah Gül relativierte die Diagnose einer türkischen Abkehr von Europa: „komplementär“, nicht einander entgegengesetzt, seien die Beziehungen zur Europäischen Union und die Zusammenarbeit innerhalb des COMCEC. Die Aufforderung von Seiten der EU und der USA, den Besuch al-Bashirs zu überdenken, bezeichnete er jedoch als „Einmischung“ - es handele sich zudem nicht um ein bilaterales Treffen, man sei nur Gastgeberland der Konferenz. Als Nichtunterzeichnerin des Rom-Statuts zur Anerkennung des ICC, sei die Türkei nicht zur Festnahme und Auslieferung al Bashirs verpflichtet.
Weiter ging Premierminister Erdoğan, der in einer Fernsehsendung erklärte, als Muslim könne Omar al Bashir keinen Völkermord begangen haben: „Gaza und Darfur darf man nicht miteinander verwechseln. In Gaza wurden 1.500 Menschen umgebracht. Wenn so etwas in Darfur passierte, würden wir darauf reagieren“. Angesichts der UN-Schätzung von über 300.000 Toten im weiterhin andauernden Darfur-Konflikt, ist dieses Statement kaum als Argument, sondern als Unterstreichung der türkischen Position zu Israel zu lesen, wie auch Erdoğans weitere Bemerkung beweist: „Mit Netanyahu kann ich darüber ja nicht reden. Aber mit al-Bashir kann ich das in Ruhe besprechen, ich kann ihm ins Gesicht sagen: 'Was ihr da getan habt, ist falsch'“.
Die letztendliche Absage von al-Bashirs Besuch – es wurde spekuliert, sie sei vom türkischen Außenministerium veranlasst worden – änderte wenig an der Empörung der Zivilgesellschaft und der Kritik aus breiten Teilen der Presse. Der Verein für Menschenrechte (İnsan Hakları Derneği) und die Coalition for ICC forderten die Auslieferung des sudanischen Staatsoberhauptes, die auch nach dem türkischen Strafgesetzbuch veranlassbar sei. Während pragmatische Stimmen die Glaubwürdigkeit der Türkei als Mitglied des UN-Sicherheitsrates gefährdet sehen, ist in der liberalen Zeitung Radikal von „Scham“ die Rede. Erdoğan wird als diplomatischer „Elefant im Porzellanladen“ bezeichnet; der Kolumnist Deniz Zeyrek fordert: „Von einem Ministerpräsidenten, der den Tod von 200 Uiguren in Xinjiang, die Ermordung 1400 unschuldiger Palästinenser_innen „Genozid“ nennen kann, müssen wir gegenüber al Bashir, auf dessen Befehl mindestens 200 000 Menschen umgebracht wurden, das selbe Verhalten erwarten können.“ Gülay Göktürk, eine Kolumnistin der englischsprachigen Today's Zaman, vertritt eine andere Sicht: „Wir wissen, dass die westliche Öffentlichkeit dies nur als einen weiteren Beweis dafür ansehen wird, dass die Türkei sich dem Westen ab- und dem Islam zuwendet. Sollte unsere Außenpolitik durch ein System aus Ungereimtheiten und Prinzipienlosigkeit bestimmt werden […], das allgemein 'Realpolitik' genannt wird – oder werden wir dem Weg folgen, von dem wir wissen, dass es der Richtige ist, uns an die Seite der Unterdrückten und gegen die Tyrannen stellen? Wir haben immer gewonnen, wenn wir letzteres getan haben.“
Das ist eine türkische Perspektive auf den türkischen Sonderweg, dessen Kurs derzeit mit regionalen Partnerschaften ohne westeuropäische Beteiligung liebäugelt. Die Angst, die EU habe die Türkei „verloren“, ist mit Sicherheit überzogen – wenn auch aufschlussreich in Bezug auf europäische Interessen. Größere Besorgnis erregen sollte es aber, dass der Kriegsverbrecher Omar al Bashir seit Ausstellung seines Haftbefehles schon einige Auslandsreisen unternehmen konnte – und um der muslimischen und arabischen Solidarität willen von vielen Staaten die Garantie erhielt, nicht festgenommen zu werden. Gegen-Seilschaften, um europäisch-westlicher Dominanz stand halten zu können, um den Preis der Duldung eines Genozids? Offenbar. Dass das politische Gewicht des Begriffes „Völkermord“ eher als die Tat selbst von Belang ist, wird auch daran sichtbar, dass niemand auf die Assoziation anspielte, die der Begriff im türkischen Kontext unweigerlich auslöst.
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