von Ray Smith
Mehr als zwei Jahre nachdem ihr Flüchtlingslager in einem Krieg zwischen der libanesischen Armee und der militanten islamistischen Gruppe Fatah al-Islam völlig zerstört wurde, wohnten Nahr al-Bareds Flüchtlinge diesen Mittwoch dem Beginn des Wiederaufbaus bei. Ihre Erleichterung vermischte sich aber mit Skepsis.
Gegründet im Jahr 1949, wurde das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared in der nordlibanesischen Akkar-Region zum Wohnort von mehr als 30.000 Menschen. Im Sommer 2007 wurde das Camp total zerstört, als die libanesische Armee gegen eine gut bewaffnete, größtenteils nicht-palästinensische Gruppe von Militanten kämpfte, welche sich im Nahr al-Bared breit gemacht hatten.
Noch während des 15-wöchigen Krieges bildete sich eine Kommission von BasisaktivistInnen. Im Frühjahr 2008 legte diese einen Masterplan für den Wiederaufbau des Camps vor, welcher von der libanesischen Regierung und der UNO-Hilfsorganisation für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) abgesegnet wurde.
Die Räumung des Schutts und die eigentliche Wiederaufbau-Arbeit verzögerte sich allerdings immer wieder. Im Frühling 2009 wurde in einer von Lobreden flankierten Zeremonie der Grundstein für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds gelegt. Das geräumte Gelände blieb aber beinahe unberührt. Als im Sommer 2009 die Arbeit endlich begann, reichte der Anführer der Freien Patriotischen Bewegung und vormalige General Michel Aoun Beschwerde gegen den Regierungsentscheid zum Wiederaufbau Nahr al-Bareds ein und der libanesische Staatsrat verfügte eine zweimonatiges Baumoratorium.
In den frühen Morgenstunden des 25. Novembers verfolgten schließlich VertreterInnen der UNRWA und verschiedener palästinensischer Parteien und Organisationen sowie eine Anzahl Flüchtlinge aus Nahr al-Bared unter Bewachung libanesischer Soldaten aufmerksam die Betonierung des Fundamentes für das erste zu errichtende Gebäude.
Mahmoud Eshtawi, Vater zweier Söhne, lebt seit eineinhalb Jahren mit seiner Familie in einer 18m² großen Stahlbaracke am Rande Nahr al-Bareds. Gegenwärtig hat er bloß einen Job: Zweimal täglich fährt er den Bus eines lokalen Kindergartens. Er fühlt sich erleichtert: „Wir leben in unseren Baracken unter sehr schweren Bedingungen. Was ich heute sah gibt mir ein gutes Gefühl und Hoffnung, dass das Camp wieder aufgebaut wird.“ Seine Schwester Manal nickt: „Ich bin froh. Obwohl ich nicht weiß, wie lange es dauern wird bis es soweit ist, habe ich Hoffnung, nach Hause zurückzukehren. Unsere Rückkehr ist das Wichtigste.“
Die wiederholten Verzögerungen während der letzten beiden Jahre führten zu einem weit verbreiteten Pessimismus unter Nahr al-Bareds Flüchtlingen. „Von Beginn weg bis heute hatten wir zahlreiche Hindernisse und Aufschübe zu bewältigen. Wir hätten das Camp innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre wieder aufbauen können,“ sagt Abu Khaled Freji. Er arbeitet seit deren Gründung bei der Wiederaufbaukommission Nahr al-Bareds (NBRC). Freji erklärt, dass besonders jene Vertriebenen, die in Garagen und Baracken wohnen, sich oft betrogen und angelogen fühlten und fügt an: „Dies ist bloß der Anfang, nichts mehr. Wir schwanken seit langem zwischen Hoffnung und Frustration. In einer sehr schwierigen und anstrengenden Situation lebend bin ich vorsichtig, mich überschwänglich zu freuen bloß weil sie heute ein wenig betoniert haben.“
Der Zugang zum äußeren Bereich Nahr al-Bareds wie auch zur Baustelle wird nach wie vor von der libanesischen Armee kontrolliert. Amr Saededine, ein Journalist, der die Entwicklungen in Nahr al-Bared aufmerksam verfolgt, deutet auf die libanesische Armee als großes Hindernis für den Wiederaufbau-Prozess. „Die Armee mischt sich überall ein. Sie erklärte Nahr al-Bared zur Militärzone. Aber dies hier ist ein ziviles Gebiet, keine Armeebasis!“
Saededine sagt, die libanesische Armee habe immer wieder Änderungen des Masterplans für den Wiederaufbau verlangt. „Anfangs wollte die Armee beispielsweise keine Balkone für die Häuser zulassen. Zudem bestand sie darauf, dass alle Straßen so breit sein würden, dass sie mit Panzern befahren werden können.“
Die Finanzierung des Wiederaufbaus Nahr al-Bareds bleibt derweil eine weitere offene Frage. Die UNRWA konnte bislang bloß etwa einen Drittel der benötigten 328 Millionen Dollar auftreiben. Vergangene Woche besuchten VertreterInnen von rund einem Dutzend Spenderorganisationen Nahr al-Bared. UNRWA-Vertreter haben neulich ihren Optimismus kundgetan, dass mit dem Beginn des Wiederaufbaus und der Bildung des libanesischen Kabinetts die Spenderfreudigkeit steigen sollte.
Aufgrund der Belagerung des Flüchtlingslagers durch die libanesische Armee und der Zerstörung der Geschäfte und Unternehmen hat die Arbeitslosigkeit in Nahr al-Bared ein dramatisches Ausmaß angenommen. Am Mittwoch verspürten aber viele junge Männer Hoffnung. Mohammed Eshtawi hat die letzten beiden Jahre vor allem mit Kaffeetrinken und Rumsitzen verbracht, da er kaum eine Möglichkeit fand, einer Arbeit nachzugehen und ein wenig Geld zu verdienen. Seine Stimmung ist nun verhalten optimistisch. „Wir haben lange auf den Beginn des Wiederaufbaus gewartet. Ich hoffe, dass viele von uns beim Wiederaufbau Arbeit finden,“ sagt Eshtawi. „Es ist ein langes Unterfangen. Ich hoffe, dass mein Vater und ich dort angestellt werden.“
Die englische Originalversion dieses Beitrags wurde hier von IPS veröffentlicht.
Ray Smith ist ein Aktivist des autonomen Medienkollektivs "a-films". Das Kollektiv arbeitet seit zweieinhalb Jahren in Nahr al-Bared und hat auf seiner Website rund ein Dutzend Kurzfilme aus dem Camp veröffentlicht.
Samstag, 28. November 2009
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