Mittwoch, 12. Juli 2006

Italien vs Frankreich 6:4 - die verteidigte Ehre des Zinedine Zidane

Große Spiele werden von großen Spielern entschieden, heißt es - der entscheidende Spieler beim WM-Finale 2006 war einer der Größten aller Zeiten, Zinedine Zidane.

Der Reihe nach: Nach einer mäßig aufregenden Schlussfeier mit dem Auftritt der hüftenschwingenden Halb-Libanesin Shakira war die Bühne bereitet für das Finale der Fussball-Weltmeisterschft 2006 im Berliner Olympiastadion. Mit Italien und Frankreich standen sich zwei Mannschaften aus dem erweiterten Favoritenkreis gegenüber, die sich nach eher mäßigen Start im Turnierverlauf steigerten.

Der Großteil der Zuschauer stand auf Seiten der Franzosen, die Italiener hatten sich nach mindestens zwei verschobenen Serie-A-Meisterschaften, dem Ellbogencheck von de Rossi im Spiel gegen die USA, Grossos Schwalbe in der Nachspielzeit gegen Australien und der zwielichtigen Rolle der italienischen Medien bei der Sperre gegen Frings längst unmöglich gemacht. Die Sympathien der deutschen Stadionbesucher lagen eindeutig bei dem Team aus Frankreich und besonders bei ihrem Kapitän und Spiritus Rector Zinedine Zidane, der sein Team quasi im Alleingang ins Berliner Finale geführt und für einige der wenigen spielerischen Höhepunkte bei dieser WM gesorgt hatte.

An dieser Stelle möchte ich übrigens Abbitte leisten. Ich hatte im Bericht zum Halbfinale behauptet, Zidane sei der letzte verbliebene Muslim im Turnier. Das stimmt nicht. Sein Mannschaftskamerad und möglicher Nachfolger als Spielgestalter, Franck Ribery, konvertierte vor einigen Jahren zum Islam. Er ist mit einer gebürtigen Marokkanerin verheiratet und trägt seit seinem Übertritt zum Islam den Namen Bilal. Gegenüber der französischen Sportzeitung "L´Équipe" erkärt Ribery: "Der Islam ist meine Quelle der Kraft auf dem Spielfeld und außerhalb. Ich war bestrebt meinen Frieden zu finden und habe schließlich den Islam gefunden." Mit seiner Konversion zum Islam steht Ribery im französischen Fußball keinesfalls allein da. Auch der nicht im WM-Aufgebot berücksichtigte Nicolas Anelka konvertierte zum Islam, ebenso wie der französische Trainer Philippe Troussier, der am 17.März diesen Jahres in Casablanca offiziell zum Islam übertrat.

Doch nun zurück zum Spiel:Insgesamt mögen vielleicht 15000 Italiener und knapp 20000 Franzosen im Stadion gewesen - der Rest der Besucher kam aus aller Herren Länder. Völlig ungeahnter Popularität scheinen übrigens sich "The White Stripes" in Italien zu erfreuen, denn praktisch jeder Fangesang der Tifosi folgte dem Rhythmus des Gitarrenmotivs aus "Seven Nation Army". In den ersten Minuten herrschte praktisch infernalischer Lärm jeodch nur in der Kurve der Franzosen - dieser sollte sich nach sieben Minuten weiter erhöhen, als Zizou nach Foul an Florent Malouda per Elfmeter das 1:0 für die Equipe Tricolore erzielen konnte.

Keine 12 Minuten später war jedoch Italiens Abwehrrecke Marco Materazzi nach einer Ecke mit dem Kopf zur Stelle und erzielte, wie Italiens Fachblatt "La Gazzetta dello Sport" ermittelte, aus 2,63 Metern Höhe das 1:1. Die Squadra Azzurra war in der ersten Hälfte das bessere Team, in einer durchaus temporeichen Partei hatte Stürmer Luca Toni die größte Torchance, traf mit seinem Kopfball aber nur die Latte.

In Halbzeit Zwei kamen die Franzosen wieder besser ins Spiel, der entscheidende Pass fand jedoch nicht nicht den Mitspieler oder Italiens Torwart Gianluigi Buffon konnte parieren. Auch die verletzungsbedingte Auswechslung Patrick Vieras schwächte die Franzosen nicht - im Gegenteil: Ersatzmann Aloo Diarra machte seine Arbeit hervorragend. Mit wachsender Spieldauer wurde auch das Publikum nervöser und die Stimmung im Olympiastadion ließ etwas nach. Jeder spürte, dass der nächste Treffer das Spiel vermutlich entscheiden würde. In der regulären Spielzeit fiel jedoch kein Tor mehr, einem Treffer Tonis wurde wegen Abseitsstellung zurecht die Anerkennung versagt.

Auch in der Verlängerung waren die Franzosen weiterhin das bessere Team. Zunächst schoss Bilal Ribery den Ball nach Doppelpass mit Malouda knapp am Torpfosten vorbei, dann hätte der große Moment Zidanes kommen können. Nach einer schönen Flanke von Willy Sagnol stieg der 34-Jährige zum Kopfball hoch - Buffon lenkte den Ball mit einem grandiosen Reflex über die Latte. Nach dem abermaligen Seitenwechsel folgte dann die Szene über die wohl noch in einigen Jahren diskutiert werden wird, die im Stadion jedoch nur die Wenigsten mitbekommen haben - einschließlich des Schiedrichters und seiner Assistenten.

Auf einmal wand sich ein Italiener am Boden, wie man es von ihnen gewohnt ist, Torwart Buffon rannte im laufenden Spiel auf den Linienrichter zu und alle Welt fragte sich, welcher Blitz denn nun schon wieder Marco Materazzi getroffen haben mochte. Dann, nach gefühlten 10 Minuten in denen der Referee mehr oder einiger ziellos zwischen Linienrichter und Spielern umherirrte, zog er die rote Karte und zeigt sie: Zinedine Zidane. Der Unglaube, der Zorn, die Wut, die Trauer der meisten Zuschauer im Stadion war mit Händen zu greifen. 10 Minuten vor dem Ende seiner Karriere wurde Zizou im WM-Finale vom Felde verwiesen, und niemand verstand warum, da die entscheidende Szene auf der Stadion-Leinwand nicht wiederholt wurde.

In den letzten 10 Minuten wurde jeder Ballkontakt der Italiener fanatisch ausgepfiffen, jedes erfolgreiche Tackling der Franzosen frenetisch gefeiert. Ein Tor fiel nicht mehr, somit musste zum zweiten Mal nach 1994 ein Elfmeterschießen über den WM-Titel entscheiden - damals verloren die Italiener gegen Brasilien. Die Mehrheit der Stadionbesucher hoffte, das auch in der Squadra Azzurra 2006 mindestens ein Roberto Baggio war, der den Ball schon irgendwie über die Latte jagen würde.

Der erste Schütze der Italiener, Andrea Pirlo verwandelte jedoch ebenso sicher wie auf der Gegenseite Sylvain Wiltord. Dann lief Daniel de Rossi an, ein Spieler der nach seinen brutalen Fouls im Vorbereitungsspiel gegen die Schweiz und der Vorrundenpartie gegen die USA nie und nimmer hätte im Finale spielen dürfen, und traf. Nun war David Trezeguet an der Reihe, noch Spieler bei Juventus Turin. Die Trippelschritte seine Anlaufs verrieten Unsicherheit. Der Ball knallte an die Unterlatte und von dort: auf, vor oder hinter die Linie? Ein hauch vom Wembley waberte ducrhs Berliner Olympiastadion. Wie 1966 war auch diesmal der Ball nicht im Tor, mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass Schieds- und Linienrichter dies am 9.Juli 2006 auch sofort erkannten.

Die nächsten Elfmeterschützen verwandelten auf beiden Seiten ihre Versuche und Italiens Verteidiger Fabio Grosso konnte schließlich mit seinem Elfmeter die WM 2006 entscheiden. Der Mann, der bis zur WM im einstmals arabisch regierten Palermo spielte, traf und Italien wurde Fussball-Weltmeister 2006. Die Enttäuschung der französischen Supporteurs war riesig, dennoch feierten sie ihr Team und Zinedine Zidane, auch wenn dieser sich für den Rest des Abends nicht mehr zeigen sollte.

Eine Frage blieb offen: Was trieb Zinedine Yazid Zidane zu seinem Kopfstoß gegen Marco Materazzi? Dieser gab zu, Zizou provoziert zu haben, weil dieser sich erdreistete den Italiener zu bitten, er möge ihm das Trikot doch bitte erst nach Spielschluss ausziehen und nicht unentwegt daran zerren. Im französoschen Pay-TV-Sender Canal Plus erklärte Zidane heute, Materazzi habe mehrfach seine Frau, seine Mutter und seine Schwester aufs Übelste beleidigt. Den genauen Wortlaut gab der in Marseille geborene Zidane nicht wieder, da er diese Worte niemals in den Mund nehme. Er entschuldigte sich bei den Milliarden Fernsehzuschauern und Kindern, die gezwungen waren, seinen Kopfstoß mitanzusehen. Weiter erklärte Zizou: "Zehn Minuten vor dem Ende deiner Karriere machst du so etwas nicht aus Vergnügen. Er hat Worte benutzt, die viel schmerzhafter sind als Gesten. Ich bedauere meine Tat nicht, denn das würde heißen, er habe Recht mit dem was er sagte."

Was auch immer man von der Tat Zidanes halten möchte, so steht eines fest:Er hat seine Werte und seine Ehre über seinen sportlichen Erfolg und den seiner Mannschaft gestellt. Ob man dafür Verständnis hat oder dies verurteilt, liegt in der Sicht des Betrachters.

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