Aouns Reise nach Syrien ist deshalb besonders bemerkenswert, weil der ehemalige General der libanesischen Armee während des libanesischen Bürgerkriegs einer der erbittertesten Gegner der syrischen Hegemonie im Zedernstaat war. Als selbst ernannter Ministerpräsident kämpfte er bis zuletzt gegen die syrische Armee.
Michel Aoun war der einzige Warlord, der das Taif-Abkommen ablehnte, mit dem der Bürgerkrieg 1989 beendet wurde. Aoun kritisierte, dass darin die syrische Dominanz über den Libanon festgeschrieben und der Zeitpunkt des syrischen Abzugs offengelassen wurde. Nachdem Aoun und seine Getreuen im Oktober 1990 von der syrischen Armee geschlagen wurden, flüchtete der General aus dem Libanon und ging ins Exil nach Frankreich.
In Paris gründete Aoun die "Freie Patriotische Bewegung" (FPM), die er seither anführt. Erst nach dem Abzug der syrischen Armee aus dem Libanon kehrte er nach 15 Jahren aus dem Exil in Paris zurück. Bei den Parlamentswahlen 2005, die kurz nach seiner Rückkehr stattfanden, errang seine Bewegung 21 Mandate. Hochrechnungen zufolge stimmten mehr als zwei Drittel der christlichen Wähler für Aouns FPM.
Anfang 2006 verblüffte Michel Aoun Freunde und Gegner durch seinen Bündnisschluss mit der Hizbollah. Die schiitische Bewegung ist ein enger Verbündeter des syrischen Regimes, von dem sie finanziert und ausgerüstet wird. Durch das "Memorandum of Understanding" mit der Hizbollah sichert sich der General jedoch zum einen die Unterstützung militärisch stärksten Miliz im Libanon und zum anderen einen Großteil der Stimmen der schiitischen Wählerschaft.
Aoun erklärte, seine Visite in Syrien solle zeigen, dass die Rivalität zwischen dem Libanon und Syrien vorbei sei. Mit dem Abzug der Syrer und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Beirut und Damaskus seien die Beziehungen beider Staaten in eine neue Phase getreten. "Die Zeit der Feindschaft ist vorbei", erklärte Aoun heute nach seinem Gespräch mit Bashar al-Assad. Er selbst verglich zuvor seinen Besuch bei Assad mit dem Charles de Gaulles bei Konrad Adenauer 1958.
Gleichzeitig machte Aoun deutlich, dass er sich ausdrücklich als Vertreter der Christen nicht nur des Libanon, sondern des gesamten Nahen Ostens versteht. In der gegenwärtigen Lage der Christen, angesichts der Verfolgungen im Irak und wiederholter Übergriffe in Ägypten, dürfe man sich nicht selbst aus der multikonfessionellen Gesellschaft ausgrenzen - so Aouns Credo. "Wir sind keine Diaspora, die von den Franzosen oder Engländern zurückgelassen wurden. Wir Christen kommen aus dieser Region."
Von Seiten seiner innenpolitischen Rivalen wurde Aoun trotz der veränderten Beziehungen mit Syrien für seine Reise scharf kritisiert. Der 73- jährige General verkaufe seine Seele und diene syrischen Interessen, so die Vorwürfe. Sie verweisen darauf, dass das Schicksal libanesischer Gefangener die nach Bürgerkriegsende nach Syrien verschleppt wurden, weiterhin ungeklärt sei. Andere loben Aouns Syrien-Besuch als Schritt in die richtige Richtung, der zeige, dass auch im Nahen Osten keine Feindschaft ewig dauern müsse.
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