Donnerstag, 19. November 2009

Algerien - Ägypten 1:0 - Eine Presseschau

Algerien reist als einziges arabisches Land zur Fußballweltmeisterschaft 2010 nach Südafrika. Im Entscheidungsspiel gewann die Nationalmannschaft gestern Abend gegen Ägypten in Khartoum/Omdurman mit 1:0. Das Siegtor erzielte der für den VfL Bochum spielende Antar Yahia in der 40. Minute mit einem Marco van Basten-Gedächtnistreffer.

Im Vorfeld des Spiels im Sudan kochten die Emotionen in Algerien und Ägypten hoch. Vor der letzten Partie beider Mannschaften in Kairo am vergangenen Samstag wurde der Mannschaftsbus der Algerier angegriffen, mehrere Spieler wurden verletzt. Nach dem Sieg der Ägypter griffen Randalierer in Algier die Vertretungen mehrer ägyptischer Unternehmen an. Die Außenminister beider Staaten riefen jeweils die Botschafter in Kairo und Algier zu Gesprächen zu sich. In den Medien beider Staaten wurde das Entscheidungsspiel in Khartum im Vorfeld zum „Harb al-Mundial“, dem „Krieg der Weltmeisterschaft“ hochstilisert.


Ein Blick in die ägyptischen und algerischen Zeitungen am Tag nach dem Spiel:

El Khabar aus Algerien stellt den Sieg gegen die Ägypter in eine Reihe mit dem Kampf gegen die französische Kolonialherrschaft:

„Göttliche Gerechtigkeit erkannte das Recht Algeriens zur Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Afrika an. Eine neue Generation algerischer Fußballer geht in die Geschichte ein, ausgerechnet im November, der dafür bekannt ist, dass im November 1954, dem Monat der algerischen Helden, der erste Schuss abgegeben wurde. […] Die Helden Algeriens und Krieger der Wüste stürzten die Pharaonen und betraten die Geschichte durch weite Türen. Sie landeten auf der Spitze der ägyptischen Pyramide, tranken aus dem Nil, der durch den Sudan fließt und jetzt blicken sie nach Südafrika bei all der Freude, die die Algerier überwältigt, egal ob in Algerien oder in der algerischen Gemeinde, die in jedem Land der Welt präsent ist. Das Spiel der Nationalmannschaft gestern war vielleicht das beste aller Zeiten und der wichtigste Sieg seit dem historischen 2:1 gegen West-Deutschland 1982 in Spanien.“

„Algerien 1 – Ägypten 0 – Die ,Grünen´ mumifizieren die ;Pharaonen´“, titelt die algerische Zeitung „El Moudjahid“.

„,Good Morning South Africa´. Der Weg in Mandelas Heimatland öffnet sich für die Grünen. In Khartoum wird die Geschichte des algerischen Fußballs auf ein Neues in goldenen Lettern geschrieben. Algerien fährt zur Weltmeisterschaft. […] Die Ruhe und das Vertrauen, das Scheich Saadane, seine Mitarbeiter und seine Mannschaft zeigten, haben die Nation und die Jugend befeuert, die nicht einen Moment zögerte den Weg nach Kairo und in noch größerer Zahl nach Khartoum zu nehmen – dank der Initiative von Präsident Abdelaziz Bouteflika – ganz einfach weil sie fest wie Eisen daran glaubten.“

Die algerische Zeitung „al-Massa“ titelt: „Die Jungs fahren zur Weltmeisterschaft!“.

„Mit diesem Erfolg qualifizierte sich Algerien als fünftes afrikanisches Team für die WM 2010 und ist damit zum dritten mal beim größten Sportereignis der Welt nach den Olympischen Spielen vertreten. Algerien ist stolz darauf einziger Vertreter des arabischen Fußballs im Land Nelson Mandelas zu sein aber die Verantwortung wird schwer auf Ziani und den anderen lasten. […] Das Spiel endete mit einem historischen Sieg der Wüstenkrieger, die von ihrem Gegner nicht als gleichwertige Rivalen anerkannt wurden. Die jungen Spieler aber erteilten ihnen eine Lektion in modernem Fußball und nahmen Revanche für die Niederlage ihrer Vorgänger in der WM-Qualifikation 1990. Mehr noch als das haben sie die Ehre verdient die Araber in Südafrika zu vertreten.“

Ganz anders die Reaktion in der ägyptischen Presse am Tag danach:

„Algerien hat sich qualifiziert, der Traum ist verloren“ titelt das ägyptische Blatt "al-Gomhuria" ernüchert.

„Die Nachspielzeit kam. Die Augen richteten sich auf die Füße von Abutrika, Zidan, Abdal-Malik und das ganze Bataillion an Helden, das von Hassan Shehata aufs Feld geschickt wurde um die Geheimnisse der algerischen Defensive zu entschlüsseln. Doch die Zeit rast. Der Traum ist verloren, die Hoffnung gestorben. Algerien qualifiziert sich für die Weltmeisterschaft. Und dann kam die Stille. […] Das Spiel gestern in Khartoum war kein normales Spiel. Es war auch nicht nur ein Spiel. Es waren zwanzig oder mehr Spiele. Seit Tagen war es Spiel der psychologischen Kriegsführung. Ein schmutziges Spiel auf und neben dem Platz. Meldungen über tote algerische Fans die von unverantwortlichen Medien verbreitet wurden. Die Beleidigung der Arbeiter die zum Aufbau Algeriens beigetragen haben. Schlachten. Hier und dort. Aber dort war es schlimmer.“

In der ägyptischen Zeitung „al-Shorouk“ schreibt der Sportjournalist Hassan al-Mestikawy:

„Guten Morgen, Trauer. Das Drama entzieht sich der Beschreibung. Am 14. November schafften wir das Schwierige und Unmögliche in der Nachspielzeit und kamen weiter. Wir hofften, dass der Fußball für unsere Mannschaft und unsere Fans gegen die Beleidigungen und Lügen des algerischen Lagers gewinnen würde. […] Seit dem Morgen waren die Städte und Straßen in Ägypten voller Vorfreude auf das Spiel, eine Fieber erfasste die ganze Nation, mit Stolz und Liebe wurde die ägyptische Flagge geschwenkt. Durchs ganze Land hallten Gesänge, Familien, Büros und Kaffees bereiteten sich auf das Spiel vor. Währenddessen verübten die algerischen Fans alle möglichen Formen von Gewalt in Omdurman.“

Versöhnlich äußert sich Gamal Sultan im Blatt „al-Masryoon“:

„Gratulation an Algerien zur Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft. Millionen Algerier sind glücklich und überwältigt vor Freude über diesen schönen sportlichen Erfolg. Ich bin sicher, dass trotz der vielen Spannungen in den letzten Tagen, Millionen Ägypter bei der WM Fans der Algerier sein werden, besonders weil sie die einzige arabische Mannschaft im Turnier sein werden. Die Anerkennung gilt besonders dem Mann mit dem ruhigen Gesicht, Rabah Saadane, dem Trainer der Algerier. […] Jetzt muss sich jeder wieder den Sorgen des alltäglichen Lebens zu wenden. […] Die wahren Verlierer sind jene, die einen Sieg politisch nutzen wollten , vielleicht um ihr Versagen beim Erreichen wirklicher Fortschritte in Gesellschaft und Staat zu verschleiern.“

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

schade,2006 warens immerhin noch 2 arabische mannschaften,tunesien und saudi arabien.der fußball ist in diesen regionen aber eh erst am kommen,schließlich gibt es im geliebten شرق الأوسط viele konflikte zu lösen...sport ist nur eine ablenkung vom wirklichen-eine gute ablenkung :D

Issa Benhammoud hat gesagt…

Da man leider vielen arabischen Mesien und Regierungen kein Vertrauen schenken kann weiß wahrscheinlich niemand genau was in den letzten Tagen wirklich passiert ist und wer den Anfang gemacht hat. Aber wieder benutzen Politiker beider Länder etwas politisch unabhängiges um von den eigenen Fehlern abzulenken. Geanuso wie die Religion wird der Fussball benutzt und missbraucht. Das ist leider immer noch das traurige Bild das arabische Politiker und Medien abgeben (abgesehen von Außnahmen). Trotzdem hoffe ich das Algerien die arabische und islamische Welt würdig vertreten wird und es friedlich dabei bleibt.

Slm

Maximilian Felsch hat gesagt…

Ich frage mich, warum Fußball in der arabischen Welt immer so martialisch daherkommt. Es scheint, als hätte sich im Alltagsleben der männlichen Jugend sehr viel Frustration angestaut, die sich dann im Fußball hemmungslos entlädt. Als Fußballfan bin ich froh, dass sich nicht noch eine zweite arabische Mannschaft für die WM qualifiziert hat. Für mich war der eigentliche Skandal, dass die Fifa das Spiel letzten Sonnabend in Kairo nach den brutalen Angriffen auf den Mannschaftsbus der Algerier nicht abgesagt hat. Drei Spieler wurde dabei verletzt.

C.Sydow hat gesagt…

Ich frage mich eher, warum derartige Emotionsausbrüche, Krawalle und Zornesausbrüche ausbleiben, wenn in Ägypten das nächste mal eine Wahl gefälscht wird, Brot knapp wird oder Züge entgleisen weil das Schiennetz total marode ist.

Anonym hat gesagt…

"Ich frage mich, warum Fußball in der arabischen Welt immer so martialisch daherkommt."

In Europa, Lateinamerika oder sonst wo ist es doch nicht anders: Siehe die Geschehnisse bei Bosnien - Portugal, Hansa - St. Pauli und bei 1000 weiteren Beispielen...