III. Der Kontext der kirchlichen Historiographie
a) Die theologischen Ausführungen Bedas
Im folgenden soll nun untersucht werden, wie der bedeutendste Universalgelehrte des Frühmittelalters, Beda (673-735), dessen Werke über Jahrhunderte Standard blieben und der schon zu Lebzeiten mit dem Ehrentitel venerabilis bedacht wurde, Sarazeneneinfälle und die Schlacht von Poitiers beurteilt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Historie im Frühmittelalter, wie sie auch der Theologe Beda betrieb, lediglich einen Teil der Exegese bildete, in dem überlieferte Kenntnisse aus der antiken Historiographie in die göttliche Heilsgeschichte eingebunden wurden. Für das Verständnis des Islams und der rasanten Ausbreitung der Araber innerhalb kürzester Zeit bot die Antike allerdings kaum eine Erklärung. Als theologische Herausforderung, wie sie im Hochmittelalter eine reichhaltige Literatur produzierte, wurde der Islam in dieser frühen Phase von Beda weder begriffen, noch in irgendeiner Weise überhaupt thematisiert. Folglich findet sich bei ihm auch keine formale Unterscheidung zwischen der Religion der Sarazenen und der Götzendienerei der Slawen oder Magyaren.
Vielmehr ist er daran interessiert, mittels des wirksamsten intellektuellen Instrumentes des Mittelalters, nämlich der Bibel, den Sarazenen einen festen Platz im christlichen Geschichtsbild zuzuweisen. Hierfür zieht er das schon von Isidor von Sevilla verwendete Erklärungsmuster Sarazenen = Agarenen = Ismaeliten heran. Sarazenen finden sich in der Bibel nicht, die Beschreibung Ismaels jedoch passt zu den zeitgenössischen Berichten von den aus der Wüste kommenden Sarazenen. Die Bezeichnung Agarenen, von Ismaels Mutter Hagar, abgeleitet, erfüllt noch einen anderen Zweck. Da Hagar als Sklavin Abrahams dessen Frau Sara, der Mutter Isaaks, untergeordnet war, postuliert Beda die daraus folgende natürliche Unterlegenheit der Söhne Hagars: eine den gegenwärtigen militärischen Realitäten zu Bedas Zeit kaum entsprechende Hierarchie.
Die rasche Expansion der Sarazenen wirkt denn auf Beda, seinem christlichen Weltbild entsprechend, als biblische Plage, wobei letztendlich natürlich die Christenheit, deren Überlegenheit ja auf exegetischem Weg von ihm bewiesen wurde, überwiegen wird. Soweit wie der wohl eifrigste Missionar des Frühmittelalters, Bonifatius, aber, der in einem Brief an den englischen König Æthelbert hinsichtlich dessen moralischer Verfehlungen mit der Gottesstrafe des Sarazeneneinfalls droht, geht Beda so deutlich nicht. Göttliche Zeichen hingegen erkennt er an und bringt sie mit historischen Ereignissen in Zusammenhang. So geht bei Beda der Schlacht von Poitiers eine Kometenerscheinung voraus, die das Fanal für den von Gott begünstigten Sieg gegen die Sarazenen setzt, wobei sich bei Beda, der ja 735 stirbt, wahrscheinlich die Hoffnung auf eine Wendung der militärischen Verhältnisse verbindet.
b) Die Position der römischen Kirche
Während Beda sich in England relativ ungestört seinen exegetischen Übungen widmen konnte, befand sich das römische Pontifikat in einer Umbruchphase, die maßgeblich durch weltliche Interessen bestimmt war.
Diese äußerten sich in den 720er Jahren jedoch erst einmal in theologischen Problemfragen. Gerade als die arabische Belagerung Konstantinopels 718 abflachte, bahnte sich ein Konflikt an, der kaum das Bild von einer vereint kämpfenden Christenheit vermittelte. Das von Kaiser Leo III. 726 erlassene Bilderverbot, läutete den Beginn des Ikonoklasmusstreites ein, der wesentlich zur Abspaltung des römischen Pontifikats vom oströmischen Kaisertum beitrug. Maßgeblich hierfür war die entschiedene Ablehnung Papst Gregors II. nicht nur des Bilderverbots, sondern auch generell der Einmischung des Kaisers in theologische Angelegenheiten, für die der Bischof von Rom immer vehementer Deutungshoheit beanspruchte.
Desweiteren war Byzanz in den 720er Jahren aufgrund ständiger Beanspruchung durch die Araber militärisch nicht mehr in der Lage in Italien zu intervenieren. Auch das byzantinische Exarchat von Ravenna konnte seine Schutz- und Aufsichtsfunktion für Rom nicht mehr erfüllen, so dass die Päpste quasi zu de facto säkularen Herrschen wurden. Allerdings stellte sich für das Papsttum jetzt noch dringlicher die Frage nach einer Schutzmacht, da es immer stärker von den, ebenfalls katholischen (sic), Langobarden bedrängt wurde, dessen König Luitprand eine Vereinigung Italiens anstrebte. Das römische Papsttum erlebte zu dieser Zeit also ein Phase verstärkter Konflikte mit christlichen Mächten.
Territorial bedrohten die Araber Italien im frühen 8. Jahrhundert noch nicht, wenngleich Berichte über deren Expansion angesichts der ungewissen Ausmaße auch für Unbehagen in Rom sorgten. Ein Partner, der sich der Sarazenenabwehr rühmen konnte, war somit militärisch und ideologisch für Rom äußerst attraktiv. Zu diesem Kreis möglicher Anwärter scheint Anfang der 720er Jahre wohl auch Eudo gezählt zu haben. Die für 721 bezeugte Korrespondenz wurde oben bereits angeführt und in diesem Zusammenhang taucht auch zum ersten Mal die weit übertriebende Zahl von 375.000 getöteten Sarazenen in der Schlacht von Toulouse auf, die, glaubt man dem Liber Pontificalis, durch die Übersendung geheiligter Reliquien aus Rom zurückzuführen ist.
Genau diese Angaben tauchen bei dem langobardischen Historiographen Paulus Diakonus knapp ein halbes Jahrhundert später wieder auf, diesmal aber in einem anderen Zusammenhang. Er schreibt sie nämlich der Schlacht von Poitiers zu und damit Karl Martell, und das, obwohl Gregor II. bereits 731 verstorben war. Ob der lange Zeit am Hof Karls des Großen arbeitende Paulus Diakonus lediglich fehlerhaft aus dem Liber Pontificalis exzerpierte oder vorsätzlich den ersten Karolinger glorifizierte, ist nicht eindeutig zu ermitteln, jedenfalls blieb seine Darstellung über Jahrhunderte Grundlage für die Rezeption der Schlacht von Poitiers.
Karl Martell rückte nach seinen militärischen Erfolgen gegen die Araber als Hauptansprechpartner Roms in den Vordergrund, doch war sein Verhältnis zum Papsttum bei weitem nicht so eng, wie es die spätere Historiographie glauben machen wollte. Die Fredegarfortsetzung berichtet zwar von der Übersendung der Fesseln und Schlüssel des heiligen Petrus an Karl im Jahre 737, zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, ab dem dieser nach dem Tod Theuderichs IV. ohne König regierte, aber Karl ging auf diese Bündnis nie ein.
Seine Überlegungen waren weniger von der Vision eines vereint kämpfenden christlichen Abendlandes im Bündnis mit dem Papsttum, sondern vielmehr von pragmatischen, militärischen und politischen Interessen geleitet. So erklärt sich auch seine Kooperation mit dem Langobardenkönig Luitprand, der nicht nur seinen Sohn Pippin 737 offiziell adoptierte, sondern auch 739 dem Hilfsgesuch Karls gegen die Araber nachkam. Erst unter seinem Nachfolger Pippin sollte paradoxerweise der völlige Bruch mit den Langobarden und das Bündnis mit Rom zustande kommen. Karl Martell jedenfalls können solche Bestrebungen nicht nachgewiesen werden.
Teil 1
Teil 3
Mittwoch, 11. Oktober 2006
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen