IV. Der Kontext der spanischen Historiographie
Die mit Sicherheit ausführlichste Beschreibung der arabisch-fränkischen Auseinandersetzungen bietet die einzige zeitgenössische Quelle aus Spanien, die sogenannte mozarabische Chronik. Dieser wohl um 754 in einem christlichen Kloster als Fortsetzung des Werkes Isidors von Sevilla entstandene Bericht ist besonders aus zwei Gründen äußerst wertvoll. Zum einen zeichnet er ein sehr differenziertes Bild von der Anfangszeit des muslimischen Spanien bis zum umayyadischen Umsturz 751, zum anderen werden die Einfälle der Muslime ins Frankenreich, einschließlich der Schlacht von Poitiers 732, sehr detailliert dargestellt, so dass die Fredegarfortsetzung nicht nur ergänzt, sondern in wesentlichen Teilen auch widerlegt werden kann.
Der rasche Zusammenbruch des Westgotenreichs, mit dem die Geschichte der muslimischen Herrschaft in Spanien 711 beginnt, ist, so berichtet die Mozarabische Chronik, auf die Einladung muslimischer Truppen von Seiten westgotischer Adelsfamilien zurückzuführen, die um diese Zeit in einem Bürgerkrieg um die Herrschaft verwickelt waren. So scheinen denn auch am Anfang einige wesgotische Notabeln mit den muslimischen Invasoren verbündet gewesen zu sein. Das anfängliche Bündnis wandelte sich aber relativ schnell zur Unterwerfung, besonders nach dem Zusammenbruch der Zentralgewalt, die der Einnahme der westgotischen Hauptstadt Toledo folgte.
Die folgenden Jahre bis 720 waren durch die, für die muslimische Expansion typische, Aushandlung von Kapitulationen mit lokalen Herrschern und den Versuch, die errungene Macht zu etablieren, gekennzeichnet. Zwei Regionen des vormaligen westgotischen Herrschaftsgebietes blieben allerdings zunächst uneingenommen. Im Nordwesten konnte sich Asturien behaupten und entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zum Ausgangspunkt der Reconquista. Die in diesem Zusammenhang oft als Startpunkt gerühmte Schlacht von Covadonga ca. 718 findet in der mozarabischen Chronik übrigens keine Erwähnung und um so mehr bedarf deren spätere Aufwertung einer kritischen Einschätzung.
Im Nordosten hingegen hielt sich Septimanien und rückte immer mehr in den Fokus der arabischen Befehlshaber. Ab 720 überquerten diese dann auch immer regelmäßiger die Pyrenäen. Als Ergebnis dieses ersten Vorstoßes vermeldet die mozarabische Chronik die Einnahme Narbonnes, der Hauptstadt Septimaniens, unter dem Gouverneur As-Samh. Bei der folgenden Belagerung von Toulouse 721 werden die Muslime allerdings von Eudo zurückgeschlagen (s. o.), der hier erstmalig in diesem Kontext auftaucht.
Die zweite Welle muslimischer Einfälle folgte verstärkt in den Jahren 724/25 unter As-Samhs Nachfolger ’Anbasah. Hierbei wurden, wie vor allem die südfranzösischen Chroniken berichten, Carcassonne und Nimes in der Provence erobert und geplündert und von hier ging auch ein Beutezug die Rhône hinauf bis nach Autun. Hauptmotiv bei diesen Zügen war wohl vorrangig die Aussicht auf reiche Beute, die in den südfranzösischen Städten zu holen war.
Die folgenden Jahre bis ca. 729 waren jedoch von gravierenden inneren Spannungen auf muslimischer Seite geprägt, von denen auch die mozarabische Chronik zu berichten weiß. Denn nicht nur zwischen zwischen arabischen Stämmen erwachten alte Rivalitäten, viel folgenreicher entwickelten sich die Auseineinandersetzungen zwischen den erst kürzlich islamisierten Berbern, die das Gros der Eroberungsheere stellten, und der arabischen Elite, die alleinig die Befehlsgewalt innehatte. Vor allem in die Grenzregionen, wie Septimanien, wurden berberische Garnisonen verlegt, fühlten sich aber bei der Verteilung der Beuteerträge oft benachteiligt.
Diesen Gegensatz, überhaupt eine Unterscheidung innerhalb der in der zeitgenössischen Darstellung sonst nur als Sarazenen bezeichneten Masse, nimmt die mozarabische Chronik vor und bringt ihn auch in Verbindung mit den folgenden Auseinandersetzungen um Karl Martell und Eudo. Denn hier wird der Berberfürst Manuzza eingeführt, dessen Rolle ein sehr viel differenzierteres Bild der Ereignisse zwischen 729-732 erkennen lässt.
Eben dieser Manuzza schloß 729 ein Bündnis mit Eudo, mit welchem der Aquitanier seine Südgrenze gegen weitere arabische Übergriffe schützen wollte. Manuzza hingegen dachte einen Verbündeten im nun folgenden Berberaufstand gegen den neuen Gouverneur Abderrahman Al-Ghafiqi gefunden zu haben. Abderrahman, der nach einer unruhigen Phase mit sechs verschiedenen Gouverneuren zwischen 725 -729 an die Macht gekommen war, erstickte die von Katalonien aus geplante Erhebung im Keim und warf Manuzza relativ schnell nieder. Der neue Gouverneur zog jedoch noch weitere Konsequenzen und beabsichtigte, in der Unruheprovinz Septimanien zu intervenieren und auch den vermeintlichen Instigator Eudo auszuschalten.
Somit drangen die Truppen Abderrahmans 732 in die Francia ein, vorrangig um Eudo zu bestrafen. Nach dessen schneller Niederschlagung an der Garonne trat jedoch wieder das Beutemotiv in den Vordergrund. Das nahe gelegene Bordeaux wurde geplündert, Eudo aber konnte nach Norden fliehen, woraufhin die Truppen Abderrahmans die Verfolgung aufnahmen. Ihr Vorstoß vollzog sich aber, ganz im Gegensatz zu den sonst üblichen Beutezügen relativ langsam, da sie das eroberte Gut aus Bordeaux ebenfalls mitgeführten und auch noch Poitiers plünderten.
Die mozarabische Chronik berichtet nun von einem Hilfsgesuch Eudos an Karl Martell. Dass dieser so schnell reagierte und die gegnerische Streitmacht umgehend zwischen Tours und Poitiers abfing, deutet auf zweierlei. Zum einen schien er sich, wie schon vermutet, bereits auf einen Zug nach Süden zu befinden, zum anderen konnte sich Eudo immer noch auf eine Art Bündnis mit Karl berufen, wie es die mozarabische Chronik anführt. Bei Poitiers kämpfte also Karl mit dem Hilfe ersuchenden Eudo gegen die Truppen Aberrahmans – eine völlig andere und viel schlüssigere Darstellung als in der Fredegarfortsetzung, in der Eudo ja bekanntlich die arabische Streitmacht zur Hilfe gegen Karl ins Land führt. Denn jetzt wird auch ersichtlich warum Eudo bis zu seinem Tod 735 Fürst in Aquitanien blieb.
Die mozarabische Chronik bezieht in ihrer Beschreibung der Schlacht also sowohl die Erfolge Eudos als auch Karls ein, wobei beide als fränkische Generäle bezeichnet werden. Die Bezeichnung europenses dagegen, die für die Truppen aus dem Norden Verwendung findet, sollte mit Vorsicht betrachtet werden. Nur ein einziges Mal wird solch eine Designierung, die oft zur Geburtsstunde des Europäerbegriffs erkoren worden ist, vorgenommen und spricht wahrscheinlich eher für die subjektive Sichtweise des Autors auf die inneren Verhältnisse der Francia, welche aufgrund der nicht einmal vorgenommenen Unterscheidung von Frankenreich und Aquitanien kritisch zu hinterfragen und eher als Fremdzuschreibung zu werten sind.
Zum Schluss soll noch einmal ein Blick auf die arabische Historiographie hinsichtlich der behandelten Problematik geworfen werden. Dieser fällt allerdings sehr kurz aus, da das Ereignis entweder, wie etwa bei Al-Tabari (gest. 923), gar nicht erwähnt oder lediglich als Episode am Rande gestreift wird. Ibn Abd Al-Hakam (803-871), widmet der Schlacht immerhin einen Satz, wobei er die muslimischen Truppen als Ghazi bezeichnet, was zwar im Kontext der islamischen Expansion auch eine religiöse Konnotation besitzt, aber auch die Bezeichnung für einen Teilnehmer an einem razzia-artigen (daher auch der Begriff) Beutezug darstellt.
Wenn es für die genannten Historiker etwas über die Konflikte in Al-Andalus zu dieser Zeit (720-750) zu berichten gibt, so sind dies vor allem die langwierigen Berberrevolten und die Vorgeschichte der umayyadischen Machtbündelung zur Mitte des Jahrhunderts. Weitaus mehr Aufmerksamkeit erfahren dagegen die Kämpfe mit Byzanz und die Belagerung Konstantinopels. Erst im Hochmittelalter hingegen prägten im Zuge der Reconquista muslimische Historiker in Al-Andalus den Begriff Balat Asch-Schuhada’ (=Pfad der Märtyrer) für die Schlacht von Poitiers 732.
V. Schlussbetrachtung
Die vorgelegten Untersuchungen haben gezeigt wie unterschiedlich die arabischen Einfälle ins Frankenreich und die Schlacht von Poitiers 732 in den zeitgenössischen Quellen bewertet werden.
Wichtig ist hierbei, dass auch den Quellen ein bestimmter Kontext zugrunde liegt, der sich auf deren Konzeption und Formulierung maßgeblich auswirkt. Hinter den ausgewählten Darstellungen stecken auch immer Intentionen und Interessen, wie in der Fredegarfortsetzung etwa die Glorifizierung und Legitimierung Karl Martells oder typisch frühmittelalterliche, biblisch-christlich geprägte Weltbilder, wie sie bei Beda auftauchen. Auch vorsätzliche Geschichtsklitterungen treten zu Tage und müssen, wie im Fall Paulus Diakonus, aufgedeckt werden, um zu zeigen, wann bestimmte Zusammenhänge und vermeintliche Fakten, erinnert sei an Zahl der 375.000 gefallenen Sarazenen, konstruiert wurden.
Um so dringlicher müssen also zeitgenössische Quellen zum Vergleich herangezogen werden, um ein vollständigeres Bild zu erhalten. So widerlegen die Ausführungen der mozarabischen Chronik die Fredegarfortsetzung in wesentlichen Punkten und bieten gleichzeitig eine erweiterte Perspektive, so dass die in der Einleitung angeführten einseitig verallgemeinernden und prätentiösen Sichtweisen keine historisch valide Erklärungsmacht mehr besitzen.
Teil 1
Teil 2
Sonntag, 15. Oktober 2006
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3 Kommentare:
Hallo,
erstmal großen Respekt für die gelungene Seite!
Schade, dass nicht mehr Seminararbeiten veröffentlicht sind. Die bisherigen sind sehr interessant.
Ich wollte fragen, ob ihr euch nicht ein wenig an der angeregten Diskussion zum Thema Karl Martell und die Schlacht von Tours und Poitiers beteiligen wollt:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=4365
Ich bin da fast der einzige, der diese Seminararbeit zur Stützung seiner Argumente zitiert, denke aber, dass ihr sicherlich noch ausführlichere Informationen zum Thema habt.
Es gibt in dem gesitteten Geschichts-Forum übrigens eine ganze Reihe interessanter Themenbereiche, über die Araber, die Osmanen, die Nachfolgestaaten des Osm. Reiches, etc.
Vielleicht sieht man sich?
Ciao und LG,
lynxxx
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