Ein Bericht aus Kairo von Amina Nolte und Christoph Borgans
Auch als der Oberste Militärrat Mubaraks Erbe antrat, glaubten viele Ägypter noch »Volk und Armee sind eins«. Angesichts des neuen Demonstrationsverbotes fragen sie sich aber immer mehr, wie sehr sich die neue Regierung noch von der alten unterscheidet.
Selten sind heranrollende Panzer von einer demonstrierenden Menge so herzlich begrüßt worden, wie auf dem Tahrir-Platz im Januar dieses Jahres. Die ägyptische Armee entschied sich während der Demonstrationen für Neutralität und verschaffte dem revoltierenden Volk Sicherheit und moralischen Rückhalt, um sich von der Herrschaft Mubaraks zu befreien. Dass die Proteste zu einem »Neuen Ägypten« geführt haben, in dem jedermann allerorts offen über Politik diskutieren kann und in dem jüngst freie und faire Abstimmungen stattfanden, und nicht zu einem Bürgerkrieg wie im westlichen Nachbarland, ist vor allem dem Verhalten der Armee zu verdanken. Als der Oberste Militärrat die Macht provisorisch übernahm, schien sie den Ägyptern in guten Händen.
Doch nur die wenigsten möchten nach fast 60-jähriger Militärherrschaft die Armeeführung dauerhaft an der Macht beteiligt sehen. Die 77 Prozent Ja-Stimmen beim Referendum sind einerseits ein Erfolg für den Obersten Militärrat, dessen Vorschlag damit entsprochen wurde, anderseits bescheinigen sie auch das Misstrauen des Volkes gegenüber einer Militärregierung. Nur mit einem »Ja« konnte man sicherstellen, dass die Armeeführung die Macht bald abgeben würde.
Drakonische Strafen für Demonstranten
In ihrer Skepsis gegenüber dem Obersten Militärrat und dem von ihm eingesetzten Kabinett sahen sich viele Ägypter am vergangenen Mittwoch, dem 23. März bestätigt. Während Premier Essam Sharaf nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten die demonstrierenden Ägypter auf dem Tahrir-Platz besuchte und ihnen versprach: »Eure Forderungen sind mein Auftrag«, hat das Kabinett unter seiner Führung nun ein Gesetz beschlossen, dass bis zu den Wahlen alle weiteren Demonstrationen verbieten soll, die den Arbeitsalltag in Ägypten durch Streiks oder Blockaden behindern.
Das Gesetz sieht eine Geldstrafe von 50.000 bis 100.000 Ägyptischen Lira, umgerechnet etwa 6000-12000 Euro, vor für den Fall, dass Streiks und Demonstrationen die Arbeit in staatlichen Institutionen, Behörden und privaten oder öffentlichen Firmen stören oder zum Stillstand bringen. Für Gewalt- oder Sabotageakte während der Demonstrationen beträgt die Strafe umgerechnet 12.000 bis 60.000 Euro und/oder mindestens ein Jahr Gefängnis.
Auch der mündliche oder schriftliche Aufruf zum Protest wird mit Gefängnis oder einer Strafe zwischen umgerechnet 3500 bis 6000 Euro belegt. Was genau eine Störung der Arbeit ist und was nicht, ist nicht näher definiert. Eben so wenig ist klar, ob sich die Angeklagten vor einem zivilen oder einem militärischen Gericht verantworten müssen und ob es ein Recht auf Berufung gibt.
Militär untersucht inhaftierte Aktivistinnen auf Jungfräulichkeit
Während die Übergangsregierung bemüht ist zu betonen, dass sich das Gesetz nicht gegen alle Demonstration richte, sondern nur gegen jene Proteste, die der Wirtschaft und sozialen Ordnung schaden, fürchten viele Ägypter eine schleichende Kriminalisierung der Demonstrationen. Auch das seit 1981 existierende Notstandsgesetz, das auf Verdacht gegründete Verhaftungen, intransparente Gerichtsverfahren und dubiose Verhörmethoden ermöglicht, ist bisher nicht außer Kraft gesetzt worden. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Fälle bekannt, nach denen das Militär explizit in Bezugnahme auf das Notstandsgesetz willkürliche Verhaftungen und entwürdigende Verhörmethoden rechtfertigte.
So kam es unter anderem bei der Räumung des Tahrir-Platzes durch das Militär am 9. März 2011 zu der Festnahme von 19 Aktivistinnen. Unter dem Vorwurf, sich illegaler Weise prostituiert zu haben, wurden sie auf schlimmste Weise gedemütigt. In Berichten erzählen die Frauen von der Misshandlung mit Elektroschocks, physischer Gewalt, vor allem aber von den entwürdigenden Prozedere der Untersuchung auf ihre Jungfräulichkeit. Dafür seien sie gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und von einem Mann, im Beisein weiterer männlicher Soldaten im Genitalbereich untersuchen zu lassen. Mehrere Tage später wurden die Frauen frei gelassen, ohne dass eine Anlage erfolgt wäre.
Bereits wenige Stunden, nachdem das Anti-Demonstrations-Gesetz am 23. März beschlossen worden war, wurde die besetzte Kairoer Universität geräumt. Studenten hatten dort den Rücktritt des Dekans Sami Abdel Aziz gefordert.
Dennoch lassen sich die Ägypter nicht so einfach einschüchtern. Nachdem es schon große Demonstrationen am Freitag gegeben hatte, gingen auch am Sonntag etwa 5000 Ägypter auf die Straße. »Das Protestieren ist unser Werkzeug gegen die Reste des gestürzten Regimes«, rufen die Demonstranten. Sie protestieren vor allem gegen das Demonstrationsverbot, aber auch in zunehmender Vehemenz gegen die Armee und deren fragwürdige Handlungen der letzten Wochen. Die Armee verdanke ihren politischen Einfluss und ihre Positionen in der Regierung den Demonstrationen. Sie sei somit in der Pflicht, diese zuzulassen und zu schützen, so ein Mitveranstalter der Demonstration.
Das obersten Militärgericht kündigt Untersuchungen an
Doch das Vorgehen der neuen Regierung ist keinesfalls eindeutig. Gestern gab der Oberste Militärrat in seinem 29. Kommuniqué auf seiner offiziellen Facebook-Seite bekannt, dass er den Fall des während der Revolution im Schnellverfahren zu fünf Jahren Militärhaft verurteilten Mohamed Adel Mohamed Ali Fawzy überprüfen wolle. Auch der Vorfall um die gefolterten und belästigten Frauen, soll untersucht werden. Zudem ist die Ausgangssperre, die seit dem Anfang der Revolution in Kraft ist, wegen einer verbesserten Sicherheitslage seit gestern nur noch auf die Zeit von 2 Uhr bis 5 Uhr beschränkt.
Vielen Ägyptern fällt es daher schwer zu beurteilen, was das Militär vor hat und ob sie ihm vertrauen können. Aussagen des Obersten Militärrats wie die gestrige, dass die Wahlen nicht unter dem Notstandsgesetz stattfinden sollen, wecken Hoffnung, sind aber zu vage, um die Zweifel restlos zu zerstreuen.
So herrscht weiterhin Unsicherheit. Trotz ihrer kritischen Berichterstattung über Folteropfer, schreibt die Bloggerin Zeinobia: »Ich respektiere die Armee immer noch und weigere mich, auf den fahrenden Zug aufzuspringen und sie anzugreifen, denn ich bin sicher, dass viele Generäle und Offiziere die Folterungen ablehnen.« Ein anonymer Leser antwortet: »Machst du Witze? Wann wirst du und der Rest von Ägypten endlich aufwachen?«
Wer diese Einstellung teilt, dem bleibt nichts übrig, als wieder auf die Straße zu gehen. Auch für diesen Freitag sind wieder Demonstrationen angekündigt worden und viele werden dem Ruf folgen. Zum Tahrir-Platz, wo alles anfing, und wo auch noch alles weitergeht.
Auch als der Oberste Militärrat Mubaraks Erbe antrat, glaubten viele Ägypter noch »Volk und Armee sind eins«. Angesichts des neuen Demonstrationsverbotes fragen sie sich aber immer mehr, wie sehr sich die neue Regierung noch von der alten unterscheidet.
Selten sind heranrollende Panzer von einer demonstrierenden Menge so herzlich begrüßt worden, wie auf dem Tahrir-Platz im Januar dieses Jahres. Die ägyptische Armee entschied sich während der Demonstrationen für Neutralität und verschaffte dem revoltierenden Volk Sicherheit und moralischen Rückhalt, um sich von der Herrschaft Mubaraks zu befreien. Dass die Proteste zu einem »Neuen Ägypten« geführt haben, in dem jedermann allerorts offen über Politik diskutieren kann und in dem jüngst freie und faire Abstimmungen stattfanden, und nicht zu einem Bürgerkrieg wie im westlichen Nachbarland, ist vor allem dem Verhalten der Armee zu verdanken. Als der Oberste Militärrat die Macht provisorisch übernahm, schien sie den Ägyptern in guten Händen.
Doch nur die wenigsten möchten nach fast 60-jähriger Militärherrschaft die Armeeführung dauerhaft an der Macht beteiligt sehen. Die 77 Prozent Ja-Stimmen beim Referendum sind einerseits ein Erfolg für den Obersten Militärrat, dessen Vorschlag damit entsprochen wurde, anderseits bescheinigen sie auch das Misstrauen des Volkes gegenüber einer Militärregierung. Nur mit einem »Ja« konnte man sicherstellen, dass die Armeeführung die Macht bald abgeben würde.
Drakonische Strafen für Demonstranten
In ihrer Skepsis gegenüber dem Obersten Militärrat und dem von ihm eingesetzten Kabinett sahen sich viele Ägypter am vergangenen Mittwoch, dem 23. März bestätigt. Während Premier Essam Sharaf nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten die demonstrierenden Ägypter auf dem Tahrir-Platz besuchte und ihnen versprach: »Eure Forderungen sind mein Auftrag«, hat das Kabinett unter seiner Führung nun ein Gesetz beschlossen, dass bis zu den Wahlen alle weiteren Demonstrationen verbieten soll, die den Arbeitsalltag in Ägypten durch Streiks oder Blockaden behindern.
Das Gesetz sieht eine Geldstrafe von 50.000 bis 100.000 Ägyptischen Lira, umgerechnet etwa 6000-12000 Euro, vor für den Fall, dass Streiks und Demonstrationen die Arbeit in staatlichen Institutionen, Behörden und privaten oder öffentlichen Firmen stören oder zum Stillstand bringen. Für Gewalt- oder Sabotageakte während der Demonstrationen beträgt die Strafe umgerechnet 12.000 bis 60.000 Euro und/oder mindestens ein Jahr Gefängnis.
Auch der mündliche oder schriftliche Aufruf zum Protest wird mit Gefängnis oder einer Strafe zwischen umgerechnet 3500 bis 6000 Euro belegt. Was genau eine Störung der Arbeit ist und was nicht, ist nicht näher definiert. Eben so wenig ist klar, ob sich die Angeklagten vor einem zivilen oder einem militärischen Gericht verantworten müssen und ob es ein Recht auf Berufung gibt.
Militär untersucht inhaftierte Aktivistinnen auf Jungfräulichkeit
Während die Übergangsregierung bemüht ist zu betonen, dass sich das Gesetz nicht gegen alle Demonstration richte, sondern nur gegen jene Proteste, die der Wirtschaft und sozialen Ordnung schaden, fürchten viele Ägypter eine schleichende Kriminalisierung der Demonstrationen. Auch das seit 1981 existierende Notstandsgesetz, das auf Verdacht gegründete Verhaftungen, intransparente Gerichtsverfahren und dubiose Verhörmethoden ermöglicht, ist bisher nicht außer Kraft gesetzt worden. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Fälle bekannt, nach denen das Militär explizit in Bezugnahme auf das Notstandsgesetz willkürliche Verhaftungen und entwürdigende Verhörmethoden rechtfertigte.
So kam es unter anderem bei der Räumung des Tahrir-Platzes durch das Militär am 9. März 2011 zu der Festnahme von 19 Aktivistinnen. Unter dem Vorwurf, sich illegaler Weise prostituiert zu haben, wurden sie auf schlimmste Weise gedemütigt. In Berichten erzählen die Frauen von der Misshandlung mit Elektroschocks, physischer Gewalt, vor allem aber von den entwürdigenden Prozedere der Untersuchung auf ihre Jungfräulichkeit. Dafür seien sie gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und von einem Mann, im Beisein weiterer männlicher Soldaten im Genitalbereich untersuchen zu lassen. Mehrere Tage später wurden die Frauen frei gelassen, ohne dass eine Anlage erfolgt wäre.
Bereits wenige Stunden, nachdem das Anti-Demonstrations-Gesetz am 23. März beschlossen worden war, wurde die besetzte Kairoer Universität geräumt. Studenten hatten dort den Rücktritt des Dekans Sami Abdel Aziz gefordert.
Dennoch lassen sich die Ägypter nicht so einfach einschüchtern. Nachdem es schon große Demonstrationen am Freitag gegeben hatte, gingen auch am Sonntag etwa 5000 Ägypter auf die Straße. »Das Protestieren ist unser Werkzeug gegen die Reste des gestürzten Regimes«, rufen die Demonstranten. Sie protestieren vor allem gegen das Demonstrationsverbot, aber auch in zunehmender Vehemenz gegen die Armee und deren fragwürdige Handlungen der letzten Wochen. Die Armee verdanke ihren politischen Einfluss und ihre Positionen in der Regierung den Demonstrationen. Sie sei somit in der Pflicht, diese zuzulassen und zu schützen, so ein Mitveranstalter der Demonstration.
Das obersten Militärgericht kündigt Untersuchungen an
Doch das Vorgehen der neuen Regierung ist keinesfalls eindeutig. Gestern gab der Oberste Militärrat in seinem 29. Kommuniqué auf seiner offiziellen Facebook-Seite bekannt, dass er den Fall des während der Revolution im Schnellverfahren zu fünf Jahren Militärhaft verurteilten Mohamed Adel Mohamed Ali Fawzy überprüfen wolle. Auch der Vorfall um die gefolterten und belästigten Frauen, soll untersucht werden. Zudem ist die Ausgangssperre, die seit dem Anfang der Revolution in Kraft ist, wegen einer verbesserten Sicherheitslage seit gestern nur noch auf die Zeit von 2 Uhr bis 5 Uhr beschränkt.
Vielen Ägyptern fällt es daher schwer zu beurteilen, was das Militär vor hat und ob sie ihm vertrauen können. Aussagen des Obersten Militärrats wie die gestrige, dass die Wahlen nicht unter dem Notstandsgesetz stattfinden sollen, wecken Hoffnung, sind aber zu vage, um die Zweifel restlos zu zerstreuen.
So herrscht weiterhin Unsicherheit. Trotz ihrer kritischen Berichterstattung über Folteropfer, schreibt die Bloggerin Zeinobia: »Ich respektiere die Armee immer noch und weigere mich, auf den fahrenden Zug aufzuspringen und sie anzugreifen, denn ich bin sicher, dass viele Generäle und Offiziere die Folterungen ablehnen.« Ein anonymer Leser antwortet: »Machst du Witze? Wann wirst du und der Rest von Ägypten endlich aufwachen?«
Wer diese Einstellung teilt, dem bleibt nichts übrig, als wieder auf die Straße zu gehen. Auch für diesen Freitag sind wieder Demonstrationen angekündigt worden und viele werden dem Ruf folgen. Zum Tahrir-Platz, wo alles anfing, und wo auch noch alles weitergeht.
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