Von Lea Frehse und Nicola Diday
Es herrscht aufgeregtes Treiben im Stars & Bucks-Coffeeshop in Ramallah: Gruppen von Studenten diskutieren lautstark, auf den Sofas in der Ecke tippen einige fleißig Zeilen in ihre Laptops, ständig klingeln Handys. Ab und zu schaut jemand aus dem Fenster, hinunter auf den Manara-Platz, das Herz der Stadt, wo sich eine kleine Menge zum Protest versammelt hat. Aus dem Café im zweiten Stock sind der Gesang und die Parolen der Menschen auf dem Platz nur schwer zu hören, doch ein großes Banner über ihren Köpfen macht ihre Botschaft deutlich: „Ja zur Versöhnung, Nein zur Spaltung“.
Seit über einer Woche wird in Ramallah und anderen Städten der Palästinensischen Gebiete demonstriert: Gegen die Spaltung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen und gegen die Politik von Fatah und Hamas, die sich gegenseitig diskreditieren, anstatt gemeinsam für einen palästinensischen Staat einzutreten.
Zum Auftakt der Proteste gingen am 15. März hunderttausende Menschen in Gaza und einige tausend in Ramallah, Hebron, Bethlehem und weiteren Städten in der Westbank auf die Straße. Die Demonstranten protestierten friedlich sowohl in der Westbank als auch in Gaza. Die rivalisierenden palästinensischen Regierungen begegneten ihnen unterschiedlich: In Gaza mobilisierte die Hamas ihre Anhänger zu Gegendemonstrationen und ließ die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Demonstranten vorgehen. Die PA-Kräfte in der Westbank hielten sich indes zurück: Polizisten beschränkten sich weitgehend darauf, das Geschehen zu beobachten. Einzelne Fatah-Anhänger, die sich von den Protesten angegriffen fühlen und diesen deshalb skeptisch gegenüber stehen, zettelten allerdings kleinere Auseinandersetzungen an.
Über den Massen der Demonstranten in Ramallah wehte ein Meer grün-weiß-schwarz-roter Flaggen. Die Initiatoren der Proteste hatten ausdrücklich darauf bestanden, dass nur die palästinensische Fahne wehen solle und keine der Parteien ihre Bewegung für sich vereinnahmen dürfe.
Seither versammeln sich am Manara-Platz in Ramallah jeden Tag dutzende Protestler, von denen eine Hand voll auch dort übernachtet und im Takt zu rhythmischen Trommelschlägen Parolen skandiert, wie: “Das Volk will das Ende der Spaltung“. Es sind junge Leute, die hier demonstrieren - sehr junge Leute, 17,18,21, ein Großteil von ihnen Studenten. Sie gehen auf die Straßen, um dem palästinensischen Volk eine Stimme zu verleihen und ihren Unmut kundzutun. Im Gegensatz zum Großteil ihrer Eltern, haben sie die Hoffnung, etwas bewegen und verändern zu können. Sie haben genug von den politischen Ränkespielen der Parteien. „Wir sind die Jugend und wir sind unabhängig!“, betont Faris, 18, und ergänzt: „Viele von uns waren mal Parteianhänger. Doch spätestens seit wir hier demonstrieren, haben wir die Verbindungen zu den Parteien gekappt.“
An einem Abend unter der Woche haben sich um die hundert Demonstranten versammelt. Auf einer Leinwand wird der Film “Jenin, Jenin“ gezeigt, ein Film über die Konfrontation der Israelischen Armee mit militanten Palästinensern in Jenin. Plötzlich rast ein Fahrzeug heran, kommt mit quietschenden Reifen hinter der Menge zu stehen. Hier und da wird “Mukhabarat“, Geheimdienst, geflüstert. Die Türen öffnen sich. Doch entgegen aller Erwartungen sind es nicht die omnipräsente Polizei oder der Geheimdienst, die schwer bewaffnet aus dem Fahrzeug springen, um diesem bunten Treiben ein Ende zu bereiten. Es ist lediglich der Konditor, der zur Freude der Anwesenden kalorienreiche Kuchenstücke verteilt.
Die Bewegung des 15. März, wie die Jugendlichen sich selbst nennen, stellt vier zentrale Forderungen: Konkrete Bemühungen um nationale Einheit und ein Ende der parteilichen Medienkampagnen. Die Freilassung aller politischen Gefangenen aus palästinensischen Gefängnissen. Gemeinsame Parlamentswahlen für alle Palästinenser, einschließlich derer im Exil und als Fernziel das Ende der Besatzung.
Mehrere Demonstranten traten schon in den Tagen vor dem 15. März in einen Hungerstreik, mit der Absicht ihn erst zu beenden, wenn echte Bemühungen der Regierenden um die nationale Einigung zu sehen seien. Ende letzter Woche unterbrachen sie den Hungerstreik für drei Tage, nachdem gleich am Tag nach den Massenprotesten Hamas-Premier Ismail Haniyyeh den Vorsitzenden der Fatah, Mahmud Abbas, zu Verhandlungen nach Gaza eingeladen und dieser die Einladung angenommen hatte. Der Besuch ist bislang nicht zustande gekommen: Auch nach über einer Woche sind sich die Parteien nicht über den Rahmen der Gespräche einig. Abbas betonte, er wolle nicht für Verhandlungen nach Gaza reisen, sondern mit der ausdrücklichen Absicht, eine Einheitsregierung zu bilden. Die Hamas-Regierung bezweifelte, dass dies in nur einem Treffen gelingen könne, wiederholte aber beständig ihre Einladung.
Am Sonntag wurde der Hungerstreik in der Westbank wieder aufgenommen. Sechs junge Männer haben den Anfang gemacht, drei weitere sollen jeden Tag hinzukommen. Montaser Ali, 20, ist einer der Hungerstreikenden, die unter einer Plane am Manara-Platz ausharren. Die dunklen Ringe um seine Augen zeugen von unbequemen Nächten, trotzdem stimmt er kräftig in die Rufe der Menge ein: „Wir wollen die Teilung beenden! Wir brauchen kein Brot und kein Öl, wir wollen vereint sein!“
Stars & Bucks bietet der losen Gruppe der etwa 20 jungen Organisatoren der Proteste in Ramallah ein provisorisches Hauptquartier – und eine Internetverbindung. Die Protestbewegung organisiert sich über Blogs, soziale Netzwerke und hat in Facebook-Gruppen ihren Anfang genommen: In den letzten Monaten haben diese Gruppen, die sich gegen die zerstrittene Elite und den politischen Stillstand aussprechen, enormen Zuspruch gefunden. Sie begannen sich zu vernetzen und organisierten schließlich koordinierte Proteste. Obgleich die palästinensischen Proteste im Internet begannen, findet die 22jährige Journalismusstudentin Majdal Nihmeh das Gerede von einer „virtuellen Intifada“ aber „lächerlich“. „Über Facebook können wir die Besatzung nicht beenden. Facebook ist eher so etwas wie ein gutes Stimmungsbarometer.“
Majdal ist eine der Vorreiterinnen der Bewegung geworden, in der sich junge Frauen und Männer tagsüber gleichermaßen engagieren. Nur nach Einbruch der Dunkelheit ist von den Mädchen nichts mehr zu sehen: „Wir würden auch gern auf dem Platz übernachten, aber das würde in den Augen der Gesellschaft wirklich zu weit gehen. Die Leute sollen kein falsches Bild von unserer Bewegung bekommen, und so sind wir eben am Tag hier.“
Nachdem anfangs mehrere Mädchen in der Menge sexuell belästigt wurden, haben die Organisatoren veranlasst, dass die Protestanten sich hinsetzen, einen Kreis bilden. Das entspricht ihrer Strategie der Deeskalation im Allgemeinen: „Wir gehen auf alle zu, gerade auch auf die Fatah-Anhänger, und beziehen sie ein. Diese Proteste sind für alle Palästinenser!“, erklärt Majdal. Um jeglicher Gewalt vorzubeugen, begleitet inzwischen ein Kulturprogramm die Demonstration in Ramallah. Mehrere bekannte palästinensische Sängerinnen sind schon aufgetreten und Lesungen werden veranstaltet.
Die Proteste fallen zusammen mit dem Aufruhr in der ganzen arabischen Welt, doch in direktem Zusammenhang stünden sie mit den Forderungen nach Demokratie in den Nachbarländern nicht, meint Majdal: „Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben uns nicht direkt inspiriert. Aber sie haben bewirkt, dass die Leute sich wieder für das politische Geschehen interessieren, Nachrichten schauen. Und so sehen sie, was eigentlich in der palästinensischen Politik los ist!“
Angesichts des fortdauernden Schwebezustandes der palästinensischen Politik, war die Stimmung in der Bevölkerung lange erstaunlich ruhig, fast lethargisch. Die Jugendbewegung gibt dem friedlichen Widerstand gegen Israels Besatzung neues Leben und zieht die palästinensischen Politiker zur Verantwortung: „[Die Regierung] will ein anderes ‚friedlich‘ als wir: Sie wollen Verhandlungen, wir wollen zivilen Widerstand“, meint Majdal.
Zumindest haben die Proteste Politiker in beiden palästinensischen Enklaven in Unruhe versetzt. Damit sich aber Hamas und Fatah wirklich aufeinander zubewegen, bedarf es anhaltenden Drucks aus der Bevölkerung. In den kommenden Wochen wird die Fähigkeit der Jugendlichen, auf dem Manara-Platz dem Druck stand zu halten und auch andere Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren, über ihren Erfolg entscheiden.
Seit 2007 eine Einheitsregierung, bestehend hauptsächlich aus Hamas- und Fatah-Ministern, zerbrach, regiert die Hamas den Gazastreifen und die Fatah dominiert die Westbank. Alle bisherigen Initiativen zur Aussöhnung scheiterten. Die Konsequenzen der Teilung sind bedeutsam: Zum einen gibt es ohne eine einheitliche palästinensische Führung keine gefestigte palästinensische Position gegenüber Israel. Zum anderen sind freie, demokratische Wahlen angesichts der verhärteten Positionen unmöglich, fehlt es beiden rivalisierenden Regierungen also zunehmend an Legitimation.
Ob sich eine Regierung der Nationalen Einheit, ergo: ein von der Hamas und Fatah unterstütztes Technokratenkabinett, positiv auf den Friedensprozess auswirken würde, ist jedoch fraglich. Israels Premier Netanjahu kündigte bereits an, seine Regierung werde nicht mit einer Hamas-Koalition verhandeln. Verhandelt wird allerdings auch jetzt nicht, und die israelische Regierung scheint zu ernsthaften Bemühungen um eine Lösung auch nicht bereit zu sein.
Den Demonstranten in Gaza und der Westbank geht es auch um ein Ende der Besatzung. Doch zu der Wut über die israelische Besatzung kam in den letzten Jahren der Ärger über die eigene zerstrittene Führung hinzu. Einer der Protestler in Ramallah bringt das Unverständnis gegenüber den Politikern auf den Punkt: „Die können sich doch nicht auch noch gegenseitig bekriegen. Wohin soll das führen? In unserer aller Adern fließt das gleiche Blut!“
Mittlerweile hat sich das Stars & Bucks geleert und auf dem Manara kriechen die letzten Jugendlichen in ihre selbstgebastelten Zelte. Sie werden weiter ausharren in der Hoffnung, dass sich Hamas und Fatah an ihnen ein Beispiel nehmen und ihre Partikularinteressen gegenüber der nationalen Einigung zurückstellen werden.
Es herrscht aufgeregtes Treiben im Stars & Bucks-Coffeeshop in Ramallah: Gruppen von Studenten diskutieren lautstark, auf den Sofas in der Ecke tippen einige fleißig Zeilen in ihre Laptops, ständig klingeln Handys. Ab und zu schaut jemand aus dem Fenster, hinunter auf den Manara-Platz, das Herz der Stadt, wo sich eine kleine Menge zum Protest versammelt hat. Aus dem Café im zweiten Stock sind der Gesang und die Parolen der Menschen auf dem Platz nur schwer zu hören, doch ein großes Banner über ihren Köpfen macht ihre Botschaft deutlich: „Ja zur Versöhnung, Nein zur Spaltung“.
Seit über einer Woche wird in Ramallah und anderen Städten der Palästinensischen Gebiete demonstriert: Gegen die Spaltung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen und gegen die Politik von Fatah und Hamas, die sich gegenseitig diskreditieren, anstatt gemeinsam für einen palästinensischen Staat einzutreten.
Zum Auftakt der Proteste gingen am 15. März hunderttausende Menschen in Gaza und einige tausend in Ramallah, Hebron, Bethlehem und weiteren Städten in der Westbank auf die Straße. Die Demonstranten protestierten friedlich sowohl in der Westbank als auch in Gaza. Die rivalisierenden palästinensischen Regierungen begegneten ihnen unterschiedlich: In Gaza mobilisierte die Hamas ihre Anhänger zu Gegendemonstrationen und ließ die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Demonstranten vorgehen. Die PA-Kräfte in der Westbank hielten sich indes zurück: Polizisten beschränkten sich weitgehend darauf, das Geschehen zu beobachten. Einzelne Fatah-Anhänger, die sich von den Protesten angegriffen fühlen und diesen deshalb skeptisch gegenüber stehen, zettelten allerdings kleinere Auseinandersetzungen an.
Über den Massen der Demonstranten in Ramallah wehte ein Meer grün-weiß-schwarz-roter Flaggen. Die Initiatoren der Proteste hatten ausdrücklich darauf bestanden, dass nur die palästinensische Fahne wehen solle und keine der Parteien ihre Bewegung für sich vereinnahmen dürfe.
Die palästinensische Flagge weht über den Demonstranten auf dem Manara-Platz in Ramallah |
Seither versammeln sich am Manara-Platz in Ramallah jeden Tag dutzende Protestler, von denen eine Hand voll auch dort übernachtet und im Takt zu rhythmischen Trommelschlägen Parolen skandiert, wie: “Das Volk will das Ende der Spaltung“. Es sind junge Leute, die hier demonstrieren - sehr junge Leute, 17,18,21, ein Großteil von ihnen Studenten. Sie gehen auf die Straßen, um dem palästinensischen Volk eine Stimme zu verleihen und ihren Unmut kundzutun. Im Gegensatz zum Großteil ihrer Eltern, haben sie die Hoffnung, etwas bewegen und verändern zu können. Sie haben genug von den politischen Ränkespielen der Parteien. „Wir sind die Jugend und wir sind unabhängig!“, betont Faris, 18, und ergänzt: „Viele von uns waren mal Parteianhänger. Doch spätestens seit wir hier demonstrieren, haben wir die Verbindungen zu den Parteien gekappt.“
An einem Abend unter der Woche haben sich um die hundert Demonstranten versammelt. Auf einer Leinwand wird der Film “Jenin, Jenin“ gezeigt, ein Film über die Konfrontation der Israelischen Armee mit militanten Palästinensern in Jenin. Plötzlich rast ein Fahrzeug heran, kommt mit quietschenden Reifen hinter der Menge zu stehen. Hier und da wird “Mukhabarat“, Geheimdienst, geflüstert. Die Türen öffnen sich. Doch entgegen aller Erwartungen sind es nicht die omnipräsente Polizei oder der Geheimdienst, die schwer bewaffnet aus dem Fahrzeug springen, um diesem bunten Treiben ein Ende zu bereiten. Es ist lediglich der Konditor, der zur Freude der Anwesenden kalorienreiche Kuchenstücke verteilt.
Die Bewegung des 15. März, wie die Jugendlichen sich selbst nennen, stellt vier zentrale Forderungen: Konkrete Bemühungen um nationale Einheit und ein Ende der parteilichen Medienkampagnen. Die Freilassung aller politischen Gefangenen aus palästinensischen Gefängnissen. Gemeinsame Parlamentswahlen für alle Palästinenser, einschließlich derer im Exil und als Fernziel das Ende der Besatzung.
Mehrere Demonstranten traten schon in den Tagen vor dem 15. März in einen Hungerstreik, mit der Absicht ihn erst zu beenden, wenn echte Bemühungen der Regierenden um die nationale Einigung zu sehen seien. Ende letzter Woche unterbrachen sie den Hungerstreik für drei Tage, nachdem gleich am Tag nach den Massenprotesten Hamas-Premier Ismail Haniyyeh den Vorsitzenden der Fatah, Mahmud Abbas, zu Verhandlungen nach Gaza eingeladen und dieser die Einladung angenommen hatte. Der Besuch ist bislang nicht zustande gekommen: Auch nach über einer Woche sind sich die Parteien nicht über den Rahmen der Gespräche einig. Abbas betonte, er wolle nicht für Verhandlungen nach Gaza reisen, sondern mit der ausdrücklichen Absicht, eine Einheitsregierung zu bilden. Die Hamas-Regierung bezweifelte, dass dies in nur einem Treffen gelingen könne, wiederholte aber beständig ihre Einladung.
Am Sonntag wurde der Hungerstreik in der Westbank wieder aufgenommen. Sechs junge Männer haben den Anfang gemacht, drei weitere sollen jeden Tag hinzukommen. Montaser Ali, 20, ist einer der Hungerstreikenden, die unter einer Plane am Manara-Platz ausharren. Die dunklen Ringe um seine Augen zeugen von unbequemen Nächten, trotzdem stimmt er kräftig in die Rufe der Menge ein: „Wir wollen die Teilung beenden! Wir brauchen kein Brot und kein Öl, wir wollen vereint sein!“
Montaser vertreibt sich die Zeit mit der Lektüre von Khalil Gibran Khalil |
Stars & Bucks bietet der losen Gruppe der etwa 20 jungen Organisatoren der Proteste in Ramallah ein provisorisches Hauptquartier – und eine Internetverbindung. Die Protestbewegung organisiert sich über Blogs, soziale Netzwerke und hat in Facebook-Gruppen ihren Anfang genommen: In den letzten Monaten haben diese Gruppen, die sich gegen die zerstrittene Elite und den politischen Stillstand aussprechen, enormen Zuspruch gefunden. Sie begannen sich zu vernetzen und organisierten schließlich koordinierte Proteste. Obgleich die palästinensischen Proteste im Internet begannen, findet die 22jährige Journalismusstudentin Majdal Nihmeh das Gerede von einer „virtuellen Intifada“ aber „lächerlich“. „Über Facebook können wir die Besatzung nicht beenden. Facebook ist eher so etwas wie ein gutes Stimmungsbarometer.“
Majdal ist eine der Vorreiterinnen der Bewegung geworden, in der sich junge Frauen und Männer tagsüber gleichermaßen engagieren. Nur nach Einbruch der Dunkelheit ist von den Mädchen nichts mehr zu sehen: „Wir würden auch gern auf dem Platz übernachten, aber das würde in den Augen der Gesellschaft wirklich zu weit gehen. Die Leute sollen kein falsches Bild von unserer Bewegung bekommen, und so sind wir eben am Tag hier.“
Nachdem anfangs mehrere Mädchen in der Menge sexuell belästigt wurden, haben die Organisatoren veranlasst, dass die Protestanten sich hinsetzen, einen Kreis bilden. Das entspricht ihrer Strategie der Deeskalation im Allgemeinen: „Wir gehen auf alle zu, gerade auch auf die Fatah-Anhänger, und beziehen sie ein. Diese Proteste sind für alle Palästinenser!“, erklärt Majdal. Um jeglicher Gewalt vorzubeugen, begleitet inzwischen ein Kulturprogramm die Demonstration in Ramallah. Mehrere bekannte palästinensische Sängerinnen sind schon aufgetreten und Lesungen werden veranstaltet.
Die Proteste fallen zusammen mit dem Aufruhr in der ganzen arabischen Welt, doch in direktem Zusammenhang stünden sie mit den Forderungen nach Demokratie in den Nachbarländern nicht, meint Majdal: „Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben uns nicht direkt inspiriert. Aber sie haben bewirkt, dass die Leute sich wieder für das politische Geschehen interessieren, Nachrichten schauen. Und so sehen sie, was eigentlich in der palästinensischen Politik los ist!“
Angesichts des fortdauernden Schwebezustandes der palästinensischen Politik, war die Stimmung in der Bevölkerung lange erstaunlich ruhig, fast lethargisch. Die Jugendbewegung gibt dem friedlichen Widerstand gegen Israels Besatzung neues Leben und zieht die palästinensischen Politiker zur Verantwortung: „[Die Regierung] will ein anderes ‚friedlich‘ als wir: Sie wollen Verhandlungen, wir wollen zivilen Widerstand“, meint Majdal.
Hunderte junge Palästinenser gingen in Ramallah auf die Straße |
Zumindest haben die Proteste Politiker in beiden palästinensischen Enklaven in Unruhe versetzt. Damit sich aber Hamas und Fatah wirklich aufeinander zubewegen, bedarf es anhaltenden Drucks aus der Bevölkerung. In den kommenden Wochen wird die Fähigkeit der Jugendlichen, auf dem Manara-Platz dem Druck stand zu halten und auch andere Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren, über ihren Erfolg entscheiden.
Seit 2007 eine Einheitsregierung, bestehend hauptsächlich aus Hamas- und Fatah-Ministern, zerbrach, regiert die Hamas den Gazastreifen und die Fatah dominiert die Westbank. Alle bisherigen Initiativen zur Aussöhnung scheiterten. Die Konsequenzen der Teilung sind bedeutsam: Zum einen gibt es ohne eine einheitliche palästinensische Führung keine gefestigte palästinensische Position gegenüber Israel. Zum anderen sind freie, demokratische Wahlen angesichts der verhärteten Positionen unmöglich, fehlt es beiden rivalisierenden Regierungen also zunehmend an Legitimation.
Ob sich eine Regierung der Nationalen Einheit, ergo: ein von der Hamas und Fatah unterstütztes Technokratenkabinett, positiv auf den Friedensprozess auswirken würde, ist jedoch fraglich. Israels Premier Netanjahu kündigte bereits an, seine Regierung werde nicht mit einer Hamas-Koalition verhandeln. Verhandelt wird allerdings auch jetzt nicht, und die israelische Regierung scheint zu ernsthaften Bemühungen um eine Lösung auch nicht bereit zu sein.
Den Demonstranten in Gaza und der Westbank geht es auch um ein Ende der Besatzung. Doch zu der Wut über die israelische Besatzung kam in den letzten Jahren der Ärger über die eigene zerstrittene Führung hinzu. Einer der Protestler in Ramallah bringt das Unverständnis gegenüber den Politikern auf den Punkt: „Die können sich doch nicht auch noch gegenseitig bekriegen. Wohin soll das führen? In unserer aller Adern fließt das gleiche Blut!“
Mittlerweile hat sich das Stars & Bucks geleert und auf dem Manara kriechen die letzten Jugendlichen in ihre selbstgebastelten Zelte. Sie werden weiter ausharren in der Hoffnung, dass sich Hamas und Fatah an ihnen ein Beispiel nehmen und ihre Partikularinteressen gegenüber der nationalen Einigung zurückstellen werden.
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