Montag, 21. März 2011

Presseschau zum Krieg gegen Libyens Regime: »Gaddafi lockt den Westen in ein militärisches Abenteuer«

von Christoph Sydow und Björn Zimprich

In der vergangenen Woche beschloss der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1973 die Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen und den Einsatz militärischer Mittel zum Schutz der Zivilbevölkerung. Die arabische Presse reagiert gespalten auf den Beschluss und den am Wochenende angelaufenen internationalen Militäreinsatz. Zwar sind sich die Kommentatoren darin einig, dass Gaddafi seine Legitimation verloren habe und die Libyer vor seinen Truppen geschützt werden müssen. In Leitartikeln warnen jedoch einige Beobachter vor einem langfristigen Konflikt mit ungewissem Ausgang, an dessen Ende die Spaltung Libyens stehen könnte. Zudem äußern sie Zweifel daran, dass es der internationalen Koalition wirklich nur um die Durchsetzung der Menschenrechte geht.


Die internationale Intervention sei die einzige Hoffnung für das von einem Genozid bedrohten libyschen Volk, so die Einschätzung von Sati Nur al-Din in der libanesischen Zeitung al-Safir. Jede Verzögerung hätte zu einer Verschärfung der Lage führen können. Der Kommentator sieht vor allem die Gefahr einer Spaltung Libyens. »Das könnte zu einem der längsten Bürgerkriege in Afrika oder der ganzen Welt führen, besonders weil die Ölanlagen genau an der Grenzlinie zwischen Ost und West verlaufen.«

Es bestehe jedoch die Befürchtung, dass sich der Westen wieder von Gaddafi spalten lasse, »und einmal mehr vor dem Geld einknickt«. Ein Scheitern sei jedoch unwahrscheinlich, weil die Europäer eine Wiederholung der Völkermorde in Bosnien und Ruanda verhindern wollten. Daher sei das UN-Mandat eine »kostbare Gelegenheit für das libysche Volk« sich seines Diktators zu entledigen.

»Der Alptraum ist noch nicht vorbei«

Auch Muhammad Tuwair fordert in seinem Leitartikel für die tunesische Zeitung al-Sabah eine schnelle Umsetzung der UN-Resolution. »Endlich wurde die internationale Gemeinschaft davon überzeugt, dass die Weigerung schnell gegen Gaddafi vorzugehen, der bei der großen Mehrheit der Libyer alle Legitimation verloren hat, katastrophale Folgen haben wird, angesichts des Ungleichgewichts zwischen den regimetreuen Kräften und den libyschen Rebellen.« Es sei jedoch auch klar, dass dieser »Alptraum« damit noch nicht vorbei ist. »Gaddafi wird versuchen, maximale Verluste und Tragödien zu verursachen, bevor er zum Rückzug gezwungen wird.«

Als »großartigen Beschluss« bezeichnet Hussein Shubukshi die UN-Resolution 1973 in seinem Kommentar für die von Saudis finanzierte al-Sharq al-Awsat aus London. »Die ganze Welt stimmt heute deutlich darin überein, dass das Gaddafi-Regime enden und das libysche Volk von dieser abnormalen Situation befreit werden muss.«

Der Kommentator lobt die Vorreiterrolle der Golfstaaten und des Libanon dabei, eine internationale Koalition gegen den libyschen Diktator zu schmieden, »trotz der Existenz internationaler Parteien, die zögerten und die Verabschiedung des Beschlusses bedrohten.« Die UN-Resolution beweise, dass in Zeiten der neuen Medien auch Tyrannen wie Gaddafi nicht mehr im Verborgenen handeln könnten. »Die libyschen Rebellen können nicht länger sagen, dass sie in der großen Schlacht allein dastehen.«

»Der Westen darf die Krise nicht instrumentalisieren«

Deutlich kritischer bewertet Ahmad Hamadeh in der staatlichen syrischen Tageszeitung al-Thawra die Entscheidung des UN-Sicherheitsrats. Nach seiner Ansicht sei die Begründung, dass die internationale Gemeinschaft Massaker in Ajdabiyah, Benghazi und anderen Städten verhindern wolle, lediglich ein Vorwand. Trotz der Warnungen aus Syrien und Algerien habe die Arabische Liga die internationale Einmischung legitimiert. Es müsse jedoch »die Tragödie und das Blutvergießen des libyschen Volks gestoppt werden, ohne dem Westen zu gestatten, die Krise für seine Zwecke zu instrumentalisieren.«

Die Haltung gegenüber Libyen zeige zudem einmal mehr, dass »die USA und einige westliche Mächte« im Nahen Osten mit zweierlei Maß messen. »Sie rührten keinen Finger gegen Israels Verbrechen in den besetzten arabischen Gebieten, als die Flugzeuge Zivilisten bombardierten, Tausende im belagerten Gazastreifen getötet und verwundet wurden. Sie trafen keine Entscheidung um das palästinensische Volk zu unterstützen, das seit Jahrzehnten unter einem Embargo, Besatzung und Terror leidet.«

Nawaf Abu al-Hija erinnert in seinem Kommentar für al-Dustur aus Amman daran, dass arabische Staaten in der Vergangenheit oft unter Entscheidungen der Vereinten Nationen zu leiden gehabt hätten. »Wir Araber blicken auf eine schmerzhafte Geschichte von UN-Resolutionen – besonders von solchen, die unter Kapitel VII der UN-Charta verabschiedet wurden.« Besonders der Irak habe noch heute mit den Folgen von UN-Beschlüssen zu kämpfen.

Dennoch sei Resolution 1973 richtig, so Abu al-Hija. »Es gibt die Notwendigkeit einen Weg zu finden, die Zivilisten in Libyen vor der Brutalität der kriminellen Bande zu schützen.« Die westliche Einmischung müsse jedoch innerhalb enger Grenzen erfolgen: »Nein zur Invasion fremder Truppen in Libyen. Nein zur Einmischung in die inneren Abläufe in Libyen. Ja zur Flugverbotszone im Himmel, über Wasser und Land. Ja zur Zerstörung libyscher Werkzeuge, mit denen Zivilisten getötet werden.«

»Die arabischen Staaten stecken in einem Dilemma«

»Wenn sich das Öl mit dem libyschen Blut mischt« - so überschreibt Ramadan Belamri seinen Leitartikel für die algerische Zeitung al-Khabar. Frankreich treibe die westliche Intervention voran, um sich nach dem Sturz Gaddafis den Löwenanteil des libyschen Öls zu sichern. Deshalb habe Paris auch als erste Regierung den Nationalen Libyschen Rat anerkannt.

Das Dilemma der arabischen Staaten sei groß, analysiert Belamri.: »Niemand mag Gaddafi und niemand hasst das libysche Volk.« Die Arabische Liga habe den UN-Sicherheitsrat gebeten, einen arabischen Staat zu bestrafen, gleichzeitig garantiere die Charta der Liga die Souveränität jedes Mitgliedslandes. »Selbst Algerien ist in einer unbequemen Situation. Keiner versteht die offizielle Position und weiß, ob die Regierung auf Seiten Gaddafis oder der Rebellen steht.«

Der syrische Autor Ali Irsan blickt in der omanischen Zeitung al-Watan ebenfalls mit Sorge auf UN-Resolution 1973. Besonders die Klausel, dass die internationale Gemeinschaft »alle Mittel« einsetzen dürfe, um die Zivilbevölkerung zu schützen, bewertet der Kommentator kritisch.: »Das bedeutet, dass man die Türen für einen anhaltenden Konflikt und für einen Bürgerkrieg öffnet, ähnlich zu dem, was zwischen den beiden Koreas, zwischen Nord- und Südvietnam und in Kambodscha im 20. Jahrhundert passierte.« Auch Irsan befürchtet eine Spaltung des Landes in einen Westteil unter der Herrschaft Gaddafis und einen Ostteil unter Kontrolle des Nationalrats. Die Gefahren, die sich daraus für die gesamte Region ergeben, seien noch gar nicht absehbar.

Der Ausgang des Konflikts sei vollkommen offen, meint Nuri Shakir, Kommentator für al-Bayan aus Dubai. »Bis zu welchem Umfang kann die vom Westen verhängte Flugverbotszone erfolgreich sein? Die Erfahrung hat in Kosovo und im Irak gezeigt, dass später Bodentruppen entsandt werden. Das wird auch für Libyen befürchtet. Hierin liegt das Desaster, nicht jetzt, aber später. Wie wird dann das Schicksal der Rebellen aussehen?«

Shakir kritisiert, dass die westlichen Staatsmänner – egal ob Sarkozy, Berlusconi oder Obama – den Konflikt nutzten, um innenpolitisch Punkte zu sammeln. »In dieser Gemengelage bezahlen die Libyer den höchsten Preis für ihre Freiheit.«

»Libysche Generalprobe und syrisches Ziel«

Abdelbari Atwan stellt in seinem Kommentar »Libysche Generalprobe und syrisches Ziel« für al-Quds al-Arabi die Geschehnisse um die Errichtung einer Flugverbotszone über libyschem Territorium in einen Zusammenhang mit den Entwicklungen in anderen Teilen der arabischen Welt.

So geht er auf die Demonstrationen im Jemen ein, die am selben Tag der Abstimmung in New York stattfanden. »Nur wenige Stunden nach der Verabschiedung der UN-Sicherheitsrat Resolution 1973, die eine auswärtige militärische Intervention zum Schutz der libyschen Revolution erlaubt, […] bringen die jemenitischen Sicherheitskräfte, bei einem Sturm auf eine Moschee in Sanaa, mehr als vierzig friedliche jemenitische Demonstranten um und verletzen Hunderte.«

Die Toten seien von den jemenitischen Sicherheitskräften gewollt gewesen. Was allerdings den Unterschied zu Libyen liefern würde, ist, dass der Jemen eines der ärmsten Länder der Welt ist und sich dort keine Ölreserven befänden. Abdelbari Atwan wirft dem Westen in diesem Zusammenhang vor, es gäbe »eine Selektion im Schutze der Revolutionen«.

Er fährt fort indem er auf das starke Zögern der amerikanischen Regierung eingeht. Barack Obama hätte auf eine ranghohe arabische Beteiligung bestanden, die nun allerdings nur aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) besteht.

Militärisches Abenteuer des Westens

»Wahrscheinlich übertreibt man nicht, wenn man sagt, dass es dem libyschen Oberst, den einige arabische Kommentatoren als verrückt bezeichnen, gelungen ist, den Westen in ein militärisches Abenteuer zu locken ... und die friedliche Revolution in einen militärischen Aufstand zu verwandeln.«

Denn die Situation in Libyen könnte sich ähnlich entwickeln wie im Irak. Auch dort bestanden seit 1994 zuerst Flugverbotszonen im Norden und im Süden, bevor sich die USA und Großbritannien schlussendlich zu einer umfassenden Intervention entschlossen, die die bekannten verheerenden Folgen für den Irak hatte.

Abdelbari Atwan blickt warnend auf die Situation in Libyen: »Es gibt keinerlei Garantie, dass die westliche Intervention, für den Fall, dass sie verwirklicht wird, die gewünschten Ergebnisse bringt, sondern Sie könnte sich ins Gegenteil verkehren und viel mehr Gefahren liefern.« In diesem Zusammenhang geht er auch auf das Verhalten Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ein: »Dies erklärt, warum ein Staat wie Deutschland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat dem Beispiel von Brasilien, China oder Russland (folgte).«

In Bezug auf Libyen äußert sich Atwan pessimistisch. »Libyen ist ein Kandidat für Bürgerkrieg und es besteht die Gefahr der Teilung, ja des Staatszerfalls.« Er äußert hier, wie auch in anderen seiner Artikel Kritik an der schnellen Verurteilung und internationalen Isolierung von Gaddafi und seines Familienclans. Ihnen seien damit die Chancen zu einer Flucht aus Libyen genommen worden, was ihnen nur noch die Möglichkeit zum Kampf ließe.

Zum Abschluss spekuliert Bari, dass es sich bei der kommenden westlichen Intervention in Libyen um eine Generalprobe für Länder wie Syrien oder den Iran handelt. Diese Länder seien aber im Vergleich zu Libyen viel schwieriger zu bekämpfen.

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