Saudi-Arabien gehört zu den wenigen Ländern, in denen die arabische Protestbewegung bislang nicht Fuß gefasst hat. Das könnte sich schon bald ändern. Via Internet fordern Saudis Reformen und rufen zu Kundgebungen auf. König Abdullah versucht seine Untertanen mit Geldgeschenken zu besänftigen.
Die Einschläge kommen näher. Irak, Jordanien, Bahrain, Oman, Jemen – mittlerweile gehen die Menschen in fast jedem Nachbarland Saudi-Arabiens für Reformen auf die Straße. Nur im Königreich selbst ist die nahöstliche Protestbewegung bislang noch nicht angekommen. Doch die Nervosität in Riad wächst.
Über Facebook rufen Oppositionelle für den 11. und 20. März 2011 zu Protesten auf. Die Forderungen der Organisatoren sind weitreichend und rütteln an den Grundfesten des saudischen Staats. Unter anderem verlangen die Internetaktivisten einen nationalen Dialog, der eine Verfassungsreform erreichen soll, sowie freie Wahlen, an denen sich auch Frauen beteiligen dürfen. In einer zwölf Punkte umfassenden »Deklaration der Nationalen Reform« fordern Oppositionelle außerdem die Garantie der Meinungsfreiheit, die Freilassung aller politischen Gefangenen und das klare Bekenntnis der Regierung, diese Reformen innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens umzusetzen.
Eine andere Petition unter der Überschrift »Zu einem Staat der Rechte und Institutionen« wurde mittlerweile von 1500 saudischen Persönlichkeiten unterzeichnet. Zu ihnen gehört mit Salman
al-Audah auch einer der bekanntesten islamischen Rechtsgelehrten des Landes. Die Bittsteller kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft, Liberale und Menschenrechtler gehören genauso dazu wie Vertreter des weitgefächerten islamistischen Spektrums.
Diese Forderungen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem die Monarchie angeschlagen ist. König Abdullah ist krank, wurde im November des vergangenen Jahres in New York operiert und ist nach einem dreimonatigen Erholungsurlaub in Marokko erst kürzlich wieder nach Saudi-Arabien zurückgekehrt. Anlässlich seiner Heimreise versprach das Königshaus am 23. Februar ein umfangreiches Sozialleistungspaket in Höhe von umgerechnet 26 Milliarden Euro.
Mit dem Geld sollen unter anderem die Gehälter der staatlichen Angestellten um 15 Prozent angehoben werden. 180.000 befristet Angestellte werden zudem dauerhaft in den Staatsdienst aufgenommen. Mehr als sieben Milliarden Euro sollen in den Entwicklungsfond fließen, der zinsfreie Kredite an Saudis vergibt, die im Ausland studieren, heiraten, Häuser bauen oder Unternehmen gründen wollen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds 12.000 US-Dollar und liegt damit doppelt so hoch wie etwa in Ägypten. Doch auch im ölreichen Saudi-Arabien gibt es Armut. Jeder dritte Saudi unter 30 Jahren ist arbeitslos, viele Jugendliche sehen keine Perspektive für sich.
Prinz al-Walid bin Talal springt den Reformern bei
Die Königsfamilie ist bestrebt, den Eindruck zu vermeiden, dass dieser Geldregen mit den Unruhen in der arabischen Welt in Zusammenhang steht und hat erklärt, dass die Zahlungen seit langem geplant gewesen seien. Tatsächlich reagierten viele Saudis ebenso überrascht wie positiv auf die angekündigte Finanzspritze. Doch gleichzeitig beklagen im Internet viele Untertanen Abdullahs, dass damit die tiefer liegenden Probleme ihrer Gesellschaft – Arbeitslosigkeit, Korruption und die willkürlichen Festnahmen von Regimegegnern ohne Gerichtsverfahren – nicht angegangen würden.
Hinzu kommen lokale Probleme: So machen viele Bewohner der Küstenstadt Jeddah die Regierung dafür verantwortlich, dass im vergangenen Jahr bei heftigen Regenfällen zehn Menschen ums Leben kamen. Sie prangern jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur und das schlechte Krisenmanagement der Staatsführung für die Todesopfer an.
Großer Ärger herrscht darüber hinaus über die Arbeit vieler Minister, die nach Ansicht der Oppositionellen zum einen oft zu alt und zum anderen nicht an der politischen Arbeit zum Wohle ihrer Bürger interessiert seien. Sie fordern die Senkung des Durchschnittsalters der Kabinettsmitglieder von derzeit 65 auf künftig 40 Jahre. Fast jeder zweite der 18 Millionen Saudis ist unter 18 Jahre alt – diese Altersstruktur müsse sich zumindest ansatzweise auch in der Regierung niederschlagen, so die Forderung.
Prominente Unterstützung erhalten die Unzufriedenen von einem ranghohen Mitglied des Königshauses selbst. Prinz al-Walid bin Talal, Neffe von König Abdullah, Medienmogul und einer der zwanzig reichsten Menschen der Welt, schrieb in einem Meinungsartikel der New York Times: »Die beruhigenden Instrumente von gestern, mit denen die Menschen besänftigt werden sollen, können bedeutsame Reformen nicht länger ersetzen. Der Wind des Wandels weht mit Kraft über unsere Region und es wäre wahnwitzig davon auszugehen, dass er sich alsbald verziehen wird.«
Als Abdullah im Jahr 2005 den saudischen Thron bestieg, waren bei vielen Saudis die Hoffnungen auf durchgreifende Reformen groß. Doch meist ist es bei Versprechungen und wagen Zusagen geblieben. Mehrfach rief der König in den vergangenen Jahren zu einem »Nationalen Dialog« auf, durch den das Volk an der Zukunft des Landes mitwirken sollte. Doch nach Einschätzung vieler Saudis wird der 87-Jährige dabei immer wieder von anderen Familienmitgliedern ausgebremst. Sie fürchten, dass der jetzige Innenminister Prinz Naif Nachfolger von König Abdullah werden könnte, denn auch Kronprinz Sultan ist bereits 83 Jahre alt und gilt als gesundheitlich angeschlagen. Naif gilt innerhalb der Herrscherfamilie als Hardliner, der jedes Reformvorhaben blockiert und besonders bei der schiitischen Minderheit im Lande verhasst ist.
Nicht al-Qaida, sondern die gut ausgebildete Jugend fordert das Königshaus heraus
Noch vor Abdullahs Inthronisierung fanden Anfang 2005 Kommunalwahlen statt, bei denen nur Männer stimmberechtigt waren. Turnusgemäß hätten vier Jahre später erneut Wahlen abgehalten werden müssen, diese wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Wichtige Pfeiler der Staatsdoktrin, wie die strikte Trennung der Geschlechter in der Öffentlichkeit und das Primat der Religion im Bildungssystem bleiben zudem unangetastet.
Deshalb wäre es auch ein Tabubruch, sollten am für nächsten Freitag angekündigten »Tag des Zorns« tatsächlich Männer und Frauen gemeinsam auf die Straße gehen und für Reformen demonstrieren. Schon bevor die ersten größeren Kundgebungen stattgefunden haben, steht das Herrscherhaus vor der größten Bewährungsprobe seit 1991. Damals protestierten viele Islamisten gegen die Stationierung von US-Truppen im Geburtsland des Islams infolge des Golfkriegs.
In den letzten zehn Jahren wurde stets das Terrornetzwerk al-Qaida, dem sich viele radikalisierte Saudis angeschlossen haben, als größte Gefahr für das Königreich angesehen. Nun muss auch die Führung in Riad feststellen, dass die größte Herausforderung ihrer Macht von seiner gut ausgebildeten, bestens vernetzten Jugend ausgeht, die von den erfolgreichen Umstürzen in Tunesien und Ägypten ermutigt wird.
Entsprechend nervös reagieren die saudischen Behörden. Seiten, auf denen die Petitionen der Reformbefürworter veröffentlicht wurden, sind in den letzten Tagen mehrfach blockiert worden. Einer der Administratoren einer Facebook-Seite, auf der zu Protesten aufgerufen wurde, soll nach unbestätigten Meldungen vor einigen Tagen erschossen worden sein.
Von den USA und Europa dürfen die Oppositionellen kaum Unterstützung erwarten. Angesichts der volatilen Lage in der Region und der rasch steigenden Ölpreise wäre ein Machtkampf in Saudi-Arabien ein Horrorszenario für den Westen. Das Königshaus in Riad ist der wichtigste arabische Verbündete im Machtkampf mit dem Iran und wird wegen seiner moderaten Haltung gegenüber Israel hofiert. Die Interessen der westlichen Regierungschefs und des saudischen Königs in der Region sind weitgehend deckungsgleich. Eine Entwicklung wie in Ägypten oder Tunesien gehört ganz sicher nicht dazu.
Die Einschläge kommen näher. Irak, Jordanien, Bahrain, Oman, Jemen – mittlerweile gehen die Menschen in fast jedem Nachbarland Saudi-Arabiens für Reformen auf die Straße. Nur im Königreich selbst ist die nahöstliche Protestbewegung bislang noch nicht angekommen. Doch die Nervosität in Riad wächst.
Über Facebook rufen Oppositionelle für den 11. und 20. März 2011 zu Protesten auf. Die Forderungen der Organisatoren sind weitreichend und rütteln an den Grundfesten des saudischen Staats. Unter anderem verlangen die Internetaktivisten einen nationalen Dialog, der eine Verfassungsreform erreichen soll, sowie freie Wahlen, an denen sich auch Frauen beteiligen dürfen. In einer zwölf Punkte umfassenden »Deklaration der Nationalen Reform« fordern Oppositionelle außerdem die Garantie der Meinungsfreiheit, die Freilassung aller politischen Gefangenen und das klare Bekenntnis der Regierung, diese Reformen innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens umzusetzen.
Eine andere Petition unter der Überschrift »Zu einem Staat der Rechte und Institutionen« wurde mittlerweile von 1500 saudischen Persönlichkeiten unterzeichnet. Zu ihnen gehört mit Salman
al-Audah auch einer der bekanntesten islamischen Rechtsgelehrten des Landes. Die Bittsteller kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft, Liberale und Menschenrechtler gehören genauso dazu wie Vertreter des weitgefächerten islamistischen Spektrums.
Diese Forderungen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem die Monarchie angeschlagen ist. König Abdullah ist krank, wurde im November des vergangenen Jahres in New York operiert und ist nach einem dreimonatigen Erholungsurlaub in Marokko erst kürzlich wieder nach Saudi-Arabien zurückgekehrt. Anlässlich seiner Heimreise versprach das Königshaus am 23. Februar ein umfangreiches Sozialleistungspaket in Höhe von umgerechnet 26 Milliarden Euro.
Mit dem Geld sollen unter anderem die Gehälter der staatlichen Angestellten um 15 Prozent angehoben werden. 180.000 befristet Angestellte werden zudem dauerhaft in den Staatsdienst aufgenommen. Mehr als sieben Milliarden Euro sollen in den Entwicklungsfond fließen, der zinsfreie Kredite an Saudis vergibt, die im Ausland studieren, heiraten, Häuser bauen oder Unternehmen gründen wollen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds 12.000 US-Dollar und liegt damit doppelt so hoch wie etwa in Ägypten. Doch auch im ölreichen Saudi-Arabien gibt es Armut. Jeder dritte Saudi unter 30 Jahren ist arbeitslos, viele Jugendliche sehen keine Perspektive für sich.
Prinz al-Walid bin Talal springt den Reformern bei
Die Königsfamilie ist bestrebt, den Eindruck zu vermeiden, dass dieser Geldregen mit den Unruhen in der arabischen Welt in Zusammenhang steht und hat erklärt, dass die Zahlungen seit langem geplant gewesen seien. Tatsächlich reagierten viele Saudis ebenso überrascht wie positiv auf die angekündigte Finanzspritze. Doch gleichzeitig beklagen im Internet viele Untertanen Abdullahs, dass damit die tiefer liegenden Probleme ihrer Gesellschaft – Arbeitslosigkeit, Korruption und die willkürlichen Festnahmen von Regimegegnern ohne Gerichtsverfahren – nicht angegangen würden.
Hinzu kommen lokale Probleme: So machen viele Bewohner der Küstenstadt Jeddah die Regierung dafür verantwortlich, dass im vergangenen Jahr bei heftigen Regenfällen zehn Menschen ums Leben kamen. Sie prangern jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur und das schlechte Krisenmanagement der Staatsführung für die Todesopfer an.
Großer Ärger herrscht darüber hinaus über die Arbeit vieler Minister, die nach Ansicht der Oppositionellen zum einen oft zu alt und zum anderen nicht an der politischen Arbeit zum Wohle ihrer Bürger interessiert seien. Sie fordern die Senkung des Durchschnittsalters der Kabinettsmitglieder von derzeit 65 auf künftig 40 Jahre. Fast jeder zweite der 18 Millionen Saudis ist unter 18 Jahre alt – diese Altersstruktur müsse sich zumindest ansatzweise auch in der Regierung niederschlagen, so die Forderung.
Prominente Unterstützung erhalten die Unzufriedenen von einem ranghohen Mitglied des Königshauses selbst. Prinz al-Walid bin Talal, Neffe von König Abdullah, Medienmogul und einer der zwanzig reichsten Menschen der Welt, schrieb in einem Meinungsartikel der New York Times: »Die beruhigenden Instrumente von gestern, mit denen die Menschen besänftigt werden sollen, können bedeutsame Reformen nicht länger ersetzen. Der Wind des Wandels weht mit Kraft über unsere Region und es wäre wahnwitzig davon auszugehen, dass er sich alsbald verziehen wird.«
Als Abdullah im Jahr 2005 den saudischen Thron bestieg, waren bei vielen Saudis die Hoffnungen auf durchgreifende Reformen groß. Doch meist ist es bei Versprechungen und wagen Zusagen geblieben. Mehrfach rief der König in den vergangenen Jahren zu einem »Nationalen Dialog« auf, durch den das Volk an der Zukunft des Landes mitwirken sollte. Doch nach Einschätzung vieler Saudis wird der 87-Jährige dabei immer wieder von anderen Familienmitgliedern ausgebremst. Sie fürchten, dass der jetzige Innenminister Prinz Naif Nachfolger von König Abdullah werden könnte, denn auch Kronprinz Sultan ist bereits 83 Jahre alt und gilt als gesundheitlich angeschlagen. Naif gilt innerhalb der Herrscherfamilie als Hardliner, der jedes Reformvorhaben blockiert und besonders bei der schiitischen Minderheit im Lande verhasst ist.
Nicht al-Qaida, sondern die gut ausgebildete Jugend fordert das Königshaus heraus
Noch vor Abdullahs Inthronisierung fanden Anfang 2005 Kommunalwahlen statt, bei denen nur Männer stimmberechtigt waren. Turnusgemäß hätten vier Jahre später erneut Wahlen abgehalten werden müssen, diese wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Wichtige Pfeiler der Staatsdoktrin, wie die strikte Trennung der Geschlechter in der Öffentlichkeit und das Primat der Religion im Bildungssystem bleiben zudem unangetastet.
Deshalb wäre es auch ein Tabubruch, sollten am für nächsten Freitag angekündigten »Tag des Zorns« tatsächlich Männer und Frauen gemeinsam auf die Straße gehen und für Reformen demonstrieren. Schon bevor die ersten größeren Kundgebungen stattgefunden haben, steht das Herrscherhaus vor der größten Bewährungsprobe seit 1991. Damals protestierten viele Islamisten gegen die Stationierung von US-Truppen im Geburtsland des Islams infolge des Golfkriegs.
In den letzten zehn Jahren wurde stets das Terrornetzwerk al-Qaida, dem sich viele radikalisierte Saudis angeschlossen haben, als größte Gefahr für das Königreich angesehen. Nun muss auch die Führung in Riad feststellen, dass die größte Herausforderung ihrer Macht von seiner gut ausgebildeten, bestens vernetzten Jugend ausgeht, die von den erfolgreichen Umstürzen in Tunesien und Ägypten ermutigt wird.
Entsprechend nervös reagieren die saudischen Behörden. Seiten, auf denen die Petitionen der Reformbefürworter veröffentlicht wurden, sind in den letzten Tagen mehrfach blockiert worden. Einer der Administratoren einer Facebook-Seite, auf der zu Protesten aufgerufen wurde, soll nach unbestätigten Meldungen vor einigen Tagen erschossen worden sein.
Von den USA und Europa dürfen die Oppositionellen kaum Unterstützung erwarten. Angesichts der volatilen Lage in der Region und der rasch steigenden Ölpreise wäre ein Machtkampf in Saudi-Arabien ein Horrorszenario für den Westen. Das Königshaus in Riad ist der wichtigste arabische Verbündete im Machtkampf mit dem Iran und wird wegen seiner moderaten Haltung gegenüber Israel hofiert. Die Interessen der westlichen Regierungschefs und des saudischen Königs in der Region sind weitgehend deckungsgleich. Eine Entwicklung wie in Ägypten oder Tunesien gehört ganz sicher nicht dazu.
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