Samstag, 5. März 2011

Israelische und palästinensische Politiker zu den Umstürzen in der Arabischen Welt

Israelis und Palästinenser verfolgen die Umsturzbewegungen in ihren arabischen Nachbarländern mit großer Aufmerksamkeit. Palästinensische Politiker erhoffen sich vom Regimewechsel in Kairo mehr Unterstützung für ihren Kampf für einen eigenen Staat. Auf israelischer Seite blickt man mit Skepsis auf die Entwicklungen vor der eigenen Haustür. In Gesprächen mit israelischen und palästinensischen Politikern habe ich einige Einschätzungen zur Bedeutung der Ereignisse für den Nahostkonflikt gesammelt.


Ahmad Youssef, ideologischer Vordenker der Hamas-Bewegung und ehemaliger Vize-Außenminister Palästinas, sieht Israel durch die Aufstände im Nahen Osten geschwächt:

Bis vor kurzem wurden die Staaten des Nahen Ostens danach definiert, ob sie sich dem amerikanischen oder dem iranischen Block zugehörig fühlten. Die Ereignisse in Ägypten, Libyen oder Tunesien werden den Prozess, mit dem diese Polarisierung beendet wird, beschleunigen. Eine neue Struktur und ein neuer Ansatz werden entstehen. Die neuen Regierungen wissen, dass die palästinensische Frage die Mutter aller Konflikte darstellt. Deshalb wird jeder versuchen, die Palästinenser zufrieden zu stellen, durch Geldzahlungen, humanitäre Hilfe und im Falle Ägyptens durch Öffnung der Grenzen.
Ägypten als arabisches Rückgrat wird sich von Israel distanzieren und auch die Türkei hat sich nach den Ereignissen auf der Gaza-Flotille zurück an die Seite der Araber gestellt. Nimmt man den Iran zu Ägypten und der Türkei mit dazu, dann kann Palästina zukünftig auf die drei wichtigsten Regionalmächte zählen. Die Zeit ist auf unserer Seite. Die Vereinigten Staaten müssen ihre Unterstützung für Israel wegen ihrer strategischen Interessen überdenken. Als Konsequenz werden die USA gezwungen sein, eine ausgewogene Politik im Nahen Osten zu verfolgen. Dadurch wird Israel mehr und mehr isoliert. Im Moment hat Amerika seine Glaubwürdigkeit verloren, weil sie die UN-Resolution über die israelischen Siedlungen mit ihrem Veto verhindert hat. Dies gilt umso mehr, weil die Hoffnungen nach Obamas Kairoer Rede und durch seinen Druck, der zu Husni Mubaraks Rücktritt geführt hat und den ich als großartige amerikanische Politik betrachtet habe, sehr groß waren.

Ibrahim Sasour, Knessetabgeordneter und führendes Miglied der Islamischen Bewegung in Israel, ist enttäuscht von der israelischen Reaktion auf die Geschehnisse in Nahost:

Ich war von der demokratischen Revolution der Jugend in Ägypten sehr überrascht. Ägypten kann als das wichtigste arabische Land zum Motor des Wandels werden. Lasst uns abwarten, was in Syrien, Irak und Saudi-Arabien passiert, den anderen arabischen Staaten, die die Region dominieren.

Wir als Islamisten erkennen an, dass unser Wunsch nach einem vereinten arabischen Staat unrealistisch ist. Dennoch wird die anhaltende Welle der Demokratie zu Einigkeit hinsichtlich politischer Strategien führen. Das wird besonders hinsichtlich des Nahostkonflikts der Fall sein, der für die internationale Gemeinschaft im Zentrum steht. Eine gerechte Lösung wird durch die neuen regionalen Rahmenbedingungen wahrscheinlicher.
Es hat nach den Umstürzen in der Region einen Wandel in Israels Verhalten gegeben, jedoch in eine negative Richtung zu entwickeln. Jetzt sieht sich die Regierung und ihre führenden Vertreter wie Außenminister Avigdor Lieberman in ihrem Denken bestätigt, dass sie der einzige stabile Partner des Westens im Nahen Osten sei. Ich hatte gehofft, dass die israelische Öffentlichkeit ihre Regierung unter Druck setzen würde, ihre Politik zu ändern, weil die aktuelle Politik die Juden in eine neue Katastrophe führen könnte. Aber Israel ist kein Staat in Europa! Wir Araber mögen eine Minderheit in Israel sein, aber die Juden sind eine Minderheit im arabisch-muslimischen Meer.

Obama wollte den Wandel, hat aber nach zwei oder drei Monaten die weiße Flagge gehisst, weil Israel sich dem Wandel verweigerte. Er hat aufgehört eine faire Rolle zu spielen und die Europäer verhalten sich ähnlich. Deshalb glauben die Israelis, dass sie Schutz genießen, was auch immer sie tun. 
Nachdem, was wir in Ägypten gesehen haben, bin ich überzeugt davon, dass die Dinge in Bewegung geraten und nicht auf ewig gleich bleiben. Demokratie in der Arabischen Welt wird ein erster Schritt für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den arabischen Staaten sein.

Khaled Batsh, führendes Mitglied des Islamischen Jihad und verantwortlich für die Internationalen Beziehungen der Bewegung, erhofft sich von einer neuen Staatsführung in Ägypten mehr Unterstützung für die Palästinenser:

Ägypten war immer Palästinas großer Bruder und der mächtigste arabische Staat. Doch als Israel und Ägypten 1979 das Friedensabkommen von Camp David schlossen, bedeutete das gleichzeitig ein Einfrieren des palästinensischen Befreiungsprozesses auf regionaler Ebene. Jeder Wandel, der vom Volk unterstützt wird, so wie es in Ägypten der Fall war, ist gut für uns. Er wird den Geist der Demokratie in der Region stärken.

Lassen wir das Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten einmal beiseite – es wird die Ägypter nicht daran hindern unsere Sache zu unterstützen. Ich hoffe sie werden sich nach ihrer einzigartigen Erfahrung um uns sorgen. Ägypten kann seine Grenzen öffnen und dadurch die Belagerung Gazas aufheben. Ich hoffe, das wird passieren, aber behalten Sie im Hinterkopf: Das Regime in Kairo hat sich bis jetzt noch nicht grundlegend verändert.

Haneen Zoabi, Knesset-Abgeordnete für die arabische Partei Balad, sieht in den ägyptischen Demonstranten Vorbilder für die arabische Minderheit in Israel:

Wir sollten uns Ägypten zum Vorbild nehmen. Die Revolution dort zeigt, dass Veränderung möglich ist. Jeder Kampf hat seinen Preis und wir sind bereit, diesen Preis zu bezahlen. Die Ereignisse in Ägypten werden sich auf Israel stark auswirken. Das ägyptische Volk wird nicht mehr akzeptieren, von den USA und Israel instrumentalisiert zu werden. Es wird die Blockade Gaza und die israelische Besatzungspolitik generell nicht länger akzeptieren. Camp David das Beste was Israel damals passieren konnte, weil dadurch das mächtigste arabische Land neutralisiert wurde.

Sabri Saidam, Zweiter Vorsitzender im Revolutionsrat der Fatah, erklärt:

Die Israelis müssen verstehen, dass viele Konflikte in der Welt ganz eng mit Jerusalem verwoben sind. Die Tunesier und Ägypter, die für den Wandel demonstrierten trugen Schals, auf denen die Losung stand: „Befreit Jerusalem“

Einat Wilf, Mitglied der jüngst von Israels Verteidigungsminister Ehud Barak gegründeten Partei Atzmaut, blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft:

Die Entwicklung des israelisch-palästinensischen Konflikts in den nächsten fünf Jahren hängt komplett davon ab, was jetzt in der Arabischen Welt passiert. Wenn sich liberalere Gesellschaften entwickeln und eine demokratische Umgebung entsteht, werden die Chancen für einen Frieden dramatisch steigen. Aber wenn die Revolutionen zu mehr Radikalismus und einer Islamisierung führen sollten, werden die Aussichten sehr trübe.

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