Ein Kommentar von Dominik Peters
Mehr Effizienz. Mehr Kontinuität. Mehr Kohärenz. Das waren die drei Ziele, die sich die Europäische Union für ihre künftige gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik in den Lissaboner Vertrag geschrieben hat. Doch die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten und im Maghreb zeigen, dass Brüssel weit davon entfernt ist diese Ziele zu realisieren.
Es war der Vorgeschmack auf das, was folgen sollte: Als es im Dezember 2008 zum Gaza-Krieg kam, sprach Europa mit mehreren Stimmen. Karel Schwarzenberg, der damalige tscheschiche Außenminister und seinerzeit EU-Ratspräsident, unterstrich mit Nachdruck Israels Recht auf Verteidigung und legitimierten den Waffengang; ebenso die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy reiste indes in seiner damaligen Rolle als „Co-Präsident der Mittelmeerunion“ in die Krisenregion und rügte Israel für das militärische Vorgehen im Gaza-Streifen.
Als die Krise in vollem Gange war, eilten zudem eine europäische Delegation nach Kairo und Jerusalem. Die bestand aus den Außenministern Frankreichs, Tschechiens und Schwedens sowie der Kommisarin für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik Benita Ferrero-Waldner, die Israels Vorgehen scharf verurteilte. Kurz darauf reisten schließlich insgesamt sechs europäische Regierungsvertreter – aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Großbritannien und Tschechien ins ägyptische Scharm al-Scheich, um eine Waffenruhe zu unterstützen.
Kritik von allen Seiten – aber keine Veränderungen
Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer bezeichnete die EU-Diplomatie daraufhin als einen „Flohzirkus“.[1] Auch Volker Perthes – Direktor der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) – und die Leiterin der Forschungsgruppe „Naher/Mittlerer Osten und Afrika“, Muriel Asseburg, bescheinigten der EU während des Konfliktes keine gute Figur gemacht zu haben: „Individuelle Vermittlungsversuche verliefen weitgehend im Sande; die EU im Ganzen hat sich als unfähig erwiesen, rasch geeint und tatkräftig aufzutreten“[2], schrieben sie im Berliner „Tagesspiegel“.
Und Timothy Garton Ash, Professor und Direktor des European Studies Centre der Universität Oxford, kam in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung zu dem Fazit: „In einem Moment, in dem die Vereinigten Staaten ausfallen, weil ein scheidender Präsident nichts tut, um das Schlachten zu beenden und ein neuer Präsident spürt, dass er noch nichts tun kann, hat Europa die Möglichkeit zu zeigen, welche Rolle es spielen kann. Und so sieht die aus: schwach, uneinig und noch immer so aufgeblasen wie in den frühen neunziger Jahren.“[3] Doch die Kritik, die von allen Seiten am Auftreten der EU geäußert wurde, führte zu keinen Veränderungen.
Den Zeitpunkt des Handelns wieder einmal verschlafen
Im Gegenteil. Die jüngsten dramatischen Veränderungen im Nahen Osten und dem Maghreb-Raum sind der Beweis dafür. Von den Ereignissen in Tunesien wurde man – wie jeder andere auch – überrumpelt. Niemand konnte den Umsturz vorsehen. Aber als sich die Protestwelle gen Kairo verschob und sich die Massen gegen Hosni Mubarak mit Mut und Ausdauer erhoben, da dauerte es lange, sehr lange, zu lange, bis sich Brüssel zu Wort meldete. Erst als absehbar war, dass der „Pharaoh“ seinen Palast räumen und die Macht abgeben würde, schaffte man es diesen Schock zu verdauen und sich auf die Seite der Demonstranten – die für mehr Demokratie, Freiheit und eine pluarlistische Gesellschaft gekämpft hatten und immer noch kämpfen – zu stellen.
Welche Gefühle, das lange Zögern und Zaudern, das Festhalten an dem Despoten, bei den Ägyptern ausgelöst haben, ist unschwer zu konstatieren. Verachtung.
Die EU wollte damals nicht so recht glauben, dass der Mann, der bis vor wenigen Wochen noch stellvertretender Präsident der sang und klanglos gescheiterten „Mittelmeerunion“ gewesen war - das sich unter anderem die Stärkung der Demokratie und politische Pluralismus auf die Fahnen geschrieben hatte - nun auf einmal nicht mehr der treue Verbündete sein sollte. Zwar fand beispielsweise der deutsche Außenminister Guido Westerwelle schlussendlich klare und deutliche Worte, stellte sich auf die Seite der Ägypter, aber über den desolaten Zustand der EU-Außenpolitik hat das nicht hinweg getäuscht. Man hatte schlicht und ergreifend den Zeitpunkt des Handelns wieder einmal verschlafen.
Minimalkompromisse sind kein effektives Mittel bei der Umsetzung des Lissaboner Vertrags
Eine Außen-und Sicherheitspolitik aus einem Guss ist bis heute nicht eingetreten. Auch im Falle Libyens spricht jedes Land für sich und selbst die Vereinten Nationen sind schneller als die EU. Die administrative Schwerfälligkeit der EU wurde durch die Feinjustierung am Regelwerk - ergo: dem Lissaboner Vertrag - vielmehr ausgebaut. Daran ändert auch die Schaffung des Amtes des Hohen Vertreters, das mit der unscheinbaren „Lady“ Ashton, besetzt wurde sowie des Präsidenten des Europäischen Rates, das der Belgier Van Rompuy inne hat, nichts, denn ihre Handlungsspielräume sind durch die Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten weiterhin begrenzt.
Nach den Reformen von Amsterdam, Nizza und Lissabon ist zwar der Wille der EU zu erkennen, Veränderungen vorzunehmen, um damit der immer komplexer werdenden Welt, den gestiegenen Anforderungen und den eigenen Ansprüchen als „global player“ gerecht zu werden. Aber die vielen kleine Schritte und Minimalkompromisse sind – wenngleich realpolitisch nachvollziehbar – kein effektives Mittel, um mehr Kohärenz, mehr Kontinuität und mehr Effizienz zu erreichen, wie es der Lissaboner Vertrag vorsieht.
Europa muss umdenken. Und zwar schnell.
Die stündlichen Veränderungen in Libyen sind nun die allerletzte Bewährungsprobe für die Europäische Union. Europa muss umdenken. Und zwar schnell. Brüssel muss zeigen, dass man sich mit aller Macht gegen einen Mann wehrt, der sein eigenes Volk abschlachten lässt. Bisher, so scheint es, gibt es aber keine Bestrebungen von Seiten Deutschlands, Frankreichs oder Englands, also der „Motoren“ der Europäischen Union, ihre nationalen Kompetenzen und Interessen auf die EU-Ebene zu transferieren, sie dort in Absprache mit denen der anderen 24 EU-Mitgliedsstaaten zu bündeln und durch die Hohe Vertreterin repräsentieren zu lassen. Stattdessen erklärt jedes EU-Mitgliedsland etwas anderes und es werden Sondergipfel einberufen. Oder man spricht sich dafür aus, nicht als EU zu agieren, sondern als Weltgemeinschaft - also qua Votum durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Ein Fazit dieser Tage? Brüssel bleibt blass.
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