Montag, 27. November 2006

Zur Genese von Islamismus und Radikalismus am Fallbeispiel der libanesischen Schi´a zu Beginn der 1980er Jahre Teil 4

III. Ein Vergleich der Amal und der Hizb Allah in den 80er Jahren

Anhand der jeweiligen Protagonisten Amal und Hizb Allah sollen Positionen des gemäßigten und des radikalen Islamismus beziehungsweise der Schiitischen und der Islamischen Bewegung im Libanon der frühen 1980er Jahre analysiert und verglichen werden. Zuvor wird in knapper Form die Zusammensetzung der Hizb Allah in den frühen 1980er Jahren dargestellt.


III. 1. Entstehung und Zusammensetzung der Hizb Allah in der Gründungszeit

Die Unzufriedenheit mit der moderaten, pragmatischen Einstellung der Amal gegenüber der israelischen Invasion hatte bereits im Sommer 1982 eine Gruppe radikaler Islamisten, die bis dahin innerhalb der Amal tätig gewesen waren, dazu bewogen, die sogenannte Islamische Amal zu gründen. Als weiterer Baustein, aus dem schließlich die Hizb Allah als Dachorganisation des schiitisch-radikalen Islamismus hervorgehen sollte, kommt einer Reihe von libanesischen Klerikern, die an der theologischen Hochschule im irakischen Najaf studierten, eine wesentliche Rolle zu. Dieser aktivistische Theologenkreis, der sich in der irakischen ad-Da´wa-Partei konstituierte und einen „Islamischen Staat“ im Irak anstrebte, wurde in den späten 70er Jahren von Saddam Husseins Regime verfolgt, um ein Überspringen der Ereignisse im Iran auf den Irak zu verhindern. Somit war eine neue Generation radikalisierter libanesischer Geistlicher, die fortan intensive Kontakte zu den neuen iranischen Machthabern unterhielt, gezwungen, in ihre Heimat zu remigrieren. Bis heute stellen diese Kleriker einen Großteil der führenden Funktionäre der „Partei Gottes“.

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die übergeordnete Organisation Hizbullah 1982 ein Sammelbecken für die jungen Kleriker aus Najaf, für nach iranischem Vorbild existierende dezentrale Zirkel und für Enttäuschte von der moderaten Amal-Bewegung bildete, das von der Islamischen Republik Iran in ideologischer, militärischer und finanzieller Weise maßgeblich unterstützt wurde.


III. 2. Die Amal und die Hizb Allah im Vergleich

Die notwendigerweise vereinfacht dargestellte Spaltung der Schi´a lässt sich auf grundsätzlich unterschiedliche ideologische Annahmen bezüglich des Islamverständnisses zurückführen. Während die Hizb Allah von ewig gültigen, gesetzethischen islamischen Prinzipien und einem buchstabengetreuen Islamverständnis ausging, zeigte die Amal-Bewegung Bereitschaft zu pragmatischen Anpassungen islamischer Prinzipien an bestimmte historische Umstände.

Dies äußerte sich beispielsweise in der Einstellung gegenüber der politischen Ordnung und dem hiermit verbundenen Konfessionalismus: Die Amal-Bewegung forderte langfristig die Abschaffung des politischen Konfessionalismus, um eine parlamentarische, pluralistische Demokratie aufzubauen. Allerdings sollte dieses Ziel durch schrittweise Reformen verwirklicht werden, die zudem der Stärkung der schiitischen Gemeinschaft im konfessionellen Proporz dienen sollten. Dagegen trat die Hizbullah in den 80er Jahren als systemoppositionelle Kraft auf, die den Konfessionalismus und damit verbundene Privilegien einzelner Gemeinschaften ablehnte und sich für die Errichtung einer „Islamischen Republik“ einsetzte. Damit einher ging die Forderung der Hizb Allah nach der Einführung des islamischen Strafrechts, der Schari´a, wohingegen die Amal für ein säkulares Staatsrecht in Verbindung mit einem konfessionellen Personenstandsrecht plädierte.

Bezüglich der Identitäts- und Integrationsweisen bestand ebenfalls ein signifikanter Unterschied. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Anhängerschaften zeigte den deutlich höheren Anteil der Ulama, Religionsgelehrter im Islam, innerhalb der „Partei Gottes“ im Vergleich zur Amal, die einen hohen Anteil von Berufspolitikern und Akademikern aufwies. Während der Entstehungsphase stellte die gesellschaftlich marginalisierte schiitische Bevölkerung der Vororte im Süden Beiruts und die Bevölkerung der unter iranischem beziehungsweise syrischem Einfluss stehenden Bekaa-Hochebene im Osten des Landes die bedeutendste Anhängerschaft der Hizb Allah.

Der von Musa Sadr geprägte Süden des Landes unterstützte im Wesentlichen die tendenziell säkular orientierte Amal. Die Betonung lokaler, schiitischer Bräuche und national-libanesischer Symbole der Amal-Bewegung in deutlicher Abgrenzung gegenüber gesamtschiitischer, pan-islamischer Rhetorik und Symbolik der Hizb Allah lässt Rückschlüsse auf das Verhältnis zur libanesischen Nation und zum Staat ziehen. So orientierte sich die Hizb Allah im Gegensatz zur Amal, die einen libanesischen Nationalismus vertrat, vollständig an islamistischen Bewegungen und Staaten. Dabei kam dem Iran als ideologisches Vorbild und als finanzieller Unterstützer eine wesentliche Rolle zu.

Aufgrund der aufgezeigten fundamentalen ideologischen Differenzen und gegensätzlichen taktischen Bündnissen brachen schließlich ab 1985 militärische Auseinandersetzungen innerhalb der Schi´a aus.

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