Zwischen September und Dezember 2006 absolviere ich ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ostjerusalem, die für die besetzten palästinensischen Gebiete zuständig ist. Da ich bisher den größten Teil meiner Zeit im arabischen Ost-Jerusalem verbracht habe, werde ich mich zunächst nur wenig über den westlichen jüdischen Teil der Stadt äußern. In den kommenden Monaten folgen Berichte über meine Eindrücke aus dem "Heiligen Lande"...
An Bord der Maschine von München nach Tel Aviv befinden sich Dutzende aufgeregter Zivis (in Israel/Palästina legen jährlich Hunderte junger Deutscher einen sogenannten Anderen Dienst im Ausland ab), die zum Teil aufgrund ihres Glaubens dem "Heiligen Land" dienen wollen, andere sprechen davon, mal aus Deutschland rauskommen zu wollen, um den eigenen Horizont zu erweitern. Nachdem einige Emailadressen ausgetauscht wurden, steht die Landung kurz bevor.
Die Ankunft am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv verläuft ohne größere Probleme. Nach der ersten Befragung werde ich in ein Wartezimmer verwiesen, weil die Beamtin mit dem Begriff "internship" nicht viel anfangen kann. Nachdem ich aber ihrem Vorgesetzten erkläre, dass sich unsere Organisation insbesondere für die israelisch-deutschen Beziehungen einsetzt, darf ich nach kurzer Zeit mit vielen guten Wünschen begleitet nach Israel einreisen. Diese Notlüge wird der liebe Gott sicherlich verzeihen...
Die Stimmung in Jerusalem ist gedämpft. Seit der zweiten Intifada ist die Wirtschaft insbesondere im östlichen arabischen Teil der Stadt zusammengebrochen. Der vor 2002 noch blühende Tourismus als wichtige Einnahmequelle ist nur noch in geringem Masse existent, der Grossteil der einstigen Besucher schreckt aufgrund von Sicherheitsbedenken vor einer Reise ins "Heilige Land" zurück. Der israelische Angriff auf den Libanon im Juli dieses Jahres hat die Tourismusbranche weiter geschwächt.
Das zweite große Problem für die Wirtschaft in Ost-Jerusalem stellt die Behinderung des Handelsverkehrs zwischen dem restlichen Westjordanland und Jerusalem durch israelische Sicherheitskräfte dar. Wer keine so genannte Jerusalem-ID besitzt, muss alle drei Monate eine spezielle Erlaubnis bei den israelischen Behörden beantragen, um in die potentielle Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates einreisen zu dürfen.
Die Bearbeitung der Anträge dauert oftmals mehrere Monate, nicht selten werden diese schließlich zurückgewiesen. Die Behinderungen beschränken sich nicht nur auf die Wirtschaft: Menschen, die ihr Leben lang zum Freitagsgebet in die Al-Aqsa-Moschee kamen, können dies seit vier Jahren nicht mehr tun, weil ihnen das Betreten der anderen Seite der Mauer (die in Israel konsequent Sicherheitszaun genannt wird) verwehrt wird.
Mit der sprichwörtlichen arabischen Gastfreundschaft verhält es sich in Ost-Jerusalem ein wenig anders: zunächst wird man in der Regel etwas kritisch und misstrauisch beäugt; erst nachdem man die Menschen auf arabisch gegrüßt hat und klar wird, dass man kein Jude ist und möglicherweise im falschen Viertel gelandet ist, öffnen sich die Menschen. In der Westbank wird einem dieses Misstrauen viel seltener entgegengebracht, die Menschen zeigen sich sehr offen,freundlich und interessiert an den wenigen verbliebenen Ausländern. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit dort einen Juden in einem arabischen Ort zu treffen gleichwohl gering.
Im Übrigen hatte ich im April, als ich die Stadt zum ersten Mal besuchte, nicht den Eindruck von einem etwas verschlossenen, melancholischen Jerusalem. Vor fünf Monaten wirkte die Stadt lebhafter, was sicherlich einerseits durch die Jahreszeit und andererseits durch die vielen Touristen, die noch um Ostern die Stadt bevölkerten, zu erklären ist. Womöglich erkennt man zudem viele negativen Erscheinungen erst, wenn sich die erste Euphorie eines Besuches gelegt hat.
Am Rande der Altstadt um das Damaskustor kann man immer wieder Streitereien beobachten, die oftmals in Schlägereien ausarten. Viele Drogensüchtige treiben sich nachts hier rum. An diesem Ort wurde vor wenigen Wochen ein italienischer Freiwilliger um ca. 19.30 Uhr niedergestochen. Gerüchte besagen, er soll mit einer Bierflasche unterwegs gewesen sein. Außer einem Mann, der nach eigener Aussage gerade aus dem Gefängnis rauskam und mich mitten in der Nacht in einer leeren Straße um Geld gebeten hat, gab es für mich aber noch keine mulmige Situation. Diese Beobachtungen und Erlebnisse bezeugen die zunehmende Frustration der Menschen in Ost-Jerusalem.
Was das Verhältnis zwischen Juden und Arabern in der Stadt betrifft, so hat sich mein Eindruck der ersten Reise verfestigt. Man koexistiert, ohne viel über den jeweiligen anderen zu wissen.
Mittwoch, 20. September 2006
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