Sonntag, 24. September 2006

Die FLN im Algerischen Unabhängigkeitskrieg (1954-1962) - Teil 1

Hier ist eine Semesterarbeit, in der ich mich mit den strategischen Konzepten der FLN während des algerischen Unabhängigkeitskrieges beschäftige und den Erfolg ihrer Strategien analysiere. Im ersten Teil geht es heute um die Entstehungsgeschichte der Bewegung, Teil 2 und 3 folgen in den nächsten Tagen.


I. Einleitung

Der Unabhängkeitskrieg Algeriens gegen Frankreich (1958-1962) steht zwar in einer Reihe mit den nationalen Befreiungskriegen, die die Dekolonisationsphase nach dem Zweiten Weltkrieg kennzeichneten, war aber in vielen Merkmalen einmalig und beispielgebend.

Standen 1954 noch ein paar hundert algerische Untergrundkämpfer einer materiell und personell übermächtigen französischen Armee sowie einer überprivilegierten algerofranzösischen Minderheit gegenüber, so wurde 1962 nichts weniger als die absolute Unabhängigkeit unter der Führung einer zur Massenbewegung gewachsenen, alles kontrollierenden Partei, der FLN (Front de la Libération Nationale), erreicht.

Um diese Entwicklung nachvollziehen zu können, ist es notwendig diese FLN, den Katalysator der algerischen Unabhängigkeitsbewegung, genauer zu untersuchen.

Maßgeblich hierfür ist die Frage, inwiefern die FLN ihre hochgesteckten politischen Ziele zu erreichen versuchte, das heißt mit welchen taktischen und strategischen Mitteln sie operierte, um die gewaltigen Nachteile und Hindernisse, die ihr gegenüber standen, zu überwinden.
Desweiteren sollen Zäsuren, besonders innerhalb der algerischen Nationalbewegung, aber auch auf Seiten der Franzosen und weltweit aufgezeigt werden, die die FLN dazu bewegten ihre Strategie den militärischen und politischen Verhältnissen anzupassen.

Dazu soll die Besonderheit der strategischen Ausrichtung der FLN zu verschieden Zeitpunkten thematisiert werden. Hierzu zählt ihre Auswahl von militärischen Mitteln, von ländlicher Guerilla bis hin zu urbanem Terrorismus, sowie nicht-militärischen Faktoren wie Propaganda, Diplomatie und den entscheidenden Fehleinschätzungen von französischer Armee und Staat.
Am Ende soll also der einzigartige Charakter der FLN, sowie die vielschichtigen Gründe ihres Erfolges im Algerischen Unabhängigkeitskrieg heraus gestellt werden.


II. Der Algerische Kontext – Die Entstehung der FLN

Die Gründung der FLN, Hauptgegner der französischen Armee seit Beginn des Krieges am 1.11. 1954, stand am Ende einer langjährigen Entwicklung des algerischen Nationalismus und einer verfehlten französischen Algerienpolitik. Um die Motivation und Inspiration, die die Strategie der FLN in den Kriegsjahren charakterisierten, nachzuvollziehen, ist es nützlich diese Entwicklung kurz zu umreißen und an den Anfang der Betrachtungen zu stellen.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts verschärften sich in Algerien vor allem die ökonomischen Gegensätze zwischen der indigenen muslimischen Bevölkerung und einer europäischen Siedlerelite, den colons, welche, obwohl sie gerade ein Zehntel der Einwohner stellten, die Vormachtsstellung im wirtschaftlichen und politischen Bereich besaßen. Unterstützt wurden die Siedler vor allem auch durch das französische Parlament, in dem sie sich stets einer großen Lobby sicher sein konnten, und das ihnen u.a. das Recht auf Enteignung muslimischer Landeigentümer in Algerien gewährte. Initiativen von Seiten französischer Liberaler eine zumindest stärkere politische Repräsentation und Partizipation von Algeriern zu erreichen, verpufften meist wirkungslos, fast immer aufgrund des starken Widerstandes der colons, die zu keiner Zeit bereit waren sich ihre Privilegien einzuschränken zu lassen.

In Reaktion auf diese Hindernisse radikalisierten sich vor allem in den 30er und 40er Jahren die Strömungen der algerischen Nationalbewegung. Die algerischen Liberalen (les élus) unter Führung von Ferhat Abbas fanden es zunehmend schwerer mit einem integrationistischem Programm, welches aus Algeriern gleichberechtigte französische Bürger machen sollte, Anhänger zu mobilisieren. Vielmehr gewann die populistisch-nationalistische PPA (Parti du Peuple Algérien) des Messali Hadj an Aufschwung, verbündete sich mit den islamischen Gelehrten, den ulamas, und forderte die Unabhängigkeit der algerischen Nation vom französischem Kolonialsystem.

Frankreich reagierte daraufhin mit Verbot und Repression der PPA und bestätigte damit in den Augen vieler algerischer Nationalisten die Unmöglichkeit einer Veränderung der bestehenden Verhältnisse auf friedlichem Wege. Allerdings verhinderten interne Streitigkeiten um Führungsansprüche der algerischen Nationalbewegung, besonders zwischen Abbas und Hadj, aber auch innerhalb von Hadj´s Partei, die Enstehung einer vereinten, einflussreichen Opposition.

Die Hinwendung zu nicht friedlichen Mitteln zur Erlangung politischer Zugeständnisse war zwar innerhalb der Bewegung sehr umstritten, doch das Massaker von Sétif am 8.5. 1945 ließ diese Strategie immer attraktiver erscheinen, und sie manifestierte sich schließlich in der Abspaltung einer radikalen Gruppe, der OS (Organisation Spéciale), von der MTLD (Mouvement pour le triomphe des liberté démocratiques) , der inzwischen neu gegründeten Nachfolgepartei der PPA, zwei Jahre später. So war schließlich diese Mischung aus mangelndem Verständnis für die Bedürfnisse der algerischen Bevölkerung und Arroganz und Repression gegenüber der algerischen Nationalbewegung auf Seiten des französischen Staates ein entscheidender Faktor auf dem Weg in den gewaltsamen Widerstand.

Die wenigen hundert Mitglieder der OS gingen als erste bewusst in den Untergrund, um das französische Kolonialsystem aktiv zu bekämpfen. Inspiriert von den Erfahrungern vieler ihrer Mitstreiter in der französischen Résistance während des Zweiten Weltkriegs, strebten sie den Aufbau einer Guerilla-Armee und die Schwächung kolonialer Strukturen an. Zu diesem Zweck visierten sie vor allem militärisch und logistisch bedeutende Ziele, wie Waffendepots und Banken, an. Dabei zogen sich die Kämpfer nach gezielten Angriffen schnell wieder zurück, operierten also mit unkonventionellen Mitteln, um nicht sofort vom überlegenem Gegner zerschlagen zu werden. Es war jedoch vor allem die militärische Unerfahrenheit, auch im Umgang mit Guerilla-Taktiken, sowie die massiven Gegenmaßnahmen der Franzosen, die die Zerschlagung und Zerstreuung der OS 1952 begründeten. Außerdem war die OS zu keiner Zeit in der Lage einen aktiven Volkswiderstand zu mobilisieren und unter eigener Führung zu kanalisieren.

Allerdings gelang es den im Untergrund verstreuten OS-Kämpfern sich in den nächsten zwei Jahren neu zu sammeln. Maßgeblich unter Führung von Ahmed Ben Bella wurde im Juni 1954 das CRUA (Comité révolutionaire d`unité et d`action) ins Leben gerufen, das einen Plan für den Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich ausarbeiten und dabei die strukturellen und strategischen Fehler der vergangenen Jahre vermeiden sollte. Das Ziel der absoluten Unabhängigkeit von Frankreich war zwar hoch gesteckt, doch schien es im Bereich des möglichen, angesichts einer die Dekolonisation begünstigenden Weltlage, beispielhaft verkörpert im unrühmlichen Rückzug Frankreichs aus Indochina nach der Niederlage von Dien Bien Phu im Mai 1954.

So waren 1954 zahlreiche sozioönomische und politische Bedingungen für einen Krieg gegeben, dem lediglich ein Katalysator fehlte, der alle nationalen Kräfte bündeln und effektiv operieren konnte. Die Strategen des CRUA definierten dahingehend die FLN, die am 1.11. 1954 offiziell als Nachfolgeorganisation des CRUA gegründet wurde, und die diese Rolle ausfüllen sollte.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hey danke für die Seminararbeit. Ich bereite mich gerade auf meine Abschlussprüfungen vor und suchte genau nach ein paar kurzen präzisen Information über die Strategie der FLN. SChöne Arbeit