Donnerstag, 29. Mai 2008

Ammar al-Hakim in Berlin: "Mehr deutsches Engagement im Irak"


Ammar al-Hakim, Vize-Chef des schiitischen Obersten Islamischen Rates im Irak (SIIC) weilt derzeit zu politischen Gesprächen in Berlin. Im Rahmen seines Deutschland-Besuchs war al-Hakim heute Vormittag Gast einer Diskussionsrunde an der Hertie School of Governance im ehemaligen Staatsratsgebäude.

Der 36-Jährige Ammar ist der Sohn von Abdulaziz al-Hakim, dem Vorsitzenden des SIIC, der die größte Fraktion im irakischen Parlament stellt. Abdulaziz ist vor einem Jahr schwer an Lungenkrebs erkrankt und musste sich seither mehreren Chemotherapien unterziehen, so dass Ammar seit Mai 2007 die Geschicke des Obersten Islamischen Rats im Irak leitet.

Bis zum Sturz Saddam Husseins verbrachte Ammar al-Hakim fast sein ganzes Leben im iranischen Exil. Sein Vater baute dort zusammen mit seinem im August 2003 in Najaf ermordeten Onkel Ayatollah Mohammed Baqir al-Hakim den Obersten Islamischen Rat und deren bewaffneten Arm, die Badr-Bewegung auf.

Vom Iran aus machte sich die von der Familie Hakim getragene Bewegung für einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild im Irak stark. Nach der amerikanischen Invasion des Irak und der Rückkehr aus dem Exil mäßigte sie ihren Standpunkt, auch um sich die Unterstützung der USA zu sichern. Inzwischen äußert die Bewegung nach außen ihre Unterstützung für einen multi-konfessionellen demokratischen Irak. Deutlich machte man dies im Mai 2007, als die Umbenennung der Bewegung von "Oberster Rat für die Islamische Revolution im Irak" (SCIRI) zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (SIIC) bekanntgegeben wurde.

Mit großem Geschick haben es die Hakims geschafft, sich sowohl das Wohlwollen der USA als auch die finanzielle und militärische Unterstützung des Iran zu sichern. Die Badr-Miliz des SIIC wird von den Amerikanern als schiitisches Gegengewicht zur Jeish al-Mahdi von Muqtada al-Sadr geschätzt. Muqtada al-Sadr und Ammar al-Hakim sind im gleichen Alter, ihr öffentliches Auftreten könnte unterschiedlicher jedoch kaum sein. Während Muqtada zumeist im südirakischen Dialekt redet, parlierte Ammar in Berlin im geschliffenen Hocharabisch.

Nach einem kurzen Abriss der irakischen Geschichte seit dem Leben Adams und der Landung der Arche Noah an der irakischen Küste sprach al-Hakim vor knapp 50 Zuhörern, darunter einem Kamerateam des zum SIIC gehörenden Fernsehsenders al-Furat, zunächst über die Tyrannei des Saddam-Regimes. 5 Millionen Menschen seien unter seiner Herrschaft ums Leben gekommen, darunter allein 63 Mitglieder der Familie Hakims, vom Säugling bis zum 80-jährigen Greis. Selbst wenn man die Toten des Ersten Golfkriegs auf irakischer und iranischer Seite mit einrechnet, erscheint die Zahl von 5 Millionen Opfern Saddams sehr hoch gegriffen.

Über die US-geführte Invasion des Irak sagte al-Hakim: "Saddams Regime wurde in einer Art gestürzt, die uns nicht gefallen hat. Sie befreite uns aber vom schrecklichsten Diktator, den die Welt je gesehen hat." Dennoch betonte der Mann mit dem schwarzen Turban, der ihn als Sayyed, einen direkten Nachfahren des Propheten Muhammad ausweist: "Kein Iraker ist glücklich über die US-Soldaten im Irak."

Nach dem Einmarsch der Amerikaner habe das irakische Volk 2 Möglichkeiten gehabt. "Wir hätten der US-Armee den Schlüssel für unser Land in die Hand drücken und uns alle ins Exil begeben können, bis sie aus dem Land abziehen. Oder wir sagen: Das ist unser Irak, unser Land, unsere Heimat, in der wir bleiben und zu deren Wohl wir arbeiten wollen. Wir haben uns für die 2. Möglichkeit entschieden."

Egal ob bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ein Demokrat oder ein Republikaner ins Weiße Haus gewählt werde, zeigte sich al-Hakim zuversichtlich, dass der neue Präsident erkenne, dass gegenseitige Unterstützung wichtiger sei als militärische Präsenz. Wenn die irakische Armee die Sicherheit im Zweistromland gewährleisten könne, sollte die US-Armee abziehen. Einen festen Zeitplan für einen Abzug der US-Truppen forderte der 36-Jährige nicht. Auch das Wort "Besatzung" vermied al-Hakim tunlichst und sprach stattdessen stets von "militärischer Präsenz".

Zum innerschiitischen Konflikt mit der Sadr-Bewegung erklärte al-Hakim, die schiitischen Parteien müssten einen Rahmen finden, ihre Streitigkeiten ohne Waffen zu lösen. Im Kern gehe es in dem Machtkampf um die Einstellung gegenüber der Präsenz der amerikanischen Armee im Irak. Die Sadr-Bewegung mache deren Abzug zur Voraussetzung für eine Lösung der innenpolitischen Probleme, während der SIIC der Ansicht sei, dass diese unabhängig von der US-Präsenz angegangen werden müssten.

Nach dem Umsturz im Irak haben sich die verschiedenen irakischen Volksgruppen auf die Bildung einer Demokratie geeinigt, in der nicht die Mehrheit herrsche sondern in der über Streitfragen ein Konsens erzielt werden solle. Grundproblem sei jedoch das fehlende Vertrauen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften. "Die schiitische und kurdische Mehrheit fürchtet die Vergangenheit, die sunnitische Minderheit fürchtet die Zukunft.", fasste al-Hakim die gegenwärtige Situation zusammen.

Besonders unter den verschiedenen sunnitischen Partien schwele ein ständiger Streit um Ressorts und Posten in der Regierung. Tareq al-Hashemi, Vize-Präsident des Irak, wolle sich an der Regierung beteiligen, andere Kräfte innerhalb des sunnitischen Blocks machten immer wieder Rückzieher.

Westlichen Medien warf Ammar al-Hakim vor, ein einseitiges Bild von der Lage im Irak zu zeichnen. Das Zusammenleben der Irak laufe immer besser "und an der Sicherheitslage arbeiten wir." Mit der irakischen Wirtschaft gehe es weiter aufwärts, die Arbeitslosenquote sei von 55% auf 16% gedrückt worden.

Unverständnis äußerte der Politiker für das Zögern der Bundesrepublik beim Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak. Auch wenn deutsche Staatsbürger im Zweistromland gekidnappt worden seien, dürfe dies kein Hinderungsgrund für ein stärkeres Engagement Deutschlands sein. Um die Deutschen zu größerer Kooperation mit dem Irak zu ermuntern, machte al-Hakim folgende Rechnung auf. "In Deutschland sterben jedes Jahr tausende Menschen im Straßenverkehr. Auch im schlimmsten Fall werden bei einem größeren Engagement deutscher Firmen im Irak weitaus weniger Menschen sterben."

Wirtschaftlicher Wettbewerb sei essentiell für die Entwicklung des Irak. Unter Saddam seien alle Betriebe und Unternehmen vom Staat kontrolliert worden, was dazu geführt habe, dass der irakische Staat nun 4 Millionen Pensionäre zu versorgen habe.

Enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zum Nachbarland Iran seien im Interesse aller Iraker, so al-Hakim. Ein Problem seien indessen die Beziehungen zu den arabischen Regimen. Sie fürchteten das neue demokratische System im Irak und die starke Präsenz der Schiiten in der Regierung in Bagdad, da die Schiiten in den arabischen Ländern unterdrückt würden. Auch wenn al-Hakim dies nicht expliziert sagte, wird deutlich, dass sich dieser Vorwurf in erster Linie an Saudi-Arabien richtete, das seine schiitische Minderheit unterdrückt.

Eben wegen der arabischen Reserviertheit, zeige der Iran ein umso größeres Engagement im Irak. Der irakischen Regierung müsse es nun gelingen einen Ausgleich zwischen den Interessen der arabischen Nachbarn, der Türkei, des Iran und der USA zu schaffen.

Auf das iranische Atomprogramm angesprochen, erklärte al-Hakim, jeder Staat habe das Recht zur zivilen Nutzung der Nuklearkraft. Atomwaffen dienten hingegen nicht der Konfliktlösung und sollten weltweit abgeschafft werden. Einen möglichen Angriff der USA auf den Iran von irakischem Boden werde der Irak auf keinen Fall zulassen. An Beziehungen zu Israel habe gegenwärtig "kein Iraker" Interesse.

In seinem Schlusswort erklärte Ammar al-Hakim, er hoffe auf die Entwicklung eines freien und prosperierenden Irak und lud alle Diskussionsteilnehmer zu einem Besuch seines Landes ein.

(Foto: Getty Images)

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