Seit der vergangenen Woche erheben sich viele Libyer gegen Gaddafis Herrschaft. Die Nachrichtenlage ist unsicher, aber klar scheint: Das Regime geht mit großer Gewalt gegen die Opposition vor und droht mit einem Bürgerkrieg. Dennoch entgleitet dem Diktator die Macht.
Nach eigener Definition ist Libyen eine Jamahiriya. Dieser Begriff ist eine Wortschöpfung des exzentrischen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi und bedeutet übersetzt ungefähr so viel wie »Republik des Volksmassen«. 42 Jahre nach Gaddafis Machtübernahme erheben sich diese Volksmassen nun gegen den Diktator und seinen Familienclan.
Inspiriert von den Umstürzen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten fordern die Protestierenden ein Ende der Diktatur. Denn obwohl das Land formal sozialistisch regiert wird, hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren kontinuierlich geweitet. Dank der Erdöleinnahmen verfügt die Regierung über stabile Staatseinkommen – von denen bei den unteren Gesellschaftsschichten jedoch kaum etwas ankommt.
Jeder zweite Libyer ist jünger als 20 Jahre, wie in vielen anderen Staaten der Region sind viele dieser jungen Menschen arbeitslos. Gleichzeitig ist das Bildungssystem des Landes außer Stande, genügend adäquat ausgebildete Absolventen an das Berufsleben heranzuführen. Deshalb kommt etwa jeder fünfte Arbeitnehmer in Libyen aus dem Ausland, überwiegend aus anderen arabischen Ländern, der Türkei oder Fernost.
Besonders die Menschen fernab der Hauptstadt Tripolis fühlen sich von Gaddafis Politik nach Gutsherrenart seit Jahren vernachlässigt, die darauf fußt, sich die Gefolgschaft und Loyalität wichtiger Stämme und Familien zu erkaufen. Wer nicht Teil dieses Patronage-Netzwerks ist, hat kaum Chancen auf wirtschaftlichen Aufstieg.
Gesicherte Meldungen über die Lage in Libyen gibt es bislang kaum. Ausländische Journalisten werden an einer freien Berichterstattung aus dem Land gehindert, das Internet wurde schon vor Tagen weitgehend abgeschaltet. Der arabische Nachrichtensender al-Jazeera beschuldigt den libyschen Geheimdienst zudem, das Satellitensignal seines Programms in Libyen zu stören.
Der Aufstand ist im Herzen der Hauptstadt angekommen
Umso wichtiger sind die Berichte von Augenzeugen, die von bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus einigen Teilen des Landes sprechen, deren Angaben aber niemand objektiv nachprüfen kann. Human Rights Watch berichtet unter Berufung auf Mediziner aus mehreren libyschen Krankenhäusern von 332 Toten seit vergangenem Mittwoch.
Zentrum des Aufstands gegen Gaddafi ist die zweitgrößte Stadt des Landes, Benghazi. Hier liefern sich Oppositionelle seit Tagen schwere Kämpfe mit Regierungstruppen. Diese sollen durch Söldner aus dem Tschad und anderen schwarzafrikanischen Ländern verstärkt worden sein. Dennoch haben die Aufständischen nach Angaben libyscher Regimegegner mittlerweile die Macht in der Stadt übernommen. Ähnlich lautende Erfolgsmeldungen wurden bereits am Freitag von der Opposition im Internet verbreitet, erwiesen sich hinterher jedoch als falsch.
Bestätigt wurde hingegen, dass sich der Warfalla-Stamm, mit etwa einer Million Mitgliedern die größte tribale Verbindung des Landes, mittlerweile gegen den Revolutionsführer gestellt hat. »Gaddafi ist nicht mehr unser Bruder. Wir rufen ihn auf, unser Land zu verlassen«, erklärte Akram al-Warfalli, ein führender Stammesvertreter, gegenüber al-Jazeera. Der Warfalla-Stamm, der in der Wüste südlich von Tripolis lebt, hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach gegen Gaddafi gestellt, der hielt bislang jedoch stets die Oberhand.
Auch die etwa 500.000 Tuareg im sollen sich dem Aufstand angeschlossen haben. Libyens Gesandter bei der Arabischen Liga und der stellvertretende Botschafter in China sind aus Protest gegen das Regime zurückgetreten.
In der vergangenen Nacht haben die Proteste nun offenbar auch die Hauptstadt Tripolis erreicht. Mehrere tausend Demonstranten versammelten sich auf dem Grünen Platz im Stadtzentrum. Später sollen sie mehrere Regierungsgebäude, unter ihnen den Sitz des Staatsfernsehens, ein Gerichtsgebäude und zwei Polizeistationen angegriffen haben.
Zusätzlich angeheizt wurden die Unruhen durch einen nächtlichen TV-Auftritt von Seif al-Islam Gaddafi, dem zweitältesten Sohn des Diktators, der seit Jahren als möglicher Nachfolger seines Vaters gehandelt wird. In einer aufgezeichneten, knapp 50-minütigen Rede, warnte der 38-Jährige vor einem Bürgerkrieg und drohte seinem Volk: »Wir werden bis zur letzten Minute, bis zur letzten Kugel kämpfen.«
Die EU fürchtet eine neue Flüchtlingswelle
Der Aufstand sei eine Verschwörung ausländischer Mächte und der libyschen Exilopposition. Ihr Plan werde jedoch niemals aufgehen, so Gaddafi Junior: »Die USA und die Europäische Union werden die Errichtung eines islamischen Emirats in Libyen niemals zulassen.« Gebetsmühlenartig erklärte Seif al-Islam: »Libyen ist nicht Tunesien oder Ägypten.«
In den Ohren seines Volkes klingen diese Worte wie eine kaum verhohlene Drohung. Die Botschaft: Einen weitgehend unblutigen Machtwechsel wie in Tunis oder Kairo wird es in Tripolis nicht geben. Und sollte das Gaddafi-Regime über kurz oder lang stürzen, wird es viele Menschen in Libyen geben, die nach 42 Jahren Diktatur auf Rache sinnen.
Auch in Europa gibt es einflussreiche Stimmen, die sich ein Libyen ohne Diktator offenbar weder vorstellen können noch wollen. Karel Schwarzenberg, Außenminister der Tschechischen Republik, erklärte am Sonntag, Gaddafis Sturz könnte »katastrophale Folgen« haben.
In Europas Hauptstädten wächst die Angst vor einem weiteren Ansteigen der Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Libyen ist bislang ein enger Verbündeter der EU bei der Eindämmung illegaler Einwanderung aus Afrika. Über schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Libyer und Flüchtlinge sieht man dabei seit Jahren großzügig hinweg. Im Oktober erst sicherte die Europäische Kommission Tripolis 50 Millionen US-Dollar Unterstützung für den Kampf gegen afrikanische Migranten zu.
Doch auch diese Gelder werden Gaddafi kaum an der Macht halten können. Einen Kompromiss zwischen Opposition und Regime wird es nicht geben. Ein offizielles Staatsamt, von dem er zurücktreten könnte, hat der 68-Jährige ohnehin seit 1979 nicht mehr inne. So bleibt Gaddafi und seinem Clan über kurz oder lang nur die Flucht ins Ausland. Angeblich soll der Revolutionsführer bereits zu seinem Freund Hugo Chavez nach Venezuela geflohen sein. Aber auch das ist nur eines der vielen Gerüchte aus Libyen, die derzeit noch niemand belegen kann.
Nach eigener Definition ist Libyen eine Jamahiriya. Dieser Begriff ist eine Wortschöpfung des exzentrischen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi und bedeutet übersetzt ungefähr so viel wie »Republik des Volksmassen«. 42 Jahre nach Gaddafis Machtübernahme erheben sich diese Volksmassen nun gegen den Diktator und seinen Familienclan.
Inspiriert von den Umstürzen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten fordern die Protestierenden ein Ende der Diktatur. Denn obwohl das Land formal sozialistisch regiert wird, hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren kontinuierlich geweitet. Dank der Erdöleinnahmen verfügt die Regierung über stabile Staatseinkommen – von denen bei den unteren Gesellschaftsschichten jedoch kaum etwas ankommt.
Jeder zweite Libyer ist jünger als 20 Jahre, wie in vielen anderen Staaten der Region sind viele dieser jungen Menschen arbeitslos. Gleichzeitig ist das Bildungssystem des Landes außer Stande, genügend adäquat ausgebildete Absolventen an das Berufsleben heranzuführen. Deshalb kommt etwa jeder fünfte Arbeitnehmer in Libyen aus dem Ausland, überwiegend aus anderen arabischen Ländern, der Türkei oder Fernost.
Besonders die Menschen fernab der Hauptstadt Tripolis fühlen sich von Gaddafis Politik nach Gutsherrenart seit Jahren vernachlässigt, die darauf fußt, sich die Gefolgschaft und Loyalität wichtiger Stämme und Familien zu erkaufen. Wer nicht Teil dieses Patronage-Netzwerks ist, hat kaum Chancen auf wirtschaftlichen Aufstieg.
Gesicherte Meldungen über die Lage in Libyen gibt es bislang kaum. Ausländische Journalisten werden an einer freien Berichterstattung aus dem Land gehindert, das Internet wurde schon vor Tagen weitgehend abgeschaltet. Der arabische Nachrichtensender al-Jazeera beschuldigt den libyschen Geheimdienst zudem, das Satellitensignal seines Programms in Libyen zu stören.
Der Aufstand ist im Herzen der Hauptstadt angekommen
Umso wichtiger sind die Berichte von Augenzeugen, die von bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus einigen Teilen des Landes sprechen, deren Angaben aber niemand objektiv nachprüfen kann. Human Rights Watch berichtet unter Berufung auf Mediziner aus mehreren libyschen Krankenhäusern von 332 Toten seit vergangenem Mittwoch.
Zentrum des Aufstands gegen Gaddafi ist die zweitgrößte Stadt des Landes, Benghazi. Hier liefern sich Oppositionelle seit Tagen schwere Kämpfe mit Regierungstruppen. Diese sollen durch Söldner aus dem Tschad und anderen schwarzafrikanischen Ländern verstärkt worden sein. Dennoch haben die Aufständischen nach Angaben libyscher Regimegegner mittlerweile die Macht in der Stadt übernommen. Ähnlich lautende Erfolgsmeldungen wurden bereits am Freitag von der Opposition im Internet verbreitet, erwiesen sich hinterher jedoch als falsch.
Bestätigt wurde hingegen, dass sich der Warfalla-Stamm, mit etwa einer Million Mitgliedern die größte tribale Verbindung des Landes, mittlerweile gegen den Revolutionsführer gestellt hat. »Gaddafi ist nicht mehr unser Bruder. Wir rufen ihn auf, unser Land zu verlassen«, erklärte Akram al-Warfalli, ein führender Stammesvertreter, gegenüber al-Jazeera. Der Warfalla-Stamm, der in der Wüste südlich von Tripolis lebt, hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach gegen Gaddafi gestellt, der hielt bislang jedoch stets die Oberhand.
Auch die etwa 500.000 Tuareg im sollen sich dem Aufstand angeschlossen haben. Libyens Gesandter bei der Arabischen Liga und der stellvertretende Botschafter in China sind aus Protest gegen das Regime zurückgetreten.
In der vergangenen Nacht haben die Proteste nun offenbar auch die Hauptstadt Tripolis erreicht. Mehrere tausend Demonstranten versammelten sich auf dem Grünen Platz im Stadtzentrum. Später sollen sie mehrere Regierungsgebäude, unter ihnen den Sitz des Staatsfernsehens, ein Gerichtsgebäude und zwei Polizeistationen angegriffen haben.
Zusätzlich angeheizt wurden die Unruhen durch einen nächtlichen TV-Auftritt von Seif al-Islam Gaddafi, dem zweitältesten Sohn des Diktators, der seit Jahren als möglicher Nachfolger seines Vaters gehandelt wird. In einer aufgezeichneten, knapp 50-minütigen Rede, warnte der 38-Jährige vor einem Bürgerkrieg und drohte seinem Volk: »Wir werden bis zur letzten Minute, bis zur letzten Kugel kämpfen.«
Die EU fürchtet eine neue Flüchtlingswelle
Der Aufstand sei eine Verschwörung ausländischer Mächte und der libyschen Exilopposition. Ihr Plan werde jedoch niemals aufgehen, so Gaddafi Junior: »Die USA und die Europäische Union werden die Errichtung eines islamischen Emirats in Libyen niemals zulassen.« Gebetsmühlenartig erklärte Seif al-Islam: »Libyen ist nicht Tunesien oder Ägypten.«
In den Ohren seines Volkes klingen diese Worte wie eine kaum verhohlene Drohung. Die Botschaft: Einen weitgehend unblutigen Machtwechsel wie in Tunis oder Kairo wird es in Tripolis nicht geben. Und sollte das Gaddafi-Regime über kurz oder lang stürzen, wird es viele Menschen in Libyen geben, die nach 42 Jahren Diktatur auf Rache sinnen.
Auch in Europa gibt es einflussreiche Stimmen, die sich ein Libyen ohne Diktator offenbar weder vorstellen können noch wollen. Karel Schwarzenberg, Außenminister der Tschechischen Republik, erklärte am Sonntag, Gaddafis Sturz könnte »katastrophale Folgen« haben.
In Europas Hauptstädten wächst die Angst vor einem weiteren Ansteigen der Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Libyen ist bislang ein enger Verbündeter der EU bei der Eindämmung illegaler Einwanderung aus Afrika. Über schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Libyer und Flüchtlinge sieht man dabei seit Jahren großzügig hinweg. Im Oktober erst sicherte die Europäische Kommission Tripolis 50 Millionen US-Dollar Unterstützung für den Kampf gegen afrikanische Migranten zu.
Doch auch diese Gelder werden Gaddafi kaum an der Macht halten können. Einen Kompromiss zwischen Opposition und Regime wird es nicht geben. Ein offizielles Staatsamt, von dem er zurücktreten könnte, hat der 68-Jährige ohnehin seit 1979 nicht mehr inne. So bleibt Gaddafi und seinem Clan über kurz oder lang nur die Flucht ins Ausland. Angeblich soll der Revolutionsführer bereits zu seinem Freund Hugo Chavez nach Venezuela geflohen sein. Aber auch das ist nur eines der vielen Gerüchte aus Libyen, die derzeit noch niemand belegen kann.
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