Die Proteste in Ägypten verlagern sich von den Straßen und Plätzen in die Büros und Fabriken. Eine Streikwelle hat das Land erfasst. Zwar erheben die Streikenden eher wirtschaftliche als politische Forderungen. Dennoch gewinnt die Oppositionsbewegung damit eine neue Dynamik.
Die Proteste gegen das Regime in Ägypten sind in die dritte Woche gegangen. Die Regierung scheint die Lage in ihrem Land aber weiterhin zu ignorieren. Außenminister Ahmad Abu al-Gheit erklärte am Mittwoch Abend in einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender PBS, man sei in Kairo sehr enttäuscht darüber, dass die USA seinem Land ihren Willen »aufzwingen« wollten. Was der erfahrenen Politiker übersieht oder einfach nicht eingestehen will: Es sind nicht die Amerikaner, die aufs Reformtempo drücken, sondern es ist das ägyptische Volk.
Denn anders als es noch vor ein paar Tagen den Anschein hatte, schließen sich immer mehr Menschen den Protesten gegen die Staatsführung an. Die Wut gegen Präsident Mubarak und seine Führungsriege zeigt sich längst nicht mehr nur auf den großen Plätzen Kairos und Alexandria, sondern hat mittlerweile ganz Ägypten erfasst. Aus allen Teilen des Landes werden Demonstrationen, Ausschreitungen und Streiks gemeldet.
In der Oasenstadt Kharga in der Wüstenprovinz al-Wadi al-Jadid kamen in den vergangenen Tagen nach Angaben der Sicherheitskräfte bei Zusammenstößen zwischen etwa 3000 Demonstranten und der Polizei drei Menschen ums Leben, dutzende weitere wurden verletzt. Das Beispiel der abgelegenen Wüstenoase zeigt: Der Tahrir-Platz ist überall. Knapp 1000 Kilometer weiter nördlich, in Port Said, wo der Suezkanal ins Mittelmeer mündet, setzten Aufständische am Mittwoch den Sitz des Gouverneurs in Brand.
Straßenfeger und Ärzte streiken gemeinsam
Noch mehr Sorgen dürften dem angeschlagenen Regime die vielen Arbeiter bereiten, die in den letzten Tagen in den Streik getreten sind. Mehrere tausend Angestellte der verschiedenen Service-Unternehmen des Suezkanals legten am Dienstag ihre Arbeit für unbestimmte Zeit nieder. Nach Angaben verschiedener Reedereien läuft der Verkehr auf dieser lebenswichtigen Schlagader der Weltwirtschaft bislang aber reibungslos weiter. Notfalls soll das ägyptische Militär eingreifen und den Betrieb des Kanals sichern. Eine Unterbrechung des Schiffsverkehrs auf der Wasserstraße zwischen Port Said und Suez würde den Erdölpreise weiter in die Höhe schnellen lassen. Damit würde auch der Druck auf die Führung in Kairo steigen, den Forderungen der Opposition endlich nachzugeben.
Auch aus al-Mahalla al-Kubra und Helwan, zwei Städten im Umland Kairos, sowie aus der Hauptstadt selbst werden Streiks gemeldet. Den Arbeitern geht es dabei in erster Linie um wirtschaftliche Verbesserungen. Unter anderem fordern sie bessere Arbeitsbedingungen, langfristige Verträge und das Einlösen der versprochenen Lohnerhöhungen. Am Montag versprach das Kabinett von Premierminister Ahmad Shafiq den sechs Millionen Staatsangestellten zwar eine Lohnsteigerung von 15 Prozent. Doch niemand mag so richtig daran glauben, dass dieses Versprechen in die Tat umgesetzt wird. Die Forderungen, die von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz erhoben werden, also der Rücktritt Mubaraks und demokratische Reformen, sind für sie eher zweitrangig.
Dennoch erhält die ägyptische Protestbewegung damit weiteren Zulauf und erhöht den Druck auf Präsident Mubarak und seine Führungsriege. Zudem kann das Regime nun nicht länger glaubhaft behaupten, der Protest sei lediglich ein Aufstand einer unorganisierten Jugend. Denn die Streikenden kommen aus allen Branchen, unter ihnen sind Analphabeten genauso wie Akademiker. So traten in den letzten Tagen unter anderem Bahnbedienstete, Busfahrer, Angestellte des Erdölsektors, Stahlarbeiter, Straßenfeger und Mediziner in den Ausstand.
Einzelne, zeitlich befristete Streiks sind auch in Ägypten keine Seltenheit. Besonders in der Industriestadt al-Mahalla al-Kubra im Nildelta kämpften in den vergangenen Jahren Arbeiter in den Textilfabriken für eine bessere Bezahlung. Diese Streikbewegung wurde eine der Keimzellen für die »Jugend des 6. April«, eine der Gruppen, die in den letzten Wochen die Proteste auf dem Tahrir-Platz organisiert hat.
Viele Ägypter können nicht von ihrer Arbeit leben
Doch ungeachtet der vergangenen Arbeitskämpfe liegt der Mindestlohn in Ägypten seit 1984 unverändert bei 35 Ägyptischen Pfund pro Woche – das sind umgerechnet etwas mehr als vier Euro. Gleichzeitig haben sich am Nil die Lebenshaltungskosten im Laufe der letzten Jahrzehnte vervielfacht. So können viele Ägypter trotz tagtäglicher harter Arbeit ihre Familie kaum ernähren. Freie Gewerkschaften, mit deren Hilfe die Arbeitnehmer für ihre Rechte kämpfen könnten, gibt es in Ägypten nicht. Der Gewerkschaftsbund wird bislang staatlich kontrolliert. Vor zehn Tagen gründeten einige Aktivisten einen eigenen freien Gewerkschaftsbund als Gegenmodell – ob sich dieser zu einer Alternative entwickeln wird, werden die nächsten Monate zeigen.
Doch nicht nur in den Büros und Fabriken brodelt es: Mittlerweile drohen auch bislang sicher erscheinende Bastionen der Regierung zu bröckeln. Die Redakteure der staatlichen Tageszeitung al-Ahram protestieren seit Mittwoch gegen Eingriffe in ihre Berichterstattung von oben. Außerdem fordern sie eine Aufklärung des Todes ihrer beiden Mitarbeiter, die in den vergangenen Tagen auf dem Tahrir-Platz tödlich verletzt wurden.
Mit großer Aufmerksamkeit registrieren die Ägypter, dass sie die Berichterstattung in den staatlich kontrollierten Medien langsam wandelt. Mittlerweile werden die landesweiten Proteste nicht mehr totgeschwiegen oder als vom Ausland gesteuert diffamiert, die Forderungen der Demonstranten werden benannt. Präsident Mubarak tritt in der Presse gegenüber seinem Vize Omar Suleiman mittlerweile deutlich in den Hintergrund. Ob diese Veränderungen von oben angeordnet wurden, oder sich die Redakteure größere Freiheiten herausnehmen, ist bislang unklar.
Doch diese Kulissenschieberei ändert nichts daran, dass Ägyptens Regime durchgreifende Veränderungen scheut. Auch die US-Regierung dies scheint mittlerweile zu registrieren und hat den öffentlichen Druck auf die Führung in Kairo noch einmal erhöht. Vize-Präsident Omar Suleiman versucht derweil im Westen die Furcht vor Veränderungen in seinem Land zu schüren. Im ABC-Interview erklärte er, sein Land sei noch nicht reif für eine Demokratie. Zumindest vom Streikrecht scheinen die Ägypter aber schon einmal gehört zu haben.
Die Proteste gegen das Regime in Ägypten sind in die dritte Woche gegangen. Die Regierung scheint die Lage in ihrem Land aber weiterhin zu ignorieren. Außenminister Ahmad Abu al-Gheit erklärte am Mittwoch Abend in einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender PBS, man sei in Kairo sehr enttäuscht darüber, dass die USA seinem Land ihren Willen »aufzwingen« wollten. Was der erfahrenen Politiker übersieht oder einfach nicht eingestehen will: Es sind nicht die Amerikaner, die aufs Reformtempo drücken, sondern es ist das ägyptische Volk.
Denn anders als es noch vor ein paar Tagen den Anschein hatte, schließen sich immer mehr Menschen den Protesten gegen die Staatsführung an. Die Wut gegen Präsident Mubarak und seine Führungsriege zeigt sich längst nicht mehr nur auf den großen Plätzen Kairos und Alexandria, sondern hat mittlerweile ganz Ägypten erfasst. Aus allen Teilen des Landes werden Demonstrationen, Ausschreitungen und Streiks gemeldet.
In der Oasenstadt Kharga in der Wüstenprovinz al-Wadi al-Jadid kamen in den vergangenen Tagen nach Angaben der Sicherheitskräfte bei Zusammenstößen zwischen etwa 3000 Demonstranten und der Polizei drei Menschen ums Leben, dutzende weitere wurden verletzt. Das Beispiel der abgelegenen Wüstenoase zeigt: Der Tahrir-Platz ist überall. Knapp 1000 Kilometer weiter nördlich, in Port Said, wo der Suezkanal ins Mittelmeer mündet, setzten Aufständische am Mittwoch den Sitz des Gouverneurs in Brand.
Straßenfeger und Ärzte streiken gemeinsam
Noch mehr Sorgen dürften dem angeschlagenen Regime die vielen Arbeiter bereiten, die in den letzten Tagen in den Streik getreten sind. Mehrere tausend Angestellte der verschiedenen Service-Unternehmen des Suezkanals legten am Dienstag ihre Arbeit für unbestimmte Zeit nieder. Nach Angaben verschiedener Reedereien läuft der Verkehr auf dieser lebenswichtigen Schlagader der Weltwirtschaft bislang aber reibungslos weiter. Notfalls soll das ägyptische Militär eingreifen und den Betrieb des Kanals sichern. Eine Unterbrechung des Schiffsverkehrs auf der Wasserstraße zwischen Port Said und Suez würde den Erdölpreise weiter in die Höhe schnellen lassen. Damit würde auch der Druck auf die Führung in Kairo steigen, den Forderungen der Opposition endlich nachzugeben.
Auch aus al-Mahalla al-Kubra und Helwan, zwei Städten im Umland Kairos, sowie aus der Hauptstadt selbst werden Streiks gemeldet. Den Arbeitern geht es dabei in erster Linie um wirtschaftliche Verbesserungen. Unter anderem fordern sie bessere Arbeitsbedingungen, langfristige Verträge und das Einlösen der versprochenen Lohnerhöhungen. Am Montag versprach das Kabinett von Premierminister Ahmad Shafiq den sechs Millionen Staatsangestellten zwar eine Lohnsteigerung von 15 Prozent. Doch niemand mag so richtig daran glauben, dass dieses Versprechen in die Tat umgesetzt wird. Die Forderungen, die von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz erhoben werden, also der Rücktritt Mubaraks und demokratische Reformen, sind für sie eher zweitrangig.
Dennoch erhält die ägyptische Protestbewegung damit weiteren Zulauf und erhöht den Druck auf Präsident Mubarak und seine Führungsriege. Zudem kann das Regime nun nicht länger glaubhaft behaupten, der Protest sei lediglich ein Aufstand einer unorganisierten Jugend. Denn die Streikenden kommen aus allen Branchen, unter ihnen sind Analphabeten genauso wie Akademiker. So traten in den letzten Tagen unter anderem Bahnbedienstete, Busfahrer, Angestellte des Erdölsektors, Stahlarbeiter, Straßenfeger und Mediziner in den Ausstand.
Einzelne, zeitlich befristete Streiks sind auch in Ägypten keine Seltenheit. Besonders in der Industriestadt al-Mahalla al-Kubra im Nildelta kämpften in den vergangenen Jahren Arbeiter in den Textilfabriken für eine bessere Bezahlung. Diese Streikbewegung wurde eine der Keimzellen für die »Jugend des 6. April«, eine der Gruppen, die in den letzten Wochen die Proteste auf dem Tahrir-Platz organisiert hat.
Viele Ägypter können nicht von ihrer Arbeit leben
Doch ungeachtet der vergangenen Arbeitskämpfe liegt der Mindestlohn in Ägypten seit 1984 unverändert bei 35 Ägyptischen Pfund pro Woche – das sind umgerechnet etwas mehr als vier Euro. Gleichzeitig haben sich am Nil die Lebenshaltungskosten im Laufe der letzten Jahrzehnte vervielfacht. So können viele Ägypter trotz tagtäglicher harter Arbeit ihre Familie kaum ernähren. Freie Gewerkschaften, mit deren Hilfe die Arbeitnehmer für ihre Rechte kämpfen könnten, gibt es in Ägypten nicht. Der Gewerkschaftsbund wird bislang staatlich kontrolliert. Vor zehn Tagen gründeten einige Aktivisten einen eigenen freien Gewerkschaftsbund als Gegenmodell – ob sich dieser zu einer Alternative entwickeln wird, werden die nächsten Monate zeigen.
Doch nicht nur in den Büros und Fabriken brodelt es: Mittlerweile drohen auch bislang sicher erscheinende Bastionen der Regierung zu bröckeln. Die Redakteure der staatlichen Tageszeitung al-Ahram protestieren seit Mittwoch gegen Eingriffe in ihre Berichterstattung von oben. Außerdem fordern sie eine Aufklärung des Todes ihrer beiden Mitarbeiter, die in den vergangenen Tagen auf dem Tahrir-Platz tödlich verletzt wurden.
Mit großer Aufmerksamkeit registrieren die Ägypter, dass sie die Berichterstattung in den staatlich kontrollierten Medien langsam wandelt. Mittlerweile werden die landesweiten Proteste nicht mehr totgeschwiegen oder als vom Ausland gesteuert diffamiert, die Forderungen der Demonstranten werden benannt. Präsident Mubarak tritt in der Presse gegenüber seinem Vize Omar Suleiman mittlerweile deutlich in den Hintergrund. Ob diese Veränderungen von oben angeordnet wurden, oder sich die Redakteure größere Freiheiten herausnehmen, ist bislang unklar.
Doch diese Kulissenschieberei ändert nichts daran, dass Ägyptens Regime durchgreifende Veränderungen scheut. Auch die US-Regierung dies scheint mittlerweile zu registrieren und hat den öffentlichen Druck auf die Führung in Kairo noch einmal erhöht. Vize-Präsident Omar Suleiman versucht derweil im Westen die Furcht vor Veränderungen in seinem Land zu schüren. Im ABC-Interview erklärte er, sein Land sei noch nicht reif für eine Demokratie. Zumindest vom Streikrecht scheinen die Ägypter aber schon einmal gehört zu haben.
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