Donnerstag, 24. Februar 2011

Interview mit Khalida Jarrar (PFLP): "Hamas und Fatah fürchten die Demokratie"

Liebe Leserinnen und Leser,
 
ich bin momentan in Jerusalem, um ein Kompendium zu israelischen und palästinensischen Parteien und Bewegungen zu schreiben. Das Buch wird voraussichtlich im Spätsommer erscheinen.
Als Vorgeschmack hier nun ein Interview mit Khalida Jarrar, Abgeordnete im Palästinensischen Legislativrat für die marxistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Die PFLP ist in Europa vor allem durch ihre spektakulären Flugzeugentführungen in den 1970er-Jahren bekannt. Bis heute wird die Partei sowohl von den USA als auch von der EU als terroristische Organisation eingestuft. Alsharq sprach mit Khalida Jarrar über die Vergangenheit und die Zukunft der Volksfront.
 
Welchen Platz nimmt die PFLP im palästinensischen Parteiengefüge ein?

Die PFLP ist eine wahrhaft linke Partei. Wir glauben an den Marxismus und seine Thesen vom Klassenkampf. Daher haben wir einen umfassenden, das heißt politischen, sozialen und ökonomischen Blick auf die gegenwärtige Besatzungssituation und ihre Auswirkungen auf die Palästinenser. Um die Besetzung zu überwinden glaubt die PFLP an sämtliche Formen des Widerstands, die das internationale Recht einem Volk, dessen Land besetzt wird, einräumt.


Wir sind wegen ihres Inhalts gegen die Osloer Verträge. Nach den Enthüllungen der „Palestine Papers“ (die von Al-Jazeera veröffentlichten Geheimdokumente zu den israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen, d. Red) ist noch deutlicher geworden, dass diese Verhandlungen den Palästinensern weit weniger einbringen werden, als das Volk verlangt. Im Gegenteil wird Palästina durch Oslo wie eine Zitrone ausgequetscht. Anstelle der direkten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern unter der Führung der USA, wollen wir, dass die Vereinten Nationen beziehungsweise eine Internationale Konferenz die international anerkannten Resolutionen des Sicherheitsrats umsetzen, um die Besetzung zu beenden und einen palästinensischen Staat in den Grenzen von vor 1967 zu errichten. Darüber hinaus muss das uneingeschränkte Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr garantiert werden.

In Bezug auf die Wirtschaft sind wir gegen eine Politik des freien Marktes, bei der die Reichen stetig reicher werden und die Armen arm bleiben müssen. Soziale Gerechtigkeit ist daher ein zentrales Thema der PFLP-Anhänger. Bezüglich unserer gesellschaftlichen Vorstellungen glauben wir an die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau und fordern daher ein Ende aller geschlechtsspezifischen Diskriminierungen. Ehrlich gesagt ist diese Zielsetzung auch in unserer Partei mit ständigen Auseinandersetzungen verbunden. Nur langsam machen wir Fortschritte.

Befürwortet die PFLP demnach eine Zweistaatenlösung?

Als einen taktischen Schritt. Langfristig streben wir nach einem [geeinten] säkularen demokratischen Staat, in dem alle Menschen leben können: Juden, Christen und Muslime, und andere. Doch zunächst müssen wahre Demokratie hergestellt und Wahlen abgehalten werden. Im Hinblick auf den palästinensischen Kontext muss die PLO reformiert werden.

Derzeit ist die PFLP die zweitstärkste Partei in der PLO. Wahlen würden ihren Anteil wahrscheinlich verringern.

Ja und? Es geht nicht um das Wohl der Partei sondern um die Bedürfnisse der Nation. Es muss Demokratie geben! Deshalb sind wir Teil der vereinten Opposition gegen die Verschiebung der Kommunalwahlen. Wir sind dafür vor Gericht gezogen und haben gewonnen. Die Wahlen werden nun hoffentlich im Juli 2011 stattfinden.

Apropos Demokratie: Die PFLP hat seit dem Jahr 2000 keinen Parteitag mehr abgehalten.

Interne Demokratie ist der PFLP sehr wichtig. Aber als eine Partei, die verfolgt wird und die unter der Besatzung agiert, unterliegen wir gewissen Einschränkungen. Wir haben es mit organisatorischen Hindernissen zu tun, da sich unsere Aktivitäten auf das Westjordanland, den Gazastreifen, das Exil und die israelischen Gefängnisse verteilen. Hinzu kommt, dass führende Kader, wie unser ehemaliger Generalsekretär Abu Ali Mustafa, ermordet wurden. Andere, wie unser gegenwärtiger Generalsekretär Ahmad Sa’adat, wurden von der Palästinensischen Autonomiebehörde und später von Israel verhaftet. Dennoch wird hoffentlich in diesem Jahr ein Parteikongress stattfinden.

Wie arbeitet Ihre Partei im Gazastreifen unter der Herrschaft der Hamas?

Wir sind sehr aktiv. Eigentlich unterscheidet sich die Situation [im Gazastreifen] nicht sehr von der im Westjordanland. An beiden Orten ist die PFLP regelmäßig schweren Repressionen und Verhaftungen ausgesetzt. Sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland haben wir es mit einer autoritären Herrschaft zu tun. Sehen Sie was passierte, als die Palästinenser ihre Solidarität mit den ägyptischen Demonstranten zeigten. Sie wurden daran gehindert, auf die Straße zu gehen, durch die Hamas und die PA gleichermaßen! Frauen, die im Gazastreifen demonstrierten, wurden von der Polizei bedroht. In Ramallah schlug die Polizei junge Palästinenser, die in Solidarität mit den Ägyptern protestierten. Beide Regierungen haben Angst vor demokratischen Entwicklungen, wie sie in Ägypten geschehen.   

Sie erwähnten, die PFLP unterstütze alle Formen des Widerstands. Das beinhaltete in der Vergangenheit auch gewaltsame Aktionen gegen Zivilisten. Betrachten Sie das immer noch als eine praktikable Strategie?

Die PFLP hat in ihrer Geschichte nie Zivilisten angegriffen. Wie ich sagte, führen wir alle Formen des Kampfes nach internationalem Recht aus. Das beinhaltet also Angriffe auf Militante, aber Zivilisten wurden nie getötet oder angegriffen.

Was ist mit den Entführungen von Flugzeugen in den 1960er und 70er Jahren?

Das war eine Strategie, um die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Situation des palästinensischen Volkes und ihr Leid unter der Besatzung zu lenken. Ich glaube nicht, das so etwas heute noch eine geeignete Strategie wäre. Inzwischen ist das internationale Bewusstsein für die palästinensische Sache gestiegen. Insbesondere auf der Ebene der Zivilgesellschaft gibt es eine starke internationale Unterstützung für die Palästinenser. Der gewaltfreie Widerstand der Massen ist zum wichtigsten Instrument gegen die Besatzung geworden. Daher haben wir andere Methoden übernommen, wie die Boykott-Kampagne gegen Israel und die Anwendung von juristischen Mitteln gegen repressive Politik.

Ihre Partei befindet sich weiterhin auf der Terrorliste verschiedener Staaten der Welt...

… obwohl die wirklichen Terroristen die Amerikaner und Israelis sind. Dennoch sollten wir uns darum bemühen, aus diesen Listen gestrichen zu werden. Mit Hilfe unserer internationalen Freunde sind wir diesbezüglich auf einem guten Weg.

Die palästinensische Linke ist sehr fragmentiert. Gibt es Bemühungen, die linken Parteien zu vereinigen?

Wir arbeiten hart daran und veranstalten regelmäßige Gespräche mit der PPP, al-Mubadara
und unabhängigen Intellektuellen über die Frage einer gemeinsamen linken Wahlliste für die kommenden Wahlen. Manchmal organisieren die linken Parteien zusammen mit unabhängigen Intellektuellen gemeinsame Demonstrationen, wie zuletzt die Solidaritätskampagne für die tunesische Revolution. Aber wir stehen vor großen Herausforderungen: Es ist für uns z.B. nicht akzeptabel, dass einige linke Parteien ungeachtet der Besatzungssituation momentan an der Regierung beteiligt sind. Hätte man uns Unabhängigkeit angeboten, wäre das eine andere Sache.

Die letzten Wahlen verliefen sehr enttäuschend für die Linke. Würden nun Wahlen abgehalten, traue ich der Linken bis zu 30 Prozent zu – allerdings nur, wenn sie sich vereinigt. Ansonsten bleibt nur die Alternative zwischen zwei rechten Parteien: Hamas als religiöse rechte Partei, und Fatah als politische rechte Partei. Palästina sollte kein Zwei-Parteien-System haben, seine verheerenden Ergebnisse sehen wir. Alle Meinungen müssen repräsentiert werden. Daher müssen wir eine wirkliche Alternative schaffen.

Gibt es keine Zusammenarbeit mit der israelischen Linken?

Offiziell nicht. Das israelische und das palästinensische Regime arbeiten gegen eine Einheit linker Parteien. Nichtsdestotrotz gibt es Kommunikationsforen.

Wie stehen Sie zu Salam Fayyads Bemühungen, staatliche Strukturen aufzubauen, ohne dass ein palästinensischer Staat existiert oder in naher Zukunft wahrscheinlich scheint?

Nun, sozial und wirtschaftlich unterscheiden sich unsere Ansätze, weil wir seine Politik der freien Marktwirtschaft nicht unterstützen, wonach Steuern und Preise steigen, während staatliche Subventionen reduziert werden. Um standhaft gegen diese neo-liberalen Tendenzen vorzugehen, arbeiten wir eng mit Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen.

Sie standen an der Spitze des Gefangenen-Komitees des PLC.

Aufgrund der Besetzung und der politischen Spaltung in Palästina ist das Komitee zur Zeit nicht aktiv. Aber es gibt über 6.000 palästinensische Gefangene, die von Israel festgenommen wurden, und es gibt viele Rechtsverletzungen in den Gefängnissen, die gegen die 4. Genfer Konvention verstoßen. Dazu gehört Isolationshaft, mangelhafte Gesundheitsversorgung, Besuchsverbot und sogar Folter. Auch Kinder ab einem Alter von 14 Jahren können vor Militärgerichten angeklagt werden, was gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt. In dieser Angelegenheit arbeiten wir auch mit israelischen Menschenrechtsorganisationen zusammen.

Auch im Westjordanland und im Gazastreifen gibt es politische Gefangene, deren Zustand sehr kritisch ist. Die ganze Praxis der politischen Verhaftungen muss gestoppt werden.

Keine Kommentare: