Ein Gastbeitrag von Philipp Spalek, der bis zum Wochenende in Kairo war.
Längst hat auch das ägyptische Staatsfernsehen die Ereignisse am Tahrir-Platz in die Wohnzimmer gebracht. Noch bis zum vorletzten Wochenende füllten die Sender das Programm mit Komödien und Seifenopern. Selbst am Freitag, als der Straßenkampf zwischen Demonstranten und Polizei tobte, konnte man sich auf die Pünktlichkeit der Kochsendungen und die heile Welt Ägyptens im Wohnzimmer verlassen.
In der letzten Woche bestimmten dann auch auf den staatlichem Kanälen 1, 2 und NileTV Verletzte, Tote, brennende Fahrzeuge und Barrikadenkämpfe die Berichterstattung. Nun wird versucht zur Normalität zurückzukehren. Korrespondenten berichten von Schlangen vor wiedereröffneten Banken und im Studio sitzen einfache Bürger aus Bani Suef oder Asiut, die in Oberägypten keine Probleme erkennen wollen. Die staatliche Berichterstattung reiht sich in eine Strategie ein, die das Regime stabilisieren und die Revolution gegen die Demonstranten auf dem Tahrir richten soll.
Ein erstes kräftiges Aufbäumen der staatlichen Berichterstattung markieren die Stunden vor der Präsidentenrede am Dienstag. Am frühen Abend versammeln sich an die 300 Mubarak-Anhänger am Mustafa Mahmud-Platz im Kairoer Stadtteil Mohandessin. Sie wirken etwas verloren angesichts der Größe des Platzes. Nicht so auf den Fernsehbildschirmen. Man kann einer leidenschaftlichen Volksmasse zuschauen, die dem Präsidenten aus vollen Lungen ihre Liebe entgegen schreit. Jubelnde Massen füllen den gesamten Bildausschnitt. Kameramänner arbeiten mit Nahaufnahmen und erzeugen den Eindruck, es haben sich Tausende versammelt.
Im ägyptischen Staatsfernsehen verschwimmen die Fronten
Das Bild weicht einem Split-Screen. Unterstützt von den Rufen der Mubarak-Anhänger beginnt ein ergrauter Herr in ereifernder Rhetorik den Mut, das Heldentum und die Aufopferung Mubaraks für Ägypten zu loben. Seine Energie scheint nahezu erschöpft zu sein, als der Präsident vor die Kameras tritt. Die Worte sind mit Bedacht gewählt, das Arabische bis zur Perfektion ausgefeilt. Nach dreißig Jahren sollte Mubarak wissen, wie er sein Volk zu anzusprechen hat. Er stellt sich als unentbehrlich dar. Ganz der patriotische Führer, den das Volk in dieser schwierigen Lage braucht. Zwar werde er auf die Kandidatur in den nächsten Präsidentenwahlen verzichten, sollte er aber zum jetzigen Zeitpunkt sein Amt verlassen, so könne nur Chaos folgen.
Die Lager reagieren gespalten. Während sich einige mit den Häppchen zufriedengeben, erachten die Regimegegner die Ansprache nur als einen weiteren Schritt auf dem Weg zum endgültigen Tyrannensturz. In der Nacht zum Donnerstag überschlagen sich dann die Ereignisse. Die Situation eskaliert. Die traurige Bilanz der Nacht: mehrere Tote, hunderte Verletzte. Die Bilder der Nacht sollen von nun an eine Schlüsselrolle zur Unterfütterung der staatlichen Rhetorik spielen. In den schnellen Schnitten des Fernsehbildes fließen brennende Autos, prügelnde Demonstranten und Barrikadenkämpfe in einem Meer aus Bildern zusammen. Niemand kann erkennen, was die Ursache ist und wie die Fronten verlaufen. Es gibt nur »die Demonstranten«. Dazwischen rennen nach Fernsehberichten in seltener Einigkeit israelische, palästinensische und iranische Plünderer umher. Was folgt, ist Chaos. Omar Suleiman drückt daraufhin sein Bedauern aus und ordnet eine Untersuchung der Ereignisse an.
Umgehend präsentieren die staatlichen Sender und Zeitungen den angeblich wahren Feind: Ausländer würden die Demonstrationen manipulieren und zu Plünderungen anstiften. Inmitten der Demonstranten soll ein israelischer Spion verhaftet worden sein. Großformatig werden sein blauer Pass und die hebräischen Buchstaben gefilmt. Die Armee hat ihn zunächst in Gewahrsam genommen. Noch in derselben Nacht erteilt ein Moderator auf Kanal 1 einem Anrufer das Wort, der vor dem Gebäude der Tageszeitung Al-Ahram falsche Soldaten gesichtet haben will. Aus allen Nationalitäten seien Männer in ägyptischen Militäruniformen darunter. Nichtarabische und arabische Ausländer, die nur eine Absicht haben – Chaos stiften, Plündern und Rauben.
Verschwörungstheorien machen das Unpassende passend
Die Tageszeitung Al-Akhbar berichtet am 4. Februar von Hamas- und Hizbullah-Brigaden, die durch die Stadt ziehen. Auf der Titelseite werden die herausragenden Festnahmen vom Mittwoch und Donnerstag gefeiert. Ein Iraner, ein bewaffneter Marokkaner und ein Brite seien wegen vermeintlicher Spionage und Konspiration in Gewahrsam genommen worden. Der Feind kleidet sich in viele Gewänder. Inzwischen sollen israelische Journalisten, die mit falschen europäischen Pässen eingereist seien und plündernd durch die Straßen ziehen, entdeckt worden sein.
Wirre Verschwörungstheorien machen das Unpassende passend. Alle hätten sich gegen Ägypten verschworen. Von Iran werden Hizbullah-Anhänger auf dem Tahrir bezahlt, die Hamas hat Brigaden gesandt, israelische Journalisten plündern und, »wo ist eigentlich die Facebook-Generation?«, fragt der Moderator auf dem sich selbst als liberal verstehenden Sender OnTV. Das stumme Bild einer demonstrierenden Masse erscheint – etwas müde und ausgezehrt, an ihren Lippen kann man die Botschaft ablesen: »Das Volk will den Sturz des Regimes!« Er sehe keinen einzigen Laptop, meint der Moderator. Irgendetwas sei falsch an dem Bild. Wo nun sollen Facebook und Twitter sein? Wohin sind die Kinder Ägyptens verschwunden, die am 25. Januar friedlich ihre Demonstration über die sozialen Plattformen organisierten? Sie können nicht auf dem Tahrir sein.
Ägypten sei größer als alles andere, adressiert der Moderator die Wohnzimmer. In regelmäßigen Abständen senden alle Kanäle patriotische Kurzfilme. Vereint tragen Ägypter eine hundert Meter lange Nationalflagge über die Brücke des 6. Oktober. Freudestrahlend pflügen Bauern ihre Felder, die Stadt erwacht und alle blicken der Sonne entgegen. Der Moderator auf OnTV nimmt im Minutentakt Telefonanrufe von besorgten Bürgern, besonders von Jugendlichen, entgegen. Sie drücken ihren Unmut über die Eskalation und die Situation des Landes aus. Auch sie gehörten zur Bewegung des 25. Januars, sehen ihre Forderungen von Husni Mubarak erfüllt und haben erkannt, wann es Zeit war, nach Hause zu gehen. Von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz sehen sie sich verraten. Ihre Revolution werde verkauft, von Unruhestiftern und reaktionären Kräften.
Einer der Anrufer auf Kanal 1 ist angeblich gerade erst vom Tahrir zurückgekehrt. Ägypter habe er dort keine gesehen. Die Menschen sähen irgendwie anders aus, meint er. Es könnten Araber gewesen sein, aber er habe auch noch andere Nationalitäten entdeckt. Sie würden gut versorgt werden, meint er. Medikamente und Lebensmittel seien ausreichend vorhanden, während der Rest der Bevölkerung unter Brotmangel und steigenden Lebensmittelpreisen leide.
Die Botschaft der regierungstreuen Sender ist klar. Die Revolution ist längst vorbei. Der 25. Januar bietet sich als historisches Datum an. Es wurden Reformen versprochen und eine neue Regierung. Die Jugend hat ihren Sieg errungen, die Übriggebliebenen auf dem Tahrir seien nun verantwortlich für die desaströse wirtschaftliche Lage und das Sicherheitschaos im Land.
Der Machtkampf verlagert sich vom Tahrir in die Wohnviertel
Der Konflikt ist nicht alleine auf den Tahrir beschränkt, wie es der Fokus der meisten Medien suggeriert. Ein User twittert, er habe von einem Taxifahrer erzählt bekommen, dass Angehörige seiner Familie von der Polizei erschossen wurden. Andere meinen in den Straßenkämpfen am Mittwoch Polizisten wiedererkannt zu haben, die regelmäßig in ihrem Viertel patrouillierten. Die Kämpfe fanden von Angesicht zu Angesicht statt. Man konnte seinem Feind förmlich in die Augen schauen. Es gab Tote und Verletzte. Jeder dieser Verletzten, jeder Tote hat Familie, Verwandte und Freunde. Schleichend könnte sich der Konflikt am Tahrir in die Wohngebiete ausbreiten, Familienbeziehungen zerstören und Nachbarschaftskonflikte hervorrufen.
Langfristig wird auch die wirtschaftliche Lage eine Schlüsselrolle im Umgang mit den Demonstranten spielen. Schon jetzt sind die Lebensmittelpreise stark angestiegen, die Preise von Grundnahrungsmitteln wie Brot und Gemüse haben sich nahezu verdoppelt. Die Ausgangssperre zwingt Ladenbesitzer ihre Geschäfte frühzeitig zu schließen. Die Arbeit ruht an vielen Orten. Für viele ist die finanzielle Sicherheit weggebrochen. Touristen verlassen in einem wahren Exodus das Land. Mit ihrer Flucht sinken Deviseneinnahmen und werden Arbeitsplätze zerstört. Der Unmut wird wachsen, während das Staatsfernsehen weiter nach dem »Warum?« fragt. Warum bleiben die Demonstranten weiter auf dem Tahrir? Warum nehmen sie die derzeitige Lage Ägyptens in Kauf?
Weiterhin werden Aktivisten festgenommen. Umherstreifende Schlägertrupps der NDP und arbeitslose Polizeikräfte bedrohen Unterstützer, die Decken, Medikamente und Lebensmittel auf den Tahrir bringen wollen. Es gibt Berichte über Demonstranten, die bei Verlassen des Platzes festgenommen werden. Unter der Oberfläche schleppen sich das Regime und seine Gegner von Schlacht zu Schlacht, an der Aufmerksamkeit der Medien vorbei.
Dazu kommt die unsichere Lage in den Wohngebieten. Der Sicherheitsapparat ist weggebrochen. Lediglich an einigen Kreuzungen stehen schwer bewaffnete Polizeikräfte. Das Militär ist weder für den einfachen Streifendienst ausgebildet, noch dazu in der Lage, in allen Vierteln mit Soldaten präsent zu sein. Die Wohngebiete werden von provisorisch bewaffneten Bürgermilizen bewacht. Von Minaretten rufen Imame Jugendliche und Männer auf, ihre Häuser zu verteidigen. Sie übernehmen mit Äxten, Knüppeln, Eisenketten, Handfeuerwaffen und Messern bewaffnet die Sicherheit der Straßen. Schlaf ist nur noch schwer zu finden. Zwei- bis dreimal werden zusätzliche Männer zur Verteidigung aus den Betten in die Straßen gerufen. Die Spannung steigt, auch hier möchte man zurück zur Normalität kommen. Dabei schafft die explosive Mischung aus Konspiration, Gewalt und wirtschaftlicher sowie finanzieller Unsicherheit eine Situation, in der sich Husni Mubarak über die Medien immer unentbehrlicher macht. Die Kollateralschäden sind bisher nur zu erahnen.
Längst hat auch das ägyptische Staatsfernsehen die Ereignisse am Tahrir-Platz in die Wohnzimmer gebracht. Noch bis zum vorletzten Wochenende füllten die Sender das Programm mit Komödien und Seifenopern. Selbst am Freitag, als der Straßenkampf zwischen Demonstranten und Polizei tobte, konnte man sich auf die Pünktlichkeit der Kochsendungen und die heile Welt Ägyptens im Wohnzimmer verlassen.
In der letzten Woche bestimmten dann auch auf den staatlichem Kanälen 1, 2 und NileTV Verletzte, Tote, brennende Fahrzeuge und Barrikadenkämpfe die Berichterstattung. Nun wird versucht zur Normalität zurückzukehren. Korrespondenten berichten von Schlangen vor wiedereröffneten Banken und im Studio sitzen einfache Bürger aus Bani Suef oder Asiut, die in Oberägypten keine Probleme erkennen wollen. Die staatliche Berichterstattung reiht sich in eine Strategie ein, die das Regime stabilisieren und die Revolution gegen die Demonstranten auf dem Tahrir richten soll.
Ein erstes kräftiges Aufbäumen der staatlichen Berichterstattung markieren die Stunden vor der Präsidentenrede am Dienstag. Am frühen Abend versammeln sich an die 300 Mubarak-Anhänger am Mustafa Mahmud-Platz im Kairoer Stadtteil Mohandessin. Sie wirken etwas verloren angesichts der Größe des Platzes. Nicht so auf den Fernsehbildschirmen. Man kann einer leidenschaftlichen Volksmasse zuschauen, die dem Präsidenten aus vollen Lungen ihre Liebe entgegen schreit. Jubelnde Massen füllen den gesamten Bildausschnitt. Kameramänner arbeiten mit Nahaufnahmen und erzeugen den Eindruck, es haben sich Tausende versammelt.
Im ägyptischen Staatsfernsehen verschwimmen die Fronten
Ein Bild ganz nach dem Geschmack des ägyptischen Staatsfernsehens: Ein junge Mubarak-Anhängerin lässt sich die Staatsflagge auf die Wangen malen. |
Die Lager reagieren gespalten. Während sich einige mit den Häppchen zufriedengeben, erachten die Regimegegner die Ansprache nur als einen weiteren Schritt auf dem Weg zum endgültigen Tyrannensturz. In der Nacht zum Donnerstag überschlagen sich dann die Ereignisse. Die Situation eskaliert. Die traurige Bilanz der Nacht: mehrere Tote, hunderte Verletzte. Die Bilder der Nacht sollen von nun an eine Schlüsselrolle zur Unterfütterung der staatlichen Rhetorik spielen. In den schnellen Schnitten des Fernsehbildes fließen brennende Autos, prügelnde Demonstranten und Barrikadenkämpfe in einem Meer aus Bildern zusammen. Niemand kann erkennen, was die Ursache ist und wie die Fronten verlaufen. Es gibt nur »die Demonstranten«. Dazwischen rennen nach Fernsehberichten in seltener Einigkeit israelische, palästinensische und iranische Plünderer umher. Was folgt, ist Chaos. Omar Suleiman drückt daraufhin sein Bedauern aus und ordnet eine Untersuchung der Ereignisse an.
Umgehend präsentieren die staatlichen Sender und Zeitungen den angeblich wahren Feind: Ausländer würden die Demonstrationen manipulieren und zu Plünderungen anstiften. Inmitten der Demonstranten soll ein israelischer Spion verhaftet worden sein. Großformatig werden sein blauer Pass und die hebräischen Buchstaben gefilmt. Die Armee hat ihn zunächst in Gewahrsam genommen. Noch in derselben Nacht erteilt ein Moderator auf Kanal 1 einem Anrufer das Wort, der vor dem Gebäude der Tageszeitung Al-Ahram falsche Soldaten gesichtet haben will. Aus allen Nationalitäten seien Männer in ägyptischen Militäruniformen darunter. Nichtarabische und arabische Ausländer, die nur eine Absicht haben – Chaos stiften, Plündern und Rauben.
Verschwörungstheorien machen das Unpassende passend
Die Tageszeitung Al-Akhbar berichtet am 4. Februar von Hamas- und Hizbullah-Brigaden, die durch die Stadt ziehen. Auf der Titelseite werden die herausragenden Festnahmen vom Mittwoch und Donnerstag gefeiert. Ein Iraner, ein bewaffneter Marokkaner und ein Brite seien wegen vermeintlicher Spionage und Konspiration in Gewahrsam genommen worden. Der Feind kleidet sich in viele Gewänder. Inzwischen sollen israelische Journalisten, die mit falschen europäischen Pässen eingereist seien und plündernd durch die Straßen ziehen, entdeckt worden sein.
Wirre Verschwörungstheorien machen das Unpassende passend. Alle hätten sich gegen Ägypten verschworen. Von Iran werden Hizbullah-Anhänger auf dem Tahrir bezahlt, die Hamas hat Brigaden gesandt, israelische Journalisten plündern und, »wo ist eigentlich die Facebook-Generation?«, fragt der Moderator auf dem sich selbst als liberal verstehenden Sender OnTV. Das stumme Bild einer demonstrierenden Masse erscheint – etwas müde und ausgezehrt, an ihren Lippen kann man die Botschaft ablesen: »Das Volk will den Sturz des Regimes!« Er sehe keinen einzigen Laptop, meint der Moderator. Irgendetwas sei falsch an dem Bild. Wo nun sollen Facebook und Twitter sein? Wohin sind die Kinder Ägyptens verschwunden, die am 25. Januar friedlich ihre Demonstration über die sozialen Plattformen organisierten? Sie können nicht auf dem Tahrir sein.
Ägypten sei größer als alles andere, adressiert der Moderator die Wohnzimmer. In regelmäßigen Abständen senden alle Kanäle patriotische Kurzfilme. Vereint tragen Ägypter eine hundert Meter lange Nationalflagge über die Brücke des 6. Oktober. Freudestrahlend pflügen Bauern ihre Felder, die Stadt erwacht und alle blicken der Sonne entgegen. Der Moderator auf OnTV nimmt im Minutentakt Telefonanrufe von besorgten Bürgern, besonders von Jugendlichen, entgegen. Sie drücken ihren Unmut über die Eskalation und die Situation des Landes aus. Auch sie gehörten zur Bewegung des 25. Januars, sehen ihre Forderungen von Husni Mubarak erfüllt und haben erkannt, wann es Zeit war, nach Hause zu gehen. Von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz sehen sie sich verraten. Ihre Revolution werde verkauft, von Unruhestiftern und reaktionären Kräften.
Einer der Anrufer auf Kanal 1 ist angeblich gerade erst vom Tahrir zurückgekehrt. Ägypter habe er dort keine gesehen. Die Menschen sähen irgendwie anders aus, meint er. Es könnten Araber gewesen sein, aber er habe auch noch andere Nationalitäten entdeckt. Sie würden gut versorgt werden, meint er. Medikamente und Lebensmittel seien ausreichend vorhanden, während der Rest der Bevölkerung unter Brotmangel und steigenden Lebensmittelpreisen leide.
Ein junger Ägypter erklärt im Staatsfernsehen, dass Ägypter unter den Demonstranten auf dem Tahrirplatz längst in der Minderheit seien. |
Der Machtkampf verlagert sich vom Tahrir in die Wohnviertel
Der Konflikt ist nicht alleine auf den Tahrir beschränkt, wie es der Fokus der meisten Medien suggeriert. Ein User twittert, er habe von einem Taxifahrer erzählt bekommen, dass Angehörige seiner Familie von der Polizei erschossen wurden. Andere meinen in den Straßenkämpfen am Mittwoch Polizisten wiedererkannt zu haben, die regelmäßig in ihrem Viertel patrouillierten. Die Kämpfe fanden von Angesicht zu Angesicht statt. Man konnte seinem Feind förmlich in die Augen schauen. Es gab Tote und Verletzte. Jeder dieser Verletzten, jeder Tote hat Familie, Verwandte und Freunde. Schleichend könnte sich der Konflikt am Tahrir in die Wohngebiete ausbreiten, Familienbeziehungen zerstören und Nachbarschaftskonflikte hervorrufen.
Langfristig wird auch die wirtschaftliche Lage eine Schlüsselrolle im Umgang mit den Demonstranten spielen. Schon jetzt sind die Lebensmittelpreise stark angestiegen, die Preise von Grundnahrungsmitteln wie Brot und Gemüse haben sich nahezu verdoppelt. Die Ausgangssperre zwingt Ladenbesitzer ihre Geschäfte frühzeitig zu schließen. Die Arbeit ruht an vielen Orten. Für viele ist die finanzielle Sicherheit weggebrochen. Touristen verlassen in einem wahren Exodus das Land. Mit ihrer Flucht sinken Deviseneinnahmen und werden Arbeitsplätze zerstört. Der Unmut wird wachsen, während das Staatsfernsehen weiter nach dem »Warum?« fragt. Warum bleiben die Demonstranten weiter auf dem Tahrir? Warum nehmen sie die derzeitige Lage Ägyptens in Kauf?
Weiterhin werden Aktivisten festgenommen. Umherstreifende Schlägertrupps der NDP und arbeitslose Polizeikräfte bedrohen Unterstützer, die Decken, Medikamente und Lebensmittel auf den Tahrir bringen wollen. Es gibt Berichte über Demonstranten, die bei Verlassen des Platzes festgenommen werden. Unter der Oberfläche schleppen sich das Regime und seine Gegner von Schlacht zu Schlacht, an der Aufmerksamkeit der Medien vorbei.
Dazu kommt die unsichere Lage in den Wohngebieten. Der Sicherheitsapparat ist weggebrochen. Lediglich an einigen Kreuzungen stehen schwer bewaffnete Polizeikräfte. Das Militär ist weder für den einfachen Streifendienst ausgebildet, noch dazu in der Lage, in allen Vierteln mit Soldaten präsent zu sein. Die Wohngebiete werden von provisorisch bewaffneten Bürgermilizen bewacht. Von Minaretten rufen Imame Jugendliche und Männer auf, ihre Häuser zu verteidigen. Sie übernehmen mit Äxten, Knüppeln, Eisenketten, Handfeuerwaffen und Messern bewaffnet die Sicherheit der Straßen. Schlaf ist nur noch schwer zu finden. Zwei- bis dreimal werden zusätzliche Männer zur Verteidigung aus den Betten in die Straßen gerufen. Die Spannung steigt, auch hier möchte man zurück zur Normalität kommen. Dabei schafft die explosive Mischung aus Konspiration, Gewalt und wirtschaftlicher sowie finanzieller Unsicherheit eine Situation, in der sich Husni Mubarak über die Medien immer unentbehrlicher macht. Die Kollateralschäden sind bisher nur zu erahnen.
1 Kommentar:
... langsam überkommt einen die Ohnmacht, auch hier in unserem Land nicht wirklich was ausrichten zu können ... Lesen unsere Politiker diese Artikel nicht? Sehen sie denn nicht was passiert, wisse sie denn nicht wie Despoten sich schon immer an der Macht zu halten versuchen? Wir kennen es aus unserer Geschichte, aus unsererm eigenen Leben und aus ach so vilen Berichten und Filmen ... und doch tuen unsere Plitiker so als ob es immer noch um die Wahl zwischen einem zahmen Diktator und einem islamistischen Gottestaat geht ... warum sieht denn Keiner, dass wir hier eine ungemein historische Chance verspielen das Leben in der gesamten Welt einfach friedlicher zu gestalten ... meine Güte!
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