von Kathrin Hagemann, Dominik Peters, Christoph Sydow und Björn Zimprich
Der Sturz Husni Mubaraks bestimmt seit Freitag die Debatte in den arabischen und israelischen Medien. Ägyptens Presse schlägt sich in Windeseile auf die Seite der Revolutionäre, in Syrien erwartet man Kairos Abkehr von Israel und die israelischen Kommentatoren warnen vor dem Aufstieg der Muslimbrüder
Bis zu seinem erzwungenen Rücktritt am Freitag Abend konnte sich Husni Mubarak auf seine treu-ergebene, regierungsfreundliche Presse verlassen. Fast an jedem Tag in den letzten 30 Jahren prangte auf den Titelblättern von al-Ahram, al-Gomhuria oder Akhbar al-Yaum ein Bild des Präsidenten, das ihn im vertrauten Gespräch mit ausländischen Amtskollegen oder auf andere Art als weisen Staatenlenker präsentierte. Die Kommentatoren und Herausgeber flankierten die Politik des Regimes mit freundlichen Leitartikeln, die Mubarak in gutem Licht erscheinen ließen.
Von einem Tag auf den anderen ist es damit nun vorbei. Keine sechs Stunden waren nach Mubaraks Rücktritt vergangen, da titelte al-Ahram in einer Sonderausgabe: „Das Volk hat das Regime gestürzt“. Kein Wort mehr davon, dass die regimefreundlichen Medien den Demonstranten vom Tahrir-Platz wochenlang abgesprochen hatten, für das Volk zu sprechen. Und auch in den anderen Mubarak-treuen Blättern findet der Leser bislang kein selbstkritisches Wort der Redakteure, zu ihrer Haltung in den letzten Wochen und Monaten. Stattdessen schlagen sich die Meinungsmacher nun voll und ganz auf Seiten der Revolutionäre und fordern einen durchgreifenden Wandel in Ägypten.
Ägypten müsse nun dafür sorgen, dass die Revolution einen wirklichen Wandel herbeiführe, fordert etwa Ahmad Sayid Ahmad in seinem Kommentar für al-Ahram aus Kairo. „In Ägyptens Zukunft darf es keine Gruppe geben, die ein Entscheidungsmonopol besitzt und andere Ansichten bekämpft, so wie es in der Vergangenheit geschah. Ein Konsens muss alle Gruppen der ägyptischen Gesellschaft berücksichtigen.“ Medien, Bildung und ein aufgeklärter religiöser Diskurs müssten die Lokomotive sein, mit deren Hilfe der Geist der wahren Demokratie bei den Ägyptern verankert werden solle. „Es gibt keinen Zweifel, dass es viele ernsthafte Herausforderungen für Ägypten nach der Revolution gibt. Aber durch Dialog, Harmonie und wahre Demokratie können wir uns ihnen stellen und sie bewältigen. Die Fortsetzung des alten Denkens droht die Revolution ihres Kerns und ihrer Ziele zu berauben und dann gebe es nur einen Wechsel der Personen und keinen Wechsel der Politik und Orientierungen.“
„Die Jugend wird nicht darauf verzichten, Mubarak den Prozess zu machen“
Mohammad Ali Ibrahim stellt bei seiner Betrachtung der ägyptischen Revolution in der bis Freitag Mubarak-treuen Zeitung al-Gomhuria zwei Dinge ins Zentrum. Die Rolle der ägyptischen Jugend und die enorme Bedeutung des Tahrir-Platz für die Proteste. So führt er aus: „Nachdem was auf dem Tahrir-Platz geschehen ist, handelt es sich weltweit um die erste Revolution des Volkes, die ihren Anfang von einem einzelnen Platz aus nahm.“ Er lobt die Organisation der Protestler auf dem Tahrir-Platz. So entstand auf dem Platz der Befreiung „ein vollkommener Staat der Verlässlichkeit, mit Informationsdienst, einer Polizei und allerhand Dienstleistungen.“ Weiter heißt es: „Im Staat des Tahrir-Platzes herrscht weder Korruption noch Ausbeutung. Der Staat wurde aufgeräumt von der Jugend. Der Einlass erfolgt nur mit persönlicher Eintrittskarte.“
Die jugendliche Revolution etablierte, nach Mohammad Ibrahim, auf dem Platz der Befreiung ein Ägypten, in dem es nicht mehr zulässig ist, staatlichen Wandel ohne die Jugend zu vollziehen. Die Jugendlichen des Tahrir-Platzes seien in der Lage die politische Zukunft Ägyptens zu gestalten. „Die Jugend diktiert den Wandel mit Macht und wird jetzt nichts mehr akzeptieren außer die endgültige Vertreibung von Präsident Mubarak und sie wird niemals darauf verzichten ihm den Prozess zu machen.“
Walid Abdalaziz fordert in seinem Kommentar für die ägyptische Zeitung Akhbar al-Yaum, man dürfe bei aller Freude über die Revolution die „Märtyrer der Polizei“ nicht vergessen. „Ich bestreite nicht, dass es Korruption und Unrecht im Sicherheitssektor gab, aber nicht jeder kann wegen Korruption und Unrecht beschuldigt werden. Jeder hat erkannt, dass viele Polizisten Fehler gemacht haben, die allen wehgetan haben. Aber das bedeutet nicht, dass wir in Ägypten zwei Gruppen bilden – eine auf Seiten der Polizei, die andere gegen sie.“ Bei alldem müsse jedoch gewürdigt werden, dass viele Polizisten in den letzten Wochen beim Kampf gegen Plünderer ihr Leben ließen. Nun müsse beim Umgang zwischen Volk und Sicherheitskräften ein neues Kapitel aufgeschlagen werden, so Abdalaziz.
Emad al-Ghazali beschreibt in seinem Kommentar für al-Shorouk, eine junge ägyptische Zeitung, die auch unter Mubarak fast kein vor den Mund nahm, seine Vision vom „neuen Ägypten“: „Von jetzt an werden die Ägypter ihren Präsidenten in freien und fairen Wahlen bestimmen. Von jetzt an werden sie ihre Vertreter in den Parlamenten und Stadträten wählen, ohne dass ihr Votum verfälscht wird. Von jetzt an werden unsere Ressourcen nicht mehr geplündert und und unser Land und unsere Unternehmen auf dem Sklavenmarkt verkauft. Von jetzt an sind wir eine Hand, Reich und Arm, Muslime und Kopten, Junge, Männer, Frauen und Kinder, verbunden bis zum Tag des Jüngsten Gerichts.“
„Ein Tsunami lauert vor der Tür“
„Danke an das großartige ägyptische Volk“, überschreibt Abdel Bari Atwan, Herausgeber der in London erscheinenden pan-arabischen Zeitung al-Quds al-Arabi seinen Leitartikel vom Samstag. Omar Suleimans kurze Ansprache, in der er Husni Mubaraks Rücktritt verkündete, sei die schönste Rede seines Lebens gewesen, so der Journalist. „Die Rede bestand aus nicht mehr als zwölf Worten, aber sie erwärmte die Herzen von 350 Millionen Arabern und 1,5 Milliarden Muslimen, die in verschiedenen Teilen der Welt verstreut sind. Sie warteten auf den historischen Moment des Diktatorensturzes und den lang erwarteten Beginn des demokratischen Wandels.“ Mubaraks Sturz bedeute das Ende der der sogenannten „Achse der gemäßigten Staaten“ und das Ende des Camp David Abkommens und all seiner erniedrigenden Nebenwirkungen für die arabischen Staaten, die vor Israel auf die Knie gefallen seien und um Frieden gebettelt hätten.
Mit dem Ende der Herrschaft von Husni Mubarak sei Ägypten auf gutem Wege, seine Führungsrolle in der arabischen Welt, die es in den 50er und 60 er Jahren des letzten Jahrhunderts einnahm, zurückzugewinnen, kommentiert Omar Jaftali in der staatlichen syrischen Zeitung Tishreen. „Die arabischen Massen vom Atlantik bis zum Golf waren nicht glücklich mit der Politik der Ägypter auf afrikanischen und arabischen Themenfeldern und ganz besonders nicht hinsichtlich der palästinensischen Sache. Die meisten arabischen Völker und verschiedene arabische Staaten waren abgestoßen, wenn der Präsident Ägyptens israelische Kriegsverbrecher mit dem Blut des palästinensischen Volkes an ihren Händen empfing.“ Nun warteten die Araber nach Jaftalis Einschätzung auf Ägyptens Rückkehr an die angestammte Position.
Amine Kamourieh beleuchtet in seinem Kommentar für al-Nahar aus Beirut die Rolle der Muslimbrüder in Ägypten. „Es gibt keinen Zweifel, dass der Einfluss im politischen und organisatorischen Leben einer der Voraussetzungen für die Erhebung vom 25. Januar darstellte.“ Gleichzeitig stehe jedoch außer Frage, dass das Schreckgespenst Muslimbruderschaft vom gestürzten Regime dazu benutzt wurde, um den Westen einzuschüchtern und freie Wahlen und eine Aufhebung des Ausnahmezustands zu verhindern. Dies sei gerade erst durch die WikiLeaks-Enthüllungen bestätigt worden, in denen Omar Suleiman die Islamisten als „Monster“ bezeichnet habe. Es sei keine Lösung, die Muslimbrüder weiterhin in den Hintergrund drängen und aus dem politischen Leben ausschließen zu wollen, so Kamourieh, weil dadurch der Zulauf für extremistische Gruppen weiter zunehmen werde.
„Achtung....ein Tsunami lauert vor der Tür!“ - Diese Warnung richtet Kamal Jouzi in seinem Kommentar für die algerische Zeitung al-Khabar an die arabischen Autokraten. „Wenn sich das Volk bewegt, gibt es keinen Raum für Manöver, denn die Legitimität des Volkes ist stärker als jede andere.“ Der Volk könne für zwei oder auch für 30 Jahre zum Schweigen gebracht werden, aber nicht für das ganze Leben. Die jungen Araber des 21. Jahrhunderts glaubten ebenso wenig an die Rückkehr des Mahdi wie an die narkotisierenden Ansprachen ihrer Herrscher, „die ihren Namen durch Vererbung der Herrschaft auch nach ihrem Ableben an der Macht sehen wollen“, so Jouzi weiter. Er schließt seinen Kommentar mit den Worten: „Autokraten, hütet euch...der Wandel steht vor der Tür.“
„Eure Revolution stimmt mich hoffnungsvoll und besorgt“
Die Reaktionen in Israel auf Mubaraks erzwungenen Rücktritt waren zunächst wenig überraschend.
„Drama in Ägypten – Mubarak gibt auf“ titelte ynet nur wenige Sekunden nach der TV-Ansprache Omar Suleimans. Und in den Leserkommentaren von haaretz.com waren binnen Minuten hunderte Posts geschaltet worden, die das ganze Spektrum politischer Einstellungen im Land widerspiegelten. „Nun, Araber, ich hoffe ihr seid bereit für das Amargeddon“ war da zu lesen, auch: „Möge sich die Demokratie in der ganzen arabischen Welt ausbreiten“, ebenso wie: „Hoffentlich helfen die ägyptischen Demonstranten uns und rufen ‚Bibi und Lieberman geht nach Hause’“, oder: „Wer ist der Nächste?“
Nun, zwei Tage und einen Schabbat später, überrascht der Blick in die israelischen Zeitungen.
Die konservative Jerusalem Post, sonst um keinen bissigen Kommentar verlegen, schreibt – erstmal nichts.
Das Boulevardblatt Jedioth Ahronoth hingegen schickt Jair Lapid ins Feld – der als Anchorman der Nachrichtensendung Ulpan Schischi auf Channel 2 sowie als Kolumnist bei Maariv und Jedioth Ahronoth im ganzen Land bekannt ist.
In seinem „Brief an die ägyptischen Intellektuellen“ schreibt er: „Eure Revolution stimmt mich hoffnungsvoll und besorgt. Ich hoffe ihr habt Erfolg, weil ihr es – wie jeder andere Mensch auf dieser Welt – verdient, frei in einer Demokratie zu leben und das Schicksal selbst zu bestimmen. Trotzdem bin ich besorgt, weil ihr, die ägyptischen Intellektuellen, nun schon seit Jahren die Panikmache und den Hass gegenüber Israel schürt. Ich kann mir nicht anders helfen und muss euch deshalb fragen: Soll euer neues Ägypten auch so sein?“
„Nun ist die Zeit sich im Licht zu wärmen, das vom Nil her scheint“
Dass es längst ein neues Ägypten gibt, davon ist Gideon Levy von der links-liberalen Haaretz in seinem Kommentar „Israel muss Ägypten gratulieren“ überzeugt. Für ihn steht fest: „Die Nachrichten aus Ägypten sind gute Nachrichten, nicht nur für das Land und die Region, sondern für die ganze Welt, Israel eingeschlossen.“ Nun solle man sich schlicht und ergreifend mit den Nachbarn im Süden freuen, meint er. „Lasst uns alle Sorgen – die vor Anarchie, den Muslimbrüdern und einem Militärregime – vergessen. Nun ist die Zeit sich im Licht zu wärmen, das vom Nil her scheint.“
Gleichzeitig gibt Levy – den die einen als radikal-linken Journalisten und die anderen als toleranten, heroischen Verfechter von demokratischen Werten sehen – seiner Regierung mit auf den Weg, man müsse sich dem Westen anschließen, den Ägyptern gratulieren und Unterstützung zusichern. Und, so schließt er, „wenn nicht das offizielle Israel, dann wenigstens wir, die kleinen Leute. Von uns an euch: Mabruk, Gratulation, Ägypten.“
Auch Zvi Bar’el, ebenfalls Kommentator bei der Haaretz, beschwört in seinem Kommentar „Wann wird Obama beginnen, mit Hamas und Hizbullah zu reden?“ die Regierung, das Verhalten der US-Administration in Washingon aufmerksam zu verfolgen – wenngleich weniger euphorisch als Levy.
Denn von dort sei „kein Piepton“ zu vernehmen gewesen, als sich Omar Suleiman vor einigen Tagen mit der Muslimbruderschaft an den Verhandlungstisch setzte. Offensichtlich sei es nun nur eine Frage der Zeit, bis Obama und Clinton auch mit Hamas und Hizbullah reden würden. Denn: „Es wird oft gesagt, im Nahen- und Mittleren Osten ist alles möglich; beurteilt man die amerikanische Haltung gegenüber Ägypten, kann man nun das selbe über die US-Politik sagen.“
Nadav Ejal – Kolumnist in der Maariv und Chefredakteur der Nachrichtenredaktion von Channel 10 – sieht das ähnlich. Der Westen – allen voran die USA – werden seiner Einschätzung nach nun das wichtigste Pilotprojekt in der arabischen Welt starten: Demokratie.
In seinem Kommentar bescheinigt er den „Nahost-Experten“ und ihren Prognosen vom „ewigen „Bündnis zwischen dem ägyptischen Militär und Mubarak, das sich gegen die Muslimbruderschaft in ihren verrauchten Hinterzimmern stemmt“ Versagen auf ganzer Linie. Dies zwinge den Westen nun zum Umdenken und zur Förderung der Demokratie – schließlich „kam die von unten, von der Straße.“ Die zentrale Frage sei nun, wie sich die ägyptische Armee bei diesem Pilotprojekt verhalte – und welchen Preis der Westen dafür zahlen müsse, damit die Streitkräfte dieses unterstützen.
„Die Muslimbruderschaft versucht nun ihre wahren Absichten zu verschleiern“
Diese und andere Fragen werden auch in der Israel HaJom, der reichweitenstärksten Zeitung Israels, auf 23 Seiten erörtert und kommentiert. Boaz Bismuth – der sowohl für Maariv und Jedioth Ahronoth geschrieben hat und von 2004 bis 2008 israelischer Botschafter in Mauretanien gewesen war – schreibt in seinem Kommentar „Romantische Leistung – echte Bedenken“, dass die Ereignisse in Kairo „beispiellos“ sein.
„Ich muss anerkennen, dass die Leistung der ägyptischen Bevölkerung groß und unbegreiflich ist.“ Gleichzeitig betont er – wie so viele andere Kommentatoren –, dass man in Israel nun auch Angst habe. „Für die Welt war Mubarak ein Tyrann; für uns aber, war er auch derjenige, der für Frieden stand. In den westlichen Hauptstädten, tausende Kilometer entfernt, betrachtet man die ägyptische Revolution nun in einem romantisch verklärten Licht. Wenn man aber nur wenige Kilometer entfernt lebt, ist es absolut legitim, auch einen realistischen Blick auf die Dinge zu haben.“
Weniger rational, denn polemisch meldet sich Ja’akov Amidror – ein altgedienter Militär – ebenfalls in der Israel HaJom zu Wort und warnt vor den Folgen der ägyptischen Revolution. In seinem Kommentar „Die Muslimbruderschaft stoppen“ entwirft er ein düsteres Bild der ägyptischen Zukunft: „Die Erklärung, dass Hosni Mubarak zurücktritt, war der Anfang vom Ende. Die Muslimbruderschaft versucht nun ihre wahren Absichten zu verschleiern.“ Doch man dürfe sich nicht täuschen lassen, warnt Amidror. Die Muslimbrüder würden versuchen die westliche Welt, ihre Werte und Israel zu bekämpfen – wenn man ihnen die Chance dazu geben würde. Bisher sei der Kampf gegen den Aufstieg der Muslimbruderschaft zu zaghaft gewesen und müsse verstärkt werden. Meint Ja’akov Amidror.
Die Türkei als Modell für die Zukunft Ägyptens? Darum drehen sich viele der Kommentare in den türkischen Tageszeitungen. “Eine Regierung auf der Basis eines parlamentarischen Mehrheitssystems, jedoch mit einer hohen Hürde, um schwächere oppositionelle Stimmen aus dem Parlament auszuschließen. Ein System, das seine religiösen Wurzeln in einem “milden” Islam verortet, sich aber in puncto Wirtschaft und Handel am Westen orientiert und mit dem der Westen - aber auch der Osten - gern zusammenarbeiten würde” - so charakterisiert Ariana Ferentinou in der englischsprachigen Hürriyet Daily News den maßgeblich von der Politik der Regierungspartei AKP geprägten Entwurf der heutigen Türkei. Während dieser von Kommentatoren weltweit als eins der Erfolgsrezepte für das post-revolutionäre Ägypten gehandelt wird, ist die Idee in der Türkei selbst jedoch umstritten.
Wie demokratisch Premierminister Erdoğan, der in wortgewaltigen Reden den Willen des ägyptischen Volkes hochhielt, mit Protestbewegungen von unmittelbarer Relevanz für das eigene Land umgehe, werde unter anderem an der strikten Finanzpolitik gegenüber Nordzypern ersichtlich. Auf dem unabhängigen Nachrichtenportal bianet findet Ertuğrul Kürkçü: die Schreie “Weg mit Mubarak, weg mit Omar, weg mit der Armee” als Ruf nach einem “türkischen Modell” zu verstehen, sei eindeutig ideologisch. “Ist das “türkische Modell”, das die arabischen Liberalen und die USA Ägypten verkaufen wollen, etwas anderes als das “ägyptische Modell”, das in der Türkei seit dem [Militärputsch am] 12. September 1980 Anwendung findet?”
"Die Türkei steht auf der richtigen Seite der Geschichte"
Überhaupt scheint es in der Debatte um Ägypten auch viel um die Selbstdefinition der Türkei zu gehen: das zeigen die diversen Vergleiche, die zu den Themen Demokratie, Religion und Militär zwischen den beiden Staaten gezogen werden. War die Revolution vom Tahrir-Platz eigentlich ein Putsch? Wie ist der Einfluss der Islambruderschaft zu beurteilen? Und bestätigen - wie Soner Yalçın in der Hürriyet herleitet - die neuesten Entwicklungen nachträglich die Richtigkeit des Kemalismus, der bereits vor Jahrzehnten mit dem politischen Projekt antrat, das Ägypten bisher fehlte?
In der Zaman erläutern Analysten die ökonomischen Risiken und politischen Potenziale, die der Umbruch in Ägypten für die Türkei birgt. “Instabilität in Ägypten und darüber hinaus ist nicht gut für türkische Unternehmen, die intensiv in Ägypten investiert haben und hoffen, ihre Exporte in die Region zu steigern”, wird Henri J. Barkey zitiert. Zudem würde eine Ausweitung der Unruhen nach Syrien eine problematische Position für die Türkei mit sich bringen. Die von Außenminister Davutoğlu ausgerufene “dem Gewissen verpflichtete Politik” wird jedoch von Gönül Tol als stellvertretend für die wegweisende Rolle der Türkei in der Region gehandelt: “Dieser wichtige Schritt zeigt, dass die Türkei auf der richtigen Seite der Geschichte steht.”
Dem widerspricht energisch Özgür Mumcu in der Radikal, mit dem Hinweis auf die guten Beziehungen der Regierung zu den Staatschefs von Syrien und Nordsudan: “Diktatoren nach Wahl. Diese Politik ist nicht verschieden von der Frankreichs oder der USA, die noch bis gestern den tunesischen Diktator Ben Ali beziehungsweise Mubarak unterstützten. Vernebeln Sie nicht ihren Kopf mit Gerede vom “Gewissen”.
Die Türkei als Modell für die Zukunft Ägyptens? Darum drehen sich viele der Kommentare in den türkischen Tageszeitungen. “Eine Regierung auf der Basis eines parlamentarischen Mehrheitssystems, jedoch mit einer hohen Hürde, um schwächere oppositionelle Stimmen aus dem Parlament auszuschließen. Ein System, das seine religiösen Wurzeln in einem “milden” Islam verortet, sich aber in puncto Wirtschaft und Handel am Westen orientiert und mit dem der Westen - aber auch der Osten - gern zusammenarbeiten würde” - so charakterisiert Ariana Ferentinou in der englischsprachigen Hürriyet Daily News den maßgeblich von der Politik der Regierungspartei AKP geprägten Entwurf der heutigen Türkei. Während dieser von Kommentatoren weltweit als eins der Erfolgsrezepte für das post-revolutionäre Ägypten gehandelt wird, ist die Idee in der Türkei selbst jedoch umstritten.
Wie demokratisch Premierminister Erdoğan, der in wortgewaltigen Reden den Willen des ägyptischen Volkes hochhielt, mit Protestbewegungen von unmittelbarer Relevanz für das eigene Land umgehe, werde unter anderem an der strikten Finanzpolitik gegenüber Nordzypern ersichtlich. Auf dem unabhängigen Nachrichtenportal bianet findet Ertuğrul Kürkçü: die Schreie “Weg mit Mubarak, weg mit Omar, weg mit der Armee” als Ruf nach einem “türkischen Modell” zu verstehen, sei eindeutig ideologisch. “Ist das “türkische Modell”, das die arabischen Liberalen und die USA Ägypten verkaufen wollen, etwas anderes als das “ägyptische Modell”, das in der Türkei seit dem [Militärputsch am] 12. September 1980 Anwendung findet?”
"Die Türkei steht auf der richtigen Seite der Geschichte"
Überhaupt scheint es in der Debatte um Ägypten auch viel um die Selbstdefinition der Türkei zu gehen: das zeigen die diversen Vergleiche, die zu den Themen Demokratie, Religion und Militär zwischen den beiden Staaten gezogen werden. War die Revolution vom Tahrir-Platz eigentlich ein Putsch? Wie ist der Einfluss der Islambruderschaft zu beurteilen? Und bestätigen - wie Soner Yalçın in der Hürriyet herleitet - die neuesten Entwicklungen nachträglich die Richtigkeit des Kemalismus, der bereits vor Jahrzehnten mit dem politischen Projekt antrat, das Ägypten bisher fehlte?
In der Zaman erläutern Analysten die ökonomischen Risiken und politischen Potenziale, die der Umbruch in Ägypten für die Türkei birgt. “Instabilität in Ägypten und darüber hinaus ist nicht gut für türkische Unternehmen, die intensiv in Ägypten investiert haben und hoffen, ihre Exporte in die Region zu steigern”, wird Henri J. Barkey zitiert. Zudem würde eine Ausweitung der Unruhen nach Syrien eine problematische Position für die Türkei mit sich bringen. Die von Außenminister Davutoğlu ausgerufene “dem Gewissen verpflichtete Politik” wird jedoch von Gönül Tol als stellvertretend für die wegweisende Rolle der Türkei in der Region gehandelt: “Dieser wichtige Schritt zeigt, dass die Türkei auf der richtigen Seite der Geschichte steht.”
Dem widerspricht energisch Özgür Mumcu in der Radikal, mit dem Hinweis auf die guten Beziehungen der Regierung zu den Staatschefs von Syrien und Nordsudan: “Diktatoren nach Wahl. Diese Politik ist nicht verschieden von der Frankreichs oder der USA, die noch bis gestern den tunesischen Diktator Ben Ali beziehungsweise Mubarak unterstützten. Vernebeln Sie nicht ihren Kopf mit Gerede vom “Gewissen”.
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