Die Umstürze in Tunesien und Ägypten sind das Ergebnis eines Jugendaufstands. Eine Generation, die sich angewidert von den politischen Verhältnissen in ihren Ländern in Konsumrausch und Drogen stürzte, rebelliert. Ein Kommentar von Asma Diakité
Ahmed El Attar sitzt in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Beine überschlagen auf einem Betonwürfel. Aus den Boxen tönt ohrenbetäubend laute Musik – ein Loop aus ägyptischen Popsongs und Kairoer Sha’abi-Musik. Die Klangwelt des Molochs Kairo eröffnet die Performance: Ahmed führt virtuelle Telefonate mit seiner Verlobten und ihrem Vater. Der ägyptische Dialekt wird auf zwei Monitoren – rechts und links von ihm - ins Englische übersetzt. Hinter dem Performer werden Tagebucheinträge, Liebesbriefe, Schulzeugnisse und offizielle Dokumente auf eine Leinwand projiziert.
Ahmed El Attar teilt mit uns einen Teil seines Alltags. Er selbst ist das Material, welches er uns präsentiert - jedoch ohne Kommentar, sondern unmittelbar und roh. Durch die Diskussionen um die anstehende Hochzeit und in den Streitereien mit der Verlobten und dem Schwiegervater - ob die Hochzeit im Four Seasons oder doch im Hilton stattfinden soll, wie groß und teuer nun der Verlobungsring wird, wer die Blumen aussucht und bestellt - entsteht allmählich ein Subtext.
Die im Rahmen des kairobeirut-Festivals in Düsseldorf aufgeführte Performance ruft sich in mein Gedächtnis zurück während ich die Bilder des Tahrirplatzes, den Freudentaumel und Siegesjubel der Menschen nach dem Sturz des ägyptischen Despoten verfolgt habe. Denn seit der Revolte in Tunesien und spätestens seit dem 25. Januar stellt sich die Frage nach der Rolle einer arabischen Identität vollkommen neu.
Die arabischen Stereotypen müssen überdacht werden
Während Ahmed El Attar seinen alltäglichen, scheinbar persönlichen Habitus und Sprachgestus imitiert, zeichnet er gleichzeitig das Bild einer Generation und ihrer vermeintlichen Probleme. Doch es zeigt sich, dass die Frage nach der Größe des Brillianten oder die Diskussion, um das Blumenarrangement eher die Probleme einer privilegierten Schicht sein können, die in „typisch ägyptischer“ High-Society-Manier besprochen werden.
Der Wunsch nach Individualismus, den Attar mit seiner Performance artikulieren will, kollidiert mit den Stereotypen die er benutzt. Doch beide, sowohl die Forderung als Mensch anerkannt anstatt als Upper-Class-Araber typisiert zu werden, als auch der soziologische Subtext der entsteht, finden ihre Berechtigung in der Performance. Denn auch wenn El Attar die Probleme, die er anspricht, als universal bezeichnet, wird deutlich, dass immer ein historisch-gesellschaftlicher Kontext entsteht, welcher sich von der Folie auf die El Attar sein Verhaltensmuster projiziert nicht ablösen lässt.
In diesem Fall weist der Subtext auf die Problematik einer Generation hin, deren Symptome sich in einem entpolitisierten und exzessivem Konsumverhalten und einem Dauerdrang zum Feiern äußern. Während jedoch der eine Teil dieser Generation das nötige Kleingeld besitzt, um diesem Verlangen nachzugehen, kann der andere Teil seinen Wunsch nach einem vermeintlich westlichen Lifestyle lediglich mit Drogen betäuben.
Seit vergangenem Freitag, an dem nach 18 Tagen das ägyptische Volk durch seine Revolution - initiiert durch junge Ägypter der Mittel- und Oberschicht - eine Ära der Unterdrückung beendet, müssen die Bilder und Stereotypen, die Klassenunterschiede und sogenannten Verhaltensmuster überdacht werden.
Die arabische Jugend ist bereit, Opfer zu bringen
Dieser vereinte Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung hat weitreichendere Konsequenzen, als die eines politischen Systemwechsels. Vielmehr ist das Modell einer Möglichkeit entstanden – die Möglichkeit einer neuen Identität. Wenn Attar, zu Recht, keinen Typus eines Arabers repräsentiert sehen will, stellt sich heute die Frage nach der „Importance of being an Arab“ aus einem völlig neuen Blickwinkel. Denn die ägyptische Jugend hat bewiesen, dass sie jenseits ihrer (Klassen)-Unterschiede gemeinsam für ein Ziel kämpfen kann und bereit ist für die Realisierung ihrer Wünsche große Opfer zu bringen.
Als nach zwölf Tagen Inhaftierung der ägyptische Internetaktivist Wael Ghonim im privaten ägyptischen Fernsehen unter Tränen zur Nation sprach, entzündete er die inzwischen abgeschwächte Flamme des Protests erneut. Wael Ghonim, der seinen Job und seine Villa in den Emiraten zurückließ, um sich an den Protesten zu beteiligen wird zum Symbol einer Generation, die in der Tat etwas zu verlieren hat und die ihr Privileg riskiert, um sich als Einheit zu zeigen – als Einheit mit denen, die in der ägyptischen Gesellschaft bisher ganz und gar von ihnen getrennt waren.
Der historische Umbruch, den dieses Volk für die gesamte arabische Welt damit einleitet, ist nicht absehbar. Aber die Antwort auf die Frage, welche Rolle es spielt Araber zu sein, kann seit heute nur noch im doppelten Sinn lauten: Es ist so wichtig wie noch nie! Und: Es wird hoffentlich bald keine Rolle mehr spielen!
Ahmed El Attar sitzt in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Beine überschlagen auf einem Betonwürfel. Aus den Boxen tönt ohrenbetäubend laute Musik – ein Loop aus ägyptischen Popsongs und Kairoer Sha’abi-Musik. Die Klangwelt des Molochs Kairo eröffnet die Performance: Ahmed führt virtuelle Telefonate mit seiner Verlobten und ihrem Vater. Der ägyptische Dialekt wird auf zwei Monitoren – rechts und links von ihm - ins Englische übersetzt. Hinter dem Performer werden Tagebucheinträge, Liebesbriefe, Schulzeugnisse und offizielle Dokumente auf eine Leinwand projiziert.
Ahmed El Attar teilt mit uns einen Teil seines Alltags. Er selbst ist das Material, welches er uns präsentiert - jedoch ohne Kommentar, sondern unmittelbar und roh. Durch die Diskussionen um die anstehende Hochzeit und in den Streitereien mit der Verlobten und dem Schwiegervater - ob die Hochzeit im Four Seasons oder doch im Hilton stattfinden soll, wie groß und teuer nun der Verlobungsring wird, wer die Blumen aussucht und bestellt - entsteht allmählich ein Subtext.
Die im Rahmen des kairobeirut-Festivals in Düsseldorf aufgeführte Performance ruft sich in mein Gedächtnis zurück während ich die Bilder des Tahrirplatzes, den Freudentaumel und Siegesjubel der Menschen nach dem Sturz des ägyptischen Despoten verfolgt habe. Denn seit der Revolte in Tunesien und spätestens seit dem 25. Januar stellt sich die Frage nach der Rolle einer arabischen Identität vollkommen neu.
Die arabischen Stereotypen müssen überdacht werden
Während Ahmed El Attar seinen alltäglichen, scheinbar persönlichen Habitus und Sprachgestus imitiert, zeichnet er gleichzeitig das Bild einer Generation und ihrer vermeintlichen Probleme. Doch es zeigt sich, dass die Frage nach der Größe des Brillianten oder die Diskussion, um das Blumenarrangement eher die Probleme einer privilegierten Schicht sein können, die in „typisch ägyptischer“ High-Society-Manier besprochen werden.
Der Wunsch nach Individualismus, den Attar mit seiner Performance artikulieren will, kollidiert mit den Stereotypen die er benutzt. Doch beide, sowohl die Forderung als Mensch anerkannt anstatt als Upper-Class-Araber typisiert zu werden, als auch der soziologische Subtext der entsteht, finden ihre Berechtigung in der Performance. Denn auch wenn El Attar die Probleme, die er anspricht, als universal bezeichnet, wird deutlich, dass immer ein historisch-gesellschaftlicher Kontext entsteht, welcher sich von der Folie auf die El Attar sein Verhaltensmuster projiziert nicht ablösen lässt.
In diesem Fall weist der Subtext auf die Problematik einer Generation hin, deren Symptome sich in einem entpolitisierten und exzessivem Konsumverhalten und einem Dauerdrang zum Feiern äußern. Während jedoch der eine Teil dieser Generation das nötige Kleingeld besitzt, um diesem Verlangen nachzugehen, kann der andere Teil seinen Wunsch nach einem vermeintlich westlichen Lifestyle lediglich mit Drogen betäuben.
Seit vergangenem Freitag, an dem nach 18 Tagen das ägyptische Volk durch seine Revolution - initiiert durch junge Ägypter der Mittel- und Oberschicht - eine Ära der Unterdrückung beendet, müssen die Bilder und Stereotypen, die Klassenunterschiede und sogenannten Verhaltensmuster überdacht werden.
Die arabische Jugend ist bereit, Opfer zu bringen
Dieser vereinte Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung hat weitreichendere Konsequenzen, als die eines politischen Systemwechsels. Vielmehr ist das Modell einer Möglichkeit entstanden – die Möglichkeit einer neuen Identität. Wenn Attar, zu Recht, keinen Typus eines Arabers repräsentiert sehen will, stellt sich heute die Frage nach der „Importance of being an Arab“ aus einem völlig neuen Blickwinkel. Denn die ägyptische Jugend hat bewiesen, dass sie jenseits ihrer (Klassen)-Unterschiede gemeinsam für ein Ziel kämpfen kann und bereit ist für die Realisierung ihrer Wünsche große Opfer zu bringen.
Als nach zwölf Tagen Inhaftierung der ägyptische Internetaktivist Wael Ghonim im privaten ägyptischen Fernsehen unter Tränen zur Nation sprach, entzündete er die inzwischen abgeschwächte Flamme des Protests erneut. Wael Ghonim, der seinen Job und seine Villa in den Emiraten zurückließ, um sich an den Protesten zu beteiligen wird zum Symbol einer Generation, die in der Tat etwas zu verlieren hat und die ihr Privileg riskiert, um sich als Einheit zu zeigen – als Einheit mit denen, die in der ägyptischen Gesellschaft bisher ganz und gar von ihnen getrennt waren.
Der historische Umbruch, den dieses Volk für die gesamte arabische Welt damit einleitet, ist nicht absehbar. Aber die Antwort auf die Frage, welche Rolle es spielt Araber zu sein, kann seit heute nur noch im doppelten Sinn lauten: Es ist so wichtig wie noch nie! Und: Es wird hoffentlich bald keine Rolle mehr spielen!
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