von Daniel Gerlach und Christoph Sydow
»Eid Mubarak – ein gesegnetes Fest!« wünscht man sich auf Arabisch, wenn man einen großen Feiertag begeht. Heute hat diese Formel einen anderen Sinn bekommen: Mubarak-Fest. In den vergangenen 30 Jahren hat Ägypten keinen Tag von größerer politischer Bedeutung erlebt. Und das eigentlich Besondere daran: Die Ägypter haben es selbst zu Wege gebracht. Hosni Mubarak ist nach fast 30 Jahren vom Präsidentenamt zurückgetreten und hat sich in sein Domizil in Scharm al-Scheich zurückgezogen.
Und wenigstens einmal hat er die Welt überrascht – nach seiner Rede am Donnerstagabend, als er sein Volk wie eine Schar unmündiger Kinder angesprochen hatte, waren Wut und Enttäuschung bei den Demonstranten in Kairo und den Streikenden im ganzen Land gestiegen. Aber für Mubarak, der seit über 40 Jahren – früher als Luftwaffenchef, danach als Präsident – gewohnt war, Befehle zu erteilen, kam der Rücktritt lange nicht in Frage: Er wollte sich nicht wie ein Hund davonjagen lassen. Der Schritt musste seine Entscheidung bleiben. Deshalb tat er noch gestern so, als wolle er im Amt bleiben – und gab nicht einmal 24 Stunden später nach.
Die Courage, seine Entscheidung selbst im Fernsehen mitzuteilen hatte er allerdings nicht. Die Mitteilung von Mubaraks Abtritt kam eher formlos vom Armeerat, in wenigen Worten verkündet von Omar Suleiman – Stoff für Verschwörungstheorien, die besagen, dass der Präsident die Entscheidung gar nicht selbst fällte, sondern durch einen sehr diskreten Putsch entmachtet wurde. Er selbst wird sich dazu wahrscheinlich nicht mehr äußern, um ein letztes Stückchen Würde zu erhalten.
Das mag kindisch wirken, aber für einen fast 83-jährigen Luftmarschall war ein solches Verhalten eher folgerichtig. Aus US-amerikanischen Quellen wird nun berichtet, Präsident Barack Obama sei bereits vorab von Mubaraks geplantem Rücktritt unterrichtet worden.
Angesichts der jüngsten Verstörungen zwischen Washington und Kairo – Obama hatte sich zu einem verklausulierten Rücktrittsappell an Mubarak durchgerungen und erklärt, dass »die Geschichte weitergeht« – ist das eher unwahrscheinlich. Systematisch hatten amerikanische Behörden die Information durchsickern lassen, dass der Rücktritt kurz bevorstehe – wahrscheinlich, um den Druck auf Mubarak allmählich zu erhöhen. Das ließ der Alte sich offenbar nicht bieten.
Mubarak wollte selbst entscheiden: Wurde Omar Suleiman übergangen?
Es scheint, als sei selbst Omar Suleiman, Mubaraks enger Vertraute und Vizepräsident, am Freitagabend überrumpelt worden. Arabische Medien spekulierten, ob Mubarak ihn sogar übergangen habe und seine Macht direkt an den hohen »Sicherheitsrat« der Armee übertrug. Hatte Suleiman, der in Kairo als Mann Washingtons gilt, Mubarak schließlich zum Rücktritt genötigt und sich dessen Unmut zugezogen?
Suleiman galt in den letzten Tagen als der starke Mann, aber nun steht auch seine Position in Frage. Die Übertragung der Macht vom Präsidenten auf den Armee-Rat ist in der ägyptischen Verfassung nicht vorgesehen. Suleiman wurde von einem Präsidenten ins Amt gehievt, der nun zurückgetreten ist.
In zwei knappen Sätzen und mit ausdruckslosem Gesicht verkündete Suleiman um kurz nach 18 Uhr Ortszeit Mubaraks Rücktritt und die Übergabe der Macht in die Hände des Militärs. Über seine eigene Rolle verlor der Geheimdienstler kein Sterbenswort. Laut Verlautbarungen aus Armeekreisen sollen sowohl das Kabinett als auch die beiden Parlamentskammern aufgelöst werden.
Auch Premierminister Ahmad Shafiq wäre damit erst einmal draußen. Der bisherige Verteidigungsminister Muhammad Hussein al-Tantawi hat nun in seiner Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte die Fäden in der Hand – und zwar nicht hinter den Kulissen, sondern hoch offiziell.
Tantawi ist seit 55 Jahren Soldat und gehört ebenso seit Jahrzehnten zur Herrscherclique um Mubarak, Suleiman und Co. Nun muss der Feldmarschall den Ägyptern und der Welt beweisen, dass er und seine Generäle in der Lage sind, ihr Land in schwierigen Zeiten in Richtung Demokratie zu steuern.
Vor dem Verhalten der Armee zitterten viele Demonstranten. Erst war sie als Schlichter aufgetreten, dann hatte sie den Ton verschärft und sich direkt an das Volk gewandt. Als am Donnerstag der Armeerat vor die Presse trat und Mubarak dabei nicht gezeigt wurde, mutmaßten Beobachter, dies sei ein Zeichen dafür, dass der Präsident nicht länger im Spiel sei.
Aber am Freitagmorgen verkündete die Armee abermals, die Menschen sollten nach Hause gehen, man werde sich um alles kümmern. Dieses Statement weckte keine Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Die Demonstranten mussten sich schon auf einen zähen Stellungskampf einstellen: Es ging die Befürchtung um, die Regierung werde gemeinsam mit der Armee und den Sicherheitskräften versuchen, die Proteste auszuhungern, bis die Regimegegner frustriert nach Hause gehen.
Diesmal haben die Ägypter keinen Spaß verstanden
Die Ägypter hätten so viel erdulden können, weil sie so viel Humor haben, hieß es lange Zeit. Aber diesmal haben sie keinen Spaß verstanden.
Vermutlich hatte Mubarak gehofft, er könne die Dinge noch in seinem Sinne regeln und nicht als gestürzter Tyrann in die Geschichte eingehen, der die Zeichen der Zeit einfach ignorierte. Sicher ist, dass er und seine Entourage die letzten Wochen für sich nutzten, um sich und ihr Vermögen abzusichern. Viele Ägypter werden sich mit dem Rücktritt abfinden, aber die Oppositionellen wollen, dass es weitergeht: Sie möchten Mubarak vor Gericht stellen und seine Besitztümer konfiszieren – das wird weder der Armeerat noch eine Übergangsregierung zulassen. Wahrscheinlich ist das Teil des Deals.
Ob Mubarak die letzten Jahre seines Lebens hinter hohen Mauern in Scharm al-Scheich verbringen oder mit Ben Ali in Jiddah auf die gute alte Zeit anstößt? Er hat Ben Alis nichts zu danken – außer dem Schlamassel einer Revolution, die dieser ihm ins Haus bescherte. Unter den Korrespondenten des zenith-Netzwerks kursieren Vermutungen, das Golf-Königreich Bahrain könne ihm fortan als Exil dienen.
Die Schweiz, so verkündete das Außenministerium in Bern, hat noch am Freitagabend erklärt, dass die Konten der Mubarak-Familie eingefroren wurden, sofern, so hieß es vorsichtiger, »allfällige Gelder« dort noch vorhanden seien.
Mubaraks Rücktritt war das Maximalziel für die Demonstranten, nun können sie erhobenen Hauptes zu ihren Familien gehen und für einen Moment verschnaufen. Es ist ein Sieg, aber auch – und damit letztendlich nur – ein symbolischer. Denn die Sprechchöre der Demonstranten verlangten nicht nur die Abdankung des Präsidenten, sondern einen Wechsel des Systems. Mit diesem Rücktritt ist viel erreicht, aber zugleich steht der politische Wandel in Ägypten noch am Anfang. Die politischen und militärischen Eliten, Vetternwirtschaft, Korruption sind mit Mubarak nicht verschwunden.
Aber darüber können sich die Ägypter später noch Gedanken machen. Derzeit brennen auf dem Tahrir-Platz bengalische Feuer, als habe die ägyptische Fußball-Nationalmannschaft den WM-Pokal geholt. »Ich habe noch nie einen Ägypter in einer politischen Angelegenheit beglückwünscht«, schrieb am Freitagabend um 18 Uhr ein amerikanischer Twitterer, »es fühlt sich irgendwie noch komisch an!« »Mubarak – demnächst nur noch auf History Channel« kommentierte ein Leser auf der Facebook-Seite von zenith.
»Eid Mubarak – ein gesegnetes Fest!« wünscht man sich auf Arabisch, wenn man einen großen Feiertag begeht. Heute hat diese Formel einen anderen Sinn bekommen: Mubarak-Fest. In den vergangenen 30 Jahren hat Ägypten keinen Tag von größerer politischer Bedeutung erlebt. Und das eigentlich Besondere daran: Die Ägypter haben es selbst zu Wege gebracht. Hosni Mubarak ist nach fast 30 Jahren vom Präsidentenamt zurückgetreten und hat sich in sein Domizil in Scharm al-Scheich zurückgezogen.
Und wenigstens einmal hat er die Welt überrascht – nach seiner Rede am Donnerstagabend, als er sein Volk wie eine Schar unmündiger Kinder angesprochen hatte, waren Wut und Enttäuschung bei den Demonstranten in Kairo und den Streikenden im ganzen Land gestiegen. Aber für Mubarak, der seit über 40 Jahren – früher als Luftwaffenchef, danach als Präsident – gewohnt war, Befehle zu erteilen, kam der Rücktritt lange nicht in Frage: Er wollte sich nicht wie ein Hund davonjagen lassen. Der Schritt musste seine Entscheidung bleiben. Deshalb tat er noch gestern so, als wolle er im Amt bleiben – und gab nicht einmal 24 Stunden später nach.
Die Courage, seine Entscheidung selbst im Fernsehen mitzuteilen hatte er allerdings nicht. Die Mitteilung von Mubaraks Abtritt kam eher formlos vom Armeerat, in wenigen Worten verkündet von Omar Suleiman – Stoff für Verschwörungstheorien, die besagen, dass der Präsident die Entscheidung gar nicht selbst fällte, sondern durch einen sehr diskreten Putsch entmachtet wurde. Er selbst wird sich dazu wahrscheinlich nicht mehr äußern, um ein letztes Stückchen Würde zu erhalten.
Das mag kindisch wirken, aber für einen fast 83-jährigen Luftmarschall war ein solches Verhalten eher folgerichtig. Aus US-amerikanischen Quellen wird nun berichtet, Präsident Barack Obama sei bereits vorab von Mubaraks geplantem Rücktritt unterrichtet worden.
Angesichts der jüngsten Verstörungen zwischen Washington und Kairo – Obama hatte sich zu einem verklausulierten Rücktrittsappell an Mubarak durchgerungen und erklärt, dass »die Geschichte weitergeht« – ist das eher unwahrscheinlich. Systematisch hatten amerikanische Behörden die Information durchsickern lassen, dass der Rücktritt kurz bevorstehe – wahrscheinlich, um den Druck auf Mubarak allmählich zu erhöhen. Das ließ der Alte sich offenbar nicht bieten.
Mubarak wollte selbst entscheiden: Wurde Omar Suleiman übergangen?
Es scheint, als sei selbst Omar Suleiman, Mubaraks enger Vertraute und Vizepräsident, am Freitagabend überrumpelt worden. Arabische Medien spekulierten, ob Mubarak ihn sogar übergangen habe und seine Macht direkt an den hohen »Sicherheitsrat« der Armee übertrug. Hatte Suleiman, der in Kairo als Mann Washingtons gilt, Mubarak schließlich zum Rücktritt genötigt und sich dessen Unmut zugezogen?
Suleiman galt in den letzten Tagen als der starke Mann, aber nun steht auch seine Position in Frage. Die Übertragung der Macht vom Präsidenten auf den Armee-Rat ist in der ägyptischen Verfassung nicht vorgesehen. Suleiman wurde von einem Präsidenten ins Amt gehievt, der nun zurückgetreten ist.
In zwei knappen Sätzen und mit ausdruckslosem Gesicht verkündete Suleiman um kurz nach 18 Uhr Ortszeit Mubaraks Rücktritt und die Übergabe der Macht in die Hände des Militärs. Über seine eigene Rolle verlor der Geheimdienstler kein Sterbenswort. Laut Verlautbarungen aus Armeekreisen sollen sowohl das Kabinett als auch die beiden Parlamentskammern aufgelöst werden.
Auch Premierminister Ahmad Shafiq wäre damit erst einmal draußen. Der bisherige Verteidigungsminister Muhammad Hussein al-Tantawi hat nun in seiner Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte die Fäden in der Hand – und zwar nicht hinter den Kulissen, sondern hoch offiziell.
Tantawi ist seit 55 Jahren Soldat und gehört ebenso seit Jahrzehnten zur Herrscherclique um Mubarak, Suleiman und Co. Nun muss der Feldmarschall den Ägyptern und der Welt beweisen, dass er und seine Generäle in der Lage sind, ihr Land in schwierigen Zeiten in Richtung Demokratie zu steuern.
Vor dem Verhalten der Armee zitterten viele Demonstranten. Erst war sie als Schlichter aufgetreten, dann hatte sie den Ton verschärft und sich direkt an das Volk gewandt. Als am Donnerstag der Armeerat vor die Presse trat und Mubarak dabei nicht gezeigt wurde, mutmaßten Beobachter, dies sei ein Zeichen dafür, dass der Präsident nicht länger im Spiel sei.
Aber am Freitagmorgen verkündete die Armee abermals, die Menschen sollten nach Hause gehen, man werde sich um alles kümmern. Dieses Statement weckte keine Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Die Demonstranten mussten sich schon auf einen zähen Stellungskampf einstellen: Es ging die Befürchtung um, die Regierung werde gemeinsam mit der Armee und den Sicherheitskräften versuchen, die Proteste auszuhungern, bis die Regimegegner frustriert nach Hause gehen.
Diesmal haben die Ägypter keinen Spaß verstanden
Die Ägypter hätten so viel erdulden können, weil sie so viel Humor haben, hieß es lange Zeit. Aber diesmal haben sie keinen Spaß verstanden.
Vermutlich hatte Mubarak gehofft, er könne die Dinge noch in seinem Sinne regeln und nicht als gestürzter Tyrann in die Geschichte eingehen, der die Zeichen der Zeit einfach ignorierte. Sicher ist, dass er und seine Entourage die letzten Wochen für sich nutzten, um sich und ihr Vermögen abzusichern. Viele Ägypter werden sich mit dem Rücktritt abfinden, aber die Oppositionellen wollen, dass es weitergeht: Sie möchten Mubarak vor Gericht stellen und seine Besitztümer konfiszieren – das wird weder der Armeerat noch eine Übergangsregierung zulassen. Wahrscheinlich ist das Teil des Deals.
Ob Mubarak die letzten Jahre seines Lebens hinter hohen Mauern in Scharm al-Scheich verbringen oder mit Ben Ali in Jiddah auf die gute alte Zeit anstößt? Er hat Ben Alis nichts zu danken – außer dem Schlamassel einer Revolution, die dieser ihm ins Haus bescherte. Unter den Korrespondenten des zenith-Netzwerks kursieren Vermutungen, das Golf-Königreich Bahrain könne ihm fortan als Exil dienen.
Die Schweiz, so verkündete das Außenministerium in Bern, hat noch am Freitagabend erklärt, dass die Konten der Mubarak-Familie eingefroren wurden, sofern, so hieß es vorsichtiger, »allfällige Gelder« dort noch vorhanden seien.
Mubaraks Rücktritt war das Maximalziel für die Demonstranten, nun können sie erhobenen Hauptes zu ihren Familien gehen und für einen Moment verschnaufen. Es ist ein Sieg, aber auch – und damit letztendlich nur – ein symbolischer. Denn die Sprechchöre der Demonstranten verlangten nicht nur die Abdankung des Präsidenten, sondern einen Wechsel des Systems. Mit diesem Rücktritt ist viel erreicht, aber zugleich steht der politische Wandel in Ägypten noch am Anfang. Die politischen und militärischen Eliten, Vetternwirtschaft, Korruption sind mit Mubarak nicht verschwunden.
Aber darüber können sich die Ägypter später noch Gedanken machen. Derzeit brennen auf dem Tahrir-Platz bengalische Feuer, als habe die ägyptische Fußball-Nationalmannschaft den WM-Pokal geholt. »Ich habe noch nie einen Ägypter in einer politischen Angelegenheit beglückwünscht«, schrieb am Freitagabend um 18 Uhr ein amerikanischer Twitterer, »es fühlt sich irgendwie noch komisch an!« »Mubarak – demnächst nur noch auf History Channel« kommentierte ein Leser auf der Facebook-Seite von zenith.
1 Kommentar:
Bahrain als Zufluchtsort??? Nun ja es kann nicht jeder ein Experte sein - aber dieser Artikel liegt ja wohl völlig daneben. Die Armee hat entschieden und nicht Mubarak und schon garnicht Suleiman. Der Rücktritt wäre schon am 10.2. erfolgt hätten Gamal und seine Mutter nicht interveniert.
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