Samstag, 30. September 2006

Die FLN im Algerischen Unabhängigkeitskrieg (1954-1962) - Teil 3

V. 1958-1962: Diplomatie, Terror und Fehleinschätzungen der Franzosen auf dem Weg zur Unabhängkeit

Trotz der strategischen Erfolge der Jahre 1956-58 war die FLN im Frühjahr 1958 in ihren militärischen und hierarchischen Strukturen schwer erschüttert. Bereits im Oktober 1956 waren wichtige Vertreter der externen Delegation um Ben Bella von den Franzosen abgefangen und inhaftiert worden . Die interne Führung musste hingegen nach der militärischen Niederlage in Algiers nach Tunis fliehen. Dadurch wurden die Beschlüsse der Soummam-Konferenz über das Primat der internen Kräfte praktisch revidiert, da die führenden Köpfe ihre Machtposition keineswegs abgeben wollten. Desweiteren vollendeten die Franzosen im Frühjahr 1958 die befestigten Grenzanlagen zu Marokko und Tunesien. Somit verloren die im Land operierenden Kräfte wichtige Rückzugsgebiete und wurden von materiellem und personellem Nachschub isoliert. Dadurch ergaben sich desintegrative Tendenzen innerhalb der FLN, waren doch die Wilaya-Kommandeure, die den vollen militärischen Druck trugen, kaum bereit sich den Weisungen der Exilanten in Tunis unterzuordnen.

Gerade in dieser militärisch prekären Phase profitierte die FLN mehr als zuvor von den innerfranzösischen Entwicklungen in Armee und Staat.Die französische Armeeführung, die einen militärischen Sieg in unmittelbarer Nähe wähnte, erhoffte sich von einer starken Staatsführung mehr Unterstützung für die eigenen Operationen . Deshalb forderten die Generäle unter Führung von Raoul Salan die Rückkehr von General Charles de Gaulle, mit dem man sich mehr identifizierte als mit den politisch instabilen zivilen Regierungen der IV. Französischen Republik.

Allerdings führte der Machtantritt de Gaulle´s am 13. Mai 1958 zu anderen Entwicklungen, als von den Generälen geplant. Zwar etablierte de Gaulle die geforderte starke Führungsgewalt in Form einer neuen Verfassung, die den Beginn der V. Republik markierte, doch hatte er für Algerien ein anderes Konzept, das er gewillt war mit seinen neuen Kompetenzen durchzusetzen. De Gaulle´s Fokus lag auf einer starken französischen Position innerhalb Europas und der Konsolidierung der Wirtschaft. Die Interessen einer einzelnen Partei, den colons, mit dem gegenwärtigen finanziellen und militärischen Aufwand zu verteidigen, schien de Gaulle langfristig wirtschaftlich und politisch unprofitabel.

Als erstes französisches Staatsoberhaupt überhaupt erkannte de Gaulle das Selbstbestimmungsrecht der Algerier an und stellt ihnen in einer Rede im Oktober 1958 die Unabhängkeit in Aussicht, obwohl er selbst eine Federation mit Frankreich favorisierte. Allerdings waren beide Kriegsparteien, das heißt de Gaulle und die FLN, zu diesem Zeitpunkt kaum gewillt aufeinander zuzugehen. Für die FLN war de Gaulle´s Angebot ein Zeichen der Schwäche der Franzosen und sie setzte auf die Zeit, die ihr zuspielen und mehr Konzessionen erzwingen sollte. Das Ziel der Unabhängigkeit war jetzt so realistisch wie nie, aber die FLN wollte diese auch als alleiniger Vertreter anführen . Dies wiederum lehnte de Gaulle noch strikt ab. Er hoffte auf eine Kraft außerhalb der FLN, mit der man verhandeln könnte.

Zu diesem Zweck verfolgte de Gaulle bestimmte Strategien.Zum einen versuchte er mit regionalen Wilaya-Kommandeuren separate Verhandlungen aufzunehmen, um damit die äußere Führung der FLN, die inzwischen, als Zeichen des eigenen Anspruches, eine Exilregierung unter der Bezeichnung GPRA (Le Gouvernement Provisoire de la République Algérienne) gegründet hatte, zu schwächen.Zum anderen wurde 1959 eine der bisher größten Militäroffensiven gestartet, welche die FLN als Verhandlungspartei vollkommen eliminieren sollte.

Dieser Challe-Offensive , wie überhaupt der Strategie de Gaulle´s in dieser Phase, lag ein grundlegenes Missverständnis der tatsächlichen politischen Situation in Algerien zugrunde. Maßgeblich verantwortlich dafür war das theoretische Konzept des guerre révolutionnaire, auf dass sich sowohl Armee- als auch Staatsführung stützten. Diese Theorie ging von dem grundsätzlich kommunistisch beeinflussten Charakter nationaler Befreiungsbewegungen aus und fand besonders im Nachhall des Indochinakrieges viele Anhänger. Nach dieser Auffassung wurde die FLN vor allem vom nasseristischen Ägypten und dem kommunistischen Ostblock dirigiert. Die Bevölkerung, so glaubte man, werde lediglich durch Terror an die FLN gebunden. Folglich müsse man erst die FLN zerschlagen, um dann mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten.Zwar gehörte der Terror gegen die Zivilbevölkerung, wie oben bereits ausgeführt, zum Konzept der FLN, doch negierte die guerre révolutionnaire - Theorie jegliche andere Gründe für Sympathien mit der FLN . Militärisch war die Challe-Offensive des Jahres 1959 ein voller Erfolg und dezimierte die Truppen der FLN beträchtlich.

Allerdings erzielte die FLN auf diplomatischem Parkett erhebliche Erfolge und erreichte die internationale Anerkennung als legitimer Vertreter des algerischen Volkes. Dies erhöhte den Druck auf Frankreich immens, besonders als de Gaulle erkannte, dass die FLN vielleicht militärisch besiegt werden könne, aber eine andere Verhandlungspartei mit ernsthaftem Rückhalt in der Bevölkerung nicht in Aussicht stand .Die Strategie der FLN war zwar sehr riskant, aber sie ging auf. Im Frühjahr 1960 gab de Gaulle, mangels Alternativen, dem internationalen, aber auch nationalem Druck, nach.

Die Challe-Offensive wurde eingestellt und Friedensverhandlungen mit der FLN begonnen.Diese Stufe erreicht zu haben gab der FLN enormes Selbstvertrauen. Folglich war man kaum bereit bei strittigen Punkten in den Verhandlungen nachzugeben. Zur Debatte standen hauptsächlich die Kontrolle über 1956 entdeckte Erdölfelder in der Sahara sowie die zukünftige Rolle der colons. Diese wiederum empfanden die Aufnahme von Verhandlungen mit der FLN als Verrat. Radikale Elemente der Gemeinde gingen in den Untergrund, wo sie unter Beteiligung abtrünniger französischer Generäle, darunter auch Raoul Salan, eine Terrorkampagne gegen die muslimische Zivilbevölkerung und französische Sicherheitskräfte in den Großstädten starteten. Die Aktionen dieser als OAS (Organisation de L´Armée secrète) bekannten Gruppe waren für die französischen Verhandlungsführer doppelt kontraproduktiv .

Zum einen konnte man so die Bedürfnisse der colons sowohl national als auch international immer weniger verteidigen. Zum anderen provozierte der Terror der OAS Gegenterror der sich inzwischen militärisch regenerierenden FLN, die diesen allerdings auch bewusst und gezielt einsetzte, um die eigenen Forderungen zu untermauern . So waren Terror und Gegenterror in dieser letzten Phase des Krieges Faktoren, die eindeutig der FLN zugute kamen und gewichtigen Einfluss auf den Ausgang der Verhandlungen hatten, da Frankreich am Ende in fast allen Punkten Zugeständnisse machte . Die Förderungskonzessionen für das algerische Öl blieben zwar französischen Firmen vorbehalten, die Kontrolle blieb aber beim zukünftigen Staat Algerien. Außerdem verließen die colons, aus Angst vor Racheakten der vormals von ihnen kontrollierten Bevölkerung, nahezu vollständig das Land. Mit der FLN wurde die Unabhängkeit verhandelt und sie erhielt auch das Recht den neuen Staat zu leiten, so wie sie es stets gefordert hatte .


VI. Schluss

Wie im Verlauf der Arbeit beschrieben, lagen der Auswahl militärischer und nicht-militärischer Mittel auf Seiten der FLN bestimmte taktische und strategische Entwicklungen zugrunde.Von der legalen Partizipation innerhalb der französischen Demokratie ausgeschlossen, radikalisierten sich Teile der algerischen Nationalbewegung und entschieden sich für den bewaffneten Widerstand.

Nach anfänglichen Misserfolgen manifestierte sich bei der FLN ein Lernprozess, dessen Ergebnis ein variables Repertoir an Erfolg bringenden Strategien war. Die Gleichschaltung der algerischen Nationalbewegung und die Zusammenarbeit mit der Zivilbevölkerung wurde zu großen Teilen mit dem Konzept des compliance terrorism erzwungen. Die Beschlüsse der Soummam-Konferenz und der daraus resultierende “Battle of Algiers“ führten wesentlich zur Internationalisierung des Konflikts.

Das Konzept des endorsement terrorism bescherte der FLN nationalen und internationalen Rückhalt während es den Franzosen besonders moralisch und psychologisch schadete. Ländliche Guerilla-Überfälle konnten die französische Armee zwar nie ernsthaft gefährden, doch machte die FLN somit immer wieder auf die eigene Existenz, Regenerationsfähigkeit und Zähigkeit aufmerksam.Nicht-militärische Konzepte, wie die diplomatischen Initiativen der FLN, besonders bei den Vereinten Nationen, erwiesen sich ebenfalls als sehr erfolgreich, genauso wie die politischen Entwicklungen und Fehleinschätzungen der Franzosen.

Das Festhalten am guerre révolutionnaire-Konzept verhinderte eine wirksame Strategie und war deshalb von immensem Nutzen für die FLN.Entgegen dieser Theorie nämlich war die FLN eine eher pragmatisch als ideologisch ausgerichtete Organisation. Vorrangiges Ziel war die Erlangung der Unabhängigkeit Algeriens. Unterstützung militärischer, finanzieller und diplomatischer Art nahm die FLN gerne entgegen, soweit es den eigenen Vorgaben nützlich erschien, ohne sich jedoch ideologisch zu binden. Militärstrategische Konzepte, wie Guerilla, compliance terrorism und endorsement terrorism, wurden pragmatisch, variabel und punktuell eingesetzt und waren die Hauptfaktoren für den letztendlichen Erfolg der FLN.

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