Freitag, 29. Februar 2008

Erste Eindruecke aus Kairo

Schon beim Landeanflug auf Kairo lassen sich die Ausmasse der 17-Millionenmetropole erahnen. Ein endloses Netz an Vorstaedten erstreckt sich durch das Nildelta. Tausende gruene Lichter von Moscheen und Minarette gruessen den Besucher im naechtlichen Landeanflug.

Ueberhaupt faellt schon nach wenigen Tagen auf, das der Islam im Alltag in Kairo wesentlich praesenter ist, als in Damaskus, von Beirut ganz zu schweigen. Fast jede Frau traegt ein Kopftuch, zusaetzlich haben viele von ihnen auch das Gesicht verschleiert und nur die Augen lugen aus den schwarzen Gewaendern hervor. Frauen ohne verhuellte Haare sind deutlich in der Minderheit, schaetzungsweise 10%, so mein Eindruck nach drei Tagen, zeigen ihr Haar.

Noch auffaelliger ist jedoch eine andere Mode. Etwa jeder zweite Mann traegt auf der Stirn ein Gebetsmal. Dieses wir im Arabischen "Zebibah", Rosine, genannt. Dieser dunkelbraun verfaerbte Punkt auf der Stirn ist im Prinzip eine Wunde, die jedoch von vielen Maennern mit Stolz getragen wird, da sie als Ausdruck der Froemmigkeit gilt. Der glaeubuige Muslim zeigt damit nach Aussen, das er seinen Glauben ernst nimmt und fuenf Mal taeglich betet und dabei insgesamt 34 mal seine Stirn auf den Boden drueckt. (Foto: NY Times)


Es gilt jedoch als offenes Geheimnis, das eine Zebibah kaum das Resultat fuenfmaligen Betens ist, sondern sich viele anderer Mittel bedienen um ein solches Wundmal zu erzeugen. Auch in Saudi-Arabien, Indonesien oder dem Libanon verneigen sich Maenner pro Tag fuenf Mal gen Mekka, ohne dass eine "Rosine" ihre Stirn ziert.

Zum heutigen Freitagsgebet koennen viele Moscheen hier im Stadtteil Mohandisseen dem Ansturm der Glaubigen kaum standhalten. Die Predigten werden ueber Lautsprecher nach Aussen uebertragen. Da viele Moscheen kaum hundert Meter auseinander stehen ueberlagern sich die Vortrege der Imame vielerorts zu einem unverstaendlichen Chor. Hastig werden auf Buergersteigen und der Strasse gruene Teppiche ausgelegt, auf denen Muslime der Predigt lauschen und ihr Gebet verrichten koennen. An einigen Stellen werden somit aus 3 Fahrspuren 1 auf denen sich die Taxis der Marken Lada, Renault und Peugeot stauen.

Dienstag, 26. Februar 2008

alsharq - Demnächst aus Ägypten und Saudi-Arabien

Ich steige in wenigen Stunden ins Flugzeug nach Kairo, wo ich die nächsten 2 Monate arbeiten werde. Christoph und Robert reisen nächste Woche nach Saudi-Arabien. Nachrichten aus anderen Teilen der arabischen Welt werden daher hier ein wenig in den Hintergrund treten. Dafür hoffen wir, aus erster Hand viele interessante Eindrücke von beiden Seiten des Roten Meers liefern zu können.

Donnerstag, 21. Februar 2008

Was Muslime wirklich denken - Eine Studie will Antworten finden

Die Medienberichterstattung über die islamische Welt wird in aller Regel von Extremisten und Terroristen dominiert. Wie aber steht die schweigende Mehrheit der Muslime in aller Welt dem Westen gegenüber, welche Hoffnungen, Ängste und Erwartungen hegt sie?

Um dies genauer zu beleuchten, haben der amerikanische Islamwissenschaftler John Esposito und Dalia Mogahed vom Meinungsforschungsinsitut Gallup mehr als 50000 Interviews mit Muslimen aus 35 Ländern ausgewertet. Diese Umfrage ist damit die bislang Umfangreichste ihrer Art. Die Ergebnisse werden am 8.März in dem Buch "Who Speaks for Islam? What a Billion Muslims Really Think" veröffentlicht.

Die wichtigste Erkenntnis lautet Esposito und Mogahed zufolge: Ein Konflikt zwischen westlichen und muslimischen Gesellschaften ist alles andere unvermeidbar. Der Streit entzündet sich eher an der Realpolitik als an Prinzipien.

Muslime und Amerikaner lehnen Gewalt gegen Zivilisten gleichermaßen als moralisch ungerechtfertigt ab. Nur 7% der Muslime halten demnach die Anschläge vom 11.September für gerechtfertigt - aber auch das sind immer noch mehr als 90 Millionen Menschen.

Die Studie belegt zudem, dass die Mehrheit der jungen Muslime nicht davon träumt in den Krieg zu ziehen sondern Arbeit zu finden. "Sie träumen von Jobs und Sicherheit nicht von Konflikten und Gewalt.", so die beiden Wissenschaftler.

Die Mehrheit der befragten Muslime, die etwa 90% der islamischen Weltbevölkerung repräsentieren, wünscht sich eine Gesellschaft die auf islamischen Werten beruht und in der die Scharia eine der Quellen des Rechts bildet. Gleichzeitig würden sie das Recht auf freie Meinungsäußerung gesetzlich festschreiben und eine Einmischung religiöser Würdenträger in die Politik verhindern wollen. Menschenrechte und Religion schließen sich nach Ansicht der Muslime nicht gegenseitig aus.

Gefragt nach den Eigenschaften, die sie an den westlichen Gesellschaften am wenigsten schätzen, gab eine Mehrheit der Muslime einen Verfall der Moral und traditioneller Werte an - die gleiche Antwort gab eine Mehrheit der Amerikaner in der letzten Gallup World Poll. Am meisten bewundert werden der Stand der Technik und die Demokratie im Westen - auch hier gaben die US-Bürger exakt die gleichen Antworten.

Um die Beziehungen zur islamischen Welt zu verbessern, sollten nach Ansicht der Umfragteilnehmer die westlichen Gesellschaften ihr Bild vom Islam und ihre Außenpolitik gegenüber den muslimischen Ländern überdenken.

Mittwoch, 20. Februar 2008

Krieg in Darfur: Sudans Armee bombardiert Flüchtlingslager

Die Gewalt in der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur ist in den letzten Tagen erneut eskaliert. Mit einer breit angelegten Offensive gehen die sudanesischer Armee und die mit ihr verbündeten Janjaweed-Milizen dabei gegen mutmaßliche Aufständische vor. Die Luftwaffe bombardierte dabei in der vergangenen Woche Flüchtlingslager in der Bergregion Jabal Moun.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR sah sich daraufhin gezwungen seine Mitarbeiter aus der Grenzregion zum Tschad abzuziehen. Dort hatten allein in der letzten Woche 10000 Darfuris Zuflucht gesucht. Insgesamt befinden sich in dem Gebiet, das von der Luftwaffe der sudanesischen Regierung mit Hubschraubern und russischen Antonov-Kampfjets bombardiert wurde, zur Zeit etwa 20000 Flüchtlinge.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Bombardierung der Flüchtlingslager als "inakzeptabel". Von der Lage in Darfur zeigte sich der Koreaner "extrem besorgt".

Auf Grund ihrer Militäroffensive hat die sudanesische Regierung alle Hilfsflüge in die Region für die nächsten Tage untersagt. 160000 Flüchtlinge sind in der Region um El-Geneina und Kulbus auf die humanitäre Hilfe des UNHCR angewiesen, so John Holmes, Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen.

Die Regierung in Khartoum erklärte, die Luftangriffe gelten der Rebellenbewegung JEM. Diese sei auch für die Blockade von Hilfslieferungen nach West-Darfur verantwortlich zu machen. Die bombardierten Flüchtlingslager seien "legitime militärische Ziele", so Armee-Sprecher Uthman Muhammad al-Aghbash.

Seit Ausbruch der Kämpfe in Darfur wurden mehr als eine Viertelmillion Menschen getötet, mindestens 2 Millione weitere sind seither aus ihren Dörfern vertrieben worden. In den letzten Monaten ist der Konflikt auch in den benachbarten Tschad getragen worden. Die Kriegsflüchtlinge finden sich daher eingekesselt im Kampf unzähliger Rebellengruppen und zweier Armeen. In den letzten Wochen drohte die Regierung des Tschad mehrfach damit, alle Darfur-Flüchtlinge des Landes zu verweisen, da diese ein Sicherheitsrisiko darstellten.

Eigentlich sollte die UNAMID-Mission, eine gemeinsame Friedenstruppe der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, für eine Beilegung des Darfur-Konflikts sorgen. Von den versprochenen 26000 Soldaten sind bislang jedoch erst 9000 in der Region stationiert. Viel zu wenige, um ein Gebiet von der Größe Frankreichs zu kontrollieren.

Dienstag, 19. Februar 2008

100000 Araber kommen pro Jahr illegal nach Europa

Laut einer Studie der ägyptischen Regierung reisen jährlich 100000 Menschen aus arabischen Ländern illegal nach Europa. Allein 55000 von ihnen machen sich aus den Staaten südlich und östlich des Mittelmeers in Booten auf die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa.

Wegen seiner Nähe zu Italien ist Libyen der wichtigste Startpunkt für die Reise nach Europa. Hier sind es nicht nur Araber, die in die von Schlepperbanden bereitgstellten Boote steigen, sondern vor allem Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika. Libyens Staatsführung reagierte darauf mit der Ankündigung, alle Illegalen im Land unverzüglich ausweisen zu wollen.

In den vergangenen Monaten ertranken mehrfach Ägypter beim Versuch per Boot die italienische Küste zu erreichen. Der ägyptische Großmufti Ali Gomaa veröffentlichte daraufhin ein Rechtsgutachten, in dem er erklärte, die Ertrunkenen seien Opfer ihrer eigenen Gier geworden und könnten daher nicht als Märtyrer anerkannt werden.

Die gestern vorgelegte Studie macht die strikten Einwanderungsgesetze der europäischen Staaten für das Phänomen der Bootsflüchtlinge verantwortlich. Eine Politik die auf einer aufwändigen Grenzkontrolle basiere um den Zustrom von Migranten zu stoppen, sei jedoch zu teuer und ineffektiv.

Als Alternative schlägt die ägyptische Regierung die Integration von Zuwanderern auf legalem Wege vor. Zudem sollten bilaterale und multilaterale Abkommen geschlossen werden, die eine frewillige Rückkehr der Flüchtlinge in ihrer Heimatländer ermöglichten. Des weiteren wird vorgeschlagen in den europäischen Ländern ein Quotensystem für Arbeitsplätze für Zuwanderer aus den arabischen Staaten einzuführen. Um den Anreiz für eine Auswanderung aus der Heimat zu senken, müsse der wirtschaftliche Aufschwung in Ländern wie Ägypten weiter gefördert werden.

Montag, 18. Februar 2008

Erste Kirche in Qatar vor der Einweihung

Am 14.März wird der erste Kirchenneubau in der Geschichte des Golfstaats Qatar eingeweiht. Zu den Feierlichkeiten wird unter anderem der indisch-stämmige Kardinal Ivan Dias erwartet. Die katholische St.-Marienkirche wird 2700 Gläubigen Platz bieten und Teil eines Komplexes sein, in dem in den nächsten Jahren weitere christliche Gotteshäuser errichtet werden. Im Bau sind bereits eine anglikanische, eine koptische und eine griechisch-orthodoxe Kirche. Daneben wird ein Kirchenzentrum errichtet, das 11 indische Kirchengemeinden beherbergen soll.

Insgesamt leben etwa 100000 Christen dauerhaft in Qatar. Der Großteil von ihnen sind Gastarbeiter aus Indien, den Philippinen, dem Libanon oder westlichen Staaten. Diese konten ihren Glauben bislang nur im Privaten praktizieren.

Nach der Errichtung der ersten Kirche in Qatar nach der Ausbreitung des Islam im 7.Jahrhundert, ist Saudi-Arabien der einzige Golfstaat, in dem es keine christlichen Gotteshäuser gibt. Doch auch in Qatar ist der Kirchenbau nicht unumstritten. Der ehemalige Justizminister Najib al-Nuaimi erklärte: "Qatar ist per Verfassung ein islamischer und kein säkularer Staat. Es hätte ein Referendum über den Bau dieser Kirchen geben sollen, um sicherzustellen, dass sie gesellschaftlich akzeptiert werden."

Der Kolumnist Lahdan bin Issa al-Muhanadi schrieb: "Das Kreuz sollte nicht in den Himmel über Qatar erhoben werden und es sollten keine Glocken in Doha läuten." Diese Einwände sind jedoch unbegründet, denn in der Tat fehlen am Neubau der Marienkirche typisch christliche Insignien. Kein Kreuz macht die Kirche von außen kenntlich und auch auf einen Glockenturm wurde verzichtet.

Andere Kirchengegner verweisen als Begründung für ihre Ablehnung auf einen überlieferten Ausspruch des Propheten Muhammad, der gesagt haben soll, dass es auf dem Boden der arabischen Halbinsel nicht zwei Religionen geben dürfe. Nach Einschätzung des ehemaligen Direktors der Scharia-Fakultät an der Qatar University, Abdulhamid al-Ansari, bezieht sich dieser Hadith jedoch nur auf den Hijaz, also das Gebiet um die heiligen Stätten in Mekka und Medina. Weiter erklärte al-Ansari: "Gotteshäuser für verschiedene Religionen sind ein fundamentales Menschenrecht, das vom Islam garantiert wird. Lasst uns den Bau von Kirchen in Qatar willkommen heißen - als Zeichen islamischer Toleranz und menschlicher Brüderlichkeit."

Donnerstag, 14. Februar 2008

Wer tötete Imad Mughniyeh?

Bei einem Bombenanschlag in der syrischen Hauptstadt Damaskus wurde am Dienstag Abend Imad Mughniyeh getötet, eine Führungsfigur der Hizbollah. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebte Mughniyeh im Untergrund, daher gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse über sein Leben und seine Rolle innerhalb der Schiitenmiliz.

Mughniyeh wurde vermutlich im Jahre 1962 in einem südlibanesischen Dorf geboren. Nach Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs schloss er sich zunächst der palästinensischen Fatah an, später wechselte er in die Reihen des "Islamischen Jihad", einer vom Iran ausgerüsteten Gruppe, aus der später die Hizbollah entstand.

Die USA sahen in Mughniyeh, der auch unter seinem Alias-Namen Hajj Radwan bekannt ist, einen Hintermann der Anschläge auf die US-Botschaft in Beirut und das Hauptquartier der US-Marines in der libanesischen Hauptstadt im Jahr 1983. Ob Mughniyeh als damals gerade 20-Jähriger wirklich der Chefplaner dieser Selbstmordattentate war, konnte letzlich nie sicher belegt werden. Seit 2001 stand Mughnniyeh auf der FBI-Liste der 22 meist gesuchten Terroristen. Die USA setzten ein Kopfgeld von 5 Millionen US-Dollar auf seine Ergreifung aus.

Auch Hizbollahs Hauptfeind Israel führte den 45-Jährigen seit Jahren auf der Liste der Staatsfeinde. Er soll unter anderem die Anschläge auf die israelische Botschaft in Argentinien und das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires organisiert haben. Einige sprechen ihm auch eine Rolle bei der Entführung der beiden israelischen Soldaten zu, die am 12.Juli 2006 den Auslöser des Zweiten Libanonkriegs bildete. Nach Einschätzung von Haaretz war Imad Mughniyeh gar der designierte Nachfolger von Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah. Dies erscheint jedoch höchst unwahrscheinlich, da Mughniyeh keine theologische Ausbildung durchlaufen hat, die als Voraussetzung für eine Führungsrolle innerhalb des Parteiapparates gilt.

Dennoch ist die Reaktion der Hizbollah auf die Ermordung Mughniyehs interessant. In den letzten Jahren war die Bewegung stets bestrebt sich von ihm zu distanzieren und erklärte, Mughniyeh sei kein Mitglied ihrer Organisation. Doch schon kurz nach Bekanntwerden seines Todes wurde Mughniyeh als "Märtyrer des Islamischen Widerstands" verherrlicht. Zur Stunde finden in Beiuts südlichen Vororten die Trauerfeierlichkeiten statt, Mughniyehs Sarg ist in eine gelbe Hizbollah-Fahne gehüllt. Zehntausende Hizbollah-Anhänger säumen die Straßen - parallel zu den Gedenkfeierlichkeiten am 3.Jahrestag des Mordes an Rafiq Hariri in der Innenstadt.

Wer steckt hinter dem Anschlag auf Imad Mughniyeh?

Am Wahrscheinlichsten dürfte die Verantwortung des israelischen Geheimdienstes Mossad für den Mord sein, auch wenn Israel jede Beteiligung bestreitet. Israel führte Mughniyeh alis Hajj Radwan, seit Jahren als Staatsfeind und der Mossad dürfte über die Mittel verfügen in einem der am besten gesicherten Staaten des Nahen Ostens eine derartige Operation durchzuführen. Zudem hat Israel in der Vergangenheit gezeigt, dass es die "gezielte Tötung" hochrangiger Mitglieder von Hamas und Hizbollah als legitime Mittel zur Schwächung dieser Gruppen betrachtet.

Eine zweite Theorie besagt, dass Syrien selbst hinter dem Anschlag steht. Demnach soll Mughniyeh einer der Planer des Hariri-Attentats gewesen sei, den man nun vor der Einrichtung des UN-Tribunals beseitigt habe. Möglicherweise sei der Mord auch ein Zeichen der Syrer an die USA und Israel gewesen, dass man zu Konzessionen bereit sei und habe daher einer der Hauptfeinde dieser beiden Staaten beseitigt. Die Tatsache, dass sich der Anschlag jedoch in Damaskus ereignete, lässt diese Vermutung äußerst unwahrscheinlich erscheinen, da dadurch gleichzeitig bewiesen wurde, dass Syrien entgegen anders lautender Beteuerungen Terroristen beherbergt.

Eine weitere Möglichkeit, die ins Spiel gebracht wird ist die, dass Mughniyeh Machtkämpfen innerhalb der Hizbollah zum Opfer gefallen ist. Demnach tobt in der Führungsspitze der Partei ein Machtkampf zwischen Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, der als eher pro-syrisch gilt, und seinem Stellvertreter Naim Qassem, der als treuer Gefolgsmann Irans bekannt ist. Die Ermordung Mughniyehs sei daher ein Zeichen Qassems und/oder Irans an Nasrallah sich wieder stärker an Teheran zu orientieren.

Ein andere Hypothese ist die, dass eine von al-Qaida inspirierte Gruppe wie etwa Fatah al-Islam, hinter dem Anschlag steht, mit dem die fragile Lage in der Levante weiter destabilisiert werden soll. Demnach wäre es Ziel des Attentats Syrien und/oder die Hizbollah zu Vergeltungsschlägen zu provozieren, die eine Verschlechterung der Sicherheitslage nach dem Vorbild des Iraks nach Saddam nach sich ziehen würden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass eine solche Gruppe über die nötigen geheimdienstlichen Kenntnisse verfügt, die zur Ermordung des erstklassig gesicherten Mughniyeh notwendig sind.

Laut einer noch gewagteren These war es gar nicht Imad Mughniyeh, der bei dem Anschlag getötet wurde. Misstrauen wurde zum Einen dadurch erregt, dass die Hizbollah und Syrien so offensiv mit der Ermordung Mughniyehs an die Öffentlichkeit gingen. Zum anderen regen sich Zweifel daran, wieso Mughniyeh, der sich Gerüchten zufolge mehreren Gesichtsoperationen unterzog, so schnell identifizert werden konnte. Der fingierte Mord sei daher nur ein Schachzug der Hizbollah um Mughniyeh nun sicher aus der Schussbahn der Amerikaner und Israelis zu nehmen.

Abzuwarten bleibt nun, wie die Hizbollah auf den Anschlag reagieren wird, der der Reputation der Hizbollah als unantastbare militärische Organisation einen schweren Schlag versetzt haben könnte. Eine militärische Operation gegen Ziele in Israel oder israelische Einrichtungen Ausland ist wohl keine Frage des ob, sondern des wo und wann.

Dienstag, 12. Februar 2008

Valentinstag in Saudi-Arabien: Religionspolizei sieht rot

Anlässlich des an diesem Donnerstag bevorstehenden Valentinstages hat die Religionspolizei in Saudi-Arabien den Verkauf roter Rosen und roter Geschenke bis auf Weiteres untersagt. Geschenk- und Blumenläden in Riyadh seien am Sonntag von der "Behörde für die Verbreitung von Tugendhaftigkeit und Verhinderung von Lastern" angewiesen worden, derartige Artikel aus ihrem Sortiment zu entfernen, berichtet "The Saudi Gazette".

Die Tugendwächter führen derartige Razzien in jedem Jahr kurz vor dem Valentinstag durch. Der Preis für eine rote Rose steigt auf dem Schwarzmarkt dadurch auf umgerechnet bis zu 6 Euro pro Stück.

Islamische Theologen im konservativen Saudi-Arabien rechtfertigen das Vorgehen damit, dass die Feier des Valentinstages und anderer nicht islamischer Festtage eine Sünde darstelle. "Als Muslime sollten wir keine nicht muslimischen Feste feiern, besonders nicht dieses Fest, das unmoralische Beziehungen zwischen unverheirateten Frauen und Männern fördert.", erklärte etwa ein islamischer Rechtsgelehrte gegenüber der Zeitung.

Viele junge saudische Paare ignorieren diese Verbote der Geistlichkeit jedoch und verbringen den Tag in einem der weniger konservativen Golfstaaten wie Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Doch auch in Kuwait haben zwei islamistische Parlamentsabgeordnete die Regierung aufgefordert, den Valentinstag zu verbieten. Dieser Feiertag sei der kuwaitischen Gesellschaft fremd und widerspreche den Lehren und Werten des Islam. Der Valentinstag führe zur "moralischen Verdorbenheit" der Jugend in Kuwait.

Montag, 11. Februar 2008

Libanon: Krieg der Worte vor Jahrestag des Hariri-Mordes


Wenige Tage vor dem dritten Jahrestag des Mordes am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafiq Hariri haben Vertreter des Regierungslagers die Stimmung im Land weiter aufgeheizt. Walid Jumblatt(Foto), wichtigster politischer Repräsentant der knapp 300000 Drusen im Land und führender Kopf des Regierungsbündnisses "14.März" erklärte gestern in einer TV-Ansprache, er sei bereit zu einem Krieg gegen die Hizbollah und Syriens Verbündete im Libanon.

"Ihr wollt Chaos? Wir heißen es willkommen. Wenn die Anderen Krieg wollen, wird der 14.März bereit sein. Wenn sie Frieden wollen, wird der 14.März auch bereit sein.", so Jumblatt gestern weiter. "Wir haben kein Problem mit Waffen und kein Problem mit Raketen. Wir werden Sie euch wegnehmen, weil wir keine Angst vor dem Märtyrertod haben.", so der 58-Jährige an die Hizbollah gewandt. "Ihr seid Werkzeuge in den Händen der verabscheungswürdigsten Menschen, Bashar [Assad] und seine Gang."

Bezüglich des UN-Tribunals, das über die Hintermänner des Hariri-Mordes richten soll erklärte Jumblatt, er habe auf seiner jüngsten Reise nach Saudi-Arabien in der vergangenen Woche die Versicherung erhalten, dass die Saudis für die Kosten des Verfahrens aufkommen werden. Über die bislang vier inhaftierten Verdächtigen sagte Jumblatt: "Sie werden Tränen des Blutes weinen, wenn das Strick des Henkers um sie gelegt wird."

Im Anschluss an Jumblatts Rede kam es in der Kleinstadt Aley zu Schießereien zwischen Anhängern Jumblatts und des rivalisierenden drusischen Feudalherren Talal Arslan, bei denen zwei Menschen verletzt wurden. Arslans Partei steht auf Seiten der Opposition, repräsentiert jedoch nur eine Minderheit unter den Drusen im Libanon. Beide Familien streiten seit Generationen über die Vorherrschaft innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft.

Der Vorsitzende des Politbüros der Hizbollah, Mahmoud Qomati, erklärte, Jumblatts Äußerungen zeugten von dessen "Verrücktheit". Ihm scheine es, "als bedrohte eine Ameise einen Löwen."

Zuvor hatte bereits der Chef der größten sunnitischen Bewegung des Landes, Saad Hariri, Sohn des am 14.Februar 2005 ermordeten Rafiq Hariri, erklärt: "Wir wollen keine Konfontation. Aber wenn wir in eine solche hineingezogen werden, werden wir nicht mit gefesselten Händen dastehen." Anschließend versprach er 52 Millionen Dollar an Bildungsprojekte im Nordlibanon zu spenden um seine Machtbasis unter den Sunniten in und um Tripoli weiter zu festigen.

Anlässlich des Hariri-Todestags hat das Regierungslager für den Donnerstag zu einer Großdemonstration im Zentrum Beiruts aufgerufen, zu der Hunderttausende erwartet werden. Das Gedenken an den ermordeten Multi-Milliardär gerät dabei von Jahr zu Jahr mehr in den Hintergrund. Lautete das Motto der Kundgebung im letzten Jahr noch: "Wirklich...Wir werden dich nicht vergessen.", so steht die Demonstration in diesem Jahr unter dem Motto "Sie werden den Libanon nicht übernehmen!" Der Krieg der Worte wird am Donnerstag in die nächste Runde gehen.

Sonntag, 10. Februar 2008

Grundlegende Probleme des Bildungssystems im Libanon - Teil 5

zum Anfang

Die neue Qualität des Sprachenstreits

Bevor ich im letzten Teil die neue, erweiterte Diskussion um den Geschichtsunterricht beschreibe, sei an dieser Stelle ein kurzer Exkurs über die veränderten Implikation der Sprachenfrage in der Nachbürgerkriegsära angebracht.

Wie bereits an anderer Stelle erläutert stellten in der Vergangenheit vorrangig Arabisch und Französisch die Antipoden innerhalb dieser Auseinandersetzung dar, die zudem auch noch ideologisch überladen wurden. Nicht erst seit den 90er Jahren, aber dann deutlich sichtbar, erweiterte sich dieses Spektrum und veränderte auch die bisherigen Perspektiven auf diese Sprachen.

Besonders auffällig ist die sprunghaft gestiegene Bedeutung von Englisch, die wohl auch in der Zukunft weiter zunehmen wird. Es sind vor allem wirtschaftliche Überlegungen, die die Nachfrage nach Englisch in der gesamten Region, und auch in der tendenziell frankophonen Levante, antreiben. Für qualifizierte libanesische Fachkräfte ist die Golfregion heute die mit Abstand wichtigste Partnerregion, insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate und Qatar. Hier ist Englisch die Lingua Franca, während der Libanon mit dem anderen frankophonen Großraum, dem Maghrib, vergleichsweise wenig wirtschaftliche Kontakte aufweist[1].

Selbst wenn die meisten Libanesen Französisch als Fremdsprache wählten, so bot Englisch vergleichsweise mehr Möglichkeiten außerschulischer Aneignung durch das stetig wachsende Medienangebot[2]. Die Regierung versuchte diesem Trend gerecht zu werden und führte 1995 zwei obligatorische Fremdsprachen ein[3]. Im Gegensatz zu den anderen Reformprojekten stieß die offizielle Anerkennung von Englisch auf vergleichsweise wenig Widerstand, so dass das Erlernen der Sprache sehr pragmatisch und selten ideologisch belastet angesehen wird.

Dennoch, der obligatorische Unterricht dreier Sprachen sagt wenig über deren tatsächliche Beherrschung aus[4]. So bemängeln Kritiker der trilingualen Erziehung die hohen Durchfallquoten und oft nur mittelmäßige Beherrschung aller drei Sprachen[5].

Problemkind Nummer Eins ist hierbei Französisch. Hier zeigt sich deutlich, dass es nicht bloß einen Aufschwung von Englisch gab, sondern dass zugleich Französisch stetig an Bedeutung eingebüßt hat. Ein eher banaler Grund hierfür liegt in der relativ schweren Erlernbarkeit der französischen Sprache gegenüber Englisch. In keinem anderen Fach findet sich eine solch hohe Durchfallquote[6].

Viel wichtiger aber wiegt die fehlende gesellschaftliche Verankerung der Sprache. Zwar tauchen französische Wörter in dem so typisch libanesischen Sprachenmix auf, generell ist aber Arabisch das vorherrschende Kommunikationsmittel[7]. Zudem ist die Sprache nur durch eine Tageszeitung wirklich medial vertreten, einen frankophonen Fernsehsender sucht man im Libanon hingegen vergeblich.[8] Am ehesten trifft man Französisch noch bei den traditionell frankophon ausgebildeten politischen und kulturellen Eliten, generell aber scheint sich kaum Widerstand gegen den fortschreitenden Verfall der Frankophonie im Libanon zu regen.

Das heißt jedoch nicht, dass es keine ideologisch belastete Sprachenfrage gibt, sie hat sich lediglich verlagert und dreht sich um die verschiedenen Ausprägungen der arabischen Sprache.

In gewisser Weise hat dabei der libanesische Dialekt die Stelle des Französischen übernommen. Besonders viele Maroniten sehen demnach den libanesischen Dialekt als Ausdruck einer distinkten libanesischen Identität und distanzieren sich explizit vom Hocharabisch, welches stellvertretend für die arabisch-islamische Umwelt steht[9]. Eine noch sehr neue und längst nicht endgültig geklärte Auseinandersetzung dreht sich hierbei um den Grundpfeiler des Hocharabischen, nämlich die Schrift. Besonders in den neuen Medien der Kommunikation ersetzt eine auf den libanesischen Dialekt angepasste Lateinschrift immer häufiger arabische Letter. Für die Befürworter dieser neuen Lateinschrift beweist sie die beliebige Austauschbarkeit von Alphabeten[10], während die Gegner weiterhin auf einer untrennbaren Verbindung von arabischer Schrift und Sprache beharren. Ob dieser neue Sprachenstreit in Zukunft politisch instrumentalisiert wird oder sich entspannt ist noch nicht abzusehen. Problematisch wird es wahrscheinlich, sobald libanesischer Dialekt und zugehörige Verschriftlichung offiziell sanktioniert werden sollten.

Die neue Qualität in der Auseinandersetzung um Geschichte

Die ergebnislose Suche nach einheitlich verbindlichen Geschichtslehrbüchern rief in den letzten Jahren Reaktionen von jenen hervor, die sich professionell damit beschäftigen: die Historiker.

Nun stand die Geschichte des Libanon natürlich schon seit Jahrzehnten im Mittelpunkt libanesischer Historiker, in den Lehrbetrieb der Schulen hatten sie sich bislang jedoch kaum eingemischt. Zudem neigten sie oft genug, bewusst oder unbewusst, zur Übernahme konfessionalistischer Sichtweisen oder versuchten sich mehr oder weniger erfolgreich bei der Konstruktion einer postulierten libanesischen Identität – freilich ohne jemals einen Konsens zu erreichen[11].

Zwei Entwicklungen trugen zur Inkorporation der Historiker in die Auseinandersetzung bei: Strukturell waren die bisherigen Reformprojekte des CERD kläglich gescheitert und damit neue Ansätze, neue Köpfe gefragt. Ideologisch wiederum unterzogen sich nicht wenige Historiker einer kompletten Revision ihres Lebenswerkes, maßgeblich ausgelöst durch die Erfahrungen des Bürgerkrieges.

Der Vorreiter für diese Entwicklung ist der wohl bekannteste zeitgenössische Histotiker: Kamal Salibi. 1965 hatte er in seiner „The Modern History of Lebanon“ das Land als Musterbeispiel einer gelungenen kulturellen Integration beschrieben, mithin sei der Libanon ein Vorbild für die gesamte Region[12]. Gegen Ende des Bürgerkrieges revidierte er seine Thesen grundlegend. Das 1988 erschiene „A House of Many Mansions“ liest sich vielmehr als eine Geschichte des Scheiterns, entlarvt konfessionalistische Geschichtssichten, anstatt sie zu übernehmen[13].

Es sind jene konfessionalistischen Mythen, die Salibi als Ursache allen Übels ausmacht. Explizit formuliert er die Entmytholgisierung, besonders von Gründungsmythen und-persönlichkeiten, als vorrangiges Ziel der Geschichtsschreibung[14]. Noch entscheidender jedoch, beschränkt er diese Forderung nicht auf den akademischen Betrieb. Vielmehr sieht er den Geschichtsunterricht als den Bereich, in dem partikuläre Sichtweisen am stärksten perpetuiert werden und somit am profundesten wirken können[15]. Dementsprechend fordern Salibi und einige seiner Kollegen seit geraumer Zeit die Übertragung moderner historischer Methodenlehre auf den Schulbetrieb, wobei sie auf die positiven Erfahrungen mit Studenten an ihren Geschichtsinstituten verweisen[16].

Strukturell befürworten sie dazu bewusst gemischt-konfessionelle Lerngruppen, die gemeinsam teilweise tief verankerte Topoi diskutieren[17]. Ideologisch treten sie für eine Abkehr von bestimmten Tabuthemen und –begriffen ein. So kritisieren sie die fast allergische Reaktion, die allein die Erwähnung des Wortes Konfessionalismus, bei den Bildungsplanern hervorrufen. Das Thema muss demnach offen angesprochen werden, anstatt es höflich zu umschreiben, zu leugnen oder dem Gegner in die Schuhe zu schieben. Nur so lasse sich der Unterricht mit den Lebenserfahrungen der Schüler in Einklang bringen und lockt sie von den einfachen Erklärungsustern von Religionsgemeinschaften und Parteien weg.

Denn eben jene beherrschen noch immer die wichtigsten Mittel zur Kommunikation ihrer Sichtweisen. Betrachtet man sich beispielsweise die Homepages verschiedener libanesischer Parteien, so stößt man neben dem Parteiprogramm meist auch auf eine historische Abhandlung des Landes.

Ein prägnantes Beispiel für so ein Pamphlet findet sich unter anderem auf der Homepage der Lebanese Forces[18]. Auf gut zwanzig Seiten[19] werden jene Epochen und vor allem Völkerschaften, Bewegungen und Religionsgemeinschaften (alles relativ undifferenziert zusammengeworfen) betrachtet, auf die sich die Partei in ihrer Selbstsicht als Sprachrohr der Christen im Orient allgemein, und der Maroniten im Speziellen, gerne beruft[20]. In historischer Kontinuität, werden so aus Phöniziern, Mardaiten und einer christlichen Sekte die direkten Vorläufer der heutigen Maroniten entworfen[21]. Alles andere wird als Angriff von außen abgetan[22], die Auswahl an beeinflussenden Faktoren ist also hochgradig selektiv und historisch völlig unhaltbar.

Viel schwerer wiegt jedoch die ständig durchschlagende Botschaft des Textes: So sieht der Autor die Maroniten in einem kontinuierlichen Überlebenskampf gegen eine feindliche Umwelt. Das Erfolgsgeheimnis der Gemeinschaft sei demnach stets die Bewusstseinmachung dessen gewesen, verbunden mit einem steten Misstrauen gegenüber der arabisch-islamischen Umwelt und der Einsicht sich letztendlich nur mit Waffengewalt in der Region halten zu können[23].

Das gezielte Schüren von Existenzängsten schimmert hier deutlich durch und entlarvt für den Außenstehenden das primäre Motiv eines solchen Textes, nämlich die Aufrechterhaltung und feste Bindung der maronitischen Klientel an die Partei. Dennoch sind es gerade solche Texte, die nicht nur weit verbreitet und einfach zu rezipieren sind, sondern eben auch genutzt, für wahr befunden werden und konfessionalistische Sichtweisen weiter perpetuieren.

III. Fazit und Ausblick

So wie auch andere gesellschaftliche Bereiche ist auch das libansesische Bildungssystem von von Ambivalenzen und Widersprüchen gekennzeichnet. Zwei Handlungsmuster resultierten daraus: Zum Einen wurde das im Nationalpakt verkörperte Konsensprinzip immer wieder bemüht, um jeder Interessengruppe, insbesondere den Religionsgemeinschaften, gerecht zu werden und niemandem etws aufzuzwingen. Zum Anderen begann die Suche nach einer „richtigen“, für alle verbindlichen Lösung.

Sinnbildlichen Ausdruck fand das in den konstitutiven Dokumenten des libanesischen Staates, die beständig gegensätzliche Zielstellungen formulierten und damit ihr eigenes Scheitern schon vorweg nahmen. Ebenso kontraproduktiv erwiesen sich die widerstreitenden Loyalitäten und Interessen der politischen Führungselite. Letztendlich waren und sind sie Teil des Systems, welches ihnen ja erst ihre Stellung bescherte, wobei das bestehende Bildungssystem ihnen dabei einen besonderen Vorteil gab. Zudem sind die nach dem Bürgerkrieg zu Parteien mutierten Milizen und ihre Führer auf die Spaltung der libanesischen Gesellschaft angewiesen, um ihr eigenes Profil aufrecht erhalten zu können und so kaum an wirklich grundlegenen Reformen im Bildungswesen interessiert.

Die im letzten Teil diskutierte neue Rolle revisionistischer Historiker á la Sallibi weist den Weg in die richtige Richtung, wenn sie natürlich auch erst am Anfang steht. Dennoch, die akademische Forschung als Vorreiter einer engagierten Zivilgesellschaft kann ein Gegengewicht bilden, den etablierten Reformdiskurs und seine Argumente dekonstruieren und den Reformbemühungen eine völlig neue Qualität verleihen.

Damit dieses hehre Ansinnen nicht im akademischen Elfenbeinturm verstaubt, braucht es ein gewisses Maß an Öffentlichkeit. Es ist eben jene stark fragmentierte libanesische Medienlandschaft, die bisher fest in der Hand jener am Bildungsdiskurs beteiligter Interessen lag und maßgeblich zur weiteren Spaltung beiträgt, die dazu imstande ist.

Ein gutes Beispiel bietet wieder Salibi. Statt wie sonst üblich seine Erkenntnisse auf die akademische Fachliteratur zu beschränken, sucht er bewusst Fernsehen, Radio und Fernsehen für sich zu nutzen, sei es in Interviews oder für das nicht-akademische Publikum adaptierte Kommentare und Aufsätze. Daneben produzierte der Fernsehsender NBN 2002 eine Dokumentationsreihe über alle im Libanon ansässigen Religionsgemeinschaften, die jedoch den alten Erklärungsmustern verhaftet blieb und somit jeglicher pädagogischer Funktion entbehrte[24]. Dennoch war der Ansatz nicht ganz so verkehrt: Würden Leute wie Salibi solch ein großangelegtes Projekt unternehmen, wäre das Ergebnis nicht nur wissenschftlich von größerer Bedeutung, sondern würde wahrscheinlich auch viel breiter rezipiert werden.

Dadurch könnte ein Prozess gesellschaftlicher Entmytholgisierung und -ideologisierung in Gang gesetzt werden, der meiner Meinung die zwingende Voraussetzung ist, um auch strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Zumindest wären dann bildungspolitische Infrastrukturmaßnahmen weniger ideologisch belastet und könnten wesentlich pragmatischer und damit effektiver durchgeführt werden.

Wenn ich hier am Schluss nun auch ein optimistisches Szenario gezeichnet habe, so beurteile ich die Chancen auf eine dementsprechende Realisierung eher pessimistisch, zu stark scheinen im Moment die Kräfte, die einer solchen Entwicklung entgegen standen, entgegen stehen und auch in Zukunft entgegen stehen werden.



[1] Bonrepaux, Christian: Liban: “La Lente Érosion de la Langue Française“, in: Le Monde de l'éducation 344 (2006), S. 66.

[2] Das entspricht auch meiner eigenen Erfahrung, und zwar über ideologische und konfessionelle Grenzen hinweg.

[3] Ghait / Shaban: S. 104.

[4] Beydoun, Ahmad: Liban: Itinéraire dans une Guerre Incivile, Paris, 1993, S. 112.

[5] Bonrepaux: S. 67.

[6] Ebd.: S. 66.

[7] Ebd.

[8] Film, Radio und Fernsehen sind von English, libansischem Dialekt und Hocharabisch dominiert. Der einzige frankophone Rückzugsraum ist die immer noch renommierte Tageszeitung L’Orient-Le Jour.

[9] Die Tatsache, dass der libanesische Dialekt zusammen mit dem Syrischen und Palästinensischen eine dem Hocharabisch sehr nahe stehende (deshalb fahren ja soviele Arabischstudenten in diese Region!) Dialektgruppe bildet, wird hierbei gern ausgeblendet.

[10] So wird aus wa½dawe7de, oder aus muþÁra±amo3arede.

[11] Messarra: S. 72.

[12] Salibi, Kamal: The Modern History of Lebanon, London, 1965.

[13] Salibi, Kamal: A House of Many Mansions, London, 1988.

[14] Havemann: S. 213.

[15] Ähnlich auch Messara, vgl.: Messarra: S. 72.

[16] So etwa auch Ahmad Bayun in Quilty´s Artikel im Beiruter „Daily Star“. Er fordert Geschichte nicht weiter als Kompromissangelegenheit zwischen den Führern der Religionsgemeinschaften zu begreifen, sondern als Arbeitsfeld professioneller Historiker mit wissenschaftlichem Handwerk. Vgl.: Quilty.

[17] Abouchedid / Nasser / Van Blommestein: S. 1.

[18] Gleiches gilt natürlich auch für andere Parteien, wie Hizb Allah, Harakat Amal oder die drusische PSP (Al-Hizb Al-Taqaddumi Al-Ishtiraki). Gerade die Lebanese Forces jedoch treten mit ihrer Gesinnung besonders aggressiv nach außen und versuchen kaum diese zu verschleiern. Auf keiner anderen Homepage begegnete ich einer solchen Fülle ideologischer Pamphlete, die zudem relativ einfach gehalten sind, und gerade deswegen wahrscheinlich auch viele Menschen erreichen.

[19] Das Pamphlet nennt sich Tarih Lubnan und findet sich unter http://www.lebanese-forces.ca/.

[20] So findet sich die Selbstbezeichnung Al-Masihiya und Al-Massihiyun weit häufiger, als Al-Mawarina, obwohl im wesentlichen eine Geschichte der Maroniten gezeichnet wird.

[21] Die Mardaiten (Al-Marada) waren ein christlicher Kampfverband in byzantinischen Diensten im 7./8. Jahrhundert n. Chr. Mit christlicher Sekte meine ich die „Urgemeinschaft“ der Maroniten aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., deren Herkunft aus historischer Sicht kaum nachvollzogen werden kann.

[22] Immer wieder taucht hier der Ausdruck ³aswa auf, im Gegensatz dazu wird jede militärische Aktivität der Maroniten als DifÁþ deklariert.

[23] Demenstsprechend stößt der Leser auf eine Vielzahl von Termini mit der Konnotation von Zerstörung, Ausrottung, Vernichtung, Verfolgung und Unterdrückung, wie z.B. Fatk, IbÁda, IhlÁk, MuÔÁrada, Þulm, TaÈfÍya, IªlÁl, I½mÁd, Salab, IþtidÁÿ usw.

[24] Die Reihe heißt Tawaef Lubnan und ist ebenso wie ihr Vorgänger Ahzab Lubnan in libanesischen Geschäften ein absoluter Ladenhüter.

Samstag, 9. Februar 2008

Großbritannien: Kontroverse um Einreiseverbot für Yusuf al-Qaradawi

Der ägyptische islamische Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi macht "die zionistische Lobby" dafür verantwortlich, dass ihm Großbritannien ein Einreisevisum für eine medizinische Behandlung in England verwährt. Das britische Innen- und Außenministerium hätte keine Einwände gegen Qaradawis Besuch gehabt, aber "es gibt die Neokonservativen, die zionistische Lobby und einige rechte Medienstationen", erklärte Qaradawi auf seiner Website. "Die zionistische Lobby übte großen Druck aus, um meinen Visaantrag abzulehnen und Premierminister Gordon Brown unterstützte schließlich diese Position."

Der 81-jährige Yusuf al-Qaradawi wurde in Ägypten geboren und engagierte sich dort in der Muslimbruderschaft. 1961 floh der Absolvent der Azhar-Universität in Kairo vor den Repressionen des Nasser-Regimes nach Qatar, wo er seither lebt und dessen Staatsbürgerschaft er besitzt. Heute gilt Qaradawi als eine der wichtigsten moralischen Instanzen des sunnitischen Islam. Über seine TV-Sendung "Die Scharia und das Leben", die von al-Jazeera ausgestarhlt wird, und durch die von ihm geführte Website IslamOnline spricht Qaradawi eine große Zahl an Muslimen in aller Welt an.

Dabei nimmt der Gelehrte immer wieder Positionen ein, die ihm gerade aus westlichen Staaten Kritik einbringen. So billigt er Selbstmordattentate gegen Ziele in Israel. Diese Märtyrerorperationen seien gerechtfertigt, da die gesamte israelische Gesellschaft militarisiert und jeder erwachsene Israeli ein Soldat sei, der das Besatzungsregime in Palästina stütze. Bei seinem letzten Besuch in London 2004 erklärte Qaradawi: "Eine israelische Frau ist nicht wie eine Frau in unseren Gesellschaften, weil sie eine Soldatin ist."

Homosexualität ist in Qaradawis Augen eine Sünde und "geschlechtliche Abartigkeit". Wie Prostitution sei Homosexualität mit 100 Peitschenhieben zu bestrafen. In seinem wichtigsten Buch und Bestseller "Erlaubtes und Verbotenes im Islam" erklärt der Mufti zudem die Todesstrafe für außerehelichen Geschlechtsverkehr, das Schlagen der Frau, sowie die Polygynie für zulässig.

Daneben sorgt Qaradawi, der seit 1996 Vorsitzender des "Europäischen Rates für Fatwa und Forschung" ist, des Öfteren durch vergleichsweise kuriose Rechtsgutachten, arabisch Fatwa, für Aufsehen. So erklärte er im Jahre 2003 das beliebte Videospiel Pokemon für unislamisch, da es die Evolutionstheorie propagiere und zionistische Symbole verwende. Außerdem könnten einige Ausrufe der Pokemon-Figuren als Sätze wie "Ich bin Jude" verstanden werden, auch wenn sich Qaradawi dessen nicht ganz sicher sei.

Muslimische Repräsentanten in Großbritannien kritisierten das Einreiseverbot für Qaradawi scharf, das eine Beleidigung für die 2 Millionen Muslime auf der Insel darstelle. Sie verwiesen darauf, dass Qaradawi die Anschläge in New York, Madrid und London verurteilte und erinnerten daran, dass Londons Bürgermeister Ken Livingston Qaradawi mit Papst Johannes XXIII verglich. In die gleich Kerbe schlug nun Mohammad Sawalha, Präsident der British Muslim Initiative (BMI): "Die negative Folge dieses Verbots ist nicht anders, als würde man dem Papst die Einreise in ein muslimisches Land verweigern."

Grundlegende Probleme des Bildungssystems im Libanon - Teil 4

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Der gesellschaftliche Kontext der Bildungsreform der 1990er Jahre

Bevor ich die Initiativen zur Bildungsreform präsentiere, möchte ich diese zunächst in den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext der Nachbürgerkriegszeit einbetten, die von einem Nebeneinander aus Kontinuitäten und Brüchen gekennzeichnet ist.

Der physische Wiederaufbau des Landes stand dabei ganz klar an erster Stelle, eine gesamtgesellschaftliche psychische Aufarbeitung hingegen wurde vermieden. Ohnehin war eine wirklich offene Diskussion bis zum (offiziellen) Ende der syrischen Hegemonie 2005 kaum möglich, zudem stand ein Großteil des Südlibanon bis 2000 unter israelischer Besatzung, so dass nicht einmal der physische Frieden überall durchgesetzt war.

In der Schule äußerte sich das in unausgesprochenen Konventionen, die bestimmte Themen insbesondere die syrische Rolle im Libanon, aber auch generell Fragen zu Verlauf und Ursachen des Bürgerkrieges tendenziell unterdrückte[1]. Nicht nur die Schule verschloss der Nachkriegsgeneration die Türen zu Information und Aufarbeitung, auch im Elternhaus fanden sie nur bedingt offene Antworten.

Die im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Einwirkungen der Bürgerkriegsgeneration prägte diese nachhaltig und determinierte ihr Verhältnis als Eltern gegenüber den Fragen der Kinder. Die Palette von Verhaltensmustern war und ist ebenso vielfältig wie auch während des Bürgerkrieges. Während viele die düsteren Jahre verdrängten und einem romantisierten Bild von der „Schweiz des Nahen Ostens“ nachhingen, klammerten sich andere an den konfessionalistischen Rückhalt, der ihnen während des Krieges das Überleben ermöglichte. Die Reaktion der Jugendlichen präsentierte sich genauso gegensätzlich. Während einige die Elterngeneration als „Gefangene der Vergangenheit“ sahen, fügten sich andere in die durch den Krieg gefestigten konfessionalistischen Rahmen[2].

Interessanterweiser wirkten sich diese Gegensätze anscheinend kaum auf die Wahrnehmung von privatem und staatlichem Schulwesen aus: Bis heute schicken libanesische Eltern, soweit sie es vermögen, ihre Kinder lieber auf Privatschulen. Diese genießen einen deutlich besseren Ruf und verfügen über wesentlich modernere Einrichtungen[3] – ob die Schulen allerdings mental eher spalten, denn einen spielt dabei offensichtlich kaum eine Rolle. Dementsprechend hielt sich die Bildungspatronage auch im Nachkriegslibanon, schließlich bestimmte die Nachfrage nach guten Abschlüssen und damit Zugang zu Jobs und Ressourcen, nicht die Aufarbeitung der Vergangenheit die Rolle des Privatschulwesens[4].

Die Jugendlichen wiederum konnten es sich teilweise erlauben, sich diesen Fragen zu entziehen, schließlich bot die neu florierende Konsumkultur genug Ablenkungsmöglichkeiten – Resignation und Politikverdrossenheit wurden deutlich sichtbar und erinnern an ähnliche Muster in westlichen Gesellschaften[5]. Wenn sie doch nach Antworten suchten, so fanden sie sie oft genug bei den politischen Parteien, von denen der Großteil in die Nachkriegsordnung eingebunden wurde[6].

Strukturell besaßen viele Parteien und Politiker immer noch großen Einfluss auf Bildungseinrichtungen und waren kaum bereit so viel Einfluss und Prestige zugunsten zentralisierter Standards aufzugeben, auch wenn sie selbst Mitglieder der Regierung waren. Ideologisch und persönlich waren sie zudem tief verstrickt in die Geschehnisse des Bürgerkrieges, so dass den wenigsten eine wirkliche Aufarbeitung im Rahmen des Erziehungswesens am Herzen lag[7].

Unter diesen Bedingungen verfügten die Reforminitiativen zum Bildungswesen also über denkbar schlechte Ausgangsvoraussetzungen.

Die gescheiterten Bildungsreformen der 1990er Jahre

Ebenso wie seine Vorgänger Verfassung und Nationalpakt erwies sich auch das dritte Gründungsdokument der Libanesischen Republik in seinen Vorgaben vage und interpretationsoffen[8]. Das Taif-Abkommen versuchte wieder einmal den Ausbau des staatlichen Schulwesens und den gleichzeitigen Schutz des Privatschulwesens miteinander in Einklang zu bringen. Zudem sollte an die schon vor dem Krieg geplanten Standardisierung in Curricula und Lehrmittel angeknüpft werden[9].

Zu diesem Zweck wurde das Educational Centre for Research and Development (ECRD[10]), eine Unterabteilung des Bildungsministeriums, ins Leben gerufen. Erstmals in der libanesischen Geschichte sollten Curricula und Lehrmittel auf Basis erziehungswissenschaftlicher Forschung erstellt werden, gefördert wurde die Initiative von UNESCO[11].

Zwar ging es um eine Neuausrichtung aller Fachbereiche, dennoch wurde bald klar, dass der Bereich Geschichte eines der wichtigsten und das zugleich umstrittenste Feld darstellte. 1994 wurde ein Bildungsplan vorgestellt, der auch diesen Bereich umfasste und einen einheitlichen Lehrplan sowie einheitliche Lehrbücher enthielt[12]. Wie zu erwarten war, scheiterte die Umsetzung am Widerstand der Religionsgemeinschaften. In sonst seltener Einmut machten sie damit ihren Anspruch auf Bildungsautonomie und -autorität deutlich[13]. Vielleicht aber scheiterte das CERD auch an seinen unrealistischen Zielvorgaben zur Konstruktion einer libanesischen Identität. Die Forscher lehnten konfessionelle Geschichtssichten zwar ab, versuchten stattdessen aber einen einheitlichen „homo libanicus“ herbeizuschreiben[14].

Bereits im nächsten Jahr präsentierte das CERD einen neuen Ansatz. So sollte das Fächerspektrum um Staatsbürgerkunde und gemeinsamen Religionsunterricht erweitert werden, die Reform des Geschichtsunterrichts hingegen erst einmal vertagt.

Während die Etablierung des Staatsbürgerkundeunterrichts bis heute als der wohl größte Erfolg des Zentrums gesehen werden kann[15], stieß der interkonfessionelle Religionsunterricht auf den Widerstand der Religionsgemeinschaften, die sich keine Einmischung in ihr ureigenes Metier bieten ließen[16].

Erwartungsgemäß erging es auch dem überarbeitem Plan für den Geschichtsunterricht nicht anders. Der neue Curriculum war darauf bedacht, die sonst sehr verschieden gewichteten historischen Epochen gleichwertig zu behandeln, endete jedoch mit der libanesischen Unabhängigkeit 1943[17]. Schlimmer noch, gab es immer noch keine verbindlichen Geschichtsbücher, da auch der bislang letzte Versuch solch eines zu veröffentlichen vom damaligen Bildungsminister höchstpersönlich unterbunden wurde. Diesmal warf man den Forschern vor, Libanon habe im neuen Lehrbuch gar keine erkennbare Identität. Wenn diese Erkenntnis auch näher an der Wahrheit gelegen haben mag, als die Konstruktion einer einzelnen, distinkt libanesischen Identität, so war das Ergebnis für die Politik untragbar, schließlich war doch gerade Identität zum Vehikel für Loyalität vorgesehen[18].

Die Abwesenheit standardisierter Lehrbücher betraf sowohl den staatlichen als auch den privaten Bildungssektor. Während in den staatlichen Schulen weiterhin mit den veralteten, letztmalig Ende der 60er Jahre überarbeiteten Büchern Vorlieb nehmen mussten, verwendeten die konfessionellen Privatschulen weiterhin ihre eigenen Lehrmittel und entzogen sich somit den staatlichen Reformbemühungen[19].

Die Auseinandersetzung um ein neues Geschichtslehrbuch offenbarte mehrere inhärente Schwachstellen der Bildungsreform. Das prinzipielle Problem bestand in der auch nach Taif beibehaltenen Arbeitsteilung von Bildungsministerium und Religionsgemeinschaften. So sollte die Behörde nationale Standards in den Curricula schaffen, während die Gemeinschaften weiterhin über Personal, Lehrmethoden und –mittel in ihren Schulen entschieden[20]. Besonders letzteres aber stand im Mittelpunkt der Reformbemühungen und sollte mit den Curricula in Einklang gebracht werden. CERD schaffte weder dies, noch konnte sie einen vollständigen Curriculum inklusive des Bürgerkrieges durchsetzen. Eindeutig zogen die Bildungsforscher im Kompetenzgerangel gegenüber den Religionsgemeinschaften den Kürzeren. Entscheidungen im Bildungsbereich wurden nicht aufgrund ihrer Expertise, sondern auf politischen Druck hin getroffen[21]. Zudem wurde die Autorität des Zentrums durch konkurrierende Bildungsressorts innerhalb der Regierung unterlaufen, deren Kompetenzen sehr unklar abgegrenzt waren und wohl mehr behinderten denn halfen[22].

Kein Wunder also, dass sich viele Forscher bald frustiert vom CERD abwandten. Doch selbst wenn die Pläne des CERD Eingang in libanesische Klassenräume gefunden hätten, so oblag deren konkrete Umsetzung den Lehrkräften. Zwar hatte es für die staatlichen Schulen Pläne für Lehrerfortbildung, letztendlich scheiterten diese an der fehlenden Rückendeckung durch die Regierung, während in den privaten Schulen jegliche Personalfragen in den Kompetenzbereich der Religionsgemeinschaften lagen[23]. Das für diesen Fall vorgesehene staatliche Inspektionsrecht war wohl kaum mehr als ein Feigenblatt, in Wirklichkeit hatten die Behörden kaum Möglichkeiten tatsächlich zu prüfen, ob vorgegebene Standards auch eingehalten wurden[24]. Die in allen Sektoren notorische Korruption tat ihr Übriges, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten, so dass der Geschichtsunterricht auf diesem Wege wohl kaum mehr zu reformieren war.

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[1] Fattah, Hassan: “A Nation With a Long Memory, But a Truncated History“, in: The New York Times 10.1.2007.

[2] Volk untersuchte 1999 mit einem anthropologischen Ansatz diesen Generationenkonflikt. Vgl.: Volk, Lucia: Everyday Lives of a New Generation: Growing up Across "Continua of Cultural Space", San Domenico, 2001, S. 4, 18.

[3] Frayha (2002): S. 8.

[4] Rafiq al-Hariri (1944-2005) und sein rasanter Aufstieg in den 90er Jahren ist nur eines von vielen Beispielen. Vgl.: Klaus: S. 41.

[5] So auch mein persönlicher Eindruck weiter Teile der libanesischen Jugend.

[6] Fattah.

[7] Einzig Geagea, Führer der Lebanese Forces, wurde (allerdings wegen Verbrechen nach dem Bürgerkrieg) 1994 verurteilt, 2005 jedoch begnadigt und ist heute Mitglied der Regierungskoalition. Auf die Lebanese Forces wird später noch kurz eingegangen, da sie als einzige nennenswerte Bürgerkriegspartei zeitweise verboten wurde und sich relativ spät in die Nach- Taif -Ordnung fügte.

[8] Inati: S. 6.

[9] “La révision et le développement des programmes dans le but de renforcer l’appartenance et l’intégration nationales, et l’ouverture spirituelle et culturelle, ainsi que l’unification du livre scolaire dans les matières d’histoire et d’éducation nationale“, gefunden unter: http://fr.wikisource.org/wiki/Accord_de_Taef.

[10] Al-Markaz Al-TarbawÍ lil-Bu½ÚÝ wal-InmÁÿ.

[11] Frayha (2003): S. 84-86.

[12] Abouchedid / Nasser / Van Blommestein: S. 3 sowie Farah-Sarkis, Fairouz: “Educational Policy-making and Research: The Case of Lebanon“, in: Rokicka, Wanda (Ed.): Educational Documentation, Research and Decision-making, Paris (Unesco), 1999, S. 176.

[13] Ebd.: S. 4.

[14] Mouzoune, Abdelkrim: “From the Duty to the Need to Live Together in Lebanon“, in: Prospects 28,2 (1998), S. 214.

[15] Kriener, Jonathan: „Was Heißt Hier Eigentlich Libanesisch? Wie die Entwicklung von Schulbüchern die Libanesische Identität Herausfordert“, in: Der Arabische Almanach 2004/05, S. 24.

[16] Der Kompromiss bestand in optionalem Religionsunterricht, getrennt nach Konfession. Vgl.: Inati: S. 7.

[17] Vgl.: Sanjakdar, Kamal: “Rewriting Lebanon’s History Remains Complicated“, in: Alternative Online 15.9.2003.

[18] Der geschasste Leiter des CERD ist der hier mehrfach zitierte Nemer Frayha, der seitdem seine Kritik an der mangelhaften Bildungsreform nach außen trägt. Vgl.: Fattah sowie Quilty, Jim: “Separate Learning. Learned Separateness“, in: The Daily Star 19.2.2007.

[19] Fattah.

[20] Mouzoune: S. 210.

[21] Farah-Sarkis: S. 177.

[22] Ebd.: S. 174.

[23] Inati: S. 10.

[24] Frayha (2003): S. 88.