Samstag, 31. Januar 2009

Israels illegale Siedlungen im Westjordanland

Die israelische Regierung unterstützt seit Jahren den Bau von Siedlungen und Siedlungserweiterungen, die selbst nach israelischem Recht nicht zulässig sind. In 75% der 118 von Israel offiziell anerkannten Siedlungen in der West Bank haben Siedler mit Billigung des israelischen Staates Gebäude ohne Baugenehmigung und teilweise auf privatem palästinensischen Grundbesitz errichtet. 

Straßen, Schulen, Synagogen und selbst Polizeistationen wurden auf Privatland errichtet, dass Palästinensern gehört. Ganze Wohnviertel entstanden ohne rechtliche Grundlage während gleichzeitig immer wieder Häuser von Palästinensern abgerissen werden, die angeblich ohne Genehmigung erbaut wurden.

Dies geht aus einem Geheimbericht des israelischen Verteidigungsministeriums hervor. Diese Datenbank wurde zwischen 2004 und 2006 von Brigadegeneral Baruch Spiegel zusammengestellt. Der Bericht war vom damaligen Verteidigungsminister Shaul Mofaz in Auftrag gegeben worden, um Israel vor Klagen gegen den Siedlungsbau zu schützen. Der jetzige Ressortchef Ehud Barak lehnte seine Veröffentlichung ab, da die Informationen Israels Sicherheit gefährden und seinen außenpolitischen Beziehungen schaden könnte.

Nun wurde der Spiegel-Bericht allerdings der israelischen Tageszeitung Haaretz zugespielt, die ihn am Freitag in Teilen veröffentlichte. Die Menschenrechtsorganisation Yesh Din kündigte am Freitag an, sie wolle auf Grundlage der Datenbank enteigneten Palästinensern dabei helfen, Israel zu verklagen und Entschädigungszahlungen zu erhalten. Nach Ansicht von Yesh Din zeige der Bericht, dass Israel seine eigene Unterscheidung zwischen "legalen" Siedlungen und illegalen Außenposten ignoriere.

Von den meisten Völkerrechtlern wird die Besiedlung des 1967 von Israel eroberten Westjordanlandes ohnehin als illegal betrachtet. Israel argumentiert, dass der Siedlungsbau keinen Bevölkerungstransfer in Besetzte Gebiete sondern die freiwillige Rückkehr von Menschen ins Land ihrer Vorfahren darstelle und somit rechtmäßig sei. Heute leben etwa 290000 israelische Siedler in der West Bank. 

Offiziell erklärt Israels Regierung, etwa auf der Internetseite des Außenministeriums: "Israel requiriert kein privates Land für den Siedlungsbau". Der Spiegel-Report überführt die Regierung der Lüge.     

Die Spiegel-Datenbank beweist Tatsachen, die eigentlich seit Jahren bekannt sind. Das Ausmaß der Komplizenschaft der israelischen Regierung beim Bau der Siedlungen mag überraschen, dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Veröffentlichung Konsequenzen haben wird. 

Der Sasson-Bericht, der sich mit den so genannten "illegalen Außenposten" in den Besetzten Gebieten befasste und 2005 veröffentlicht wurde, blieb folgenlos. Diese Outposts auf palästinensischen Privatbesitz existieren nach wie vor in großer Zahl, ohne dass Israel entschieden dagegen vorgeht. Jüngste Luftaufnahmen der Menschenrechtsorganisation Peace Now belegen, wie diese Außenposten in den letzten Monaten immer größer wurden.

Wenig deutet auch darufhin, dass sich nach den Knessetwahlen etwas zum Positiven ändern wird. Die wahrscheinlich stärkste Partei, der Likud, betrachtet die Siedlungen als "Verwirklichung zionistischer Werte" und steht für eine weitere Stärkung der Siedlerbewegung. Einen unabhängigen Staat westlich des Jordans lehnt die Partei von Benyamin Netanyahu ab.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Shooting Rabbits - Ein Bericht aus Gaza

Liebe Leser,

ein deutscher Freund, der in Jerusalem arbeitet, hat neun Tage nach Kriegsende den Gazastreifen besucht und sich ein Bild von der Lage gemacht.


Shooting Rabbits

In den Gazastreifen zu fahren ist eine Sache. Eine andere, wieder rauszukommen. Neun Tage nach Ende des Kriegs sind wir zu dritt nach Gaza aufgebrochen. Unseren Kollegen besuchen, sich mit Projektpartnern treffen, planen was wir dort unter den Umständen noch machen können. Gaza ist ein Trümmerhaufen. Auch politisch. Keine Ahnung wie das da weitergehen soll. Die Hamas räumt die Straßen auf und regelt den Verkehr, derweil die Leute unterwegs sind, um Nahrungsmittel und Material zum provisorischen Flicken von Granatenlöchern und Brandschäden zu suchen. Richtige Baumaterialien werden immer noch nicht reingelassen.

Der Tunnelhandel entwickelt sich langsam aber sicher wieder. Von den ca. 1400 Tunneln zwischen Gaza und Ägypten, hat Israel die meisten zerstört, aber nicht alle. So etwa 100 waren wieder in Gange als wir in Rafah an der Grenze zu Ägypten waren. Und an den anderen wird fleißig gebaut. Eine riesige Zeltstadt markiert das Terrain - jedes weiße Zelt ein Tunneleingang.
Besonders gut funktionieren die Benzin- und Dieseltunnel - selbst wenn sie bombardiert wurden. Die Schläuche in den Tunneln sind meist heil geblieben. Benzin ist in Gaza billiger als in Ramallah...

Warum dieser Krieg - fragt man sich. Hamas und die anderen Milizen haben immer noch Raketen, der Tunnelhandel blüht weiter, weil die Blockade nicht aufgehoben wurde. Zwar fliegen gerade keine Raketen nach Israel, aber wenn die Blockade nicht bald aufgehoben wird, ist
sicher bald Schluss mit der Feuerpause. Hamas hat im Westjordanland an Anhängern gewonnen, in Gaza allerdings auch einige Fans verloren, weil sie von manchen für den Krieg mitverantwortlich gemacht werden. Aber sie sind dort immernoch klar an der Macht. Die Straßen sind grün beflaggt, Hamasleute verteilen Hilfsgüter und Geld für die Geschädigten, wenn auch nicht so viel, wie sie versprechen.

Und Bedürftige gibt es genug. 22.000 Wohnungen beschädigt, 4000 Häuser zerstört - Schulen, öffentliche Einrichtungen - Schutt wo man hinkommt. Manchmal liegt ein ganzer Stadtteil in Asche - anderswo ist "nur" ein vereinzeltes Haus geplättet und die Häuser rundrum beschädigt. Kinder spielen im Sand der Bombenkrater. Überall riecht es nach Abwasser, weil fast überall die Kanalisation getroffen und beschädigt wurde. Material, dies zu beheben, gibt es kaum.

Im UN-Hauptquartier sehen wir die Reste einer von Phosphormunition abgebrannten Lagerhalle, eingeschmolzene Medizinreserven, verkohlte Konserven. Und keiner glaubt, dass das ein Versehen war. Als es passierte, hagelte es internationale Kritik, die IDF spricht von einem Versehen. Zwei Stunden später wird wieder auf dieselbe UN-Lagerhalle geschossen - mit Phosphorbrandbomben - und die Hilfsgüter stehen in Flammen.

Wir sind über Nacht geblieben. Im Restaurant des Hotels Al-Deire trifft man viele Bekannte aus Jerusalem und Ramallah: Ben von AP, Sheera von der Times, Taghreed von der New York Times, Leute vom Spiegel. Ayman, das berühmte Reportergesicht von Al-Jazeera International, der während des ganzen Krieges vor dem Mikro stand, während es um ihn herum Granaten regnete. Es gab kein Bett mehr im Al-Deire - wir mussten nach nebenan ins Beach Hotel. Ein Raum hat kein Fensterglas mehr - Plastikfolie. Trotzdem 130 Dollar für ein Zimmer - die Journalistenflut und ein paar zerbombte Hotels tun einiges für die Marktentwicklung.

Am nächsten Tag erfahren wir von einem Zwischenfall, der sich gerade ereignet hat - ein israelischer Jeep ist an der Grenze auf eine Mine gefahren - ein Soldat starb dabei. Man hört jetzt das Summen israelischer Militär-Drohnen in der Luft, eine schießt im Süden des
Gazastreifens auf einen palästinensischen Motorradfahrer, eine Qassam fliegt nach Israel - die Sache droht wieder zu eskalieren.

Unser Kollege aus dem Gaza-Büro fährt uns zur Grenze - nach Erez, obwohl wir gehört haben, dass der Übergang geschlossen wurde. Wir wollen versuchen, wieder nach Jerusalem zu fahren. Erez ist zu - das wird uns schon am zur Sicherheit zurückverlegten Hamas-Checkpoint
gesagt und etwas weiter am Koordinierungscontainer des palästinensischen Präsidialamtes (Khamsa Khamsa) bestätigt.

Wir sind nicht allein. Journalisten stehen da auch schon und warten; Spiegel Online, SZ, Finnisches Fernsehen, außerdem 5 gepanzerte Diplomatenjeeps, Franzosen, Holländer, Schweizer, Schweden, Norweger. Langsam wird es dunkel, die Presseverteter machen sich auf den Rückweg nach Gaza-Stadt, nachdem sie ein paar verstimmte Diplomaten interviewt haben. Wir bleiben, weil ja überhaupt nicht klar ist, ob der Übergang am nächsten Tag geöffnet sein wird. Der stellvertretende Leiter des niederländischen Vertretungsbüros - Hans - ist auch da.
Ich kenne ihn von einem Empfang - er bietet uns Plätze in seinem Jeep an. Wir nehmen gern an - zumindest für die 500 m bis zur Mauer, hinter der unser Auto steht. Wir warten. Und warten.

Ca. 100 Telefonanrufe und 5 Stunden später können wir fahren, heißt es zumindest. In der Zwischenzeit hatten die Diplomaten ihre Botschaften und dann auch die Außenministerien in Den Haag, Paris, Stockholm etc. eingeschaltet. Und das Rote Kreuz. Auf der israelischen Seite findet man immer neue Gründe, uns warten zu lassen - es wird zunehmend surrealer:

Fünfte Wartestunde: Colonel Moshe Levy am Telefon mit Hans: "Hans - how are you?" Hans: "Well, I am cold. What is it this time, Colonel?"
Mal ist keiner mehr zum Stempeln da, dann haben die Sprengstoffhunde Feierabend, dann hat das IDF-Südkomando den Checkpoint übernommen und den Prozess von vorn begonnen. Wir erfahren nach fünf Stunden Warten außerdem von Colonel Moshe, dass es so lange dauert, weil es ja schon so spät ist. Man fühlte sich spontan an die Worte unserer Kanzlerin erinnert, die ja kurz nach Beginn des Gaza-Kriegs davor warnte, Ursache und Wirkung zu vertauschen.

Plötzlich dürfen wir fahren. Aber nur 2 Autos. Hans: "Alle oder keiner." Warten.

Hans ruft den Botschafter an, der den Außenminister. Warten. Der Teeladen - ein Arbeitsbeschaffungsprojekt der EU - hat inzwischen auch zu.

Hans' Telefon klingelt - Moshe ist dran: "Hi Hans, How are you?" Hans: "Still alive, Colonel. You know, it is rather smelly here. And cold." Moshe informiert, dass nun alle fahren können, aber die Autos müssen durchsucht werden. Entsetzen macht sich breit, der französische Generalkonsul ruft wieder eine Gruppensitzung ein: "Auf keinen Fall werden diplomatische Autos durchsucht! Ridicule! Impossible!" Man ist sich einig. Solidarisches Weiterwarten...

Irgendwann gegen halb 9 können wir dann doch losfahren - nachdem noch mal das israelische Außenminsisterium angerufen hatte, um alle unsere Passnummern (zum xten Mal) aufzunehmen... Man hat einen Kompromis gefunden, unglaublich, was Hunger und Kälte so möglich machen.

Es sind nur 500 Meter bis zum Tor in der Mauer - kurz vor dem Tor - Schüsse. Dann nochmal.
Wir halten an und tauchen ab. Eine palästinensische Frau mit ihrem kleinen Sohn, die gerade aus dem Terminal gekommen war, sucht Deckung und findet keine - geht dann einfach weiter... der Junge zittert.

Hans ruft Moshe an:
Moshe: "Hans - How are you?" Hans: "This is totally unacceptable. You tell us to come and then you fire at us?" Moshe: "We did? Wait a sec - (Hebrew shouting - it sounds honestly concerned)" Moshe: "No - we were not shooting at you" Hans: "So you were shooting rabbits, then?..." Moshe verspricht, das zu prüfen. Warten...

Wir sind dann gegen 21 Uhr - nach 6 Stunden Warten - endlich rausgekommen. Ein israelischer Sicherheitsmann am Colaautomaten mit M 16-Spezialversion auf die Frage hin, ob er geschossen habe: Das sei ein großer Fehler gewesen. Aber seine Truppe sei es nicht gewesen, sondern die israelische Armee.

Na dann.


Das Image der USA im Nahen Osten

Die Verbesserung der Beziehungen zur islamischen Welt ist eine der Prioritäten für Barack Obamas Außenpolitik. Eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinsitut Gallup legt nahe, dass diese Aufgabe nicht leicht sein wird. Zwischen 2006 und 2008 äußerten sich in Befragungen im Schnitt nur 15% der Teilnehmer in Nordafrika und dem Nahen Osten positiv über die politische Führung in Washington.

Die Umfrageteilnehmer wurden auch danach befragt, mit welchen Schritten die US-Regierung das Image ihres Landes in der Region verbessern könnten. In fast allen Staaten wurde der Abzug der US-Armee aus dem Irak als oberste Priorität genannt. Ausnahmen waren lediglich der Iran und Libanon, wo ein umfangreicherer Technologietransfer, beziehungsweise größere humanitäre Hilfe zur Armutsbekämpfung an erster Stelle benannt wurden.

In Syrien erklärte mehr als die Hälfte der Befragten, der Abzug aus dem Irak habe höchste Priorität. Mehr Wirtschaftshilfe und eine weitere Demokratisierung der Region nannten nur drei von zehn Umfrageteilnehmern. In Syrien äußerten sich bei der jüngsten Fragerunde im Sommer 2008 nur 4% der Befragten zufrieden mit der US-Führung. Kaum höher liegt dieser Wert mit 6 beziehungsweise 9 Prozent in Ägypten und Jordanien, zwei engen Verbündeten Washingtons in der Region.

In vielen Ländern ist die ohnehingeringe Zustimmung zur amerikanischen Politik in den vergangenen Jahren weiter gesunken. in Jordanien fiel sie im Vergleich zum Vorjahr von 18 auf 6%, im Libanon fiel sie seit 2005 gar von 40 auf 25%. Interessanterweise ist laut der Umfrage die Zufriedenheit mit der US-Führung im Iran größer als bei den traditionellen arabischen Verbündeten, obwohl Washington und Teheran seit fast drei Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten. Nur in Algerien äußerten sich 2008 mehr Leute zufrieden mit der US-Politik als zuvor.

Einige Punkte sollten bei der Bewertung der Umfrageergebnisse beachtet werden. Die 1000 Interviews wurden zwischen Mai und August 2008 geführt, also vor der Wahl Barack Obamas zum amerikanischen Präsidenten. Außerdem gibt es keine Resultate, die Aufschluss darüber geben, wie ein Wandel der US-Politik hinsichtlich des israelisch-palästinensischen Konflikts im Nahen Osten aufgenommen werden würde. "Gallup hat die Befragten gebeten Schritte, die Israel betreffen, zu bewerten aber diese Daten sind derzeit nicht verfügbar", erklärte das Umfrageinstitut.

Dienstag, 27. Januar 2009

Irak - Vor den Provinzwahlen am Samstag

Am 31. Januar werden in 14 von 18 Provinzen des Irak neue Regierungen gewählt. Mehr als 14000 Kandidaten, darunter fast 4000 Frauen, bewerben sich um insgesamt 444 Sitze in den Provinzräten. In den drei kurdischen Provinzen, sowie dem zwischen Arabern und Kurden umstrittenen Gouvernorat Kirkuk wird nicht gewählt.

Die Wahlen dienen als wichtiger Stimmungsmesser für die irakischen Parlamentswahlen, die frühestens im Dezember 2009 stattfinden sollen. Mit Spannung wird erwartet, welche Gruppierung in den sunnitischen Provinzen die meisten Stimmen erhält. In der Provinz Anbar machten bei den letzten Provinzwahlen 2005 nach einem Boykottaufruf nur 2% der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die aussichtsreichsten Kandidaten in dieser Region stützen sich auf ihren Rückhalt unter den lokalen Stammesführern, die in den letzten Jahren im Kampf gegen al-Qaida massiv von den USA gefördert und protegiert wurden.

In den 10 mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gouvernoraten hofft Ministerpräsident Nuri al-Maliki seine Position zu stärken. Größter Konkurrent seiner Dawa-Partei dürfte der Oberste Islamische Rat unter Führung der Gelehrtenfamilie al-Hakim werden. Die Sadr-Bewegung tritt nicht als eigenständige Partei an. Sie unterstützt jedoch zwei Wahllisten auf denen einige ihrer Mitglieder auftauchen.

Anders als noch 2005 kann vor diesen Wahlen wegen der verbesserten Sicherheitslage ein öffentlicher Wahlkampf geführt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Maßnahmen zur Verbesserung des täglichen Lebens, also eine stabile Versorgung mit Elektrizität und Trinkwasser, sowie Impulse zur Stärkung der Wirtschaft. Umfragen im Vorfeld der Wahlen zeigen eine wachsende Zustimmung für säkulare Parteien. Ob sich dies auch im Wahlergebnis niederschlagen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Der höhere Organisationsgrad und die tiefere lokale Verwurzelung der religiösen Parteien, dürfte letztere stärken.

Große Auseinandersetzungen gab es in den letzten Monaten um eine Quotenregelung für Frauen und religiöse Minderheiten. Schließlich wurden den Minderheiten 6 der insgesamt 444 Sitze garantiert. In Ninavah erhalten Christen, Yazidi und Shabak je einen Sitz, die Christen in Basra und Bagdad erhalten ein beziehungsweise zwei Mandate.

Hinsichtlich der Frauenquote wurde folgende Regelung getroffen: Gewinnt eine Liste mehr als zwei Mandate, geht der dritte Sitz an eine Frau aus der Liste. Da auf Grund der Vielzahl der antretendenden Parteien und Listen jedoch nur wenige Gruppierungen mehr als drei Sitze erringen dürfte, befürchten Viele einen geringen Frauenanteil in den Provinzräten. In der ursprünglichen Version des Wahlgesetzes war eine feste Frauenquote von 25% vorgesehen, die nach Protesten jedoch zurückgenommen wurde.

Neben den genannten Aspekten liefern Verlauf und Ausgang der Regionalwahlen einen Hinweis darauf, wie realistisch der vom neuen US-Präsidenten Barack Obama geplante zügige Abzug der US-Armee aus dem Irak tatsächlich ist.

Montag, 26. Januar 2009

Ägypten - Zum Geburtstag der Polizei

Philipp berichtet von einem Protest gegen die Polizei gestern in Kairo:

Gegen 11.00 Uhr haben sich ca. 50-60 Fotografen vor dem Gebäude des ägyptischen Journalistenverbandes im Kairoer Stadtteil Isa'af versammelt. "Die Polizei ist ein Lakai der Pharaonen. Die Polizei stützt die ägyptische Diktatur" dröhnt aus einem Megaphon.


Die kleine Demonstration zum nationalen Polizeitag kommt nur schleppend in Gang. "Ein Polizeigeschenk für das Volk", steht auf den offensichtlich spontan gedruckten Schwarz-Weiß-Plakaten mit Abbildungen des gewaltsamen Vorgehens gegen Journalisten und Fotografen.

Es ist eine Reaktion ägyptischer Fotografen auf ihre gewaltsame Arbeitsbehinderung durch die Polizei, allen voran auf Demonstrationen der Muslimbrüder. Tage zuvor ging der Fall des al-Masri al-Jaum-Fotografen Muhammad Husam Ad-Din durch die Tagespresse, dem auf einer Demonstration der Muslimbrüder am 15.01.2009 gegen den Krieg in Gaza seine Kamera gewaltsam entrissen, und bisher nicht wieder ausgehändigt wurde.

Die Fotografen der größten Regierungs- und Oppositionszeitungen nahmen den nationalen Polizeitag, der an das Blutbad unter ägyptischen Polizisten in Ismailiyya 1952 durch die britischen Besatzungskräfte erinnern soll, zum Anlass gegen die gewaltsamen Maßnahmen der Polizei zu protestieren. Große Aufmerksamkeit wurde der überschaubaren Demonstration allerdings nicht geschenkt.

Bis 11.30 Uhr hatten sich an die 80 Personen versammelt, wovon wohl 20%, unverkennbar an den dunkelblau/schwarzen Jackets und den breiten Schnauzern, zivile Beamte der Amn al-Daula waren.

Freitag, 23. Januar 2009

Israel - Wahlkompass für die Knessetwahlen

Am 10. Februar wird in Israel ein neues Parlament gewählt. 34 Parteien haben Kandidatenlisten eingereicht. Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes dürfen auch die arabischen Gruppierungen Balad und Ra'am-Ta'al bei den Knessetwahlen antreten, nachdem das zentrale Wahlkommittee ihnen die Teilnahme zunächst verwehrte.

Um den Israelis die Wahlentscheidung zu erleichtern, hat das Israel Democracy Institute in Zusammenarbeit mit der Onlineausgabe der Yedioth Ahronoth einen Wahlkompass erstellt. Ähnlich wie beim Wahlomat in Deutschland können die Wähler hier ihre Zustimmung oder Ablehnung zu 30 Statements bekunden. Anschließend werden Übereinstimmungen zu den Wahlprogrammen der Parteien abgeglichen.

Der Kompass umfasst drei Politikfelder: Außen- und Sicherheitspolitik, Sozial- und Wirtschaftspolitik, sowie Religion und Staat. Außerdem sollen die Nutzer die Qualitäten der drei Spitzenkandidaten Ehud Barak, Tzipi Livni und Benyamin Netanyahu beurteilen.

Der Wahlkompass ist auch für Nichtisraelis sehr interessant, da er einen guten Einblick in die israelische Parteienlandschaft bietet, die Positionen der verschiedenen Listen dokumentiert und jederman testen kann, welcher Partei anhand von Sachfragen er am ehesten zuneigen würde.

Ich hatte die größte Übereinstimmung mit der Meretz-Partei, knapp vor der Arbeitspartei und Ra'am-Ta'al. Wie sieht es bei euch aus?

Donnerstag, 22. Januar 2009

Libanesische Behörden schließen Daily Star Lebanon

Der Daily Star, die älteste und vielleicht wichtigste englischsprachige Zeitung im Nahen Osten, publiziert seit dieser Woche nicht mehr. Nachdem das Blatt 1,7 Millionen Schulden angehäuft hatte, ordnete ein libanesisches Gericht die sofortige Schließung an. Chefredakteur Jamil Mroueh zeigten sich überrascht als am Mittwoch, inmitten des Arbeitstages, die Polizei das Urteil vollzog und die Redaktion in Beiut auflöste. Mroueh äußerte die Hoffnung, dass die Schließung lediglich vorübergehend sei und man sich mit dem Gericht sowie den Financiers der Zeitung einigen könnte.

Kamal Mroueh, der Vater des heutigen Chefredakteurs, hatte den Daily Star 1952 gegründet. Nach einer zwangsweisen Unterbrechung im Bürgerkrieg nahm die international besetzte Redaktion ihre Arbeit 1996 wieder auf. Ab 2000 erschien das Blatt in Kooperation mit dem International Herald Tribune. Zielgruppen der Zeitung, die bei innerlibanesischen Spannungen zumeist neutral blieb und verschiedene Konfliktparteien zu Wort kommen ließ, sind neben der ausländischen Community im Libanon vor allem Auslandslibanesen in Nordamerika und Australien. Diese nutz(t)en vor allem den Onlineauftritt der Zeitung, der allerdings seit dem 14.1. auch eingestellt wurde.

In den kommenden Tagen werden wir uns um ein Statement eines befreundeten Journalisten bemühen, der bis gestern noch beim Daily Star angestellt war.

Mittwoch, 21. Januar 2009

Obamas Amtseinführung in der arabischen Presse

Natürlich ist auch in der arabischen Presse die Amtseinführung Barack Obamas heute das dominierende Thema. Hier einige Auszüge aus den Meinungsartikeln verschiedener Zeitungen:

"Yes We Can" - Wird dieser Slogan des neuen US-Präsidenten Barack Obama eine Veränderung der amerikanischen Nahostpolitik bringen? Wird er in der Lage sein Israel, einen traditionellen Verbündeten der USA, zu überzeugen, dass die Zeit gekommen ist, der Initiative König Abdullahs zuzustimmen und einen gerechten und umfassenden Frieden im Nahen Osten zu finden?

[...]

Es ist Zeit, dass sich die westliche Welt bewegt und unter der Führung des amerikanischen Präsidenten Druck auf Israel ausübt, seine Siedlungspolitik sowie die Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser aufzugeben. Der Gazakrieg zeigte die Brutalität der israelischen Streitkräfte, die Krankenhäuser, Zivilisten und Kinder tötete und nicht aufhört das Blut der Palästinenser zu vergießen. Die Hamas existiert weiterhin, ist aktiver denn je geworden und wird in Palästina eine Rolle spielen, durch eine zu bildende Regierung der Nationalen Einheit.

Der Krieg in Gaza ähnelt dem Krieg gegen den Libanon 2006, der Zerstörung und den Tod Unschuldiger gebracht hat und jene Kräfte stärkte, die Israel auslöschen wollte. Wird das Blutvergießen der Palästinenser ewig weitergehen oder wird die arabische Friedensinitiative zur Grundlage einer neuen US-Außenpolitik unter Obama?

Der Beobachter der US-Politik kann nur das sagen, was von Rashid Khalidi bestätigt wurde. Die Regierung Obama kann ihre strukturelle Allianz mit Israel nicht verändern, aber die Hoffnung ist gestattet, dass sich die politische Intelligenz und Kreativität durchsetzt um eine dauerhafte Lösung der palästinensischen Sache zu finden, die Hass und Gewalt gegen den Westen in den arabischen Völkern gesät hat, die Israel als einen amerikanischen Soldaten in der Region betrachten dem ohne Rechenschaftspflicht alles erlaubt wird.

Am 2. April wird Obama wird Obama in London zum ersten Mal mit der internationalen Gemeinschaft zusammenkommen, wo Premierminister Gordon Brown zu einem internationalen Wirtschaftsgipfel eingeladen hat. Der Gipfel ist geeignet um Obama mit den europäischen und arabischen Staatschefs zusammenzubringen und eine Chance mit den verschiedenen Parteien eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts zu erreichen.

Die Fragen mehrten sich hinsichtlich dessen, was Obama in der Palästina-Frage zu tun gedenkt, besonders deshalb, weil er keinen detaillierten Plan für seine geplanten Schritte vorlegte und sich auf Äußerungen beschränkte, gemäß derer er einen allgemeinen Frieden beider Völker forderte und laut derer er eine aktive Rolle bei der Beilegung des Konflikts spielen werde. Niemand erwartet von einem amerikanischen Präsidenten, dass er Israel nicht unterstützt, bei was immer sie wollen. Wir kennen das Ausmaß des zu erwartenden Drucks auf den amerikanischen Präsidenten. Starke Interessengruppen und jüdische Organisationen haben die Mittel die Ministerien und die Gremien der politischen Entscheidungsfindung zu beeinflussen.

[...]

Obamas mysteriöses Schweigen während der Ereignisse in Gaza ist kein Zeichen dafür, dass ein fundamentaler Wandel hinsichtlich des palästinensischen Problems eintreten wird. Aber es besteht immer noch Hoffnung angesichts einer Gruppe von Leuten um ihn herum, die die absolute Einseitigkeit für Israel kritisierten, auch wenn es in seinem Team Leute gibt, die für ihre Voreingenommenheit für Israel bekannt sind und die Besatzung ignorieren.

Es ist wahr, dass die Demokratie von einer Gang Neo-Konservativer gekidnappt und dann dazu benutzt wurde, Krieg zu führen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen wie es im Irak und in Afghanistan geschehen ist und um israelische Massaker gegen die Araber in Libanon, Palästina und Ägypten zu unterstützen. Aber es ist auch wahr, dass es ihnen gelungen ist, ein Land, das aus Einwanderern verschiedener Rassen und Religionen zusammengesetzt ist, zur größten Macht in der Geschichte zu machen.

Obama erreichte das Weiße Haus, weil er den richtigen Weg beschritt, den Weg der Wissenschaft und der Rechtswissenschaft, auf intelligente Weise in die Politik ging und das Mittel der Rede erfolgreich benutzte. Das bringt die Welten seiner Persönlichkeit zusammen, zum einen durch seine irisch-stämmige Mutter, zum anderen durch seinen in Kenia geborenen Vater. Dadurch kann er, wenn es ihm erlaubt ist, auch zu einem Botschafter des Friedens werden unter der Überschrift der Versöhnung zwischen Nord und Süd, Christentum und Islam, Schwarzen und Weißen.

Der Mann erreichte das höchste Amt in der Welt, nicht nur in Amerika, zur falschen Zeit, was einen Erfolg sehr schwierig macht. Amerika kämpft einen Krieg in Afghanistan und im Irak, den es dabei ist zu verlieren, leidet an einem wirtschaftlichen Bankrott und sieht sich den Vorboten eines Kalten Krieges gegenüber, mit Russland und dem Aufstieg neuer Mächte im globalen Wettstreit um Führung und Handel, sowie Europa, Indien, China und Brasilien, genauso wie die Russische Föderation.

Einige mögen bezweifeln, dass Obama ins Weiße Haus gelangt wäre, wenn die Umstände in Amerika normal, die Wirtschaft stark und die Kriege in ihrem Sinne beigelegt wären. Das mag richtig sein, schmälert aber nicht die wissenschaftlichen, persönlichen und administrativen Fähigkeiten und seine Eignung für das Amt. Von denen, die den Lauf der Geschichte veränderten, waren viele zuvor unbekannt.

Die Aufgabe des neuen amerikanischen Präsidenten ist in jeder Hinsicht schwierig. Die Philosophie George Bushs hat ein schweres Erbe hinterlassen, das ihn durch ein Minenfeld laufen lässt, das jederzeit explodieren kann und am wichtigsten und schwierigsten ist die Lage der Wirtschaft. Amerika durchlebt eine nie da gewesene Wirtschaftsrezession und die sozialen Folgen, die dadurch folgen können, sind schlimm.

Wir können den neuen Präsidenten nur mit großer Vorsicht Willkommen heißen und wir sind sehr glücklich, dass der ehemalige Präsident George Bush das Weiße Haus geknickt und gebrochen verlässt.

Dienstag, 20. Januar 2009

Interview mit Dr. Muriel Asseburg

Liebe Leser,

es folgt ein Interview mit Dr. Muriel Asseburg zum Gazakrieg und seinen Folgen.
Dr. Muriel
Asseburg leitet die Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Völkerrecht in München studiert und dort mit einer Dissertation zum Staatsbildungsprozess in den palästinensischen Gebieten promoviert. Sie hat in den USA, Jerusalem, Ramallah, Damaskus und Beirut gelebt.

Israels Regierung erklärt, die IDF habe ihre Kriegsziele erreicht. Teilen Sie die Einschätzung, dass die Hamas langfristig geschwächt und das israelische Abschreckungspotential wiederhergestellt ist?

Die israelische Regierung hatte ihre Kriegsziele nur sehr vage formuliert. Sie wollte Hamas einen entscheidenden Schlag versetzen und die Sicherheitssituation im Süden Israels verändern. In der Militäroffensive ist es Israel tatsächlich gelungen, einen Großteil der militärischen Infrastruktur der „Islamischen Widerstandsbewegung“ zu zerstören und wichtige Führungspersonen zu töten. Israel hat auch einen Großteil der Tunnels bombardiert, die den Gaza-Streifen mit Ägypten verbinden und die in den letzten Jahren der verschärften Blockade nicht nur dem Waffenschmuggel gedient haben, sondern auch die einzige Möglichkeit boten, die Bevölkerung im Gaza-Streifen mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Dies wird es Hamas in der Tat erschweren wieder aufzurüsten. Es wird aber auch die Situation der Bevölkerung weiter verschlechtern, wenn die Grenzen nicht schnell und dauerhaft geöffnet werden.

Dass Hamas militärisch nicht besiegt ist, hat die Bewegung durch das Abfeuern von Raketen auch nach der von Israel verkündeten Waffenruhe versucht deutlich zu machen. Vor allem aber ist fraglich, ob Hamas durch den Krieg langfristig politisch geschwächt wurde. Nach wie vor ist Hamas gesellschaftlich tief verwurzelt. Dass Hamas auch politisch relevant bleibt, ist auch daran deutlich geworden, dass Israel zunächst indirekt mit Hamas über einen Waffenstillstand verhandelt hat. Vor allem aber ist kaum anzunehmen, dass Israel durch den Waffengang, insbesondere aufgrund der extrem großen Zerstörung ziviler Infrastruktur und der hohen zivilen Opferzahl, die Palästinenser davon überzeugen konnte, dass es an einem friedlichen Ausgleich interessiert ist. So sind durch den Krieg die sogenannten „moderaten“ palästinensischen Kräfte weiter geschwächt worden.

Beide Kriegsparteien haben einseitige Waffenstillstände erklärt. Deutet irgendetwas daraufhin, dass die Waffenruhe von Dauer sein wird?

Bislang nicht. Denn ein Waffenstillstand kann nur dann tragfähig sein, wenn er das Sicherheitsbedürfnis beider Seiten berücksichtigt und wenn er wirtschaftliche Entwicklung im Gaza-Streifen ermöglicht. Letztere aber kann unter den Bedingungen der nahezu vollständigen Blockade nicht stattfinden, unter der das Gebiet seit der Entführung des israelischen Soldaten Shalit im Juni 2006 und, weiter verschärft, seit der gewalttätigen Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 steht. Eine dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge zum Gaza-Streifen, wie sie das 2005 von US-Außenministerin Rice verhandelte Agreement on Movement and Access vorsieht, gehört zu den elementaren Voraussetzungen für Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Letztlich muss ein Waffenstillstand, um tragfähig zu sein, auch die West Bank einschließen.

Während des Krieges kursierten Meldungen laut denen es Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hamas-Kadern in Gaza und der Exilführung in Damaskus gegeben haben soll. Wissen Sie etwas darüber?

Es gibt immer wieder Spannungen und Meinungsunterschiede zwischen den verschiedenen Führungszirkeln der Hamas, sei es zwischen der Inlands-Hamas in Gaza und der Exilführung in Damaskus, sei es zwischen der politischen und der militärischen Führung im Gaza-Streifen. Denn natürlicher Weise haben die unterschiedlichen Zirkel unterschiedliche Perspektiven und Prioritäten. Allerdings sollte man sich nicht dazu verleiten lassen anzunehmen, dass Hamas deshalb tief gespalten oder handlungsunfähig sei. Bislang hat die Bewegung es verstanden, letztlich immer zu einer geeinten, von allen wichtigen Kadern mitgetragenen Position zu finden – viel deutlicher etwa, als dies bei der Konkurrentin Fatah der Fall ist.


Welche innenpolitischen Auswirkungen hat der Krieg für die anderen arabischen Staaten, besonders für Ägypten?

Insbesondere in den Staaten, die von der westlichen Politik gerne als „moderate“ Staaten bezeichnet werden, ist die Wut der Bevölkerung groß darüber, dass ihre Regierungen sich nicht viel deutlicher gegen den Krieg gestellt und Maßnahmen ergriffen haben, um Israel anzuprangern und abzustrafen. Dies wirkt sich negativ auf die Legitimität der Regime aus. In Ägypten hat die Regierung zwar versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und dadurch den Krieg zu beenden. Sie hat aber auch den Grenzübergang Rafah geschlossen gehalten – und damit den einzigen Ausweg verbaut, den es für die Zivilbevölkerung gegeben hätte, um den Bombardierungen zu entfliehen. Das ist für viele Ägypter unerträglich. Bislang haben sich Proteste gegen die offizielle Politik allerdings in keinem Land in kraftvolle Bewegungen umgewandelt, die einen Politikwechsel bewirken oder auch nur eine ernsthafte Gefahr für die Regime darstellen würden.


Auf dem arabischen Gaza-Treffen in Doha rief Syriens Staatschef Assad die arabischen Staaten zum Abbruch aller Beziehungen zu Israel auf. Welche Folgen hat der Krieg also auf die indirekten Friedens-Gespräche zwischen Syrien und Israel?

Es liegt auf der Hand, dass Syrien die indirekten, von der Türkei vermittelten Gespräche nicht weiter führen kann, solange Gaza bombardiert wird. Das heißt aber nicht, dass Syrien kein Interesse an einer Fortsetzung dieser Gespräche hat. Im Gegenteil, Syrien hat sehr deutlich signalisiert, dass es diese Kontakte unter der neuen US-Administration auf eine neue Ebene heben und in direkte, US-vermittelte Verhandlungen überführen möchte.


Was können die Bundesregierung und die EU tun um den Menschen im Gazastreifen langfristig zu helfen und zu einer dauerhaften Waffenruhe beizutragen?

Die Vorschläge, die bislang von Deutschland und den Europäern gemacht worden sind, werden nicht ausreichen, um eine dauerhafte Waffenruhe zu erreichen. Auf keinen Fall sollte sich die EU auf Wiederaufbauhilfe – für einen Wiederaufbau, der allerdings notwendig ist, unabhängig davon, wer den Gaza-Streifen regiert – und Almosenvergabe zur Linderung der humanitären Notlage im Gaza-Streifen beschränken. Natürlich würde es auch zu kurz greifen, wenn die Europäer vor allem technische Hilfestellungen leisten würden, um die Zugänge zum „Gefängnis Gaza“ möglichst effizient zu kontrollieren und die Tunnels, die eben auch der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern des alltäglichen Bedarfs gedient haben, dauerhaft zu versiegeln. Den Vorschlag einiger europäischer Regierungschefs, Israel dabei unter die Arme zu greifen, den Waffenschmuggel seeseitig zu unterbinden, wird Israel kaum ernst nehmen.

Jetzt muss es darum gehen, gemeinsam mit der neuen US-Administration konsequent auf eine tragfähige und umfassende Konfliktregelung hinzuarbeiten. Eine entsprechende europäisch-amerikanische Initiative müsste auf jeden Fall drei Hauptelemente beinhalten: 1) ein neuerliches Machtteilungsarrangement zwischen Hamas und Fatah; 2) die Umsetzung der Vereinbarung von 2005 (Agreement on Movement and Access), die nach dem israelischen Abzug darauf abzielte, den Zugang für Personen und Waren nach Gaza offen und die Verbindung zwischen Gaza und West Bank zu erhalten, ergänzt durch Maßnahmen, die Waffenschmuggel effektiv verhindern können; 3) eine politische Perspektive, also die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung und einer umfassenden Friedenslösung in der Region in absehbarer Zeit. Eine solche Initiative kann nur gelingen, wenn wichtige Konfliktparteien, insbesondere die Hamas und Syrien, einbezogen werden.


Montag, 19. Januar 2009

Arabischer Gipfel nach dem Gazakrieg

Eigentlich sollte die Wirtschaftskrise im Mittelpunkt des heutigen Arabischen Gipfeltreffens in Kuwait stehen. Nun aber dominieren der Gazakrieg und seine Folgen die Agenda. Saudi-Arabiens König Abdullah versprach zu Beginn des Gipfels in Kuwait City, sein Land werde 1 Milliarde US-Dollar für den Wideraufbau im Gazastreifen bereitstellen. Daneben wollen die Regierungschefs über die Einrichtung eines Hilfsfonds in Höhe von 2 Milliarden Dollar beraten.

Äußerst unwahrscheinlich erscheint jedoch, dass sich die 22 Mitgliedsländer der Arabischen Liga auf eine gemeinsame politische Linie einigen. Die Spaltung der Arabischen Welt hinsichtlich ihrer Haltung zur Hamas trat in den Tagen des Kriegs offen zu Tage.

Auf der einen Seite standen jene 13 Staaten, die sich am vergangenen Freitag in Doha versammelten und dem anwesenden Hamasführer Khaled Meshaal ihre Unterstützung versicherten. Angeführt wird diese Gruppe von Syrien, Qatar und Algerien. Scharf kritisiert wurde dieses außerordentliche Treffen von eine Gruppe arabischer Staaten um Ägypten und Saudi-Arabien. Diese Länder trafen sich ihrerseits bereits im Vorfeld des heute beginnenden Gipfels in Kuwait und unterstützten dabei die ägyptische Waffenstillstandsinitiative sowie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Ziel des Treffens der Arabischen Liga soll es sein, den Waffenstillstand zu stabilisieren, erklärte Gastgeber und Emir von Kuwait Sabah al-Ahmad al-Sabah, in seiner Eröffnungsrede. Gleichzeitig rief er Fatah und Hamas zur Einigkeit auf. Syriens Staatschef Bashar al-Assad forderte seinerseits die arabischen Regierungen auf, einen kompromisslosen Kurs gegenüber Israel zu verfolgen. Der legitime Widerstand der Palästinenser müsse unterstützt und Israel als rassistischer Terrorstaat geächtet werden.

Ursprünglich war dieses außerordentliche Gipfeltreffen berufen worden um gemeinsame Schritte gegen die Wirtschaftskrise zu beraten. So stehen Diskussionen über den Bau pan-arabischer Energieversorgungs- und Bahnnetze, sowie über die Einführung einer Zollunion auf der Tagesordnung. Außerdem sollen Maßnahmen gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Nahrungsmittelknappheit debattiert werden.

Auch die wachsende wirtschaftliche Kluft zwischen den reichen Golfstaaten und den ärmeren arabischen Ländern soll thematisiert werden. Das jährliche Pro-Kopfeinkommen in Qatar liegt mit 72300 Dollar 80 mal höher als das im Jemen mit nur 900 Dollar.

Schätzungen der Arabischen Liga zufolge hat die Wirtschaftskrise den arabischen Ländern bislang 2,5 Billionen Dollar gekostet. Die Golfstaaten haben knapp zwei Drittel ihrer Entwicklungsprojekte gestoppt, der Wert der arabischen Investitionen im Ausland, gerade in den USA fiel um etwa 40%.

Freitag, 16. Januar 2009

Russland plant Marinestützpunkte im Nahen Osten

Russland unternimmt offenbar weitere Schritte um seinen militärischen Einfluss im Nahen Osten auszubauen. So plant die russische Armee in den nächsten Jahren die Errichtung dreier Flottenstützpunkte in Libyen, Jemen und Syrien. Wie die Nachrichtenagentur Itar-Tass unter Berufung auf die russische Marine meldet, soll ein Flottenstützpunkt in der libyschen Hafenstadt Benghazi, ein weiterer im syrischen Tartus und ein dritter auf der zu Jemen gehörenden Insel Sokotra errichtet werden.

"Die politische Entscheidung hierfür ist getroffen worden. Es ist schwierig zu sagen, wieviel Zeit dafür in Anspruch genommen werden muss, aber ohne Zweifel wird es in ein paar Jahren soweit sein", wird ein Armeesprecher zitiert. Die Marinestützpunkte dienten dem Zweck Russlands wirtschaftliche und militärische Interessen in der Region zu schützen.

Die Basis auf Sokotra, einer Insel am Horn von Afrika, solle besonders dem Schutz ziviler russicher Schiffe im Golf von Aden dienen. Dort sind in den vergangenen Monaten immer wieder Schiffe von Piraten überfallen worden. Zudem gehe es darum auf wechselnde Situationen in der explosiven Nahostregion reagieren zu können.

Alle drei Marinebasen werden in den Ländern des Nahen Osten errichtet, zu denen bereits die Sowjetunion enge Beziehungen unterhielt. Libyen und Syrien waren während des Kalten Krieges eng mit Moskau verbunden und auch die Insel Sokotra gehörte vor der Wiedervereinigung des Jemen zum sozialistischen Süden. Schon die Rote Armee führte hier in den 1980er Jahren Marineübungen durch.

Auch im syrischen Tartus will Russland offenbar einen alten sowjetischen Kriegshafen wiederbeleben, der während des Kalten Krieges ein wichtiger Versorgungspunkt der sowjetischen Marine im Mittelmeer war. Der Stützpunkt wird von der russischen Armee noch immer benutzt, gilt jedoch als veraltet. Nun soll die Basis offenbar runderneuert werden und anschließend möglicherweise auch Schiffe beherbergen, die mit Atomwaffen ausgerüstet sind.

Auch mit Syriens Nachbarn Libanon vertieft Russland derzeit seine militärische Zusammenarbeit. Schon im Dezember hatte der Kreml überraschend 10 MiGs an den Libanon vergeben und damit seinen Einfluss in der Levante geltend gemacht.

Montag, 12. Januar 2009

Stimme aus Palästina

Liebe Leser,


nachdem wir am 6.1. einen israelischen Freund zur Situation in Gaza und Südisrael zu Wort kommen ließen, folgt nun ein Brief eines palästinensischen Freundes, der seit kurzem seine berufliche Laufbahn als Rechtsanwalt begonnen hat. Die Person gehört keiner Partei an und unterstützt die Gründung eines Palästinensischen Staates durch Verhandlungen.


Dear Friend,

actually the situation in the Gaza Strip is disastrous.

You might hear from the Israeli media that Israel is aiming to defend itself by attacking Hamas! I think it's ridiculous to say that Israel was attacking Hamas, since so far most of the victims are civilians. Nothing justifies the targeting of civilians and children in broad daylight. Israeli forces targeted the civilian police forces on the first day of the attack on the Strip, (regardless of the legality of such a government) and then started a crazy war on Gaza, targeting everything on the ground. There are a lot of tragic stories that appear in every moment, until this moment. The vast majority of victims are civilians, children and the elderly. The armed men have not been harmed significantly and still shoot rockets on Israeli towns and villages.

What is happening in Gaza is not a self-defense, but a flagrant attack on all the Palestinians, I can’t believe that we are living in the twenty-first century!

On the ground, the popularity of the resistance movement has increased and hatred toward Israel grows day after day. Talks of peace seem to be a joke. A few days ago Israeli forces targeted schools of UNRWA and killed 42 civilians. Israel said there was a missile launched from the UN school but admitted later that there was an error. This evidence tells the fallacy of the Israeli story: they are waging a war against civilians in order to intimidate them and force them to leave their homes. Two days ago I saw on TV three children aged less than 4 years, killed in cold blood, by Israeli snipers during the midday knowing that they were children!

Dead bodies everywhere in the streets of Gaza! Hospitals can´t cope with providing assistance to all the wounded people. There are more than 400 wounded persons in critical condition out of more than 3000 injured people until now .

I just want to offer some statistics on the Israeli aggression on the Gaza Strip so far:

Up to yesterday (9/1/2009), 802 Palestinians were killed, including 235 children, 93 women and 60 elderly, 12 doctors and paramedic, 3 journalists. 12 mosques and 14 ambulances were destroyed.

The numbers increase in every moment, because there is no safe place in the Gaza Strip ..

Hoping to do what you can do in order to stop this agression against humanity.

Regards

A Human from Palestine

Mahmud Abbas und das palästinensische Wahlgesetz

Inmitten des Gazakrieges ist ein Ereignis vollkommen untergegangen: Mahmud Abbas ist seit Freitag nicht mehr Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde. Dies gilt zumindest dann, wenn man das palästinensische Wahlgesetz ernst nimmt. Dieses legt fest, dass die Amtszeit des PA-Präsidenten vier Jahre beträgt. Die letzten Präsidentschaftswahlen in den palästinensischen Gebieten fanden am 9. Januar 2005 statt.

Die Hamas und ihr Fernsehsender al-Aqsa-TV haben bereits erklärt, Mahmud Abbas nicht länger als legitimen Vertreter der Palästinenser zu betrachten. Dieser beruft sich jedoch auf ein von ihm 2007 selbst erlassenes Dekret, das vorsieht, die nächsten Präsidentschaftswahlen zeitgleich mit den für Januar 2010 geplanten Parlamentswahlen abzuhalten. Damit versucht sich Abbas ein weiteres Jahr im Amt zu halten und sich damit bessere Chance auf eine Widerwahl zu erarbeiten.

Nach Ansicht der Hamas müsste der Sprecher der palästinensischen Nationalversammlung Abdalaziz Dweik, das Präsidentenamt übergangsweise für 60 Tage übernehmen und Neuwahlen organisieren. Dweik sitzt jedoch seit über zwei Jahren in einem israelischen Gefängnis.

USA und EU haben kein gesteigertes Interesse daran, die palästinensischen Wahlgesetze zur Anwendung kommen zu lassen. Es liegt ohnehin in ihrem Interesse Abu Mazen an der Macht in Ramallah zu halten. Der Krieg im Gazastreifen hat seine Aussichten auf eine Wiederwahl deutlich sinken lassen.

Überhaupt erscheint es derzeit höchst unwahrscheinlich, dass im kommenden Jahr Präsidenten- und Parlamentswahlen in den palästinensischen Gebieten stattfinden. Ein großes Hindernis ist zum Einen die Feindschaft zwischen Hamas und Fatah, die eine Einigung auf einen Wahltermin und freie und faire Wahlen unmöglich scheinen lässt.

Zum Anderen können die Palästinenser in den Besetzten Gebieten nur mit der Zustimmung und aktiven Unterstützung Israels wählen. Israel wird jedoch kaum Wahlen zulassen, aus denen ein Hamas-Kandidat als neuer Palästinenser-Präsident hervorgehen könnte. Die Hamas von vornherein auszuschließen würde die Wahlen schon im Vorfeld delegitimieren.

Sonntag, 11. Januar 2009

Saudi Arabiens Islamgelehrte gegen Gaza-Proteste

Das Leid der Palästinenser in Gaza erzürnt Millionen Muslime weltweit. Ebenso erbost sind viele über die Haltung der arabischen Regierungen, die den israelischen Angriff auf die Hamas mehr oder weniger offen befürworten. In vielen arabischen Staaten gingen in den letzten Tagen hunderttausende Menschen auf die Straßen um ihre Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck zu bringen. In diesen Kundgebungen schwingt immer auch ein Protest gegen die eigene Regierung mit.

Auch in Saudi-Arabien, einem Land in dem das Demonstrationsrecht ohnehin nicht vorgesehen ist, kam es in den vergangenen Wochen zu mehreren Kundgebungen. Nachdem bei ersten Protesten mehrere Menschen verletzt und weitere festgenommen wurden, bekräftigte das Innenministerium das Verbot öffentlicher Proteste.

Besonders in al-Qatif, der Hauptstadt der Ostprovinz, demonstrierten saudische Schiiten, nachdem Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah in einer Rede zu Protesten gegen die arabischen Regierungen aufgerufen hatte, die mit Israel kollaborierten.

Seither unterstützten mehrere Religionsgelehrte die offizielle Haltung des saudischen Königshauses. Zunächst verurteilte der Chef des Obersten Justizrats, Salih al-Ludeidan, die Demonstrationen als "korrupt", da sie nicht der Religion dienten. Die Proteste seien unislamisch und würden lediglich Chaos stiften. Außerdem hielten sie die Menschen davon ab, sich Gott zuzuwenden.

Am Freitag legte der Großmufti von Saudi-Arabien, Abdulaziz al-Sheikh, nach, indem der die Demonstrationen als "Unsinn" bezeichnete, "der niemandem nutzt." Geldüberweisungen und Hilfslieferungen seien willkommen - "Demonstrationen sind nur unnötiger Lärm", so die höchste religiöse Autorität Saudi-Arabiens.

Donnerstag, 8. Januar 2009

Blut und Spiele: Aschura in Nabatiyeh

Zehn Tage lang erinnern Schiiten jährlich an das Martyrium des Prophetenenkels Hussein, aber der 10. und letzte Tag, Aschura, ist wohl der bekannteste und sichtbarste Ausdruck schiitischer Religiösität und Identität. In den vergangenen neun Tagen versammelten sich schiitische Familien zumeist im Familienkreis oder im örtlichen Versammlungszentrum, um den emotional vorgetragenden Lesungen spezialisierter Rezitatoren zu lauschen. Am Aschura-Tag schließlich gedenkt man der Entscheidungsschlacht von Kerbela, und lässt das Martyrium Husseins in verschiedenster Form wieder aufleben.

Bereits vor 2 Jahren erlebten wir die Aschura-Parade in Südbeirut aus erster Hand. Organisation und inhaltliche Ausrichtung liegen hier fest in Händen Hizbullahs. Fester Bestandteil und Höhepunkt ist zweifelsohne die Festrede ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah, der dieses Jahr jedoch nur per Video zugeschaltet wird.

Doch die hochpolitisierte Veranstaltung in Dahyie hat nicht das Monopol auf die Aschura-Feierlichkeiten. Die größte südlibanesische Stadt, Nabatiyeh, bietet eine ganz eigene, lokal sehr verwurzelte Variante des Festes, die sich teilweise fundamental von Südbeirut unterscheidet.

Sichtbar wird das vor allem in der praktizierten Selbstgeißelung. Die ist in der Hauptstadt seit Mitte der 90er Jahre, als sowohl Ali Khamenei, als auch Muhammad Hussein Fadlallah eine entsprechende Fatwa erließen, verpönt. Die blutige Flagellation war und ist ein Vorwurf von sunnitischer Seite, dem man so zu begegnen suchte. In Nabatiyeh hingegen hält sich diese Tradition hartnäckig und wird besonders von der jungen Generation weiter am Leben erhalten.

Es sind vor allem Kinder, die sich um 8 Uhr morgens im Vorraum der zentralen Moschee versammeln und sich inmitten des hektischen Treibens auf die Prozession vorbereiten. Ein paar Friseure stehen mit einer Rasierklinge bereit und die Jungen stehen an, um durch einen gezielten "Anstich" das Blut fließen zu lassen. Ist das vollbracht, posieren die sichtlich stolzen Eltern mit ihren Jüngsten für ein Familienfoto, danach eilen die Jungs zu ihren Freunden und schlagen sich eher ausgelassen als andächtig auf den Kopf - ganz klar ist es für sie auch eine Mutprobe, die sie bestanden haben.

Um etwa 10 Uhr füllt sich der große Platz neben der Moschee, der wohl eigentlich als Fußballstadion genutzt wird, merklich und wir warten gespannt auf den ersten größeren Höhepunkt - die Theateraufführung. Diese im Iran des 16. Jahrhunderts entwickelte Tradition sucht man in Beirut vergebens - nur in Nabatiyeh ist sie im heutigen Libanon noch Bestandteil des Aschura-Tages. Leider wird nicht der Acker von Spielfeld, der sich hervorragend als Wüste bei Kerbela eignen würde, verwendet, sondern eine extra aufgebaute, dahinterstehende Bühnenkonstruktion, die jedoch viel zu weit entfernt steht. So kann ich die Bewegungen der Schauspieler, von denen übrigens einige Christen sind, nur erahnen und muss mich ansonsten an die Lautsprecherübertragung der Stimmen halten, begleitet von Musik, die mich an moumentale Bibelverfilmungen erinnern.

Nach etwa einer Stunde schließlich endet die Aufführung und die Masse der Zuschauer, Frauen zumeist, strömen an den Straßenrand und verfolgen die Prozession der Flagellanten. Diese umkreisen in mehreren Gruppen den Aufführungsplatz, einige von ihnen schon seit den frühen Morgenstunden. Die jungen Männer wiederholen rhythmisch "Haidar" (Löwe), den Spitznamen Husseins und schlagen sich dabei immer wieder auf den Kopf, manche mit der Hand, viele mehr jedoch mit Messern oder Schwertern. Nicht nur das Gesicht, auch die weiße Kleidung, die das Totengewand Husseins repräsentiert, ist bereits völlig durchtränkt mit Blut, welches man mittlerweile auch deutlich riecht - keine Frage, das ist kein Anblick für zartbeseidete Nerven.

Nun, gegen Mittag, sehen wir auch ältere Prozessionsteilnehmer, wenngleich sie deutlich in der Minderheit sind. Sie sind deutlich kontemplativer als ihre jungen Glaubensgenossen. Dennoch, ob alt oder jung, nicht jeder ist dieser körperlichen Anstrengung gewachsen, und so rücken die Hilfskräfte des Roten Kreuzes aus und tragen kollabierte Prozessionsteilnehmer, die sich teilweise auch noch auf der Bahre auf Kopf und Brust schlagen, aus der Menge. Nicht nur Verletzte finden sich in den mobilen Versorgungsstationen: Auch freiwillige Blutspender folgen dem Aufruf "Blut für Gaza". Es ist die einzige Reminiszenz an die aktuellen Ereignisse, die mir hier begegnet, politische Slogans und Parteiflaggen (von einigen wenigen Amal-Fähnchen abgesehen) sucht man hier heute vergebens.

Dennoch ist auch Aschura in Nabatiyeh nicht mehr das gleiche traditionelle Fest wie in früheren Zeiten. Die Bedeutungswandel von der (passiven)Trauer um Hussein zum (aktiven) Folgen des Beispiels Hussein ist auch hier unverkennbar. Sicher ist das blutige Spektakel in gewisser Hinsicht ein Männlichkeitsritual, vor allem aber ist es für die jungen Männer Ausdruck ihrer religiösen und lokalen Identität, die sie mit Stolz nach außen tragen.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Das Stillhalten der Hizbollah

Seit Beginn der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen hat die Hizbollah zwar rhetorisch ihre Solidarität mit der Hamas bekräftigt, von Angriffen gegen Israel und der Bildung einer zweiten Front in Nordisrael aber abgesehen. Auf der Ashura-Kundgebung am Mittwoch erklärte ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah, dass die Hizbollah auf alle Eventualitäten eingestellt sei, ein Eingreifen der Miliz in den Krieg zwischen der Hamas und Israel scheint jedoch höchst unwahrscheinlich. Diese Zurückhaltung hat mehrere Gründe.

Am 7. Juni finden im Libanon Parlamentswahlen statt. Die Hizbollah darf sich berechtigte Chancen ausrechnen zusammen mit ihren Verbündeten die Parlamentsmehrheit zu gewinnen. Diese Wahlchancen will sie sich durch ein militärisches Abenteuer nicht kaputt machen lassen.

Die Miliz weiß sehr wohl, dass jeder Angriff auf Israel einen militärischen Gegenschlag provozieren würde, der hunderttausende ihrer schiitischen Anhänger zur Flucht aus dem Südlibanon zwingen würde.Viele zerstörte Häuser in den schiitischen Vorstädten Beiruts und den Dörfern des Jabal Amel sind auch zweieinhalb Jahre nach dem Zweiten Libanonkrieg nicht wiederaufegbaut. Einen erneuten heftigen Gegenschlag der israelischen Armee wird die Hizbollah ihrer Wählerschaft fünf Monate vor den Wahlen nicht zumuten wollen.

Außerdem dürfte die Akzeptanz eines Angriffs auf Israel zum jetzigen Zeitpunkt unter libanesischen Christen, auf deren Stiummen die Hizbollah und ihre Verbündeten angewiesen sind, sehr gering sein.

Die Schiitenbewegung hat nach dem Krieg im Sommer 2006 alle ihre mittelfristigen innenpolitischen Ziele erreicht, kann Entscheidungen der Regierung blockieren und ihre Entwaffnung liegt in weiter Ferne. Ein Krieg gegen Israel würde diese politischen Erfolge, die mit einem Sieg bei den Parlamentswahlen gekrönt werden könnten, stark gefährden.

Militärisch muss die Hizbollah seit dem Julikrieg ohnehin kaum noch etwas beweisen. Ihre Miliz lebt von dem Mythos, der israelischen Armee standgehalten zu haben. Ob ein Krieg heute ähnlich erfolgreich für die Hizbollah verlaufen würde, erscheint fraglich. Sie hat derzeit weitaus mehr zu verlieren als zu gewinnen.

Stattdessen versucht die Partei Gottes geschickt die Wut der Libanesen angesichts des Gazakrieges zu schüren und für sich auszunutzen. Die derzeitige Situation erhöht den Druck auf die von den USA unterstützten Rivalen der Hizbollah, besonders die sunnitische Mustaqbal-Bewegung. Die konsequent anti-israelische und anti-amerikanische Haltung der Hizbollah dürfte sich daher auch ohne einen Krieg bei den anstehenden Wahlen auszahlen.

Dienstag, 6. Januar 2009

Stimme aus Israel

Liebe Leser,

in den vergangenen Tagen haben wir uns um Einschätzungen von Freunden aus Palästina und Israel zur Situation im Gaza-Streifen und in Südisrael bemüht. Hier nun ein erster Brief eines Freundes vom 3.1. Die Person ist Mitglied der links-zionistischen Meretz-Partei und seit Jahrzehnten engagierter Aktivist für den Friedensprozess.


Dear Christoph,


you asked me what I think of the present situation here. I know that the present situation is, in my eyes at least, very bad indeed, if you ask me how to get out of it, the answer is I do not know.

You know my political views but I do not hesitate to tell you that when Jamus Oron, the leader of the leftist-zionist Meretz party, on the day of the Israeli air strike, issued a statement supporting the action I fully agreed with it. There is no point, again in my Israeli eyes, to look at a situation as it was on the day of the attack without looking at what led up to it. The so called "cease fire" between Israel and Hamas was about to come to an end. I call it "so called" because during all this time an average of at least eight rockets were fired at Sderot and other towns/villages every day. Towards the end, when Israel was willing to extend the cease fire, Hamas increased the daily dosage and range in the hope of getting better terms, partly unacceptable to Israel. Before that cease fire, ever since the withdrawal of Israel from the Gaza strip eight years ago, the rockets came daily and Israel practically did nothing (neither did the world). And that because there were no mass casualties. "Only" a person killed here or there, some badly injured. I myself often had a bad conscience when I encouraged that policy of restraint. Here I was living in safe Jerusalem abandoning the population in the south to their fate for years. These were not settlers in the occupied areas with whom I have little sympathy. These were Israelis like me. Parts of the population fled, others who could not stayed, had their business and livelyhood ruined and their children growing up with all sorts of problems as a result of living in daily fear and having to hide under the table in school a number of times a week. For eight years.
And all that after the withdrawal, thank the Lord, from the Gaza strip, at no small political cost to the government. The agricultural infrastructure left behind to the World Bank to enable the resettlement of Palestinian refugees was burned by them and the area is used as a base for rocket attacks ever since. The fact that Israel did not act, except for an occasional commando raid, was seen as weakness and resulted in Hamas increasing its demands and the intensity of its attacks.


There are statements claiming that the attack is connected to the oncoming elections. If the government had not taken action perhaps this might have increased the chances of Bibi Nataniahu winning the elections. Would that have been good for the future of the Middle East? Even so I am very much afraid he may come out top. You have no idea what influence the affair of the Israeli soldier (Gilad Shalit), who has been prisoner of Hamas has on public opinion here. Three years without news, three years without the Red Cross or anybody else having any contact with him "and the government (and the world) doing nothing". Unfortunately the majority of Israelis are not members of Merez. It is no crime in a Democratic country for the government to be influenced by public opinion. I did not see that the government, under the
circumstances, had any option but the use of force.
What happened after the first few days is another story. Actually the usual story for which Israel is as much to blame as anybody else and perhaps even more so. This stupid policy of not talking to the other side, not trying any other way than the use of force and not knowing when to stop using force. Even here, I admit, my criticism is more concerned with not talking enough to Mahmoud Abbas and the Palestinian Authority than with not negotiating with Hamas to whom most of the world was not talking to and talking to them meant weakening the Palestinian Authority.

I was just intercepted by a call telling me that the ground forces have started to enter Gaza. I had hoped this would not happen. With Hamas showing that it had the capability of sending its rockets to Beer Sheva and Ashdod and not hesitating to do so, I am afraid that from an Israel point of view this move was unpreventable. As to the public opinion war, this there is no chance of winning. I appreciated the Prime Minister of Turkey calling the Israeli action a "crime against humanity". Compared with what Turkey has and is been doing to the Kurds in Turkey and ouside its borders, the Gaza action is small beer indeed. No, I am afraid that Hamas "asked" for it. But that does not make the situation in Gaza any less tragic.

I hope I have not disappointed you too much by being such an Israeli patriot. If I like it or not I have to agree that the security of Israel and its inhabitants is the first consideration any government has to take intoaccount. I think that the attack on Gaza was under the circumstances unavoidable. That after that we tend to "overkill" and try not to use political means with the same vigour as we fight, is unfortunately also often true.
Now I can only hope that the ground actions will only be a matter of daysand not drag on once again with even more tragic results…



Montag, 5. Januar 2009

Israel - Hamas: Waffenstillstand - und dann?

Der Krieg im Gazastreifen wird früher oder später mit einem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas zu Ende gehen. Die bisherigen Waffenruhen zwischen beiden Kriegsparteien wurden jedoch immer wieder gebrochen - beide Seiten machten sich dann gegenseitig dafür verantwortlich.

Wie also kann ein Abkommen erreicht werden, das die Gewalt beendet und palästinensische und israelische Sicherheitsinteressen schützt? Als Vorlage könnte eine Vereinbarung dienen, die 1996 zwischen dem Libanon und Israel getroffen wurde:

Im Frühjahr 1996 hatte die israelische Armee einen mehrwöchigen Luftkrieg gegen den Südlibanon geführt, mit dem Ziel den Raketen- und Granatenbeschuss Nordisraels durch die Hizbollah zu beenden. Nach dem israelischen Angriff auf einen UNO-Stützpunkt in Qana, bei dem über 100 libanesische Zivilisten starben, sah sich Israel durch internationalen Druck veranlasst, seine Operation Früchte des Zorns zu beenden und einem Waffenstillstand zuzustimmen.

Das am 26. April 1996 geschlossene Abkommen verpflichtete die bewaffneten Gruppen im Libanon, zuallererst die Hizbollah, ihre Angriffe auf Israel zu beenden. Gleichzeitig versprach Israel keine zivilen Ziele im Libanon anzugreifen.

Zudem wurde die Einrichtung einer internationalen Beobachtergruppe, bestehend aus den USA, Frankreich, Syrien, Libanon und Israel beschlossen, die die Einhaltung des Waffenstillstands überwachte. Verstöße gegen die Waffenruhe konnten entweder von libanesischer oder von israelischer Seite an die Beobachtergruppe gemeldet werden. Anschließend trafen ihre Vertreter unter französischer oder amerikanischer Aufsicht im UN-Stützpunkt Naqoura zusammen. Eine ähnliche Kommission könnte nun auch nach Beendigung der Operation Gegossenes Blei die Befolgung der Waffenruhe kontrollieren.

Die israelisch-libanesische Beobachtergruppe konnte durchaus Erfolge vorweisen. Zwar wurde die Waffenruhe des öfteren gebrochen, dennoch gelang es eine Eskalation zu vermeiden und den Konflikt einzudämmen. Im Dezember 1999 gelang es ihr zum Beispiel eine Vergeltungsaktion der Hizbollah für den Beschuss einer libanesischen Schule durch die israelische Armee zu verhindern. Außerdem erleichterte sie Gefangenenaustausche zwischen Israel und der Hizbollah.

Wichtiger aber noch war, dass sich durch die regelmäßigen Treffen der Konfliktparteien neue Kommunikationskanäle öffneten und zwischen ihren Vertretern ein Vertrauensverhältnis entstand. Diplomaten und Militärs aus Libanon, Syrien und Israel konnten persönliche Beziehungen zueinander aufbauen. Die Bebobachtergruppe war bis zum Februar 2000 kurz vor dem israelischen Abzug aus ihrer "Sicherheitszone" im Südlibanon aktiv.

Nun lässt sich dieses Vorbild aus dem Libanon nicht 1:1 auf den Gazastreifen übertragen. Im Libanon fungierte damals noch Syrien als Hegemonialmacht und bürgte als solche für die Einhaltung der Waffenruhe. Derzeit ist kaum abzusehen, dass ein Staat die selbe Macht über die Hamas oder al-Jihad al-Islami ausübt - auch nicht der Iran. Gleichwohl erscheint derzeit eine internationale Beobachtergruppe, vielleicht unter Einbeziehung Ägyptens oder Qatars am Ehesten geeignet, einen längerfristigen Waffenstillstand zu erreichen.

Dieser kann jedoch nur eine Atempause schaffen, in denen Israel und die palästinensischen Gruppen, die Arabische Liga und das Nahostquartett ernsthaft an einer dauerhaften politischen Lösung des Konflikts arbeiten müssen.

Sonntag, 4. Januar 2009

"Stoppt das Massaker in Gaza!!" - Zwei Demonstrationen in Berlin Teil II

Samstag, 3.1. Platz am Roten Rathaus, Berlin 14:30 Uhr. Wieder fungiert die Palästinensische Gemeinde Berlin als Ausrichter der Demonstration, wieder lautet der Appell: "Stoppt das Massaker in Gaza!!". Allerdings haben dieses Mal zahlreiche weitere arabische und islamische Organisationen zum Protestmarsch aufgerufen. Erwartungsgemäß kommen mehr Demonstranten als am Vortag, die Polizei spricht am Ende der Veranstaltung von 7000 Personen.

Im Gegensatz zum Vortag, als die Demonstranten in einem unstrukturierten Pulk marschierten, versuchen die ca. 200 Organisatoren der Veranstaltung die eintreffenden Demonstranten auf die drei Lautsprecherwagen zu verteilen. Kriterium ist dabei, wie etwa bei Kundgebungen der Hizb Allah im Libanon, das Geschlecht. So wird der Demonstrationszug von Frauen und Kindern angeführt, hinter dem dritten Wagen findet man fast ausschließlich Männer. Lediglich hinter dem zweiten Wagen, wo beispielsweise Anhänger der LINKEN, die als einzige Parlamentspartei mit Bannern Präsenz zeigt, und kleinerer kommunistischer Parteien versammelt sind und die internationale Solidarität einfordern, herrscht keine Geschlechtertrennung.

Inhaltlich unterscheiden sich die verwendeten Slogans und Plakate im Vergleich zum Vortag bis auf wenige Ausnahmen kaum. Israel wird als "Kindermörder" verdammt, die USA werden als zweiter Böser Bube der Weltpolitik bezeichnet und Deutschlands "parteiische Haltung im Konflikt" wird kritisiert. Dagegen werden die bei Demonstrationen in der arabischen Welt scharf kritisierten arabischen Regime, insbesondere Ägypten, mit keinem Wort in die Verantwortung genommen. Das palästinensische Leid wird auf einigen Plakaten mit einem Genozid beziheungsweise dem Holocaust gleichgesetzt. Außer einem Banner mit einer Friedenstaube des Ortsvereins der LINKEN im Wedding finde ich keine weiteren versöhnlichen Symbole.

Noch mehr als am Vortag dominieren jedoch islamische Ausrufe den Protestmarsch. Ein kompaktes Grüppchen am Ende des Zuges fällt durch seine schwarzen Fahnen auf, auf denen die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis, mit weißen Lettern geschrieben steht. Die etwa 30 jungen Männer beschränken sich auf islamische Leitsprüche und fordern die Wiedererrichtung des islamischen Kalifats, das heißt, dass die weltliche und geistliche Führerschaft in der Person des Kalifen vereint werden soll. Nach etwa drei Stunden hat auch die Polizei begriffen, dass die Forderung nach einer derartigen Staatsform verfassungswidrig sein könnte und versucht die Gruppe vom Rest der Demonstranten zu isolieren. Dieser Versuch führt zu einem kurzen Handgemenge, die Situation beruhigt sich jedoch schnell.

Nach der Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz - die Polizei hat den Verlauf der Demonstration kurzfristig verändert, um die amerikanische und englische Botschaften zu umgehen - unterhalte ich mich mit einigen Demonstranten. Viele zweifeln daran, dass man mit dem Protestmarsch Sympathien in der deutschen Bevölkerung habe wecken können, da das Auftreten der Demonstranten aggressiv und unversöhnlich gewesen sei und durch die islamischen Ausrufe einen ausschließenden Charakter bekommen habe.

Hier noch einige Bilder und kurze Videos von der Demo:

Frauen und Kinder...


...führen den Protestzug an.
Der Block, der die Wiedererrichtung des Kalifats propagiert.


"DIE LINKEn" Friedenstauben aus dem Wahlbezirk Wedding.

Die Polizei muss kaum eingreifen.

Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz.