Donnerstag, 31. Januar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil III

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II.3. Grundsteinlegung auf dem Weg zur Unabhängigkeit 1918-1935

Die 10 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg verschwand der Aga Khan von der indischen und der internationalen politischen Bildfläche. Sein Lebensmittelpunkt lag nun in der Schweiz, Indien besuchte er lediglich wenige Male im Jahr. Während dieser Dekade kümmerte sich der Aga Khan hauptsächlich um die Belange seiner ismailitischen Anhänger. Zudem leistete er gemeinsam mit Sayyid Amir Ali unermüdlich Lobbyarbeit in London, um das Kalifat nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches zu erhalten. Der Einsatz für das sunnitische Kalifat, das aus doktrinärer Perspektive seiner ismailitisch-schiitischen Glaubensrichtung widersprach, unterstreicht das Bemühen des Aga Khan, konfessionelle Differenzen innerhalb des Islam zu überbrücken.

In Indien hatte die AIML spätestens 1919 ihren Anspruch als Alleinvertreter muslimischer Interessen und als Gegengewicht zum INC verloren. An die Stelle der AIML trat am ehesten die All Indian Khilafat Conference, die jedoch all ihre Aufmerksamkeit und ihre Energie auf das Kalifat und die Entwicklungen im zerfallenen Osmanischen Reich lenkte. Diese Entwicklung bedauerte der Aga Khan zutiefst und schlug deshalb bereits 1923 die Metamorphose der AIML von einer rein politischen hin zu einer übergreifenden islamischen Institution von bindender Autorität für die gesamte muslimische Bevölkerung vor. 1927 zerbrach die AIML in zwei Lager und als ein Jahr später die vom INC dominierten Empfehlungen des Nehru Reports veröffentlicht wurden, der Forderungen nach konstitutionellen Absicherungen für die muslimische Bevölkerung nicht berücksichtigte, sah der Aga Khan die Notwendigkeit, einen muslimischen Dachverband zu gründen, der die Muslime Indiens gegenüber den Briten und den anderen Religionsgemeinschaften adäquat repräsentieren könne. Deshalb rief er alle muslimischen Abgeordneten in den Provinzräten und im Parlament dazu auf, sich diesem Dachverband anzuschließen. Unter der Supervision des Aga Khan ergriffen muslimische Abgeordnete im Parlament und Abgeordnete der legislativen Versammlung von Bombay die Initiative und arbeiteten ein Konzept für die Institution aus, die am 31. Dezember 1928 All Indian Muslim Conference (AIMC) getauft werden sollte. Innerhalb kürzester Zeit schloss sich die absolute Mehrheit der muslimischen Abgeordneten aus sämtlichen Regionen des Landes und mit grundlegend unterschiedlichen politischen Ansichten der AIMC an. Als logische Konsequenz für seine Verdienste beim Aufbau der AIMC wurde der Aga Khan zum ihrem Präsidenten gewählt. Wichtigste Aufgabe der Konferenz war es, eine einheitliche Sichtweise zu formulieren, wie die Unabhängigkeit Indiens erreicht und ausgestaltet werden sollte. Zusammengefasst forderten die Teilnehmer an der Konferenz in ihrer Schlussresolution garantierte Sicherheiten für Muslime und andere Minderheiten in Form von separaten Wählerschaften im Rahmen eines föderalen, von Indern verwalteten indischen Staates.

Die kaum zu überschätzende Bedeutung der AIMC lässt sich an drei Auswirkungen feststellen: die zerstrittenen politischen Lager unter den Muslimen konnten sich angesichts ihrer gemeinsamen Opposition gegen den Nehru Report auf der Ebene der unvorbelasteten neutralen AIMC wieder annähern, um bei Verhandlungen einheitlich der britischen Krone und dem INC gegenübertreten zu können. Das bei der AIMC verabschiedete Grundsatzprogramm ist als kleinster gemeinsamer Nenner aller politischen Richtungen innerhalb der muslimischen Gesellschaft Indiens zu verstehen. In den folgenden Jahren diente es deshalb bei sämtlichen Verhandlungen mit den Briten und dem INC, darunter die Round Table Conference 1930-1932, als „Magna Charta“ der Muslime. Auch Muhammad Ali Jinnahs berühmter 14-Punkte-Plan, den er im gleichen Jahr bei der Jahreskonferenz der wieder geeinten AIML vorstellte, basierte auf der Schlussresolution der AIMC. Schließlich stellte die AIMC aufgrund der extrem hohen Anzahl an Teilnehmern das bis zu diesem Zeitpunkt repräsentativste Gremium der Muslime Indiens dar. Parallelen zur Gründung der AIML 1906 bezüglich des repräsentativen Charakters und bezüglich der äußerst wichtigen Rolle des Aga Khan sind unverkennbar.

Die Spannungen in Indien hatten in den späten 1920-er Jahren stark zugenommen, da die britische Kolonialmacht nicht bereit war, weitgehende politische Kompetenzen der indischen Bevölkerung zu übertragen. Neben gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Kolonialherren, kam es aber auch immer häufiger zwischen indischen Religionsgemeinschaften, insbesondere zwischen Muslimen und Hindus, zu Ausschreitungen. Erst die Machtübernahme der Labour-Partei in Großbritannien 1930, die indischen Autonomiebestrebungen traditionell offener gegenüber stand, weckte Hoffnungen auf neue Bewegung. Kurz nach ihrer Amtseinführung lud die neue Regierung zu einer Konferenz nach London ein, um die politische Zukunft Indiens und konstitutionelle Reformen zu diskutieren. Bei der ersten Verhandlungsperiode ab November 1930 waren alle gewichtigen indischen Parteien bis auf den INC, dessen politische Anführer sich aufgrund einer Kampagne des zivilen Widerstands gegen die britische Kolonialmacht im Gefängnis befanden, anwesend. Des Weiteren beharrte der INC auf den Nehru Report als einzig gültige Basis für eine Verfassung. Somit fehlte die wichtigste indische Partei, die Hindu-Mehrheit Indiens wurde indessen während der Konferenz zunächst in erster Linie von der hinduistisch-nationalistischen Mahasabha-Partei vertreten. Der Aga Khan war zuvor sowohl von der muslimischen Delegation, die aus einer illustren Auswahl muslimischer Politiker wie Jinnah, Muhammad Ali Jouhar, Muhammad Iqbal und Muhammad Shafi bestand, als auch von der gesamten indischen Delegation zum Vorsitzenden gewählt worden.

Die Gespräche wurden von den Meinungsverschiedenheiten von Hindus und Muslimen überschattet. Während die Hindus auf eine starke Zentralregierung drängten, war für die Muslime nur eine lose Föderation vollständig autonomer Provinzen akzeptabel. Außerdem entbrannte wieder der Streit über die Abschaffung separater Wählerschaften für Minderheiten, die die Mahasabha-Partei vehement forderte. Schließlich wurde die Konferenz am 19. Januar 1931 abgebrochen. Zumindest konnte in den einzelnen Arbeitsgruppen ein Konsens darüber erreicht werden, dass legislative Sicherheiten für die Minderheiten in die Verfassung geschrieben werden sollten und dass ein näher zu definierendes, föderales System für Indien entworfen werden sollte. Dies muss für den Aga Khan eine beträchtliche Genugtuung gewesen sein, da er seit 1918 für ein föderales System eingetreten war.

Bei der zweiten Verhandlungsperiode, die im Herbst 1931 begann, wurde der INC durch Mahatma Gandhi vertreten, nachdem die britische Regierung realisiert hatte, dass die Kooperation des INC notwendig war, um Fortschritte bei der Ausarbeitung der indischen Verfassung zu erzielen. Parallel zu den festgefahrenen Diskussionen am Verhandlungstisch führte der Aga Khan intensive Gespräche mit Gandhi in seiner Suite im Ritz-Hotel bezüglich der Repräsentation von Minderheiten und möglicher konstitutioneller Absicherungen für die Minderheiten. Die Gespräche endeten jedoch bald wieder in einer Sackgasse, da Gandhi für den INC und somit für sich selbst beanspruchte, für alle Inder zu sprechen und kein Stück von den Prinzipien des Nehru Reports abrückte. Als Reaktion auf die kompromisslose Verhandlungsposition Gandhis formulierten die indischen Minderheiten mit Ausnahme der Sikhs eine gemeinsame Erklärung bezüglich der Minderheitenrechte, die der Aga Khan als inoffizieller Sprecher der Gruppe der britischen Regierung überreichte. Somit endete die zweite Verhandlungsperiode ohne Ergebnis, also musste die britische Regierung einen Schiedsspruch fällen. Dies geschah durch Premierminister Ramsay MacDonald in Form des Communal Award, auf den an dieser Stelle nicht weiter eingegangen soll, da er nur vorübergehenden Charakter hatte. Bis zur Vorstellung des Government of India Act 1935, wurde ein Komitee von 32 britischen Parlamentsmitgliedern beauftragt, aus den Ergebnissen der Round Table Conference eine Verfassung für Indien auszuarbeiten. Dazu wurden 27 indische Repräsentanten als Beisitzer ernannt, zu denen der Aga Khan als einer von fünf muslimischen Repräsentanten gehörte. In dieser Funktion gelang es ihm sogar die gesamten indischen Repräsentanten hinter einem gemeinsamen Referendum zu vereinigen, dass der britischen Regierung vorgelegt wurde. Nachdem der INC das Dokument allerdings abgelehnt hatte, war die britische Regierung ebenso gezwungen, das Dokument abzulehnen. 1935 wurde der Government of India Act verabschiedet. Der Aga Khan zeigte sich aus mehreren Gründen enttäuscht. Er prangerte an, dass die britische Krone weiterhin zu viele konstitutionelle Möglichkeiten habe, in die indischen Belange eingreifen zu können. Zudem kritisierte er die Ausgestaltung der Föderation, da den Provinzen wichtige Kompetenzen zugunsten der indischen Zentralregierung vorenthalten würden. Aus seiner Sicht sei die britische Regierung dem unitaristischen Ansatz des INC im Grundsatz gefolgt. Allerdings sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Government of India Act einige Forderungen erfüllte, die der Aga Khan und weitere muslimische Politiker als Ziele ausgegeben hatten. Exemplarisch sind die Gründung der Provinz Sindh, Reformen in der North Western Frontier Provinces und separate Wählerschaften für Minderheiten zu nennen. Trotzdem habe der Government of India Act die Kluft zwischen Muslimen und Hindus weiter vergrößert und ein geeintes Indien unmöglich gemacht.

Die Arbeit des Aga Khan in den Konferenzen und Gremien, die zur Verabschiedung des Government of India Act führten, markierten auf der politischen indischen Ebene den Höhepunkt seines Schaffens. Im Anschluss ist lediglich noch dokumentiert, wie er kurze Zeit später dem Willen seiner Anhänger in Gujarat entsprach und die indische Regierung darum bat, einen Flächenstaat unter seiner Ägide zu errichten. Identische Forderungen hatten zu diesem Zeitpunkt einige weitere Fürsten gestellt. Allerdings lehnte die Regierung die Forderungen der Ismailiten ab. Nach dieser Episode widmete sich der Aga Khan seiner Tätigkeit im Völkerbund, zu dessen Präsident er 1937 gewählt wurde.

Dienstag, 29. Januar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil II

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II.2. Die Anfänge muslimischer Selbstvertretung 1906-1918

Bereits 1902-1904 habe der Aga Khan realisiert, dass der sich als säkular definierende und somit Muslimen offen stehende Indische Nationalkongress (INC), die zu diesem Zeitpunkt einzige indische, politische Organisation und Vertretung gegenüber der britischen Kolonialregierung, außerstande sei, muslimische Bedürfnisse und Bestrebungen adäquat repräsentieren zu können. Dies begründete er zum einen durch den Druck hinduistisch-nationalistischer Gruppen auf den INC. Andererseits unterstellte er dem INC, lediglich unkritische, „hörige“ Muslime aus Madras und Bombay als Vertreter für den Legislativrat des Vizekönigs auszuwählen. Eine grundsätzlich negative Haltung des Aga Khan gegenüber dem INC lässt sich allerdings nicht erkennen. Im Gegenteil versuchte er bis 1905 in zahllosen Gesprächen, insbesondere mit seiner Vertrauensperson Sir Pherozeshah Mehta, einem Zoroastrier aus Bombay, der dem INC angehörte und über großen Einfluss in Gujarat und Sindh verfügte, den INC von der Wichtigkeit zu überzeugen, das Vertrauen der Muslime wiederzugewinnen.

Die Führungsrolle des INC während der Unruhen als Reaktion auf die Teilung Bengalens 1905, die von muslimischer Seite, welche größtenteils hinter der Teilung stand, nicht nur als anti-britisch, sondern auch als anti-muslimisch wahrgenommen wurden, verfestigten beim Aga Khan in der Folgezeit den in den Vorjahren gewonnen Eindruck.

Folgerichtig ergriff der Aga Khan als einflussreicher Mann mit exzellenten Kontakten zu den britischen Herrschern die Initiative. Zu diesem Zeitpunkt sah der Aga Khan die britische Herrschaft in Indien für die Entwicklung des Subkontinents durchaus als förderlich an, deshalb forderte er von den Muslimen Indiens Loyalität gegenüber der Kolonialmacht. Hinzu kam, dass er die britischen Herrscher als unverzichtbare Schiedsrichter zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimische Minderheit ansah. Die Aussicht auf einen unabhängigen, von Hindus dominierten Staat bestärkten sicherlich seine Ansichten.

Während eines Besuchs in Aligarh 1906 verständigte sich der Aga Khan mit Nawab Muhsin-ul-Mulk, dem direkten Nachfolger und Vertrauten Sir Sayyid Ahmad Khans am Muhammadan Anglo-Oriental College, auf die Organisation einer muslimischen Delegation, die Vizekönig Lord Minto im Namen der muslimischen Gemeinschaft Forderungen bezüglich der Repräsentation im Legislativrat und in den Provinzen unterbreiten sollte. An der Konzeption der letztendlich durch Sayyid Ali Bilgrami ausformulierten Petition an den Vizekönig war der Aga Khan beteiligt. Welchen Stellenwert er bereits zu diesem Zeitpunkt, mit 29 Lebensjahren, innerhalb der muslimisch-indischen Gemeinschaft genoss, lässt sich daran feststellen, dass er von den 70 Vertretern der Delegation aus verschiedensten Regionen des Subkontinents mit differierenden Ansichten, zum Kopf der Delegation gewählt wurde. Neben seiner allgemeinen Akzeptanz unter den Muslimen Indiens, die er sich durch moderate Ansichten, den Einsatz für Bildung, aber auch für die Überbrückung sunnitisch-schiitischer Differenzen erwarb, war das bereits angesprochene gute, oft freundschaftliche Verhältnis des Aga Khan zu britischen Repräsentanten in Indien sicherlich ein nicht unerheblicher Faktor für die Wahl. Dem Aga Khan war es letztendlich vorbehalten, am 1. Oktober 1906 in Simla dem Vizekönig Lord Minto die Petition vorzulesen. Die Petition enthielt zwei Hauptforderungen: die Forderung nach separaten Wählerschaften sowie eine im Vergleich zur Bevölkerungsgröße überproportionale Repräsentation der Muslime in sämtlichen politischen Vertretungen.

Während des Aufenthalts in Simla regte der Aga Khan in einem Gespräch mit Nawab Muhsin-ul-Mulk an, eine politische Partei zu gründen, um die Muslime Indiens zu organisieren und aus ihrer Lethargie zu erwecken. Nur auf diese Weise könnten die Forderungen von Simla nachhaltig verfolgt werden und effizient in die Tat umgesetzt werden. Die Idee des Aga Khan, die Muslime des Subkontinents in einem politischen Organ zu organisieren, war zu diesem Zeitpunkt allerdings keineswegs neu oder einzigartig: seit 1902 hatten führende muslimische Persönlichkeiten sowohl aus Bengalen, als auch aus den United Provinces und dem Punjab, ähnliche Pläne geäußert.

Die All India Muhammadan Educational Conference am 30. Dezember 1906 in Dhaka bot die geeignete Bühne, um die politische Initiative zu ergreifen. Fast 3 000 Delegierte nahmen an der Konferenz teil und bedeuteten damit die bis zu diesem Zeitpunkt größte repräsentative Zusammenkunft indischer Muslime. Zum ersten Mal in der Geschichte der AIMEC wurde das selbst auferlegte Verbot aufgehoben, politische Fragen zu thematisieren, als Nawab Salim Ullah Khan aus Dhaka, unterstützt durch den Aga Khan und Nawab Muhsin-ul-Mulk, die Gründung einer politischen muslimischen Partei vorschlug, um die Durchsetzung muslimischer Interessen zu gewährleisten. Umgehend wurde die Gründung der All India Muslim League beschlossen. Die Wertschätzung, die der Aga Khan innerhalb dieses elitären Zirkels genoss, lässt sich an der Tatsache erkennen, dass er zum ständigen Präsidenten der Liga gewählt wurde. Ebenso spiegeln die im so genannten „Grünen Buch“ formulierten Grundsätze der Liga von Teilen der muslimischen Intelligenz durchaus kritisch gesehene, Argumentationsstränge des Aga Khan wider. Wichtig sind an dieser Stelle die postulierte Loyalität gegenüber der Kolonialmacht und die Betonung von Bildung zu nennen.

In den Folgejahren bis 1909 sollte sich der Aga Khan vollkommen auf den Kampf um separate Wählerschaften für die muslimische Minderheit Indiens konzentrieren. Während sich Vizekönig Lord Minto aufgeschlossen gegenüber den muslimischen Forderungen der Simla-Delegation gezeigt hatte, war der liberale Staatssekretär für Indien in London, John Morley, strikt gegen die Sonderbehandlung einzelner Religionsgemeinschaften. In London initiierte der Aga Khan eine regelrechte Pressekampagne gegen die Reformvorhaben Morleys. Durch zahlreiche offene Briefe an The Times und an weitere britische Zeitungen, in denen er die muslimischen Anliegen in Indien illustrierte und darüber hinaus den Staatssekretär für Indien für seine mangelnde Kenntnisse der indischen Gesellschaft, scharf kritisierte, gelang es, die britische Öffentlichkeit für das muslimische Dilemma in Indien zu sensibilisieren und den Druck auf Morley zu erhöhen. Darüber hinaus nutzte er ein weiteres Mal seine exzellenten Kontakte zu Entscheidungsträgern im britischen politischen System. 1908 gründete der neben dem Aga Khan sicherlich wichtigste Lobbyist indisch-muslimischer Interessen Sayyid Amir Ali in London die der AIML nahe stehende London Muslim League. Als Plattform für die Vertretung muslimischer Interessen kam diesem Organ in den kommenden Jahren wichtige Bedeutung zu. Letztendlich ist es den geschickten und beharrlichen Anstrengungen des Aga Khan und Sayyid Amir Alis zu einem überwiegenden Teil zu verdanken, dass John Morley und das britische Kabinett gegen ihren ursprünglichen Willen dazu bewegt wurden, der muslimischen Minderheit Indiens separate Wählerschaften einzuräumen. Verschiedene Historiker argumentieren, dass mit diesem politischen Sieg die Basis für die Gründung Pakistans 30 Jahre später geschaffen wurde.

Die Rücknahme der Teilung Bengalens 1911, einhergehend mit der Verlegung der Hauptstadt von Kalkutta nach Delhi, löste eine Dynamik aus, die den Aga Khan erstmals innerhalb der Muslime Indiens zu einem gewissen Grade isolierte. Im Gegensatz zum Großteil der indischen Muslime sah er die Wiedervereinigung Bengalens nicht als Vertrauensbruch an. Vielmehr begrüßte er die Entscheidung der britischen Kolonialherrscher, da unter den neuen Voraussetzungen, in Übereinstimmung mit seinem Konzept des territorialen Nationalismus auf der Basis von Spracheinheiten, das in III ausführlich behandelt werden wird, eine bengalische Nation entstehen könne. Kritiker wie Muhammad Ali, zu diesem Zeitpunkt junges Mitglied im INC und der AIML, später bekannte Führungspersönlichkeit in der Khilafat-Bewegung und Delegierter bei der Round Table Conference, warfen dem Aga Khan deshalb vor, mit der Kolonialmacht zu kollaborieren, ohne diese überhaupt zu hinterfragen. Die Vorwürfe wurden des Weiteren gegenüber der autonom agierenden London Muslim League und ihrem Gründer Sayyid Amir Ali geäußert. Dabei entwickelte sich zwischen dem Aga Khan und Muhammad Ali eine Privatfehde. Letztendlich trat der Aga Khan 1913 von seinem Posten als ständiger Präsident der All India Muslim League konsequenterweise zurück, da er die neu ausgegebene Stoßrichtung der AIML von Loyalität gegenüber der britischen Kolonialmacht hin zu Forderungen nach einer für Indien angemessen Form von Selbstverwaltung und die einhergehende Annäherung an den INC nicht mittragen konnte. Muslimische Politiker wie Muhammad Ali Jinnah oder der angesprochene Muhammad Ali, die bereits dem INC angehörten, übernahmen in den Folgejahren die Führungspositionen in der AIML.

Bis er 1918 seine Zukunftsvisionen für Indien in „India in Transition“ niederschrieb, hielt sich der Aga Khan bezüglich indischer Politik merklich zurück und widmete sich vornehmlich seinen ismailitischen Anhängern außerhalb des Subkontinents. Außerdem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt zunehmend nach Europa. Während des Ersten Weltkriegs rief er die Muslime Indiens und seine ismailitischen Anhänger dazu auf, Großbritannien aktiv zu unterstützen. In dieser Zeit unternahmen deutsche Agenten einen erfolglosen Mordversuch an ihm. Seine Verdienste für die britische Krone wurden 1916 mit dem von der britischen Regierung zugesprochenen Titel „Prince of Bombay“ gewürdigt.

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Montag, 28. Januar 2008

Tote bei Unruhen in Beirut

Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften sind gestern in Beirut mindestens sieben Menschen getötet und viele weitere verletzt worden. Die Unruhen ereigneten sich in den mehrheitlich schiitischen Stadtteilen Chiah und Mar Mikhael im Süden Beiruts, nachdem Protestierende Straßen blockiert und Reifen in Brand gesetzt hatten.

Die Menge demonstrierte gegen die anhaltenden Stromausfälle in den südlichen Vororten der Hauptstadt. Auch eineinhalb Jahre nachdem die israelische Luftwaffe während des Zweiten Libanonkriegs wichtige Elektrizitätswerke zerstörte, ist die staatliche Elektrizitätsgesellschaft noch immer nicht in de Lage für eine stabile Stromversorgung in Teilen des Landes zu sorgen. Bis zu 12 Stunden täglich müssen die Menschen ohne Elektrizität auskommen. Eine ungewöhnliche Kältewelle, von der der Nahe Osten derzeit heimgesucht wird, macht dieses Problem für viele Menschen noch dringlicher.

Die libanesische Opposition erklärte, der Zorn der Demonstranten habe sich spontan entzündet und sei von keiner organisierten politischen Bewegung gesteuert worden. Das erste Todesopfer am gestrigen Abend war Ahmad Hamza, ein Repräsentant der schiitischen Amal-Bewegung. Nach deren Darstellung kooperierte Hamza mit der angerückten libanesischen Armee und versuchte die Straßenblockaden aufzulösen als er von hinten erschossen wurde.

Die Armee bestreitet bislang, für die Toten von gestern verantwortlich zu sein und erklärt, lediglich Warnschüsse abgegeben zu haben. Neben Hamza wurden vier Hizbollahmitglieder, ein Zivilist, sowie ein Rettungssanitäter tödlich verwundet. Die Hizbollah verlangt eine Untersuchung der Umstände die zum Tod der "Märtyrer" geführt haben. Der Fernsehsender Orange TV, Sprachrohr der Freien Patriotischen Bewegung von Michel Aoun, veröffentlichte gestern Aufnahmen von Heckenschützen in Zivil, die von umliegenden Häusern in die Menge feuerten. Ähnliche Szenen ereigneten sich fast genau vor einem Jahr als bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Regierung und der Opposition Männer in Zivil von Häuserbalkonen auf Menschen schossen.

Die Proteste vom Sonntag blieben nicht auf die schiitischen Vororte Beiruts, die sogenannte Dahiyeh beschränkt. Auch eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes, die Küstenstraße, die Beirut mit dem internationalen Flughafen sowie den Städten Saida und Tyros im Süden verbindet, wurde phasenweise an mehreren Stellen blockiert. Auch in den Oppositionshochburgen Hermel und Baalbek im Bekaatal kam es zu Protesten. Bereits in der vergangenen Woche hatten einzelne Gewerkschaften auf Grund gestiegener Nahrungsmittelpreise und des sinkenden Lebensstandards gestreikt.

Ministerpräsident Fuad Siniora ordnete für den heutigen Montag Staatstrauer an. Gleichzeitig beschuldigte das Regierungsbündnis 14.März Syrien und den Iran für die Unruhen verantwortlich zu sein. Die Opposition rief ihre Anhänger auf von weiteren Protesten abzusehen und die Ruhe zu bewahren.

Anlass zur Besorgnis liefert die Tatsache, dass die politisch motivierten Unruhen mehr und mehr entlang konfessioneller Grenzen ausgetragen werden. So zog auch gestern eine Gruppe schiitischer Männer zum mehrheitlich von Christen bewohnten Stadtteil Ain al-Rummaneh, der als Hochburg der christlichen Forces Libanaises gilt. Durch die Explosion einer Handgranate wurden hier sieben Menschen verletzt.

Bei der Beerdigung des am Fraitag durch einen Bombenanschlag getöteten Wissam Eid rief eine aufgebrachte Menge: "Das Blut der Sunniten kocht."

Umso aufmerksam wird in Zukunft das Verhalten der libanesischen Armee registriert werden. Bislang ist es ihr unter der Führung Michel Sleimans gelungen, sich nicht politisch vereinnahmen zu lassen und sich weitgehend neutral zu verhalten. Sollte sich herausstellen, dass die Streitkräfte eine Mitverantwortung an den Toten tragen, könnte dieser Nibums ernstahften Schaden nehmen und die Stellung der Armee geschwächt werden.

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil I

Mal wieder eine Seminararbeit...viel Spaß!!!

I. Einleitung

Sir Sultan Muhammad Shah Aga Khan III (1877-1957) nimmt unter den Muslimen Indiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine einzigartige Stellung ein. Als spirituelles Oberhaupt der Ismailiten, als wohlhabender Sponsor breit angelegter Bildungsprogramme, als Repräsentant Indiens auf internationaler Ebene und als Vertreter muslimischer Interessen auf nationaler Ebene war der Aga Khan wie nur wenige andere Muslime im öffentlichen Leben Indiens präsent. Die folgende Studie konzentriert sich auf das politische Wirken des Aga Khan in Indien, somit werden sein internationales politisches Engagement, das in der Wahl zum ersten und einzigen asiatischen Präsidenten des Völkerbunds 1937 gipfelte, sowie seine Anstrengungen für den Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu Bildung in Indien, aber auch zum Beispiel in Ost- und Südafrika, weitgehend ausgeblendet. Die Führungsposition des Aga Khan innerhalb der ismailitischen Religionsgemeinschaft spielt für diese Studie ebenfalls eine untergeordnete Rolle, da in keiner seiner bedeutenden politischen Schriften und Reden in Bezug auf Indien sein ismailitischer Hintergrund auch nur erwähnt wird. Vielmehr setzte sich der Aga Khan in zahlreichen Dokumenten für die Überbrückung sunnitisch-schiitischer Differenzen ein.

Zunächst soll in II analysiert werden, welche Stellung der Aga Khan in den muslimischen Gremien, Delegationen und Organisationen innehatte, die im 20. Jahrhundert bis zur Teilung Indiens eine maßgebende Funktion einnahmen. Der Fokus wird im weiteren Verlauf auf der 1906 gegründeten All India Muslim League (AIML), der Simla-Delegation 1906, der 1928 gegründeten All India Muslim Conference und der Round Table Conference 1930 bis 1932 in London, liegen. Die Khilafat-Bewegung wird nicht eingehend thematisiert, da sie mit der genuinen Forderung, das muslimische Kalifat zu erhalten, eine in erster Linie global-islamische Thematik ansprach, obgleich die Bewegung auf das Verhältnis sowohl zwischen den indischen Muslimen und der britischen Herrschaft, als auch auf das Verhältnis zur indischen Unabhängigkeitsbewegung wichtige Auswirkungen hatte. Die Vernachlässigung der letzten Jahre auf dem Weg zur Teilung Indiens in dieser Studie gründet auf der Tatsache, dass sich der Aga Khan während des Zweiten Weltkriegs im schweizerischen Exil befand, wo ihm von der neutralen Regierung untersagt wurde, sich an jeglichen politischen Aktivitäten zu beteiligen. In den Nachkriegsjahren verkörperte der Aga Khan, unter anderem geschwächt durch eine langwierige Krankheit, keine zentrale Figur auf der politischen Bühne Indiens.

Anschließend werden anhand von Primärquellen Konzeptionen des Aga Khan für die Ausgestaltung eines zukünftigen, möglicherweise unabhängigen indischen Staates aufgezeigt. Im Kontext der historischen Ereignisse in Indien sollen Kontinuitäten und Veränderungen bezüglich der politischen Konzepte untersucht und interpretiert werden. Gegenstand dieser Interpretation werden das ausführliche politische Werk des Aga Khan „India in Transition“ aus dem Jahre 1918 und seine zwei Artikel in The Times in London, „A Constitution for India I and II“ als Reaktion auf den Nehru Report 1928 sein.

Abschließend folgen eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse, die Ausarbeitung von Konstanten im Wirken des Aga Khan und die Einschätzung seiner Bedeutung für die politische Entwicklung auf dem Weg zur Teilung Indiens 1947.

Die Untersuchung stützt sich zu einem beträchtlichen Teil auf Primärquellen des Aga Khan in Form von Reden, Artikeln in Zeitungen und politischen Schriften, die in K.K. Aziz’s Band Aga Khan III von 1998 gesammelt dokumentiert sind. Dadurch soll ein möglichst präzises Bild der politischen Vorstellungen des Aga Khan in Bezug auf die Muslime des indischen Subkontinents gezeichnet werden.

II. Stellung und politische Relevanz des Aga Khan für Indiens Muslime

1902-1947 – eine historische Darstellung

II.1. Beginn des öffentlichen Lebens und Einstieg in die Politik 1897-1906

Sobald der Aga Khan 1898 seine Volljährigkeit erlangt hatte, verließ er Indien mit Ausnahme von kurzen Aufenthalten für drei Jahre. Einerseits besuchte er während dieser Zeit viele seiner Anhänger wie zum Beispiel die große Ismailiten-Gemeinde im damaligen Deutsch-Ostafrika. Andererseits wurde er von diversen Staatsoberhäuptern in Europa und Asien empfangen und mit Auszeichnungen dekoriert. Diese Empfänge hatten überwiegend repräsentativen Charakter, jedoch kam der Aga Khan auch politischen, religiösen und moralischen Pflichten nach. Beispielsweise konnte er den Deutschen Kaiser und König von Preußen Wilhelm II davon überzeugen, den indischen, hauptsächlich ismailitischen Siedlern in Ostafrika wichtige Konzessionen für den Reisanbau und bezüglich ihres Status in der Kolonie zu gewähren. Bei einem anderen Treffen mit Muzaffaraddin Shah aus dem Iran bat er den Shah, Zwangskonversionen von Zoroastriern einzustellen, da dies ein schlechtes Licht auf den Islam werfe und insbesondere die aus Persien eingewanderten Parsis in Indien verärgere und beunruhige. Die Besuche des Aga Khan in Großbritannien waren allerdings für seinen Werdegang von größter Bedeutung, da er in London maßgeblich auf die britische Politik in der indischen Kolonie Einfluss nehmen konnte. Neben Empfängen durch den Premier-Minister Lord Salisbury und König Edward VII, mit dem den Aga Khan eine jahrelange Freundschaft verbinden sollte, konnte der Aga Khan in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des House of Lords und des House of Commons ein Netzwerk aufbauen, das sich auf seine persönliche politische Karriere und auf die Berücksichtigung muslimischer Interessen in Indien positiv auswirken sollte.

Das während der drei Jahre im Ausland erlangte internationale Prestige begünstigte sicherlich die Entscheidung des britischen Vizekönigs Lord Curzon, den erst 25 Jahre alten Aga Khan als jüngsten Abgeordneten 1902 in den Imperialen Legislativrat Indiens zu berufen. Somit begann die politische Karriere des Aga Khan in Indien.

Die Plattform des Legislativrats nutzte der Aga Khan vor allem dafür, Reformen im Bildungssystem zu fordern. Innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft war er in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine der führenden Persönlichkeiten Indiens, die die Rückständigkeit der Muslime gegenüber der hinduistischen Mehrheit, zum Beispiel in Bezug auf Selbstorganisation, auf die unzureichende Bildung der muslimischen Bevölkerung zurückführte. So sah er sich in der Tradition von Aligarh-Begründer Sayyid Ahmad Khan, den er in den Jahren 1896 und 1897 persönlich in Aligarh traf, und arbeitete mit dessen Nachfolger Nawab Muhsin-ul-Mulk sowohl im Bereich der Bildung als auch in der allgemeinen politischen Sphäre eng zusammen. Unter diesen Vorzeichen bemühte sich der Aga Khan, das Bildungsniveau aller indischen Muslime durch von ihm initiierte Programme anzuheben.

Dieser Einsatz brachte ihm 1902 das Angebot, der All India Muhammadan Educational Conference in Delhi vorzustehen. Auch bei der zweiten Konferenz in Bombay 1904 hielt er die Auftaktrede. Diese Konferenzen sind insofern signifikant, da sie erstmals ausschließlich muslimische, jedoch zunächst unpolitische Organe darstellten, die aus Delegierten verschiedener Provinzen des Subkontinents bestanden. Die Bedeutung der Konferenzen wird außerdem dadurch unterstrichen, dass 1906 bei der All India Muhammadan Educational Conference in Dhaka der offizielle Beschluss für die Gründung des ersten rein muslimischen politischen Organs, der All Indian Muslim League, gefasst wurde.

Freitag, 25. Januar 2008

Anschlag in Beirut

Der Libanon wird in immer kürzeren Abständen von neuen Anschlägen erschüttert. Heute wurden bei einer Explosion um 10 Uhr Ortszeit im Beiruter Vorort Hazmiyeh nach neuesten Angaben mindestens 10 Menschen getötet. Das Attentat galt offenbar Wissam Eid, hochrangiger Mitarbeiter des Geheimdienstes der Inneren Sicherheitskräfte (ISF) im Libanon.

Die ISF unterstehen dem Innenministerium und wurden seit dem syrischen Abzug aus dem Libanon 2005 von den USA, der EU, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten massiv aufgerüstet. Unter der Führung ihres Generaldirektors Ashraf Rifi hat sich die Zahl der ISF-Angehörigen seither von 13000 auf 24000 fast verdoppelt. Der Großteil der neuen Rekruten sind Sunniten. Dieser Umstand, sowie die Tatsache, dass die Inneren Sicherheitskräfte von den sunnitischen arabischen Staaten in großem Umfang unterstützt werden, hat der ISF den Vorwurf eingebracht, nicht neutral, sondern eine Regierungsmiliz zu sein.

Auch der ermordete Wissam Eid war ein Sunnit aus der Ortschaft Deir Ammar im Nordlibanon. Er war offenbar beteiligt an der Aufklärung der jüngsten Bombenanschläge, sowie der Umstände die zum Aufstand der Fatah al-Islam im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared geführt haben. Im Februar 2006 überlebte Eid einen ersten Mordversuch verletzt, als eine Handgranate vor seiner Haustür explodierte.

Unklar ist bislang, ob ein Selbstmordattentäter den Anschlag verusachte oder eine Autobombe detonierte. Erst vor 10 Tagen wurden bei einem Attentat auf ein Fahrzeug der US-Botschaft im Norden Beiruts 3 Menschen getötet.

Update: Offenbar wurde die Anzahl der Todesopfer von den Sicherheitskräften anfänglich erneut höher beziffert, als dies den Realitäten entsprach. Das Rote Kreuz berichtet mittlerweile von 4 Toten und 38 Verletzten.

Donnerstag, 24. Januar 2008

Zur Lage im Gazastreifen

Die gegenwärtige Situation in und um den Gazastreifen offenbart die Hilflosigkeit mit der die israelische Regierung den andauernden Raketenangriffen aus Gaza gegenübersteht.

Seit 2001 wurden 11 Israelis durch Qassam-Raketen getötet, unter ihnen 3 Kinder. Einen wirksamen Schutz gegen die mit Sprengstoff gefüllten Stahlrohre gibt es nicht, besonders die 22000 Einwohner der Stadt Sderot haben unter dem Raketenbeschuss zu leiden.

Als Reaktion auf den fortgesetzten Qassam-Beschuss erklärte die israelische Regierung den Gazastreifen im September 2007 zum "feindlichen Gebiet" und kündigte einen Stopp der Öl-, Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen in die palästinensische Enklave an. Am vergangenen Donnerstag beschloss das Kabinett dann eine Blockade des Gazastreifens und Ministerpräsident Ehud Olmert erklärte: "Es ist an der Zeit, dass sich Hamas entscheidet, ob sie kämpfen oder sich um ihr Volk kümmern will. Es ist inakzeptabel, dass die Menschen in Sderot jeden Tag in Angst leben, während die Menschen in Gaza ihr normales Leben weiterführen können."

Wie sich Olmert das "normale Leben" der 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen vorstellt, von denen nach Angaben der Welternährungsorganisation 80% unterhalb der Armutsgrenze leben und bei denen jedes zweite Kind unterernährt ist, erklärte der Premier nicht.

Im Jahr 2005 hatte Israel sämtliche Siedlungen im Gazastreifen geräumt und sich einseitig aus dem 360 Quadratkilometer großen Gebiet zurückgezogen. Gleichwohl übt der israelische Staat weiterhin die vollständige Kontrolle über den Luftraum, den Seeweg und durch ein Abkommen mit Ägypten auch über alle Grenzübergänge aus. Aus diesem Grund bezeichnet etwa das CIA World Factbook, das von der US-Regierung herausgegeben wird, den Gazastreifen noch immer als israelisch besetztes Gebiet.

Damit einher gehen bestimmte Verpflichtungen der israelischen Besatzungsmacht gegenüber den Palästinensern, die in Artikel 55 der Vierten Genfer Konventionen dargelegt sind: "Die Besetzungsmacht hat die Pflicht, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungs— und Arzneimitteln mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln sicherzustellen; insbesondere hat sie Lebensmittel, medizinische Ausrüstungen und alle anderen notwendigen Artikel einzuführen, falls die Hilfsquellen des besetzten Gebietes nicht ausreichen."

Für Jahrzehnte war der Gazastreifen unter israelischer Besatzung zu allererst ein Reservoir für billige Arbeitskräfte. Eine Wirtschaft die es nach der Abriegelung der palästinensischen Gebiete schafft, auf eigenen Füßen zu stehen, konnte so nicht entstehen. Die Korruption der Fatah und die Unfähigkeit der Hamas taten und tun ihr übriges zur wirtschaftlichen Misere im Gazastreifen.

Ohne Zweifel nutzt die Hamas die humanitäre Krise im Gazastreifen aus, allerdings macht ihr die israelische Regierung durch ihre Blockade dieses auch ziemlich einfach. Dass Israel dennoch weiterhin 70% der notwendigen Stromversorgung für den Gazastreifen bereitstellt bleibt daher fast unbemerkt.

Es stellt sich die Frage, welches Ziel die israelische Regierung mit ihrer Blockade des Gazastreifens verfolgt. Die Sicherheitslage für die Einwohner in den grenznahen Regionen hat sich in den vergangenen Tagen nicht verbessert und es ist bislang nicht absehbar, dass sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern wird.

Ganz nebenbei wird der gerade angestoßene Friedensprozess durch die israelische Politik erheblich behindert. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, der die Macht über den Gazastreifen im Juli 2007 endgültig verlor, wird durch die israelische Blockade weiter geschwächt. Für die arabischen Regierungen, die auf der Konferenz von Annapolis ihren Willen zum Frieden bekundeten, wird es nun umso schwieriger den Friedensprozess vor ihren Landsleuten zu rechtfertigen.

Die Hamas hat ihre Macht in Gaza im vergangenen halben Jahr weiter gefestigt und bislang ist nicht absehbar, dass das andauernde Leid der Menschen im Gazastreifen zu einem Volksaufstand gegen die Hamas oder auch nur zu einer Versöhnung zwischen Fatah und Hamas führen wird.

De facto bieten sich Israel nach jetzigem Stand nur zwei Alternativen zu einer Fortführung der Blockade. Möglichkeit 1 wäre eine breit angelegte Invasion des Gazastreifen. Darauf konnte sich die Hamas jahrelang vorbereiten und die israelische Armee müsste im Häuserkampf mit einer hohen Zahl eigener Opfer rechnen. Die Zahl der zivilen Opfer unter den Palästinensern dürften bei diesem Szenario in die Tausende gehen. Nach jetzigem Stand ist kaum vorstellbar, dass der angeschlagene Premier Olmert dieses Risioko eingehen wird

Die andere Möglichkeit ist die eines Waffenstillstands, den die Hamas in der Vergangenheit mehrfach angeboten hat. Dieser würde den Menschen in Sderot eine Atempause verschaffen, die eine Blockade Gazas nicht zu erreichen im Stande ist. Außerdem würde dieser eine Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit wahrscheinlicher machen als eine Fortführung der aktuellen Politik. Läuft alles weiter wie bisher scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein bis Gruppen wie al-Qaida oder Fatah al-Islam im Gazastreifen Fuß fassen.

Mittwoch, 23. Januar 2008

Freedom House zur Lage von Freiheit und Demokratie im Nahen Osten

In der vergangenen Woche hat die amerikanische Nicht-Regierungsorganisation Freedom House ihren Jahresbericht zum Stand der demokratischen Freiheiten in der Welt vorgelegt. Für die Länder Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens kommt die Organisation zu dem Schluss, dass die Verwirklichung politischer Rechte im Jahr 2007 einen Rückschritt erlebt hat.

Der Freedom House-Report stuft die Länder dieser Erde in drei Klassen ein - "freie", "teilweise freie" und "unfreie" Staaten. Grundlage für die Bewertung sind etwa das Parteiensystem, die Unabhängigkeit der Justiz, die Durchführung freier Wahlen, die Verwirklichung von Arbeitnehmerrechten oder das Recht auf Privateigentum soeie der Schutz der Bürgerrechte. Je nach dem Grad der Verwirklichung dieser Rechte werden die Staaten auf einer Skala von 1= "frei" bis 7= "unfrei" eingestuft.

"Der Nahe Osten ist noch immer die repressivste Region der Welt und das Jahr 2007 hat die Hoffnungen der Bürger gedämpft, dass sie endlich mit dem Rest der Welt aufschließen würden.", so Arch Puddington, Forschungsdirektor von Freedom House.

Von den 18 untersuchten Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens wurde allein Israel als "frei" eingestuft. Diese Einschätzung gilt jedoch nicht für die von Israel besetzten und verwalteten Teile des Westjordanlandes die genauso als "unfrei" klassifiziert werden, wie die von der palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten Teile der West Bank, sowie der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen.

Als "teilweise frei" werden von Freedom House Bahrain, Jordanien, Kuwait, Libanon, Marokko und der Jemen eingestuft. Der Libanon schnitt auf Grund der fortgesetzten Anschläge auf Politiker, sowie des Machtkampfes um die Präsidentschaft schlechter ab als noch 2006. Alle anderen Staaten der Region werden als "unfrei" bezeichnet, namentlich sind dies Algerien, Ägypten, Iran, Irak, Libyen, Oman, Qatar, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Ägypten fiel in der Bewertung weiter zurück, da kritische Journalisten weiter verfolgt und Oppositionsparteien unterdrückt werden. Daneben greift der ägyptische Staat immer wieder in die Unabhängigkeit der Justiz ein und verleiht Präsident Hosni Mubarak damit uneingeschränkte Macht. Bei Amtsantritt Mubaraks 1981 galt das Land zumindest noch als "teilweise frei".

Syrien wurde wegen der fortgesetzten Unterdrückung der Opposition schlecht bewertet als vor Jahresfrist. Tunesien, seit jeher einer der am schwächsten bewerteten Staaten der Arabischen Welt schnitt noch schlechter ab, da es glaubhafte Berichte über eine Ausweitung der Korruption im Land gebe.

Zwei Drittel seiner Gelder erhält Freedom House von der US-Regierung. Aus diesem Grund sieht sich die NGO häufig dem Vorwurf ausgesetzt US-Interessen zu vertreten. So seien in der Vergangenheit Wahlen von Freddom House als "frei" gelobt worden, die demokratische Mindeststandards kaum erfüllten, aus denen aber US-Verbündete als Sieger hervorgingen.

Auch Deutschland wurde in der Vergangenheit von Freedom House kritisiert, weil hier die Verbreitung von Nazi-Propaganda verboten, worin Freedom House eine Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sieht.

Montag, 21. Januar 2008

Bahrain: Parlament will unterschiedliche Preise für Einheimische und Gastarbeiter

In Bahrain wächst der Protest gegen Pläne, nach denen Ausländer künftig höhere Preise für Bedarfsgüter zahlen müssen als Bahrainis. Anfang Januar hatte das Parlament einem Entwurf der Finanzkommission zugestimmt, der die Subventionierung von Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs für Bahrains Staatsbürger vorsieht. Die gestiegene Inflation mache einen solchen Schritt erforderlich, argumentierten die Abgeordneten, da die hohe Teuerungsrate in den vergangenen Monaten zu einem Anstieg der Kriminalität in dem Golfstaat geführt habe.

Zu den subventionierten Lebensmitteln sollen künftig unter anderem Reis, Zucker, Milch und Öl gehören. Der Parlamentsbeschluss liegt nun Premierminister Sheich Khalifa bin Salman al-Khalifa vor, der über eine Umsetzung des Vorhabens entscheidet.

Menschenrechtsgruppen verurteilten die Pläne des Parlaments scharf und erklärten, die Regelungen würden gegen die Menschenrechte verstoßen. Ein Vertreter der indischen Gemeinde nannte das Vorhaben "rassistisch". Nach offiziellen Angaben sind knapp 40% der 800000 Einwohner des Inselstaats Ausländer. Der Großteil von ihnen sind Gastarbeiter vom indischen Subkontinent oder den Phillipinen, die das Rückgrat der Wirtschaft in Bahrain bilden. Dennoch führen viele von ihnen ein Leben als Bürger zweiter Klasse, besitzen praktisch keinerlei Arbeitnehmerrechte und werden häufig unregelmäßig bezahlt.

Ein Mitarbeiter der pakistanischen Botschaft erklärte: "Die Gehälter der Ausländer sind niedriger als die der Einheimischen und sie zahlen viel Geld um überhaupt hier her zu kommen. Dieser Schritt wird die Gastarbeiter nur weiter unterdrücken und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht verbessern."

Auch die Supermarktketten machen auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Vorhabens aufmerksam. "Jemand der wie ein Araber aussieht, kann behaupten ein Bahraini zu sein, auch wenn er aus einem anderen Golfstaat kommt. Genauso kann jemand der nicht aussieht
wie ein Araber erklären, er sei ein eingebürgerter Bahraini. Für den Computer sind alle Kunden gleich."

Sonntag, 20. Januar 2008

Al-Jazeera focuses on telling the China story

Hier der Artikel eines befreundeten Journalisten:

Riding the Olympic tide and taking advantage of growing ties between China and Middle Eastern countries, Al-Jazeera – the “Arab CNN” – is increasing its operations on the mainland. And the maverick Qatar-based network, which has raised the ire of western critics because of its coverage of the Iraq war and its airing of messages from Osama bin Laden, says it will take a similarly no-holdsbarred approach to issues perceived as sensitive in Beijing.

In the coming months, Al-Jazeera’s English channel will expand its Beijing bureau; it also plans to establish an office in Shanghai. Al-Jazeera English has four main broadcast headquarters – the Qatari capital Doha, London, Washington and Kuala Lumpur.

Steve Clark, director of news for Al-Jazeera International, says the network almost chose Hong Kong as its Asia-Pacific regional headquarters in 2004, but eventually opted for Kuala Lumpur, though only for financial reasons. “We went to Hong Kong, we spent several days there meeting all kinds of officials, we looked at studios, we looked at property, we looked at offices. We left Hong Kong on the flight to Kuala Lumpur, almost decided that it would be the place.”

The government was eager to attract Al-Jazeera, he adds. Talks with Hong Kong officials lasted several days, and the network looked at possible premises. Mr Clark says Kuala Lumpur was
eventually chosen because rents were much cheaper rather than because of fears about the future of press freedom in Hong Kong, as was reported at the time.

Al-Jazeera first launched as an Arabic news channel in 1996, backed and funded by the Emir of Qatar, Sheikh Hamad bin Khalifa Al-Thani, and made its name as an independent voice in a region where many nations strictly controlled their media.

In the ensuing decade, the “Arab CNN” gained popularity and notoriety in equal measure with its unflinching coverage of Middle Eastern issues, not least its exclusive broadcasts of tapes released by bin Laden and other al-Qaeda figures.

This has prompted accusations from western critics that Al-Jazeera is no more than a mouthpiece for terrorists. Mr Clark denies this, saying bin Laden approached the network not because it was proterrorist but because it was the most popular news channel in the Middle East.

Another argument Al-Jazeera raises is that it does not broadcast all the messages released by bin Laden; they are shown only if the news value warrants it. “In the early days, bin Laden would release a tape and it would be handed to Al-Jazeera Arabic,” says Mr Clark. “Al-Jazeera Arabic would look at this tape and judge the news value. They didn’t use all the tapes they received. There are many that weren’t used because they didn’t say anything [newsworthy].”

Nowadays, al-Qaeda prefers to get its messages out via the internet and no news channel, Al-Jazeera included, has had a tape directly from bin Laden since 2004.

Al-Jazeera is no longer focused on just the Middle East – its English-language service was launched last year, and with China’s increasing importance – not least because of the Olympics, which will put the mainland in the world spotlight like never before – the network is responding with more coverage.

As with western networks, Al-Jazeera’s television news is blocked on the mainland. But despite the limited press freedom, channel bosses say they have not faced difficulties in covering sensitive topics, nor any interference from officials.

This year, Al-Jazeera covered politically sensitive issues like Uygur demands for independence in Xinjiang and the Dalai Lama’s concerns about his Tibetan homeland. “We – like everybody else in China, like the BBC and CNN – we report every day, and we have never been stopped from reporting a story,” Mr Clark says.

“In fact, we occasionally repeat the halfhour interview with the Dalai Lama. We’ve shown it several times. I don’t know whether they like our story or dislike our story, but we have [also] covered the issue of the Uygur people. We have been dealing with the Chinese government now for one year. We dealt with the Chinese government before we launched. We have had no problems.”

Although Al-Jazeera has covered topics considered taboo in Beijing, it has had no negative effect on relations between the two countries. China’s ambassador in Qatar even visited the network’s Doha headquarters two months ago and left a message of goodwill in the VIP book.

Certainly, energy-hungry Beijing has no wish to fall out with Qatar. The Persian Gulf state has the world’s third-largest reserves of natural gas, and business ties are close. Chinese companies are increasing their presence and plenty of Chinese people work there.

Human rights on the mainland remains a sensitive topic which gets plenty of play in western media, but Mr Clark is guarded about the approach Al-Jazeera will take. “We will report any stories which interest the world audience, anything new which hasn’t already been done by the
western channels,” he says.

He refers to the Darfur crisis as an example, saying that only Al-Jazeera broadcasts stories regularly on the warravaged Sudanese region, and hints that it would adopt a similar approach where mainland news is concerned.

Al-Jazeera’s English channel now employs 300 reporters, but intends to hire more to cover China. “We are about to employ 64 more journalists around the world,” he says. “Imagine covering world news is just like a chessboard; you have to decide where the best position is for your people. So yes, we will have extra people in Beijing.”

Chong Hiu-yeung

Freitag, 18. Januar 2008

Libyen plant Massendeportation afrikanischer Flüchtlinge

Libyen hat angekündigt alle sich im Land aufhaltenden illegalen Flüchtlinge "unverzüglich zu deportieren". Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen betrifft dies möglicherweise mehr als 1 Million Afrikaner die sich gegenwärtig in Libyen aufhalten und als Sprungbrett für ihre Flucht nach Europa nutzen wollen.

In einer von der staatlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana verbreiteten Erklärung heißt es, dass man bei der Verfolgung illiegaler Ausländer keine Ausnahme gestatte. Die Flüchtlinge sollten "in zivilisierter Weise" zusammengeführt und anschließend deportiert werden. Zudem wurde die Zerstörung provisorischer Flüchtlingsunterkünfte angeordnet.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verurteilte die Entscheidung der libyschen Behörden. Die Gesetze des Landes verbieten nach Einschätzung von HRW eine Ausweisung politischer Flüchtlinge. Werden die neuen Regelungen jedoch wirklich in die Tat umgesetzt, droht Menschen die Abschiebeung, die in hrer Heimat mit Repressionen zu rechnen haben. Dazu zählen etwa Flüchtlinge aus dem Sudan, Eritrea oder Somalia.

Zwar ist das eigentliche Ziel der afrikanischen Flüchtlinge in der Regel Europa, doch bleiben viele von ihnen mehrere Jahre in Libyen, da sie die Kosten der Schlepper, die die gefährlichen Überfahrten über das Mittelmehr organisieren nicht aufbringen können. Mittlerweile bilden die Ausländer ohne gültige Aufehnthaltsgenehmigung einen wichtigen Pfeiler der libyschen Wirtschaft.

Von der Europäischen Union kam bislang keine Kritik an den Deportationsplänen der Libyer. In der Vergangenheit hatte die EU die afrikanischen Mittelmeer-Anrainer mehrfach um Unterstützung bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung nach Europ gebeten. Im Dezember erst vereinbarten Italien und Libyen gemeinsame Küstenpatrouillien um Flüchtlingsboote frühzeitig aufhalten zu können.

Donnerstag, 17. Januar 2008

Studie zur Demokratie in Jordanien

Der jordanische Staat war nach Einschätzung seiner Bürger im Jahr 2007 weniger demokratisch als noch im Jahr zuvor. Dies geht aus einer Umfrage des Zentrums für Strategische Studien (CSS) hervor die am Dienstag von der Jordanischen Universität vorgelegt wurde. Demnach bewerteten die 1133 Befragten das Niveau der Demokratie auf einer Skala von 0 bis 10 mit durchschnittlich 5,7. Im Jahr 2006 hatte dieser Wert noch bei 6,3 gelegen.

Die Studie zeigt eine weit verbreitete Angst davor, die Regierung oder die Königsfamilie öffentlich zu kritisieren. 78% der Jordanier erklärten, dies würde zu Strafen für sie oder ihre Familien führen. Vor einem Jahr lag dieser Wert noch vier Prozentpunkte niedriger. 82% erklärten die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen und Demonstrationen sei unmöglich ohne Konsequenzen für die Familien zu befürchten.

Insgesamt erklärten nur 50% der Umfrageteilnehmer das "parlamentarische System, indem nationalistische, linke, rechte und islamistische Parteien an Parlamentswahlen teilnehmen" für geeignet oder sehr geeignet für den jordanischen Staat. 40% erklärten dieses System sei nicht oder überhaupt nicht passend für ihr Land. 59% befürworteten ein "politisches System, in dem die Regierung die Macht besitzt starke Entscheidungen zu treffen ohne Rücksichtnahme auf den Wahlausgang oder die Meinung der Opposition."

Das politische System in den USA und Israel halten die Jordanier für weitaus demokratischer als das Eigene. Auf der Skala von 0-10 erreichen die USA einen Wert von 7,8 und Israel von 7,4. Auch der Libanon ist nach Ansicht der Befragten mit einem Wert von 6,2 demokratischer als Jordanien. Deutlich dahinter rangieren die anderen arabischen Staaten Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, Palästina und der Irak.

Als größtes Hindernis für eine Demokratisierung ihres Landes machen die Jordanier Korruption und Vetternwirtschaft, sowie die instabile Lage in der Region aus. Daneben werden die traditionelle Stammesgesellschaft, sowie die Angst der Eliten vor einem wachsenden Einfluss der Islamisten als Hemmschuhe für die demokratische Entwicklung Jordaniens benannt.

Die Kritik der Jordanier an ihren Parteien fällt vernichtend aus. 80% der Befragten gaben an, dass keine Partei befähigt sei das Land zu regieren. Am besten schneidet hier noch die Islamische Aktionsfront, der politische Arm der Muslimbrüder in Jordanien ab, der 3,4% Zustimmung erhielt. Die Verfassungspartei kam auf 1,1%, alle anderen erreichten in der Umfrage weniger als 0,3% Zustimmung. 61% der Umfrageteilnehmer waren der Ansicht, die Parteien dienten ausschließlich den Intereesen ihrer Anführer. Im jordanischen Parlament sitzt seit den letzten Parlamentswahlen allein die Islamische Aktionsfront in Fraktionsstärke, alle anderen Mitglieder sind unabhängige Kandidaten.

Mittwoch, 16. Januar 2008

Anschlag auf US-Diplomaten im Libanon - Folgen und Hintergründe

Nach Politikern, Journalisten und Armee-Generälen sind nun Diplomaten zum Ziel der Anschlagsserie im Libanon geworden. Drei Menschen wurden getötet und mer als 20 weiter verletzt als eine Bombe im Beiruter Vorort Dora explodierte, die offenbar einen Wagen der amerikanischen Botschaft treffen sollte. Die Wucht der Explosion traf jedoch ein dahinter fahrendes Auto, so dass die Insassen des Botschaftsfahrzeugs den Anschlag leicht verletzt überlebten. Unklar ist woher die Attentäter wussten, dass es sich bei dem Auto um einen Wagen der US-Botschaft handelte, da es nicht mit einem gesonderten Diplomaten-Nummernschild versehen war.

Bislang hat keine Gruppe im Libanon die Verantwortung für das Attentat übernommen, allerdings kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der gestrige Anschlag im Zusammenhang mit George Bushs Nahost-Reise steht. Dieser hatte in den letzten Jahren seine Unterstützung für die libanesische Regierungskoalition mehrfach deutlich bekräftigt und die so genannte Zedernrevolution, in deren Zuge die Syrer aus dem Libanon abziehen mussten, als Beispiel für eine gelungene Demokratisierung im Nahen Osten gepriesen.

Hizbollah-Generalsekretär hatte Bush Visite in der Region als schwarze Stunde für die Araber bezeichnet. Den gestrigen Bombenanschlag verurteilte Nasrallah jedoch, wie jede Explosion auf libanesischem Territorium zu verurteilen sei. 1983 waren während des libanesischen Bürgerkriegs bei einem Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Beirut 63 Menschen getötet worden. Damals übernahm der Islamische Jihad die Verantworung für den Anschlag, einer der Gruppen aus denen später die Hizbollah entstand.

Der Anschlag ereignete sich zudem weniger als 24 Stunden vor der Rückkehr des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Amr Moussa, nach Beirut. Dieser will sich erneut um die Umsetzung des von den arabischen Außenministern konzipierten Plans zur Lösung der Krise im Libanon bemühen. Die Erfolgsaussichten für diese Initiative scheinen nach jetzigem Stand doch sehr gering. Das Konzept stieß sowohl bei Vertretern des Regierungslagers, wie etwa Walid Jumblatt, als auch bei den Oppositionsführern auf Ablehnung. Nasrallah erklärte erst gestern erneut, dass keine ausländische Macht den Libanesen eine Lösung aufzwingen könne.

Mehr denn je scheint die Opposition um die schiitischen Bewegungen Amal und Hizbollah und die christliche Freie Patriotische Bewegung von General Michel Aoun gewillt, auf ihren breiten Rückhalt in der Bevölkerung zu vertrauen und den Konflikt auf die Straße zu tragen. Die Zeitung "an-Nahar" berichtete heute, dass entsprechende Pläne vorbereitet würden. Allerdings wolle die Opposition zunächst das Treffen der arabischen Außenminister am 27.Januar in Kairo abwarten. Massendemonstrationen und Generalstreiks durch die Opposition bringen die große Gefahr bewaffneter Zusammenstöße zwischen Anhängern der rivalisierenden Lager mit sich. Dies zeigte sich bereits vor fast genau einem Jahr als bei Schießereien mehrere Menschen getötet wurden.

Angesichts des offenkundigen Unwillens zu einem Kompromiss, erscheint eine Verlängerung des politischen Stillstands im Libanon unausweichlich. Selbst eine Fortsetzung des Machtvakuums bis nach den nächsten Parlamentswahlen 2009 scheint mittlerweile durchaus möglich.

Montag, 14. Januar 2008

Ägypten: Koptische Christin aus Haft entlassen

Die ägyptischen Behörden haben eine Frau aus der Haft entlassen, die im November zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie fälschlicherweise behauptet haben soll Christin zu sein.

Shadia Nagui Ibrahim wurde 1960 als Tocher christlicher Eltern geboren. Als das Mädchen zwei Jahre alt war verließ Nagui Ibrahim, der Vater die Familie, konvertierte zum Islam und nahm den muslimischen Namen Mustafa an. Dadurch wurde automatisch auch seine Tochter Shadia per Gesetz zu einer Muslima. Drei Jahre später versöhnte sich der Vater jedoch wieder mit seiner Frau, kehrte zur Familie zurück und nahm den christlichen Glauben wieder an. Er besorgte sich zudem gefälschte Papiere, die ihn als Christen auswiesen, da in seinen Originaldokumenten mittlerweile Islam als Ibrahims Religion angegeben war.

1996 wurde dann der Mann, der diese Urkunden für Nagui Ibrahim fälschte, festgenommen und er informierte die Behörden über den Fall. Daraufhin wurde der Vater verhaftet und seine Tochter darüber informiert, dass sie laut Gesetz und nachweislich der Papiere Muslima sei. Nach ägyptischem Recht ist es muslimischen Frauen jedoch nicht erlaubt, einen Christen zu heiraten. Sie wurde daher angeklagt, falsche Informationen auf offiziellen Dokumenten angegeben zu haben, da sie in ihrem Ehevertrag 1982 das koptische Christentum als ihre Religion notierte um einen Christen ehelichen zu können. Shadia erklärte nichts von der Konversion ihres Vaters in den 60er Jahren gewusst zu haben.

In einem ersten Prozess im Jahr 2000 wurde die mittlerweile 47-Jährige in Abwesenheit schon einmal zu drei Jahren Haft verurteilt, das Urteil wurde jedoch kurze Zeit später wieder fallengelassen. Im August 2007 wurde die Frau dann erneut festgenommen und im November vergangenen Jahres zu drei Jahren Haft verurteilt. Nun ordnete das Justizministerium jedoch Shadias Freilassung an, da das Urteil auf "fehlerhaften Informationen" basierte.

Sonntag, 13. Januar 2008

Irak: Neues Baath-Gesetz stößt auf Ablehnung

Das irakische Parlament hat gestern ein Gesetz verabschiedet, das Mitgliedern der Baath-Partei von Saddam Hussein die Rückkehr ins öffentliche Leben ermöglichen soll. Das "Gesetz der Gerechtigkeit und Verantwortung" sieht vor, dass sich Mitglieder der aufgelösten Partei künftig wieder für den öffentlichen Dienst und das Militär bewerben dürfen. Hochrangige Baath-Kader haben dieses Recht nicht, dafür aber Anspruch auf Renten und Pensionen.

Ausdrücklich schließt das Gesetz eine Rückkehr ehemaliger Baathisten auf Posten im Finanz-und Außenministerium aus. Außerdem werden Mitglieder der Fedayeen, einer Spezialeinheit der irakischen Armee, sowie des Geheimdienstes nicht von den neuen Regelungen profitieren. Insgesamt dürften knapp 35000 Iraker und ihre Familien von dem Gesetz begünstigt werden.

Das gestern beschlossene Gesetz löst ein Ent-Baathifizierungsdekret des damaligen amerikanischen Staathalters im Irak, Paul Bremer, aus dem Jahr 2003 ab. Dieses hatte nach dem Vorbild der Entnazifizierung im Nachkriegs-Deutschland zur Auflösung der Armee, sowie zur Entlassung Tausender öffentlicher Bediensteter und Uni-Professoren geführt. Da sich die Anhängerschaft des mittlerweile hingerichteten Ex-Diktators Saddam Hussein überwiegend aus der sunnitischen Minderheit im Irak rekrutierte, fühlten diese sich durch Bremers Dekret diskriminiert.

Die Verabschiedung des neuen Baath-Gesetzes war eine der Forderungen der US-Regierung an die irakische Führung die im Zusammenhang mit der Verstärkung der amerikanischen Truppen im Irak vor einem Jahr erhoben wurde. US-Präsident Bush lobte die Entscheidung der irakischen Nationalversammlung während seiner Nahost-Reise als "wichtigen Schritt auf dem Weg zur Versöhnung".

Ein genauerer Blick auf das Zustandekommen des Gesetzes lässt jedoch Zweifel an dieser Lesart aufkommen. Nur 143 der 275 Abgeordneten waren bei der Abstimmung im Parlament anwesend, das notwendige Quorum von 140 wurde nur knapp erreicht. Paradoxerweise haben ausgerechnet Politiker, die von den neuen Regelungen am meisten profitieren könnten, das Gesetz kritisiert.

So waren etwa die Parlamentarier des Nationalen Dialog-Rats des Ex-Baathisten Salih Mutlak, so wie der Irakischen Nationalen Liste des ehemaligen Baath-Mitglieds Iyad Allawi der Abstimmung aus Protest ferngeblieben. Als einziger sunnitischer Fraktion stimmte die Islamische Irakische Partei von Vize-Präsident Tarek al-Hashemi für das Gesetz. Mutlak kritisierte, das Gesetz diene weniger einer Versöhnung von Schiiten, Sunniten und Kuden sondern solle ausschließlich die US-Regierung besänftigen.

Dagegen stimmten die Anhänger des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr geschlossen für das Gesetz, das den Mitgliedern der ihnen verhassten Baath-Partei entgegenkommt. Als Ministerpräsident Nuri al-Maliki den Gesetzentwurf im November 2007 im Parlament einbrachte, hatten die Sadristen noch aus Protest den Plenarsaal verlassen. Immerhin war Saddams Baath-Partei für die Hinrichtung zweier von ihnen verehrter schiitischer Gelehrter, Muhammad Baqir al-Sadr und Muhammad Sadiq al-Sadr, verantwortlich, die 1980 bzw. 1999 ermordet wurden. Baqir al-Sadr ist der Schwiegervater, Sadiq al-Sadr der Vater von Muqtada al-Sadr.

Die sunnitischen Parteien kritisieren besonders einen Passus im neuen Gesetz mit dem verhindert werden soll, dass "die Baath-Partei oder andere Gruppen ideologisch, politisch oder durch Terror und Gewalt zurückkehren können." Diese Klausel könne von der schiitischen und kurdischen Parlamentsmehrheit missbraucht und gegen aktuelle sunnitische Parteien verwandt werden, gerade wenn sich dort ehemalige Baathisten auf führenden Posten befinden.

Die in den Untergrund abgetauchten Baath-Anhänger erklärten auf ihrer Internetseite, sie lehnten das Gesetz ab, da es nur dazu diene den "faschistischen Charakter" der bestehenden Regelungen zu verschleiern, nachdem diese zur Ermordung und Vertreibung von Millionen Irakern geführt hätten. Der bewaffnete Widerstand werde fortgesetzt.

Samstag, 12. Januar 2008

Weitere Freilassungen in Guantanamo

In den nächsten Tagen werden 70 Jemeniten aus dem US-Gefangenenlager in Guantanamo freigelassen. Dies sei das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Geheimdiensten der beiden Länder, erklärte ein hochrangiger Berater von Jemens Staatschef Ali Abdullah Saleh heute gegenüber Journalisten, Anwälten und Menschenrechtsaktivisten in Sanaa.

Mittlerweile stellen die Jemeniten die größte Gruppe unter den noch immer etwa 275 Gefangenen im Camp Delta. Ende 2004 waren noch zirka 800 Männer ohne Anklage in dem Lager auf Kuba festgehalten worden, die zuvor in Afghanistan festgenommen wurden. Heute sind noch knapp 100 Jemeniten in Guantanamo inhaftiert.

Im Verlauf des vergangenen Jahres sind mehr als 100 Häftlinge von den US-Behörden in ihre Heimatländer zurückgeschickt worden, der Großteil von ihnen stammte aus Saudi-Arabien. Bei der Freilassung spielt weniger die potentielle Gefahr die von den Männern noch immer ausgehen mag eine Rolle, als das Herkunftsland der Gefangenen. Saudi-Arabien hat als strategisch wichtiger Bündnispartner der USA und größter Öl-Exporteur der Welt größeres Gewicht als Jemen und konnte daher mehr Staatsbürger in die Heimat zurückbringen. Ein Sprecher der jemenitischen Regierung erklärte dazu.: "Wir können unsere Beziehung zu den USA nicht mit der Saudi-Arabiens vergleichen. Jemen exportiert 300000 Barrel Öl pro Tag, Saudi-Arabien 10 Millionen."

Ebenso unterschiedlich sieht die Perspektive der Männer nach ihrer Freilassung aus. Den uigurischen Guantanamo-Insassen droht bei ihrer Rückkehr nach China die Todesstrafe, den Saudis spendiert der Staat mehrere tausend Dollar, ein Haus und eine Ehefrau. Außerdem durchlaufen die saudischen Männer nach ihre Rückkehr ein spezielles Programm, dass sie von einer Rückkehr in den Terrorismus abhalten soll. Bislang ist keiner der von den USA als "feindliche Kobattanten" eingestuften Männer rückfällig geworden.

Freitag, 11. Januar 2008

Presseschau zu Bushs Israelreise

Während seiner Israel-Reise hat sich US-Präsident George Bush gestern in Jerusalem optimistisch für den Verlauf der Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde geäußert. Bis zum Ende seiner Amtszeit im Januar 2009 sollen beide Seiten einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, der den Grundstein für die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates bildet.

Wörtlich erklärte Bush: "Es muss ein Ende der Besatzung geben, die 1967 begann. Das Abkommen muss ein Palästina als Heimstätte des palästinensischen Volkes schaffen genau so wie Israel die Heimstätte des jüdischen Volkes ist."

Kommentatoren in verschiedenen arabischen Zeitungen teilen Bushs Optimismus nicht. Hier einige Beispiele:

Präsident Bush hat einen großen Fehler begangen, als er die Vereinten Nationen und ihre Rolle bei der Lösung des arabisch-israelischen Konflikts abschaffte, als er sagte, sie seien daran gescheitert den Konflikt beizulegen. Stattdessen erklärte er, seine Vision, die identisch ist mit der israelischen Vision, sei die Basis für eine Einigung die noch vor Ende seiner zweiten Amtszeit Ende des Jahres erreicht werden soll.
[...]
Wie haben die UN in Irak, Afghanistan und Ost-Timor, Kosovo, Libanon und Darfur interveniert; warum sollten sie nicht in Palästina ebenso erfolgreich sein oder scheitern? Ist es, weil Israel über dem Völkerrecht steht, über allen Gesetzen?
[...]
Präsident Bushs Vision basiert auf der Anerkennung Israels als einem Staat auf der Grundlage des jüdischen Glaubens. Diese bedeutet die Aufgabe des Rückkehrrechts . Heute werden wir aufgefordert das Rückkehrrecht als "überholt" aufzugeben, und morgen werden wir aufgefordert das Recht von 1,5 Millionen Arabern aufzugeben, im Staat Israel zu leben, weil Israel ein Staat der Juden ist und als solcher von den arabischen Staaten und der palästinensischen Führung anerkannt ist.
[...]
Israel macht keine schmerzvollen Zugeständnisse wenn es seine Truppen und Siedlungen von den Besetzten Gebieten abzieht. Wo ist der Schmerz? Die Besatzung ist illegal und die Siedlungen befinden sich auf dem Land, das dem unterlegenen Volk mit Gewalt, Mord, Terror und der Unterstützung der zivilisierten westlichen Gesellschaften gestohlen wurde.
[...]
Präsident Bush ist kein Prophet, und er ist nicht dazu ermächtigt, dem palästinensischen Volk israelische Forderungen zu diktieren.

Auf den ersten Blich scheint Bushs Statement sehr positiv zu sein und den Wunsch Washingtons nach einem Ende des jahrelangen Kräftemessens zu bestätigen. Auf der anderen Seite scheint die Erklärung jedoch sehr vereinfacht und bürdet den Palästinensern die größte und wichtigste Verantwortung für den Frieden auf. Dabei sind sie die unterdrückte Partei, die unter der territorialen Besatzung und dem Ausbau der Siedlungen leidet.
[...]
Die Endstatus-Verhandlungen, auf die sich Abbas und Israels Ministerpräsident Ehud Olmert am letzten Dienstag verständigten, werden sehr schwierig und es ist bislang nicht ersichtlich, wie die amerikanische Regierung die Kluft zwischen den beiden Seiten schließen will, die in fast allen Themen klafft, seien es die Flüchtlingsfrage, die Grenzen oder Jerusalem. Die US-Regierung hat nicht erklärt, welche Rolle Washington spielen soll und wie mit der Partei umgegangen wird, die den Verhandlungsprozess behindert. Vor allem aber ist das allgemeine Klima in Israel und der Region nicht dazu geeignet einen palästinensisch-israelischen Friedensvertrag bis Ende des Jahres zu erreichen. Es besteht praktisch Einigkeit in der Region darüber, dass Präsident Bush der Einzige ist, der daran glaubt.

Wir haben die Hoffung aufgegeben, dass Bush Reise ins besetzte Palästina dazu diente den Friedensprozess voranzutreiben. Bush Statements enthüllen, dass die Reise zum Ziel hat, die Region gegen den Iran zu mobilisieren, anstatt Israel dazu zu bringen den Palästinensern ihre Rechte zurückzugeben. Bushs Statement bei seiner Ankunft bestätigt sein Beharren auf einem "Jüdischen Israel" als Voraussetzung für einen palästinensischen Staat. Dies bedeutet die Aufgabe des Rückkehrechts für Flüchtlinge und die Gefahr einer religiösen und ethnischen Säuberung Palästinas durch die Ausweisung der Palästinenser aus dem Palästina von 1948. Sie sollen Opfer einer zweiten "Nakba", einer zweiten Katstrophe werden und in das Westjordanland abgeschoben werden.
[...]
Bush sprach von der Notwendigkeit den illegalen Bau von Siedlungen im Westjordanland zu stoppen, eine Redewendung, die auf die wenigen Wohnwagen und Holzhäuser abzielt die eilig von Israel errichtet wurden. Dies schließt jedoch nicht den Rest der Siedlungen in der West Bank und in Jerusalem ein, und auch nicht die Betonmauer im Westjordanland. Das neue Jahr mag für Optimismus hinsichtlich der Palästinafrage nicht wirlich geeignet gewesen sein, aber der Bush-Besuch machte den Optimisums endgültig zu einer Sache der Vergangenheit. Die kommenden Tage könnten weitere Rückschritte hinsichtlich des Friedensprozesses enthüllen.

Präsident Bush spricht nicht mehr von Demokratie, nachdem sich jeder davon überzeugen konnte, dass die amerikanische Demokratie dort endet, wo ihre eigenen Interessen betroffen sind. Die Welt wird gerade wieder in den beiden Gebieten Palästinas als klarem Beispiel Zeuge davon. Diese und andere Praktiken Amerikas zeigen sich in Bushs jüngsten Erklärungen auf seiner "historischen" Reise nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete zu der "Vision" zur Lösung des Palästinakonflikts. Israel ist nur ein weiterer Nagel der amerikanischen Regierung im Sarg des Völkerrechts, ein Versuch amerikanisches Unrecht als einen Ersatz für internationale Legitimität zu präsentieren. Präsident Bushs Problem ist, dass er vergisst oder zu vergessen vorgibt, dass die Welt versteht, dass der Grund für das Scheitern des Völkerrechts bei der Lösung des Nahost-Konflikts darin besteht, dass die Mehrheit der letzten amerikanischen Regierungen es an der Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung von UN-Resolutionen mangeln ließ, zumindest jedenfalls hinsichtlich der Verpflichtungen Israels gegenüber anderen arabischen Parteien. Die internationalen Resolutionen, die mit amerikanischen Interessen übereinstimmten, wurden hingegen strikt umgesetzt, sogar um den Preis einer militärischen Intervention.
[...]
Wenn Amerika wirklich nach einem gerechten und dauerhaften Frieden gestrebt hätte, dann unterstützte es die Arabische Initiative, die die einzige Basis ist um dies in Übereinstimmung mit den Resolutionen der Vereinten Nationen zu erreichen. Das andere Gerede von einer "Vision" hier und einer "Road Map" dort, wird die Situation nur noch verschärfen und gefährlicher machen.

Am Steuer sitzt George Bush, der Weg zum Frieden ist 1000 Kilometer lang und die Tankanzeige steht kurz vor Null.

Dienstag, 8. Januar 2008

Westsahara-Konflikt: Neue Verhandlungen in Manhasset

In Manhasset im US-Bundesstaat New York hat gestern die dritte Verhandlungsrunde zwischen der marokkanischen Regierung und der westsaharischen Befreiungsbewegung Polisario über eine Lösung des West-Sahara-Konflikts begonnen. Dies Gespräche finden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt und sollen morgen beendet werden.

Ein Durchbruch wird von den Unterredungen nicht erwartet, zu weit liegen die Positionen der Marokkaner und der Sahrawis noch immer auseinander. Marokko will der phosphatreichen West-Sahara, die es 1975 nach dem Rückzug der spanischen Kolonialmacht besetzte, lediglich eine weitreichende Autonomie zugestehen, wie König Muhammad in einem Brief an UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon erneut bekräftigte. Die Polisario hingegen besteht auf der Duzrchführung eines Referendums, bei dem die 300000 Sahrawis auch das Recht haben müssten für eine völlige Unabhängigkeit von Rabat zu stimmen.

Michele Montas, Sprecherin von Ban Ki-Moon, rief in einer Erklärung beide Konfliktparteien auf, in "substantive Verhandlungen" zu treten, äußerte jedoch gleichzeitig Verstädnis dafür, dass es "Zeit und Geduld" brauche um eine für beide Seiten akzeptable Lösung des Konflikts zu finden. Wie eine akzeptable Lösung für die Bewohner der West-Sahara selbst aussehen könnte, darüber lässt sich nur spekulieren, da eine freie Meinungsäußerung von der marokkanischen Seite unterdrückt wird.

Seit einem 1991 geschlossenen Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario, der von der UN-Blauhelmtruppe MINURSO überwacht wird, verläuft der Konflikt weitgehend friedlich. Substantielle Schritte in Richtung einer Beilegung des Streits wurden jedoch gerade von Marokko immer wieder behindert. Ursprünglich siollte bereits 1992 ein Referendum über den künftigen Status der Westsahara abgehalten werden, das seither jedoch immer wieder verschoben wurde.

Ein vom ehemaligen US-Außenminister James Baker 2000 vorgelegter Friedensplan, "Baker I", wurde von der Polisario und der algerischen Regierung, dem Hauptunterstützer der Rebellengruppe, abgelehnt, da dieser lediglich einen autonomen Status der Region unter Anerkennung der marokkanischen Souveränität vorsah. "Baker II" wurde 2003 vorgelegt und sah eine Autonomie der Westsahara für einen Zeitraum von 5 Jahren vor. Danach sollten die Sahrawis in einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Marokko entscheiden. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete diesen Plan einstimmig. Rabat lehnte Baker II jedoch entschieden ab und erklärte, ein Referendum sei unnötig. Auch die Vereinten Nationen haben den Plan mittlerweile stillschweigend begraben - Ban Ki-Moon hat jedenfalls seit Amtsantritt vor einem Jahr nicht einmal auf Bakers Vorschläge verwiesen.

Die neue Verhandlungsrunde, Manhasset III genannt, fällt just in eine Zeit, in der sich Nordwest-Afrika mehr und mehr zu einem Operationsfeld des Terrornetzwerks al-Qaida und mit ihr verbündeter Gruppen entwickelt. In Algerien sind 2007 knapp 500 Menschen durch Anschläge ums Leben gekommen, die militanten islamistischen Gruppen zugeschrieben werden. In Mauretanien wurden Ende Dezember mehrere französische Touristen ermordet. Terrorwarnungen für Mauretanien sorgten zudem für eine Absage der Rallye Dakar.

Montag, 7. Januar 2008

Arabische Liga will Krise im Libanon beenden

Die Außenminister der arabischen Staaten haben am Wochenende einen Plan vorgelegt, der den Weg für die Wahl Michel Sleimans zum neuen libanesischen Präsidenten freimachen und die Krise im Libanon beenden soll. Das Abkommen, das unter Zustimmung Saudi-Arabiens und Syriens von der Arabischen Liga in Kairo verabschiedet wurde, sieht als ersten Schritt eine Änderung der libanesischen Verfassung vor, um dem Oberbefehlshaber der libanesischen Armee die Übernahme der Präsidentschaft zu ermöglichen. Nach dessen Vereidigung solle eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet werden, an der auch die jetzigen Oppositionsparteien beteiligt sind.

Unklar ist bislang noch wie die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts aussehen soll. Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah hatte noch in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem libanesischen TV-Sender NBN seine Forderung bekräftigt, dass die Opposition in der künftigen Regierung mindestens ein Drittel der Minister stellen müsse, bevor man die Wahl eines neuen Präsidenten ermögliche. Mit dieser Sperrminorität könnte die jetzige Opposition künftig alle Entscheidungen des Kabinetts blockieren - eine Möglichkeit, die vom aktuellen Regierungsbündnis vehement abgelehnt wird.

Nach einem Bericht der libanesischen Tageszeitung ad-Diyar sieht der Plan der Arabischen Liga vor, dass in der neuen Regierung jeweils 10 Minister von Regierung und Opposition nominiert werden. Weitere 10 Kabinettsposten sollten von Politikern besetzt werden, die der Präsident selbst auswählt. Dadurch würde keines der beiden verfeindeten Lager die Möglichkeit besitzen Entscheidungen des anderen zu blockieren und die Macht des Präsidenten würde entscheidend gestärkt.

Faktisch würde die Umsetzung dieses Plans eine Abkehr vom Taif-Abkommen von 1989 bedeuten, in dem die Macht des Staatspräsidenten deutlich beschnitten wurde. Dies bedeutet gleichzeitig eine Stärkung der politischen Rolle der Christen im Libanon, da das Amt des Staatspräsidenten im Libanon stets mit einem Maroniten besetzt wird. Die Position des sunnitischen Ministerpräsidenten würde durch die neue Regelung geschwächt.

Die Tatsache, dass sowohl sunnitische arabische Staaten wie Saudi-Arabien, Jordanien oder Ägypten, die das Regierungslager im Libanon stützen, als auch Syrien, der wichtigste arabische Verbündete der Opposition, dem Plan der Arabischen Liga zustimmten, gibt dieser Initaitive gute Chancen auch tatsächlich umgesetzt zu werden. Prominente Köpfe des Regierungsbündnisses wie Saad Hariri, Chef der größten sunnitischen Partei al-Mustaqbal, oder Amin Gemayel, Vorsitzender der christlichen Kataib, begrüßten das Kairoer Abkommen.

Auch aus dem Oppositionsbündnis kam vorsichtige Zustimmung. Parlamentssprecher Nabih Berri, Kopf der schiitischen Amal-Bewegung, lobte die Entscheidung der arabischen Außenminister und erklärte er hoffe auf eine Umsetzung des Plans. Keine Reaktion gab es bislang von den wichtigsten Bündnispartnern Hariris, dem Führer der Lebanese Forces, Samir Geagea, sowie von Walid Jumblatt, dem wichtigsten politischen Vertreter der drusischen Minderheit im Libanon. Auch von Hassan Nasrallah gab es bislang noch keine Stellungnahme.

Nach jetzigem Stand könnten beide politischen Lager dem Kompromiss zustimmen, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Die Regierungsseite kann darauf verweisen eine Sperrminorität der Hizbollah und ihrer Verbündeten im Kabinett verhindert zu haben. Michel Aoun, Chef der größten christlichen Bewegung innerhalb der Opposition, kann argumenieren nur durch seine bislang kompromisslose Haltung sei dieser Kompromiss der Regierung überhaupt erst aufgezwungen worden. Daher sei es ihm zu verdanken, dass die Rolle des christliche Präsidenten im Machtgefüge der libanesischen Politik deutlich an Gewicht gewinne. Daneben kann die Opposition für sich verbuchen, dass die Machtposition des sunnitischen Ministerpräsidenten geschwächt wurde.