Sonntag, 11. April 2010

Und es ward ... Dunkelheit: Zur Situation der Pressefreiheit in Marokko

von Kathrin Altmann

Zehn Jahre nach der Thronbesteigung Mohammads VI ist Marokko ein Land zwischen Monarchie und Kapitalismus, dessen liberale Jahre schon lange zurückzuliegen scheinen. Die Hoffnung nach mehr Freiheit und Demokratie, die sich nach dem Tode Hassans II, Mohammads Vater, geregt hatte, wird seit dem Jahr 2007 kontinuierlich enttäuscht. Die goldenen Jahre der Presse- und Meinungsfreiheit um die Jahrtausendwende, zur Zeit des Herrscherwechsels, scheinen wie verflogen. Auch „Reporter ohne Grenzen“ weisen seit Jahren auf die Verschlechterung der Situation für unabhängige Berichterstattung in Marokko hin.


Zwar gewährt die marokkanische Verfassung den BürgerInnen in Artikel 9 formell die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Aber schon unter Hassan II lachten die polizeistaatlichen Methoden und die staatliche Repression des seit 1979 amtierenden Innenministers Driss Basri diesen Freiheiten Hohn. Mit der Übernahme des Throns durch Mohammad VI und der darauf folgenden Absetzung Driss Basris entspannte sich die Lage zwar erstmals. Trotzdem wurde der Artikel 9 der Verfassung weiterhin durch die unantastbare Parole des Königreichs „Allah, al-Watan, al-Malik“ (zu deutsch: Gott, das Vaterland und der König) eingeschränkt.

Diese Unantastbarkeit der Monarchie wurde in den folgenden Jahren auf sehr spezielle Weise ausgelegt. So wurden Journalisten meist unter Umgehung der Judikative, also qua Verordnung, verurteilt, wegen Vergehen wie „Unterwanderung der Moral der Streitkräfte“, „Infragestellung der territorialen Integrität“ und „Kritik an der Verfassung“ (nachzulen in: Stefan Svec: „Staat und Religion im Islam am Beispiel der islamischen Bewegungen in Marokko und deren Implikation in den politischen Prozess“, Norderstedt 2007, 19f.).

1997 gründete Aboubakr Jamai die französischsprachige Tageszeitung „Le Journal“. Sie war in den Jahren des Thronwechsels von Hassan II zu Mohammad VI zunächst das Aushängeschild des neuen, freieren Marokko, denn sie wagte es, einige Missstände offen zu benennen und schreckte selbst vor heiklen Themen nicht zurück. Im Jahre 2000 brach der damalige Chefredakteur Ali Amar aber ein Tabu, als er den Chefs der Front Polisario, Mohamad Abdelaziz, interviewte.

Die Front Polisario ist eine im Jahr 1973 gegründete Unabhängigkeitsbewegung in West-Sahara, die sich zunächst gegen die spanische Kolonialmacht richtete und seit deren Rückzug gegen die marokkanische Besatzung kämpf und die Unabhängigkeit einfordert. Marokko aber betrachtet bis zum heutigen Tage die West-Sahara als integralen Bestandteil des Königreiches. „Le Journal“ wurde nach dem Interview mit dem Staatsfeind Nummer 1 verboten. Außerdem gab es eine hohe Geldstrafe für die Zeitung, weil sie den Außenminister wegen seiner wirtschaftlichen Verbindungen zum US-Immobilienmarkt kritisiert hatte.

Die Nachfolgezeitung von „Le Journal“ wurde „Le Journal Hebdomadaire“, das zusammen mit der Wochenzeitung TelQuel von Chefredakteur Ahmad Benchemsi und dessen arabischer Version „Nichane“ die einzig wirklich unabhängige Stimme in der Medienlandschaft Marokkos wurde. „Le Journal Hebdomadaire“ beschuldigte im Jahr 2006 Claude Moniquet, den Chef eines privaten Brüssler Think Tanks, seinen Bericht über die Front Polisario den Wünschen des marokkanischen Monarchen gemäß geschrieben und so die Situation der dort lebenden Menschen in allzu rosigen Farben beschrieben zu haben. Dieser verklagte daraufhin „Le Journal Hebdomadaire“ mit Erfolg auf 3 Millionen Dirhams Schadensersatz, was das Blatt in ernste finanzielle Bedrängnis brachte. Die desolate finanzielle Situation war aber, so sagt Aboubakr Jamai, bis ins Jahr 2009 noch mehr oder weniger gut unter Kontrolle, da man sich durch Werbeeinnahmen habe finanzieren können. Dann seien diese Einnahmen – und das bestätigt Soazig Dollet, die Verantwortliche von „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) für den Maghreb – aber schlagartig weggebrochen, und zwar durch einen regelrechten Boykott, der durch das Königshaus initiiert wurde.

Im Januar 2010 beschlagnahmte die marokkanische Justiz nach einer ungewöhnlich schnellen Abwicklung des Insolvenzverfahrens sämtliches Material und Vermögen des „Journal“. Zusätzlich wurden die Konten seiner leitenden Redakteure eingefroren. Wegen dieser von ihm erlebten Unberechenbarkeit der Justiz befindet sich Aboubakr Jamai zum aktuellen Zeitpunkt im Pariser Exil, wo er mit der finanziellen Hilfe von ROG in Zukunft weiter für die Meinungsfreiheit in seinem Land mittels eines geplanten Internetmagazins kämpfen möchte.

Fragt man den Vorsitzenden des marokkanischen Presseverbands FMEJ, Jalil Hachim Idrissi, konnte man 2009 eine regelrechte „Justiz-Eskalation“ beobachten. Ungewöhnlich viele und hohe Geldstrafen wurden verhängt, zahlreiche Journalisten und Autoren wurden festgenommen und teilweise misshandelt. Gleich mehrere Zeitungen mussten Geldbußen bezahlen, weil sie eine offizielle Pressemitteilung des Königspalastes über die Gesundheit des Königs zum Anlass für weitere Recherchen genommen hatten. Hart traf das besonders den leitenden Redakteur der Zeitung „al-Michaal“, da die Geldstrafe bereits seine zweite Verurteilung darstellte und sich dadurch sein Strafmaß erhöhte. So musste er zusätzlich für ein Jahr in das Rabat-Salé-Gefängnis, wo er außerdem, wie seine Kollegen berichteten, schwer von Polizisten misshandelt wurde. Im September wurde dann die unabhängige Tageszeitung „Akhbar Al-Yaum“ verboten. Seitdem dürfen ihre Mitarbeiter nicht mehr an ihre Arbeitsplätze. Grund dafür ist eine Karikatur, die einen Cousin des marokkanischen Königs zeigt. Darüber hinaus wurde ein kritischer Kommentar über Muammar al-Gaddafi als Diffamierung des libyschen Staatschefs bewertet und mit einer Strafe von rund 88.000 Euro als "Schadenersatz" geahndet. Auch die ausführliche Berichterstattung über den Fall von Aminatou Haidar, einer Friedensaktivistin aus West-Sahara, die Ende 2009 von marokkanischen Behörden an der Rückkehr in ihre Heimat Lâayoune gehindert wurde, trug wesentlich zur schwierigen Lage des „Journal“ bei.

Einige Parteien und das Kommunikationsministerium unter der Leitung von Nabil Benabdellah hatten nach der Schließung des „Journal Hebdomadaire“ ausgewählte Vertreter der Presse für den 17. März 2010 ins Parlament eingeladen, um die Situation der marokkanischen Medien zusammen mit den Parlamentariern zu diskutieren. Die großen marokkanischen Oppositionsparteien seit den Wahlen von 2007 sind die konservative Istiqlâl-Partei und die islamische PJD. Letztere steht dem „Journal Hebdomadaire“ nicht besonders wohlwollend gegenüber, da das „Journal“ nicht zimperlich mit islamischen Themen umgeht. Erst 2006 hatte es die dänischen Karikaturen des Propheten veröffentlicht, in deren Folge es weltweit zu z.T. militanten Protesten von Muslimen gekommen war, die jene als Beleidigung ihrer Religion empfunden hatten.

In Marokko ist die Leistung des Treueeids gegenüber dem König Voraussetzung für die Teilnahme am politischen Geschehen. Er impliziert die Anerkennung der Autorität des Königs und die Verpflichtung, ihm absoluten Gehorsam zu leisten. So sind die Erwartungen an diese Konferenz über die Zukunft der Pressefreiheit in Marokko nicht allzu hoch, denn Unterstützung für größere Pressefreiheit, besonders bei der Berichterstattung über das Königshaus, ist von den Parteien nicht zu erwarten.

Für ein Land, in dem nur etwa 1% der Menschen ihr Wissen über aktuelle Geschehnisse aus Zeitungen beziehen – auch durch die mit 48% hohe Analphabetenrate bedingt – sind die Direktiven des marokkanischen Kommunikationsministeriums wieder überraschend restriktiv geworden. Ali Amar, ein ehemaliger Chefredakteur des „Journal“ und Autor des Buches „Mohammed VI. – Le grand malentendu“, vermutet eine neue Strategie hinter den Manövern des Königshauses, die die journalistische Branche empfindlich geschädigt haben. Seiner Meinung nach ist sie darauf ausgerichtet, wieder alle Macht auf den König zu konzentrieren. Das zeige z.B. die Gründung der königsnahen Partei PAM, die von einem Freund des Königs, Fouad Ali al-Himma, geleitet wird und seit Januar 2010 den Vorsitzenden der zweiten Kammer des marokkanischen Parlaments stellt, aber auch die erhöhte Einflussnahme auf die Medien und schließlich die erneute Übernahme der Tageszeitung „Le Soir“.

Ob die marokkanische Medienlandschaft jemals wieder so unabhängige Zeitungen wie das „Journal Hebdomadaire“ hervorbringen wird, bleibt nun abzuwarten. Tatsache ist, dass mit der endgültigen Schließung dieser kritischen Wochenzeitung und dem Entschluss Aboubakr Jamais, seiner Heimat den Rücken zu kehren, der Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozess in Marokko einen herben Rückschlag erlitten hat. Aktuell scheint mehr Demokratie und Pressefreiheit aber auch nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung von Bedeutung zu sein – der Großteil der MarokkanerInnen bezieht seine Informationen eher aus informellen Netzwerken und nicht aus der Zeitung.

Kathrin Altmann studiert Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der Universität Münster und hat diesen Beitrag im Rahmen des Seminars „Islamistische Bewegungen im Nahen Osten“ verfasst.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Westsahara ist ein Territorium im Süden Marokko und kein Land in Nordwestafrika. Westsahara wurde nicht von Marokko annektiert beziehungsweise besetzt. Westsahara wurde etappenweise im Madrider Abkommen mit Spanien von Marokko wiedererlangt.

Wenn es kaum Bewegung im Konflikt um Westsahara gibt, geht dies auf die festfahrende Position der Frente Polisario und Algeriens zurück. Marokko hat ein ehrgeiziges Autonomieprojekt vorgelegt, das von der gesamten internationalen Gemeinschaft begrüßt wurde und das als seriöse und glaubwürdige Bemühung seitens des Sicherheitsrates qualifiziert wurde. Es sind die Frente Polisario und Algerien, die nicht davon was hören möchten, insbesondere Algerien, das behauptet, nicht vom Konflikt betroffen zu sein, und das die Flüchtlingslager in seinem Territorium beherbergt.

Marokko ist bereitwillig, Alles Mögliche zu unternehmen, damit der Konflikt um die Westsahara zu Ende geht aber im Rahmen der Autonomie und im Respekt seiner territorialen Integrität.

Das Referendum ist weder technisch noch politisch anwendbar, die sahraouischen Stämme sind auf vier Länder verteilt, nämlich auf Marokko, Mauretanien, Algerien und Mali.

Die Mehrheit der Sahraouis lebt im Süden Marokkos und ist innerhalb einer Institution (CORCAS) vertreten. Die Front Polisario ist nicht die alleinige Vertreterin der Sahraouis und bereichert sich dank der humanitären Hilfe auf Kosten der Flüchtlinge in den Lagern. Viele Sahraouis in den Lagern von Tindouf möchten nach Marokko zurückkehren, werden dennoch darin verhindert, dies zu tun, die Front Polisario entbehrt der Bevölkerung in den Lagern von Tindouf ihrer Bewegungsfreiheit und macht sie mundtot.

Die „sahrawische arabische demokratische Republik“ existiert nur im Internet. Sie wird von vielen Ländern nicht anerkannt und viele Länder haben ihre Anerkennung der Republik zurückgezogen.

Marokko hat große Investitionen in der Westsahara ausgegeben und Marokko plündert nicht die Ressourcen der Westsahara aus, im Gegenteil Marokko hat einen Autonomieplan vorgeschlagen, der garantiert, dass die Sahrawis ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten selbst betreiben.