Freitag, 4. Februar 2011

Einschätzung aus Jordanien

Liebe Leserinnen und Leser,

es folgt eine Einschätzung zur Regierungsumbildung in Jordanien von Musa al-Munaizel, Leiter des Pädagogikzentrums der Theodor Schneller-Schule in Amman.

Seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten tobt in der Arabischen Welt eine Welle der Modernisierung und der Demokratisierung. Leider wird vieles mit Gewalt und fraglichen Methoden ausgetragen.

Die Lage in Jordanien, trotz verschiedener Proteste, die zum großen Teil von den Islamisten geführt werden, blieb bislang friedlich. Die Demonstrationen sind darauf zurückzuführen, dass die wirtschaftliche, politische sowie soziale Lage seit 1989 nicht schlimmer gewesen ist als jetzt.


Damals hatten wir einen Aufstand, leider mit vielen Toten und Verletzten, der aber doch einen Hauch von Demokratie und die Wiedereinführung des Parlaments mit sich brachte. Viele der Proteste fordern ebenfalls die Annullierung des Friedensvertrags mit Israel. Hier sieht man, wie schnell die Sachen sich in der Arabischen Welt vermischen und sich hochschaukeln.

Die Ereignisse in Jordanien zeigen, dass der Druck von der Straße auch beim König angekommen ist. Wie zu erwarten hat der König vor wenigen Tagen den Premierminister Samir Rifai entlassen und Maruf al-Bakhit als dessen Nachfolger ernannt. Er hatte diesen Posten bereits früher inne. Die Ernennung von Bakhit ist ein guter Schritt, da er politische und militärische Erfahrung besitzt. Er ist derjenige, der für den Friedensvertrag steht und mit den Israelis gut verhandeln kann. Daher war er Botschafter in Israel. Nicht zu vergessen, dass er in einem Dorf aufgewachsen ist: er versteht die einfachen Menschen, kann die Stammesführer begeistern und viele respektieren ihn im Gegensatz zum früheren Premier Samir Rifai. Dieser war bei der Bevölkerung unbeliebt, da er von den einfachen Menschen weit entfernt war. Samir Rifei kommt aus einer aristokratischen Familie, sein Großvater und Vater waren ebenfalls Premiers. Er hat in Amerika studiert und deshalb die Verbindung zu den Menschen auf der Straße verloren. Rifai hat viele unerfahrene, junge Leute in seine Regierung geholt, die alles auf einmal umkrempeln wollten. Dabei lebt Jordanien immer noch in einer traditionellen Weise, sodass alle Stämme und Gebiete berücksichtigt werden müssen, ebenso die Minderheiten im Lande, etwa Christen und Tscherkessen.

Rifai und seine Mannschaft waren nicht in der Lage, die Menschen zu überzeugen, dass sie die Armut bekämpfen können, dass sie wirtschaftliche Entwicklung spürbar machen können und dass sie gegen Korruption vorgingen.

Allerdings ist es wichtig zu erwähnen, dass seine Regierung mit 111 Ja-Stimmen zu 9-Nein-Stimmen vor wenigen Wochen vom Parlament bestätigt wurde. Daher wird immer noch heimlich diskutiert, ob nicht auch das Parlament aufgelöst werden sollte.

Doch auch der neue Premier, Bakhit, hat Altlasten aus seiner ersten Amtszeit: Erstens, das Casino-Projekt am Toten Meer, was Jordanien viele Millionen gekostet hat und nicht zu Ende gebracht wurde, da der Druck von der so genannten Straße zu groß war. Zweitens Bakhit für die Fälschung von Wahlen während seiner ersten Amtszeit verantwortlich. Dennoch steht er für politische Reformen und wirtschaftliche Entwicklung. Er wird einige Maßnahmen ergreifen, um die Korruption einzudämmen und die Mittelschicht zu retten.

Nun hängt es davon ab, welche Mannschaft Bakhit zusammenstellt. Der König hat mit der Regierungsumbildung jedenfalls den Protesten etwas Wind aus den Segeln genommen. Jedoch haben die Islamisten für den heutigen Freitag nach dem Gebet zu Protesten aufgerufen, da ihnen die Ernennung eines neuen Premiers bezüglich politischer Reformen nicht ausreicht. Unter anderem fordern sie die Auflösung des gegenwärtigen Parlaments. In erster Linie monieren aber auch sie die wirtschaftliche Lage. Ich bin mir fast sicher, dass das alles friedlich bleiben wird. Allerdings sind wir im Nahen Osten, die Sache entwickelt sich rasant und bestimmte Entwicklungen kann man absolut nicht voraussehen, da sie rational nicht zu begründen sind.

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