Donnerstag, 29. September 2011

Neue Vorsitzende der israelischen Arbeitspartei: Von den Toten auferstanden

Von Dominik Peters
Die israelische Arbeitspartei hat eine neue Vorsitzende: Shelly Yachimovich. Die »Awoda«-Basis erhofft sich von der ehemaligen Journalistin einen Neuanfang.


Als der zweite Libanonkrieg im Spätsommer 2006 Geschichte war, musste Amir Peretz sein Amt als israelischer Verteidigungsminister aufgeben. Über ihn ergossen sich aufgrund der Beinahe-Niederlage während des Waffengangs gegen die schiitische Hizbullah-Miliz Spott und Häme.

Und auch die Wut war groß auf ihn. Er war der Mann mit der Bilderbuchbiographie eines Arbeitsparteimitglieds: 1952 im marokkanischen Boujad geboren, hatte er es als erster mizrachischer, also arabischer, Jude geschafft, nicht nur Bürgermeister von Sderot zu werden, wo er nach dem Jom-Kippur-Krieg eine Farm aufgebaut und als Rosen- und Knoblauchzüchter gearbeitet hatte. Im Lauf seiner langen Karriere hatte er dazu den mächtigen Gewerkschaftsbund »Histadrut« geleitet, um zu guter Letzt den Vorsitz der »Awoda«, der Arbeiterpartei, zu erlangen.

Das wollte Peretz in der vergangenen Woche erneut schaffen. Er erklärte wieder und wieder, nur mit ihm an der Parteispitze werde es die »Awoda« schaffen, dem konservativen »Likud« bei den kommenden Wahlen Stimmen abzujagen und damit die Regierung zu stürzen.

Aber er scheiterte an Shelly Yachimovich. Im ersten Wahlgang hatten sich die beiden noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, im zweiten Anlauf gelang Yachimovich dann der Sieg über ihren einstigen Mentor. Nach Angaben der Tageszeitung Maariv wählten 54 Prozent der Parteibasis die Herausforderin, 45 Prozent gaben ihren Stimmzettel für Peretz ab. Insgesamt nahmen 61 Prozent der Parteimitglieder an der Stichwahl teil.

»Yachimovich ist die einzige Verheißung der gegenwärtigen Politik«

Das Votum ist der erste wirkliche Neuanfang der Partei seit ihrer katastrophalen Wahlniederlage 2009 und dem Abgang des Alpha-Politikers Ehud Barak. Mit Shelly Yachimovich präsentiert die »Awoda« ein unverbrauchtes Gesicht, das sich scharf von den männlichen Parteigranden, die bisher die Politik der »Awoda« bestimmt hatten, abhebt.

Die 51-Jährige alleinerziehende Mutter zweier Kinder sitzt seit 2006 in der Knesset, dem israelischen Parlament. Zuvor hatte die studierte Verhaltenswissenschaftlerin jahrelang erfolgreich als Journalistin gearbeitet. Die Tochter zweier Holocaustüberlebender aus Polen hatte für die linksgerichtete Zeitung Al Hamishmar geschrieben, bis diese 1995 eingestellt wurde. Es folgten Stationen beim Radiosender Kol Israel und ab 2000 beim TV-Sender Arutz 2, wo sie vor allem über sozialpolitische Themen berichtete.

Nun führt sie, die von Amir Peretz im November 2005 in die Politik geholt wurde, die Arbeitspartei. Die Erwartungen an sie sind hoch – das ihr entgegengebrachte Vertrauen ist es auch. »Yachimovich ist die einzige Verheißung der gegenwärtigen Politik«, kommentierte Ari Shavit mit Blick auf die trotz weiterhin ungelöster Probleme abflauenden Sozialproteste jüngst in der Tageszeitung Haaretz.

Erste kantige Kampfansage an Kadima - und steigende Wählerzustimmung

Dass sie es nicht jedem Recht machen kann und will, zeigte sich bereits vor ihrem Erfolg im Rennen um den Vorsitz der »Awoda«. Noch im August dieses Jahres erklärte sie im Interview mit Haaretz: »Natürlich sehe ich im Siedlungsprojekt keine Sünde und kein Verbrechen. Seinerzeit war es ein Schritt in völligem Einvernehmen. Und es war die Arbeiterpartei, die das Siedlungsunternehmen in den Gebieten gegründet hat. Das ist eine Tatsache. Eine historische Tatsache.«

Diese Aussage brachte ihr bei den post-zionistischen Linksaußen in der Partei keine Pluspunkte ein, ebenso wenig lässt sie mit ihrer dauerhaften Kritik am Turbo-Kapitalismus die Herzen der israelischen Wirtschaftsmagnaten höher schlagen. Aber die Sozialdemokratin, so scheint es, hat nicht vor, sich verbiegen zu lassen, sie will den Weg weiterverfolgen, den sie bereits als Journalistin gegangen war, als sie ihre Sendungen dazu nutzte, ihr wichtige Themen wie den Rückzug aus dem Südlibanon und die Geschlechtergleichheit anzusprechen.

Dass sich ihre politischen Widersacher in den kommenden Wochen und Monaten warm anziehen sollten, scheint ausgemacht. Denn, so Ari Shavit, »sie versteht sich darin, Gegner in Stücke zu reißen. Sie kennt sich mit den Praktiken der Politik aus, sogar mit den schmutzigen Geschäften. Sie ist keine Puristin. Und sie ist weder geduldig noch tolerant. Sie ist eigensinnig, kritisch und streitlustig.«
Eine Kostprobe bekam Tzipi Livni, als sie Yachimovich zu ihrem Wahlsieg gratulierte. Die Vorsitzende von »Kadima« beeilte sich, die neue starke Frau der »Awoda« und erste Vorsitzende seit Golda Meir mit warmen Worten zu umschmeicheln. Sie erklärte, für die Zentrumspartei sei die »Awoda« der »natürliche zionistische Partner auf dem Weg hin zu einer Zukunft der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens«. Yachimovich antwortete nach Angaben des Massenblattes Israel Hajom daraufhin kühl: »Kadima existiert nicht länger. Jetzt beginnt die Zeit der Arbeiterpartei.«

Und wie sie beginnt: Nach den jüngsten Meinungsumfragen ist sie in einem rasanten Höhenflug begriffen. 22 Sitze stünden danach der von den Toten auferstandenen Arbeiterpartei in der Knesset zu – momentan sind es acht. Damit wäre die »die Partei, die verachtet war, die den Staat aufgebaut und hier ein prächtiges zionistisches Unternehmen errichtet hat«, wie es Yachimovich in ihrer Siegesrede beschrieb, die zweitstärkste politische Kraft im Land.

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