Dienstag, 11. Oktober 2011

Ägyptens Presse zu den Unruhen in Kairo: "Sind wir in die Falle des Konfessionalismus getappt?"

Zwei Tage nach den blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten, der Armee und in Zivil gekleideten Schlägertrupps in Kairo, sind die Ereignisse nach wie vor das dominierende Thema in den ägyptischen Zeitungen. Einigkeit herrscht weitgehend darüber, dass die Straßenschlachten, bei denen nach jüngsten Angaben mehr als 24 Menschen getötet wurden und mehr als 150 verletzt wurden, zu verurteilen sind.

 Doch schon bei der Beschreibung der Ereignisse vom Sonntag Abend offenbart sich die Kluft zwischen der staatlichen, armee-freundlichen Presse auf der einen, und den unabhängigen, oppositionellen Blätter auf der anderen Seite. Während die regierungsnahe Zeitung al-Ahram verklausuliert von den „Vorfällen“spricht, verurteilt die liberale al-Wafd das Vorgehen der Armee als „Massaker“.


 In den staatlichen Zeitungen kommt kein Bericht und kein Kommentar ohne den Verweis auf die „Verschwörung“ aus, die aus dem Ausland gesteuert werde und für das Blutvergießen am Sonntag verantwortlich gemacht wurde. Kaum ein kritisches Wort wird über die Rolle der Armee verloren. Viele Artikel lesen sich wie Berichte über eine Naturkatastrophe, die ohne menschliches Zutun über Ägypten hereingebrochen ist. al-Ahram macht darüber hinaus in einem Nebensatz die Organisatoren der Demonstration vom Sonntag für die Eskalation mitverantwortlich. Hätte der Zug zum Tahrir-Platz anstatt vor das TV-Zentrum in Maspero geführt, wäre die Menschenmenge leichter zu kontrollieren gewesen, so der Vorwurf.

„Die Religion ist für Gott, Ägypten ist für alle.“

 Beim Blick in die staatliche al-Gomhuria fühlt sich der Leser in die Mubarak-Ära zurückversetzt. Der Leitartikel ist ein Aufruf zur Einheit zwischen Armee und Volk angesichts der „verräterischen und treulosen Schläge“ denen Ägypten derzeit ausgesetzt sei. Nur wenn Muslime und Christen, das Volk und seine Armee vereint seien, könne Ägypten gewinnen. Der Appell schließt mit der Weisheit: „Die Religion ist für Gott, Ägypten ist für alle.“

 Ibrahim Eissa, publizistische Galionsfigur der Opposition, stellt sich gegen die von den Staatsmedien geschürten Verschwörungstheorien. In seinem Leitartikel für die Zeitungen al-Tahrir und al-Dustur fragt Eissa den herrschenden Obersten Militärrat: „Wenn die Ereignisse in Maspero das Ergebnis einer Verschwörung waren, habt ihr dann nicht zu ihrem Erfolg beigetragen, indem ihr das Blut der Protestierenden vergossen habt?“ Wenn die Armee von der angeblichen Verschwörung wusste, warum habe sie dann die Demonstration überhaupt zugelassen und sie nicht frühzeitig unterbunden?

Auch wenn möglicherweise extremistische Kopten, Anhänger des gestürzten Regimes oder israelische Agenten die Eskalation der Proteste angeheizt hätten, sei die Armee sehr bereitwillig in diese Falle getappt, so Eissa. Seit das Militär das Land regiert, übernehme die Armee die Aufgaben des Innenministeriums. Die Soldaten seien jedoch überhaupt nicht dafür ausgebildet, die Straßen zu schützen und mit Proteste umzugehen. Es sei angesichts dessen undenkbar, dass die Militärregierung weitere sechs Monate bis zur Wahl eines neuen Präsidenten an der Macht bleibe.

„Wir ägyptischen Muslime haben eine Verantwortung"

Auch Zaki Salem geht in seinem Kommentar für al-Tahrir, eine nach der Revolution neu gegründete Oppositionszeitung, hat mit den staatlichen Medien und dem herrschenden Militärrat ins Gericht. „Ihr braucht wirklich keine ausländischen Verschwörungen, ihr allein tut jeden Tag genug, um den Staat zu zerstören.“ Der Autor erinnert daran, dass die Proteste der Kopten keinesfalls aus dem Nichts kamen. Ständig würden christliche Einrichtungen in Ägypten angegriffen und die Armee unternehme nichts dagegen, obwohl sie durch das nach wie vor geltende Kriegsrecht mit allen Befugnissen ausgestattet ist. Das Verhalten der herrschenden Militärs in den letzten Wochen lege den Schluss nahe, dass die Armee Angriffe gegen Christen und ihre Kirchen gutheiße.

 Pessimistisch äußert sich Ziad Bahaa El Din in der unabhängigen Zeitung al-Shorouq. In seinem Kommentar fragt er: „Sind wir in die Falle des Konfessionalismus getappt, oder haben wir eine letzte Chance?“ Auch in der Vergangenheit habe es häufig Zusammenstöße zwischen Christen und Muslimen gegeben. Die uneingeschränkte Verurteilung dieser konfessionellen Gewalt und der Zusammenhalt der verschiedenen Religionsgruppen sei in diesen Fällen stets ein Trost gewesen, erklärt Bahaa El Din.

 Doch die Ereignisse vom Sonntag seien ein Novum. „Zum ersten Mal ist die öffentliche Meinung gespalten darüber, ob das Geschehene falsch ist und wer die Strafe dafür verdient. Besonders wegen des schändlichen Verhaltens der staatlichen Medien, die in den ersten Stunden die Situation anheizten und die Wahrheit verschleierten.“

 Weiter berichtet Bahaa El Din von einem Gespräch mit Verwandten aus einem Dorf nahe Asyut in Oberägypten. Nachdem sich die Polizei zurückgezogen habe würden nun die muslimischen Dorfbewohner ihre koptischen Nachbarn beschützen. Dies müsse zum Vorbild für alle Ägypter werden: „Wir ägyptischen Muslime, die Mehrheit des Landes, haben eine Verantwortung, für die wir uns vor der Geschichte rechtfertigen werden müssen. Wir müssen die Angst ablegen, gegenseitige Anschuldigungen, Gerüchte und Streitigkeiten überwinden, um Einigkeit und Harmonie zu erlangen. Die Einheit der Nation erwächst aus dem Volk, nicht aus dem Staat und seinen Institutionen.“  

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