Montag, 16. Januar 2012

Nur Schmerzmittel - Kommentar aus Algerien

Liebe Leserinnen und Leser,

es folgt ein Kommentar des algerischen Publizisten Abd Al Aziz Gharmoul zu den Gesetzeserlässen des Regimes in der jüngeren Vergangenheit. Das Regime möchte mit diesen Erlässen nach eigener Aussage eine schrittweise Demokratisierung des Landes einleiten.

Ich weiß nicht, warum sich einige Parteichefs mit Bedauern über die Gesetzesentwürfe äußern, die dem sogenannten "Parlament" unlängst vorgelegt wurden. Manche beschreiben die Gesetzesentwürfe als unvollständig und andere als “Prothese”, als warteten sie voller Gutgläubigkeit und politischer Naivität darauf, dass das Regime seine Haut wechsele und alte Gepflogenheiten aufgebe und sich schließlich auf friedliche Weise ändere.

Dies ist unmöglich!

Es gibt in der Geschichte des algerischen Regimes kein einziges Beispiel, das auf eine derartige Veränderung schließen lässt. So überlebt es seit dreißig Jahren durch diese Art Doping, durch “Halluzinationspillen”. Sobald sich die Straße regt, reagiert das Regime mit Beruhigungsmitteln; und sobald sich der Lauf der Geschichte zu ändern droht, lenkt es die Geschehnisse auf seine eigene Art. Je mehr auf das Regime von Außen Druck ausgeübt wird, um das politische “Spiel” oder die politische “Kiste” zu öffnen, desto mehr kanalisiert das Regime diesen Druck auf uns um, um uns zu unterdrücken.

Diejenigen, die über ein gutes Gedächtnis verfügen, werden sich bestimmt an den Medienrummel, das Tamtam, die Versprechungen und das Gequatsche des Regimes Anfang der 1980er bezüglich illusionärer Themen wie einer neuen " fantastischen Kulturpolitik" erinnern, die bereits vor ihrer Geburt zum Tode verurteilt war. Ebenso erinnern sie sich an die anderen unrealistischen Verfassungentwürfe, deren Inhalte mit den Jahreszeiten wechselten und denen ohnehin kein Respekt (seitens des Regimes) entgegengebracht wurde. Genausowenig wie dem Volk Respekt gezollt wurde, das sich allzu leicht manipulieren ließ.

Genauso (wie die früheren Versprechungen) waren die bisherigen Reform-Projekte eine Verschwendung von Zeit, Mühe und öffentlichen Geldern. All diese Maßnahmen führten zu viel Blutvergießen unter uns Algeriern, zur Zersplitterung der Zivilgesellschaft und zur Verdünnung der politischen Klasse. Algerien belegt nunmehr einen der letzten Plätze was die Lebensqualität anbetrifft, und einen der Ersten was die Korruption anbelangt.

Dies ist ein großer Erfolg für das Regime. Es ist nicht Ziel des Regimes, Algerien zu entwickeln und dem Volk ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Es konserviert die Rückständigkeit Algeriens und behindert jegliches Streben der Algerier nach einem besseren Leben. Dies ist ein altbekanntes koloniales Konzept.

Selbstverständlich sind die neuerlichen Gesetzesentwürfe im selben Kontext zu begreifen: sie sollen die Leute für eine bestimmte Zeit ablenken bis die Beruhigungsmittel ihre Wirkung verbreitet haben, damit die Menschen in ihre alten Gepflogenheiten zurückfallen.

Glücklicherweise ertönt dieses Mal der Wunsch nach politischer Veränderung und der Modernisierung Algeriens nicht mehr nur aus den Reihen des eigenen Volkes, sondern ist vielmehr zur internationalen Angelegenheit avanciert.

Einige Männer des Regimes kennen die Szenarien, die zu ihrem endgültigen Untergang führen könnten, allzu gut. Deshalb haben sie ihrerseits ein Szenario für UNS entwickelt, das uns für immer ein Ende bereiten soll. Mit ebendieser bösartigen Intelligenz versuchen sie ihr altes koloniales Regime aufrecht zu erhalten, selbst wenn sie die Bühne der Herrschaft aufgrund einer Aufforderung oder als Folge der über die Region wehenden Winde des Wandels verlassen sollten.

Dies ist das Wesen ihrer Gesetze. Es besteht also keine Notwendigkeit auf irgendetwas zu warten.

Abd Al-Aziz Gharmoul,
ehemaliger Herausgeber der Wochenzeitung Al-Khabar.

Übersetzung von Christoph Dinkelaker und May Huber

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