Sonntag, 15. April 2012

Kontroverse Entscheidung: Der Siedepunkt ist erreicht


Omar Suleiman, Hasem Abu Ismail und Chairat al-Schater waren drei der aussichtsreichsten ägyptischen Präsidentschaftskandidaten. Nun sind alle drei disqualifiziert worden,  wie die zuständige Wahlkommission bekannt gab.  Diese Entscheidung wird für Zündstoff sorgen.



Das Rennen um das ägyptische Präsidentenamt wird immer dramatischer: Die Hohe Wahlkommission hat am Sonntag insgesamt zehn Kandidaten disqualifiziert, darunter den ehemaligen Geheimdienstchef Omar Suleiman, den  Muslimbruder Chairat al-Schater, sowie den Salafisten Hasem Abu Ismail.

Wie der Leiter der Kommission, Faruk Sultan, bekannt gab, hat Suleiman die Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er nicht wie vorgeschrieben die Unterstützung von Wählern aus 15 Provinzen vorweisen konnte. Chairat al-Shater wird nach derzeitigem Stand nicht antreten dürfen, weil er vorbestraft ist und Abu Ismail aufgrund eines US-amerikanischen Passes seiner Mutter.

Mit der umstrittenen Entscheidung ist der Siedepunkt erreicht – schließlich galt bisher jeder einzelne des Trios als potentieller Präsident, wie eine repräsentative Umfrage, die die unabhängige Tageszeitung  „al-Masry al-Youm“  am vergangenen Samstag veröffentlichte, zeigt.

Muslimbruderschaft auf das Szenario „Kandidatensterben“ vorbereitet

In dieser lag Omar Suleiman überraschend mit 20.1 Prozent der Wählerstimmmen vor allen Kandidaten, Zweiter war mit 12.4 Prozent der von den Muslimbrüdern ausgeschlossene Abdul Moneim Abdul Futuh und an dritter Stelle Abu Ismail, al-Schater hingegen landete abgeschlagen bei 3.2 Prozent.

Der war erst im März vergangenen Jahres aus der Haft entlassen worden, die er noch zu Zeiten Hosni Mubaraks angetreten hatte. Zwar wurde er begnadigt, doch qua Gesetz müsste er für eine Bewerbung um ein politisches Amt sechs Jahre warten. Ein Großteil der Ägypter ist aber noch unentschieden, was Analysten bisher als Joker in al-Schaters Ärmel betrachten.

Umso ernüchternder dürfte nun die Entscheidung der Hohen Wahlkommission sein, wenngleich diese noch angefochten werden kann – und man sich bei der Muslimbruderschaft offenbar schon auf ein Szenario „Kandidatensterben“ vorbereitet hat, werden die Versuche des herrschenden Militärrats sich ein Mindestmaß an Macht zu sichern und damit die Dominanz der Muslimbrüder zu minimieren doch immer offensichtlicher.

Deshalb schickte man erst vor wenigen Tagen neben al-Schater, noch Mohammed Morsi ins Rennen um das Präsidentenamt. Der Professor für Wertstoffkunde ist seit April vergangenen Jahres der Kopf der „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“, die der Bruderschaft nahesteht.

Die Mütter von Abu Ismail und Amr Mussa stehen im Fokus der Öffentlichkeit

Weitaus kontroverser als al-Scharters Disqualifikation ist die Hasem Abu Ismails. Der ehemalige Muslimbruder und Sohn eines angesehenen al-Azhar-Gelehrten, gilt heute als wortgewaltiger, einflussreicher Salafistenprediger – und als erbittertster Gegner des herrschenden Militärrats. Noch während der Revolution im vergangenen Jahr, hatte er Feldmarshall Tantawi und die Nomenklatura des Militärs immer wieder angegriffen.

Der Grund für seine Disqualifikation: Abu Ismails Mutter habe neben der ägyptischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besessen und sei mit ihrem Zweitpass auf Pilgerfahrt in Saudi-Arabien gewesen, das berichtete die halb-amtliche „al-Ahram“ und wurde ebenso vom wahhabitischen Königreich bestätigt.

Da nach dem derzeit geltenden Gesetz alle Kandidaten ausschließlich die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen dürfen und von rein-ägyptischen Eltern abstammen müssen, könne Abu Ismail nicht weiter für das Amt des Präsidenten kandidieren – wenngleich dieser vehement bestreitet, dass seine Mutter jemals den Zweitpass mit der Nummer 500611598 besessen habe.

Zwar nicht von der Wahlliste ausgeschlossen, aber ebenfalls aufgrund seiner Mutter in Erklärungsnot ist derzeit Amr Mussa. Der ehemalige Generalsekretär der Arabischen Liga wird bereits seit einiger Zeit immer wieder als Trunkenbold diffamiert und soll zudem eine jüdische Mutter und einen israelischen Halbbruder haben.

Die Gerüchte – von wem sie verbreitet wurden ist bislang unklar, wenngleich Anhänger Abu Ismails dahinter vermutet werden – fanden schnell ihren Weg in die Presse und erregten nilauf, nilab den Zorn vieler Wähler. Um die Massen in ihrem Israel-Hass noch weiter gegen Mussa aufzubringen wurde tief in der Kiste der Fabeln gekramt – und Rakia Ibrahim als dessen vermeintliche Mutter gefunden, eine bekannte ägyptisch-jüdische Schauspielerin, deren richtiger Name Rachel Abraham Levy lautete und die kurzerhand gleich noch zur Mossadagentin erklärt wurde.

Omar Suleiman – Schach oder Macht?

Retourkutschen und Diffamierungen sind in diesen Tagen Teil des politischen Tauziehens am Nil. Jeder Kandidat wird von den Medien auf Herz und Nieren geprüft – und wenn nötig, helfen die rivalisierenden Lager nach, um den jeweils anderen in einem besonders schlechten Licht darzustellen.

Besonders betroffen: der Mubarak-Intimus Omar Suleiman. Gegen die Bewerbung des 75-jährigen ehemaligen Vizepräsidenten zogen am vergangenen Freitag zehntausende Islamisten auf den Tahrir-Platz und hängten in der Kairener Innenstadt kaum weniger Plakate auf, die dessen Konterfei nebst Davidstern zeigten. Die Botschaft: Omar Suleiman hat nicht nur das Blut hunderter Ägypter an den Händen, sondern paktiert auch mit dem ungeliebten Nachbarn. Tatsächlich gilt der im irakischen Bagdad geborene ehemalige israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer als persönlicher Freund Suleimans.

Sollte dieser nicht wieder zu seinem Lieblingshobby, dem Schachspielen, zurückkehren, sondern von seinem Recht Gebrauch machen und binnen  48 Stunden gegen die Entscheidung der Hohen Wahlkommission sein Veto einlegen, um doch noch bei den am 23. Mai beginnenden Wahlen teilnehmen zu können, müsste jedoch auch noch der herrschende Militärrat mitspielen.

Diesem obliegt es, einen vom ägyptischen Parlament am Donnerstagabend verabschiedeten Gesetzesentwurf zu unterschreiben, der die Vizepräsidenten und Ministerpräsidenten der vergangenen zehn Jahre Mubarak von der Wahl ausschließt. Und damit auch Omar Suleiman.

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