Ist die Demokratisierung des Nahen Ostens ein wirksames Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus in den arabischen Staaten? Mit dieser Frage setzt sich eine ausführliche Studie der RAND Corporation, einem US-amerikanischen Think Tank, auseinander. Darin werden sechs Staaten - Ägypten, Jordanien, Bahrain, Saudi-Arabien, Algerien und Marokko - genauer unter die Lupe genommen und analysiert, welche Auswirkungen ein Liberalisierungsprozess auf politisch motivierte Gewalt in den einzelnen Ländern hat.
Das Ergebnis der Studie "More Freedom, Less Terror?" fällt zwiespältig aus. Die politische Liberalisierung in der Arabischen Welt kann politische Gewalt sowohl eindämmen als auch verschlimmern. Entscheidend für einen Erfolg der Reformen ist jedoch, dass diese vom Volk als legitim und umfassend empfunden werden. In vielen Fällen vertiefen Reformen jedoch soziale Spannungen, da die herrschenden Eliten in den einzelnen Staaten sicherstellen, dass ihre Macht unangetastet bleibt oder Reformen vom Volk als bloße Kosmetik betrachtet werden.
Daneben kommt die RAND-Studie zu dem Ergebnis, dass eine Öffnung des politischen Systems Oppositionsbewegungen mäßigen kann. Aber auch hierfür ist entscheidend, dass Reformen greifbare Ergebnisse liefern. So verweist der Bericht auf die Beispiele Marokko und Jordanien, wo moderate islamistische Parteien - im Maghrebstaat die "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", in Jordanien die "Islamische Aktionsfront" - in das politische System eingebunden wurden und die Unterstützung für radikale Islamisten seither zurückging. Eine wachsende Konfrontation zwischen dem herrschenden Regime und der islamistischen Opposition spiele hingegen den Hard-Linern in die Hände. Eine entsprechende Entwicklung sei in Bahrain zu beobachten.
Die RAND-Studie räumt ein, dass politische Reformen keineswegs mit wachsender Toleranz unter den Bürgern einhergehe. Als Beispiel wird hier Ägypten angeführt, wo die Spannungen zwischen Muslimen und Kopten zugenommen haben und die koptische Minderheit alle Reformen ablehne, die islamistischen Parteien mehr Macht bescheren könnten.
Grundsätzlich stellt der Bericht fest, dass in allen Staaten des Nahen Ostens die Regierungen bestrebt sind, islamistische Bewegungen von der Macht fernzuhalten. In Jordanien wurde das Wahlgesetz so konstruiert, dass die Islamische Aktionsfront marginalisiert wird. In Algerien wurden islamistische Parteien vom politischen Leben und der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. In ähnlicher Weise wird die islamistische Opposition in Ägypten drangsaliert. In Bahrain sorgt die Königsfamilie dafür, dass schiitische Parteien im Parlament unterrepräsentiert sind.
Nach Einschätzung der Studie besteht unter den Bürgern der arabischen Länder ein weit verbreitetes Interesse an einer Demokratisierung ihrer Gesellschaften. Umso größer ist daher oftmals die Enttäuschung über halbherzige Reformen. In Marokko treiben etwa die allgegenwärtige Korruption und die fehlende Rechtsstaatlichkeit die Islamisten Anhänger zu. Ein noch krasseres Beispiel stellt Algerien dar, wo die Wahlen 1992 für nichtig erklärt wurden, nachdem ein Sieg der islamistischen Heilspartei FIS vorhergesagt worden war. Die Folge war ein jahrelanger Bürgerkrieg. Auch in den Golfstaaten sei die Ohnmacht der Parlamente ein Auslöser für politisch motivierte Gewalt.
Entscheidend für die Akzeptanz politischer Reformen ist die Umsetzung von Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.
Gleichwohl ist ein Anstieg oder Rückgang von Radikalismus und Terrorismus häufig unabhängig von innenpolitischen Reformen. So sei der Anstieg islamistischer Gewalt in Saudi-Arabien in erster Linie mit der Rückkehr von Kämpfern aus Afghanistan oder dem Irak zu erklären. Ebenso waren die Bombenanschläge in Casablanca 2003 eine Reaktion auf die engen amerikanisch-marokkanischen Beziehungen.
Die Autoren der RAND-Studie empfehlen eine "realistische Demokratisierung anstatt einer Rückkehr zum Realismus". Politische Reformen sollten unterstützt werden, von einer Demokratisierung durch Kriege und blutige Regimewechsel sollten die USA hingegen absehen. Wichtig sei es eine Parteinahme bei innenpolitischen Auseinandersetzungen in den arabischen Staaten zu vermeiden. Ebenso sei es entscheidend, dass die Wahrung der Sicherheit im Nahen Osten nicht auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte geht. Auch wenn die islamistischen Parteien amerikanischen Interessen oftmals entgegenstehen, sollte die USA die Rolle der Islamisten anerkennen und Kontakte zu ihre Vertretern aufbauen, empfiehlt die RAND-Studie.
Dienstag, 7. Oktober 2008
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