Dienstag, 26. Januar 2010

Auch der Nahe Osten hilft Haiti

Ein Kommentar

Dem verheerenden Erdbeben in Haiti vom 12. Januar sind wahrscheinlich weit mehr als 100.000 Menschen zum Opfer gefallen. Die Bilder der Katastrophe schockierten die Welt und von allen Teilen der Erde starteten Hilfs- und Spendenaktionen für den verarmten Karibikstaat. Auch der Nahe Osten hilft.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sehr früh eine Luftbrücke nach Haiti aufgebaut und liefern Hilfsgüter. Kuwaits Staatschef Scheich Sabah al-Ahmad as-Sabah hat eine Million Dollar gespendet. Katar hat 50 Tonnen Hilfsgüter, sowie 26 Polizisten und Mediziner und ein mobiles Feldlazarett nach Haiti geschickt. Ähnlich handelte Jordanien. Tonnenweise Zelte, Medizin, Impfstoffe und Decken kamen auch aus der Türkei, Marokko, dem Iran, dem Libanon und vielen anderen Staaten des Nahen Ostens. Saudi-Arabien, eines der reichsten Länder der Erde, musste sich lange Kritik gefallen lassen, weil es sich an der Hilfe nicht beteiligte. Gestern, am 25. Januar, ließ nun auch das saudische Außenministerium mitteilen, es werde 50 Millionen US-Dollar für Haiti bereitstellen – und unterstrich, dass man damit den größten finanziellen Betrag aller arabischen Staaten aufbringe.


Dem beispiellosen Hilfswettbewerb verfallen ist sogar die Palästinensische Autonomiebehörde, die Hilfe angekündigt hat. Ja sogar in Gaza haben Menschen für Haiti Hilfsgüter eingesammelt, obwohl die Blockade deren Ausfuhr verhindert. Deshalb nimmt das Rote Kreuz in Gaza, das die Hilfsaktion koordiniert, nur finanzielle Spenden entgegen.

Natürlich lässt sich auch Israel nicht lumpen. Tel Aviv schickte das Rettungsteam seines Militärs, Chirurgen, ein mobiles Krankenhaus. Sogar ein modernes Kommunikationsnetzwerk ließ Israel aufbauen, wodurch z.B. Videokonferenzen zu Ärzten in Israel möglich sind. Das Onlinenetz der IDF steht auch den internationalen Medien zu Verfügung. Unabhängig davon ist auch das ultraorthodoxe jüdische Rettungsteam ZAKA in Haiti aktiv.

Doch sind die Hilfsaktionen wirklich so uneigennützig? So dringend die Hilfe in Haiti auch benötigt wird, vor allem die palästinensische und israelische Hilfe erweckt auch den Anschein, als wollten die nahöstlichen Konfliktparteien ihre ureigene Humanität und ihre moralische Überlegenheit unter Beweis stellen. An den Gräueltaten vor der Haustür könnten diese großzügigen Menschen ja nicht Schuld sein. Die Verantwortung für die Lage im Nahen Osten muss also beim anderen liegen. Die israelischen Militärs können sich zudem über nützliche Erkenntnisse aus dem Praxis-Test ihres modernen Katastrophen- und Rettungssystems freuen. Die Hilfe selbst findet im Großen und Ganzen aber immer noch sehr unkoordiniert statt, weil jedes Land werbewirksam seine eigenen Güter in die ferne Karibik fliegt, wo die mangelhafte Logistik die Verteilung oft verhindert. Die nun in Montreal tagende internationale Krisenkonferenz hat sich nicht zuletzt auch eine bessere Koordination zum Ziel gesetzt.

Doch muss man bei Berichten über das israelische Engagement in Haiti nicht unweigerlich auch an Gaza denken, wo es nach dem Krieg vor einem Jahr keine humanitäre Hilfe und keine Rettungsaktionen für die vielen Verschütteten gab?

Die israelischen Medien berichten wie die unseren vom Leid der Menschen in Haiti und von vielen Einzelschicksalen. Doch das tägliche Leid ihrer Nachbarn in Gaza und die humanitäre Katastrophe, die der letzte Krieg auslöste, wird kaum zu Kenntnis genommen. Wer weiß in Israel schon, dass dort 3.500 Häuser zerstört wurden, dass jeder zweite Einwohner Gazas auf humanitäre Hilfe angewiesen ist, dass die 4,5 Milliarden Dollar, die auf der internationalen Geberkonferenz in Sharm al-Sheich vor einem Jahr zusammen kamen, wegen der Blockade nicht eingesetzt werden können?

Für arabische Medien ergibt sich ein umgekehrtes, aber nicht weniger zynisches Bild. Während bei Al-Jazeera und Co. die Bilder der israelische Offensive nicht brutal und blutig genug sein konnten – und viele sich von der Hamas-Zensur vereinnahmen ließen – stand die Berichterstattung über Haiti nicht im Vordergrund. Außerdem sind die angeblichen imperialistischen Bestrebungen der USA, die die Katastrophe ausnutzen würden, hin und wieder Thema arabischer Fernsehanstalten. Noch kritischer sind arabische Internetblogs. Manche diskutieren sogar die Theorie, das Erdbeben sei das Ergebnis eines geheimen Waffentests der USA gewesen.

Aber natürlich sind eigennützige Hilfe und fehlgeleitete Berichterstattung nicht nur auf den Nahen Osten beschränkt. Auch die Spendenshows in Deutschland und anderswo funktionieren größtenteils nach einer fragwürdigen Logik: Firmen und Prominente bekommen die Möglichkeit, für sich zu werben und sich zu präsentieren, um ihr Image zu pflegen. Vor allem das ZDF sorgte zusammen mit Bildzeitung in seiner Spendengala für höchste Emotionalisierung, worauf dann Konzerne ihre ethische Unternehmensführung mit der Verkündung eines stattlichen Beitrags vor applaudierendem Publikum beweisen konnten. Kein noch so teurer Werbespot hätte solche Effekte.

Zeit für Hintergrundinformationen über die soziale und politische Situation Haitis gab es hier genauso wenig, wie in den meisten arabischen und israelischen Medien. Und die Frage, warum man die letzten Jahre tatenlos und uninteressiert zusah, wie Menschen in diesem Land tagtäglich an Hunger und Armut sterben bleibt auch aus.

Es bleibt festzuhalten, dass in der globalisierten Welt von heute der öffentliche Druck, in Katastrophengebieten helfen zu müssen auch im krisengebeutelten Nahen Osten hoch ist, selbst wenn die Hilfe in einem fernen Karibikstaat benötigt wird.

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