Samstag, 17. September 2011

Patriarch auf Glatteis - Ra´is Fehltritt auf diplomatischem Parkett

Der Aufstand in Syrien - Es gibt dieser Tage kein Thema das brisanter an der östlichen Mittelmeerküste diskutiert wird. Der neue maronitische Patriarch traute sich während eines Staatsbesuchs in Frankreich an das heikle Thema und findet sich in einem PR-Desaster wieder. Kein guter Start auf dem internationalen Parkett!

Wenn man im Ausland ist, redet es sich viel unbeschwerter über die Heimat. Dies mag zutreffen. In Zeiten digitaler Kommunikation, kann dies einem aber schnell zum Verhängnis werden. Bechara Botrous Ra´i, der seit März dieses Jahres amtierende Patriarch der Maroniten, der größten christlichen Konfession im Libanon, macht diese Erfahrung dieser Tage.

Eigentlich müsste sich ein Frankreich-Besuch für einen maronitischen Patriarchen als angenehm erweisen. Frankreich trat lange als Fürsprecher der maronitischen Christen in der Levante auf. Während der Mandatszeit Frankreichs konnten die Maroniten ihre dominante Stellung im politischen System des Libanons festigen.

"Der arme Mann kann keine Wunder vollbringen!"

Aber um Geschichte ging es in Ra´is Statement nicht. Eher ums Zeitgeschehen.
"Assad muss eine Chance geben werden, weil er Reformen in Syrien umsetzt." sagte Ra´i dem arabischen Nachrichtensender al-Arabiya. "Der arme Mann kann keine Wunder vollbringen!"

Bachar Al-Assad, der syrische Präsident ist seit dem Frühjahr mit einem Aufstand in seinem Land konfrontiert. Die syrische Armee geht seit Monaten gegen Demonstranten vor. Woche um Woche kommt es zu Toten und Verletzten. Die Opferzahlen werden mittlerweile auf über 2000 geschätzt.

Ra´i drückte im Folgenden seine Sorge darüber aus, dass die Christen in Syrien die Leittragenden eines möglichen Bürgerkriegs werden könnten. Vielen Christen im Nahen Osten ist das Beispiel des Irak noch vor Augen. Im Zuge der amerikanischen Invasion wurden Christen Angriffsziel insbesondere sunnitischer Extremistengruppen, in deren Folge die Mehrzahl der irakischen Christen dauerhaft aus ihrem Heimatland vertrieben wurden.

Auch im post-revolutionären Ägypten fragen sich viele koptische Christen, ob sich ihre Situation im Zuge der Umwälzungen verbessert hat. Sie fürchten eine stärkere Einflussnahme durch die Muslimbrüder auf die Politik des Landes.

Das Heikle an Ra´i Aussagen zu Syrien: Auch das syrische Regime, was sich hauptsächlich aus Alawiten zusammensetzt, spielt die Minderheitenkarte und schürt die Angst vor einem Umsturz sunnitischer Islamisten. Ziel ist es, die Minderheiten der Drusen und Christen auf Seiten des Regimes zu halten.

Entsprechend wurden Ra´is Aussagen im Libanon als direkte Unterstützung für das syrische Regime interpretiert und entlang der politischen Frontlinien gedeutet. Eine hitzige Debatte entbrannte in der libanesischen Presse. Täglich äußerte sich eine neue Führungsfigur zu Ra´is Aussagen.

Schlichter zwischen den christlichen Fraktionen des Libanon

Während sich der Führer der Lebanese Forces, Samir Geagea, lautstarker Kritiker des syrischen Regimes "sehr irritiert" zeigt, war die Freude auf Seiten der Allianz des 8.März, die die libanesische Regierung dominiert, groß.

Michel Aoun, einflussreicher christlicher Führer in der Regierungskoalition stellte sich voll hinter die Aussagen von Ra´i und sagte er "unterstütze seinen Standpunkt". Aoun, der zum Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1989 noch einen verlustreichen "Befreiungskrieg" gegen die syrische Besatzungsmacht im Libanon führte, hat sich seit seiner Rückkehr aus dem französischen Exil 2005 immer weiter dem syrischen Regime angenähert. Mittlerweile gilt er im Libanon, zumindest rhetorisch als einer der stärksten Unterstützer des Assad-Regimes. In Syrien würden "bewaffnete Banden Terror betreiben", ist Aouns Interpretation der Vorgänge im Nachbarland.

Der 71-jährige Ra´i hat sich, ob gewollt oder ungewollt, mit seinen Aussagen auf die Kräfte im Libanon zubewegt, die das aktuelle syrische Regime stützen. Damit ist er zumindest phasenweise zwischen die Frontlinien der libanesischen Politik geraten.

Seine Aufklärungsversuche nach seiner Rückkehr in den Libanon, in denen er darauf verwies seine Aussagen seinen aus dem Kontext gerissen, konnte nur bedingt zur Entschärfung der Lage beitragen.

Problematisch daran ist, dass dem maronitischen Patriarchen die Rolle eines Schlichters zwischen den christlichen Fraktionen des Libanon zukommt. Ra´is Vorgänger Patriarch Nasrallah Boutros Sfeir, musste unter anderem deshalb Anfang des Jahres zurücktreten, da ihm dieser Balanceakt nicht gelang. Er galt als Sympathisant der Lebanese Forces von Samir Geagea und wurde von den Anhängern General Aouns phasenweise regelrecht angefeindet.

Auch für Bechara Ra´i zeigt sich dieser Tage wie schwer es ist, im Libanon über den polarisierten Blöcken zu stehen - und nicht zwischen ihnen.

Insofern war die letzte Woche für den amtierenden Patriarchen sehr lehrreich. Aussagen auf einer Bischofssynode in Europa können direkte Auswirkungen auf das politische Klima in seinem Heimatland haben. Differenzierte Analysen finden sich nun mal nicht in den Tickermeldungen der Nachrichtenagenturen wieder. So wird das internationale Parkett schnell zum Glatteis.

1 Kommentar:

M.A. hat gesagt…

Was ist denn nun genau mit Fehltritt gemeint? Ra'i hat genau das getan was seine Aufgabe als maronitischer Patriarch und selbsternannter Vertreter der Christen des Nahen Ostens ist: Die Christen des Nahen Ostens zu vertreten. Das mag angesichts der Lage in Syrien in der Leseart von LF und Mustaqbal opportun wirken, so dass sie sich "irritiert" fühlen. Aber er trifft mit seiner Einstellung genau den Nerv des Großteils der Christen, sowohl in Libanon als auch in Syrien: Lieber den Diktator Assad als das was danach kommen mag.

Im Irak wünschen sich mittlerweile sogar die Schiiten auf der Straße einen Diktator wie Saddam Hussein zurück. Unter diesem Teufel hatte man ja wenigstens noch Wasser, Strom und genug zu essen - aber vor allem auch eine relative Sicherheit vor Anschlägen und religiös motivierten Morden. Genauso ist es unter Assad in Syrien. Wenn man nicht gerade mit den tatsächlich nicht allzufriedlich demonstrierenden Aufständischen auf die Straße geht, lebt man als Minderheit dort ein ganz gutes Leben.

Nicht gerade eine Traumsituation, aber dennoch das beste was die Lage für die Christen zu bieten hat. Dies zu bestätigen ist alles andere als ein Fehltritt des Patriarchen. Vielmehr ist es ein klares Signal an die ehemalige Kolonialmacht in Paris, dass die Interessen Frankreichs eben nicht die Interessen der Christen in Nahost sind.