Donnerstag, 7. Februar 2008

Grundlegende Probleme des Bildungssystems im Libanon - Teil 2

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Das Bildungswesen während des französischen Mandats

Am Beginn der Mandatsperiode 1920 stand Frankreich im Libanon vor einigen Problemen und Widersprüchen. Zwar kulminierte die französische Penetration der Levante gewissermaßen mit der Erlangung der direkten Kontrolle, doch war sie auch an eine durch den Völkerbund vorgebene Mandatscharta gebunden, die die Herrschaft zudem als Provisorium auf dem Weg staatlicher Unabhängigkeit des Libanon festlegte[1].

Eben jene Charta verpflichtete die Franzosen zum Aufbau eines staatlichen Schulwesens, das als vorrangiges Ziel, neben einer generellen Alphabetisierung, Aufbau und Verankerung von Loyalität zum neuen libanesischen Staat vorsah.

Sowohl der strukturelle (Aus- und Neubau von Schulen), als auch der ideologische Aspekt (Bestimmung und Zweck der Lehrinhalte) stellte die Franzosen vor ein Dilemma, noch weiter kompliziert durch deren wechselseitige Abhängigkeit.

Zu Beginn des Mandats bildeten die französischen den Großteil der vorhandenen ausländischen Schulen im Land, zudem war mehr als die Hälfte aller Privatschulen frankophon[2]. Die Bildungspolitik der Franzosen orientierte sich dementsprechend entlang dieser Parameter – Zum Einen wurde die Protegierung jener frankophonen Schulen im Mandat fortgesetzt und verstärkt[3]. Zum Anderen stellte es für die Franzosen auch die pragmatischste Lösung dar, bestehende Institutionen zu übernehmen und zum Leitbild des geplanten Bildungsaufbaus zu erheben[4].

Das neue staatliche Schulwesen sollte zentralisiert sein und sich eng das französische Modell anlehnen. Dadurch versprachen sich die Franzosen eine Vereinheitlichung des Bildungsstandes. Das galt insbesondere für die muslimische Bevölkerung, die in ihrer überwiegenden Mehrheit sowohl die Mandatsherrschaft, als auch den neu geschaffenen Staat Libanon ablehnten. Das staatliche Bildungswesen sollte sie inkorporieren und Loyalität erzeugen[5].

Als wesentliches Kommunikationsmittel erachteten die Franzosen dabei die französische Sprache, die in allen, privaten wie staatlichen Schulen obligatorisch unterrichtet werden sollte[6]. Widerstand dagegen formierte sich von mehreren Seiten. Viele Muslime, aber auch Christen, besonders die Griechisch-Orthodoxen, sahen in der Sprachenfrage eine eindeutige Parteinahme für die Maroniten, zumal es, in ihrer Sicht, viel näher gelegen hätte, dass ja von allen gesprochene Arabisch zu kultivieren. Auch die nicht-französischen Privatschulen wehrten sich gegen diese Vereinheitlichung, die sie als unzulässige Bevorteilung der französischen Schulen auf dem libanesischen Privatbildungssektor empfanden[7].

Die Sprachenfrage erlangte deshalb so große Brisanz, da sie zum Einen ab den 1920er Jahren immer stärker mit ideologischen Konstrukten behaftet wurde, und andererseits die französische Mandatsmacht eindeutig bestimmte Strömungen zu bervorzugen schien.

Das galt besonders für jene Ideologien, die die territoriale und religiöse Zusammensetzung des neuen libanesischen Staates bestätigten. Eben in jener Zeit florierten dementsprechend die Ideologien von Phönizianismus und Mediterranismus unter französischer Protektion.

Der Rückgriff auf eine gleichzeitig vorislamische und vorarabische Bezugsperiode, verbunden mit der immer noch fest verankerten Refugiumsthese, vertreten vor allem durch die Maroniten, sollte den distinkten Charakter des Libanon gegenüber seiner arabisch-islamischen Umwelt betonen. Sprache, Ethnizität und vor allem Geschichte entwickelten sich zu den zentralen Streitfragen der Auseinandestzung und unterfütterten konkurrierende Ideologien arabischer, syrischer und libanesischer Nationalismen[8]. Mehr noch, gesellte sich die Konfession als wesentlicher Faktor hinzu, so dass die Sprachenpolitik der Franzosen so weitreichende Implikationen mit sich brachte, dass sie weniger vereinheitlichend denn spaltend wirkte.

Dieser Interessenkonflikt offenbarte sich auch in der bildungspolitischen Praxis: So zeitigte die Auseinandersetzung um das Bild der Vergangenheit eine gesteigerte Bedeutung des Geschichtssunterrichts. Dieser aber war erst für die Sekundarstufe vorgesehen. Zwar hatten die Franzosen (erst!) 1928 ein Sekundarschulmodell nach französischem Vorbild ausgearbeitet[9], eine staatliche Sekundarschule suchte man jedoch bis zum Ende der Mandatsperiode im Libanon vergeblich. Die Franzosen sahen die Nachfrage durch das Angebot der Privatschulen bereits gedeckt und überließen ihnen somit auch die Kontrolle über die Ausbildung von Geschichtsbildern[10].

Generell lässt sich sagen, dass die Franzosen Bildung entlang partikularer Linien organsisierten, zumal sie die Kontrolle des Privatschulwesen durch die jeweiligen Konfessionen nicht nur bestätigte, sondern auch schriftlich fixierte[11].

Absatz 10 der libanesischen Verfassung von 1926 bildet bis heute den Grundpfeiler der institutionalisierten Bildungsdichotomie und legt gleichzeitig Zeugnis vom grundsätzlichen Dilemma der Staatsmacht ab. So garantiert die Verfassung den anerkannten Religionsgemeinschaften das Recht auf Kontrolle und Organisation von privater Bildung, ohne jedoch deren Verpflichtungen zu bestimmen. So wird der religiöse Pluralismus des Libanon festgeschrieben, der gegenseitigen Respekt gefordert, ohne das jedoch in irgendeiner Form pädagogisch umzusetzen[12] – auch dieses Muster durchzieht die libanesische Bildungspolitik bis heute.

Wenn auch die französische Mandatsmacht eindeutig die Maroniten und ihre Bildungseinrichtungen protegierte, so profitierte nicht allein diese Gemeinschaft vom institutionalisierten Bildungskonfessionalismus. Zwar genossen überwiegend Christen ein private Schulbildung, dennoch erkannten auch die Muslime, allen voran Sunniten die Vorteile eines konfessionell autonomen Privatbildungsrechts[13]. Eben in jene Mandatszeit fällt der eigentliche Aufstieg der MaqÁsid-Schulen. Sie expandierten nicht nur zahlenmäßig, sondern offenbarten auch den Zusammenhang von Klientelismus und Bildung. Der rasante Aufstieg der Beiruter Notabelnfamilie SalÁm hing unmittelbar mit dem Ausbau dieses Patronagenetzwerks zusammen[14]. Somit erwarben sich die Notabeln politische Loyalität im Gegenzug für Bildungszugang und demonstrierten zudem öffentlich ihre Philanthrophie[15] - Auch dieses Muster sollte in den kommenden Jahrzehnten immer wieder zu Tage treten. Wenn sicherlich auf maronitischer Seite am stärksten ausgeprägt, so erbte die politische Elite des Libanon insgesamt diesen Interessengegensatz zwischen privater, konfessionell organisierter Privatbildung und staatlich zentral organisierter öffentlicher Bildung.

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[1] Labaki: S. 77.

[2] Labaki gibt umfangreiche Statistiken und schätzt den Anteil franophoner Schulen auf ca. 61%. Vgl.: Labaki: S. 54.

[3] Der Anteil französischer Schulen stieg bis 1943 auf 80% an. Vgl.: Frayha (2002): S. 4.

[4] Ebd.

[5] Havemann: S. 96.

[6] Ghait, Ghazi / Shabaan, Kassim: “Language-in-education Policy and Planning: The Case of Lebanon“, in: Mediterranean Journal of Educational Studies 1,2 (1996), S. 100.

[7] Besonders die protestantischen Schulen fühlten sich maßgeblich benachteiligt und verzeichneten einen deutlichen Rückgang ihrer Schulen. Vgl.: Labaki: S. 79.

[8] Ausführlich zu diesen Ideologien vgl.: Kaufman, Asher: Reviving Phoenicia: In Search of Identity in Lebanon, London, 2004.

[9] Zwei Jahre zuvor wurde ein Ministerium für öffentliche Bildung gegründet. Vgl.: Frayha (2003): S. 80.

[10] Frayha (2002): S. 4

[11] Abouchedid / Nasser / Van Blommestein: S. 2.

[12] Die französische Version im Wortlaut: “L’enseignement est libre en tant qu’il n’est pas contraire à l’ordre public et aux bonnes moeurs et qu’il ne touche pas à la dignité des confessions. IL ne sera porté aucune atteinte au droit des communautés d’avoir leurs écoles, sous réserve des prescriptions générales sur l’instruction publique édictées par l’Etat.”. Vgl.: Messarra, Antoine: La Réligion dans une Pédagogie Interculturelle, Frankfurt, 1988, S. 71.

[13] 1923 eröffnete die erste schiitische Privatschule, die þÀmilÍya, in Beirut, wenngleich die libanesische Schia bis in die 60er Jahre die mit Abstand am schlechtesten versorgte Religionsgemeinschaft war. Vgl.: Havemann: S. 96.

[15] Terc: S. 437.

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