Freitag, 1. Februar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil V

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III.2. A Constitution for
India 1928

Etwa zehn Jahre später empfiehlt der Aga Khan in The Times einen grundsätzlich veränderten Ansatz, in dem Religion und Geschichte Territorial- und Sprachfragen als wesentliche Kategorien für die politische Umgestaltung des indischen Subkontinents ablösen. Die Artikel in The Times sind als direkte Reaktionen auf die Veröffentlichung des bereits dargestellten Nehru Reports zu verstehen, der grundlegende Abkommen zwischen der AIML und dem INC nicht berücksichtigte und ein unitaristisches politisches System vorsah.

Der Aga Khan verschreibt sich nun einer radikalen Form des föderalen Prinzips, um der Heterogenität Indiens zu begegnen. So spricht er sich für die Neugestaltung Indiens nach dem Vorbild der Freistaaten im Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg aus. Jeder indischen Provinz solle vollständige Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit wie beispielsweise Bayern vor dem Ersten Weltkrieg gewährt werden. Letztendlich würden diese „Freistaaten Indiens“ den sich selbst regierenden British Dominions entsprechen und lediglich durch die britische Monarchie als repräsentative Oberherrschaft verbunden bleiben.

Im weiteren Verlauf konkretisiert der Aga Khan das Konzept der Freistaaten in Bezug auf Indien: jeder Freistaat müsse eine eigene Armee, ein eigenes Transportsystem und eine eigene Wirtschaft aufbauen. Die konsequenterweise von der hinduistischen Mehrheit Indiens dominierte Zentralregierung in Delhi habe keine Befugnis, in die Belange der Freistaaten einzugreifen beziehungsweise Beschlüsse der Freistaaten zu überstimmen. Vielmehr sei die Kooperation zwischen den Freistaaten auf freiwilliger Basis und auf einzelne Bereiche beschränkt. Nur unter diesen Bedingungen, so fährt der Aga Khan fort, würden die kompakten muslimischen Einheiten im Nordwesten und Nordosten des Landes, aber auch Burma, dem Verbleib in einer indischen Föderation zustimmen.

Im Vergleich zu seinen Plänen in „India in Transition“ 1918 spielt die Fläche einer Provinz für den Aga Khan nicht mehr die dominante Rolle bei der Ausformung der einzelnen Provinzen. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Gujaratis genannt, die der Aga Khan als „distinct race“ bezeichnet und für die er folgerichtig einen Freistaat fordert, obwohl die Gujaratis eine relativ kleine Fläche besiedeln. Die Tatsache, dass seine ismailitischen Anhänger zu diesem Zeitpunk einen nicht unbedeutenden Anteil unter den Gujaratis darstellten, sollte an dieser Stelle allerdings berücksichtigt werden. Dass die Fläche als Kriterium für die Bildung eines Freistaats nicht vollständig ausgeblendet wird, beweist der Vorschlag des Aga Khan an die kleineren Native Staates wie Kathiawar, Central India oder Rajputana, gemeinsam eine Konföderation zu formieren, um der indischen Union als Freistaat beitreten zu können.

Des Weiteren wird die Sprache nur noch zum Teil als wichtigstes Voraussetzung für die Bildung eines Freistaates herangezogen. Insbesondere in Bezug auf die Gebiete auf dem indischen Subkontinent mit einem hohen Anteil muslimischer Einwohner verweist der Aga Khan auf Religion und die damit verbundene Geschichte. Signifikant ist seine veränderte Sichtweise auf Bengalen: in „A Constitution for India“ revidiert er erstmals seine Haltung zur Wiedervereinigung Bengalens, die er im Gegensatz zum Großteil der muslimischen Bevölkerung nicht abgelehnt hatte, und fordert nun die erneute Teilung in zwei Freistaaten, basierend auf der muslimischen Dominanz in Ost- und der hinduistischen Dominanz in Westbengalen. Die muslimischen Provinzen im Nordwesten des Landes sollen wie schon 1918 eine einflussreiche Einheit bilden.

Wie beschrieben sind in diesem Konzept des Aga Khan Verpflichtungen zwischen den einzelnen Freistaaten nicht existent beziehungsweise nur auf freiwilliger Basis. Der Zentralregierung werden keine Interventionsmöglichkeiten zugesprochen, sie erscheint folglich äußerst schwach. Da die britische Oberherrschaft vom Aga Khan, wie auch von der britischen Krone propagiert, als Transitionsphase auf dem Weg zur vollständigen Unabhängigkeit Indiens angesehen wurde, scheint die logische Schlussfolgerung, dass die einzelnen Freistaaten nach dieser Phase in die vollständige Unabhängigkeit entlassen werden und die Föderation obsolet wird. Kein anderer wichtiger muslimischer Politiker Indiens scheint 1928 ähnlich radikale Ideen geäußert zu haben.

Die Beweggründe des Aga Khan für sein Konzept der Freistaaten lassen sich anhand der historischen Fortentwicklung in den 1920er-Jahren erklären. Auf der politischen Ebene hatten sich die Beziehungen zwischen Muslimen und Hindus nach einer Phase der Kooperation von 1916 bis 1923 maßgeblich verschlechtert. Diese Tendenz gipfelte in den Empfehlungen des Nehru Report, der maßgeblich vom INC und dem hinduistisch-nationalistischen Mahasabha getragen wurde und grundsätzliche Forderungen der Muslime ignorierte, weshalb er von der überwältigenden Mehrheit der Muslime vehement abgelehnt wurde. Fortan bestand ein Konsens innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Indiens darüber, dass eine weit reichende Autonomie von der hinduistischen Mehrheit in einem unabhängigen Indien unabdinglich sei. Bestärkt wurden die Muslime in ihrer Sichtweise durch die konfessionellen Unruhen von 1927 bis 1932, für die aus der Sicht des Aga Khan zu einem großen Teil der INC die Schuld trug.

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